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Der Mann ging schaukelnd und mit leicht nach vorn gebeugtem Oberkörper. Sein großer, fast kahl geschorener Schädel war seinem kleinen, athletisch gebautem Körper immer ein Stück voraus. Als würde er einen unsichtbaren Gegner umrennen wollen.
Lässig hob er die Hand und grinste die Kassiererin an. Die blonde Frau zwinkerte ihm zu. Sie war erst seit zwei Monaten in dieser Filiale der New York Traffic Bank angestellt. Über vielversprechende Blicke waren sie noch nicht hinausgekommen. Wurde höchste Zeit, sie zum Essen einzuladen.
Er warf seine teuere Ledermappe auf den Schaltertresen. Die Mitarbeiterin am Schreibtisch, eine dürre Rothaarige, sah auf. "Ich hab einen Termin mit Mr. Miller!", sagte der Mann mit tiefer Stimme. Er wandte sich ab, stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen auf und sah sich im Schalterraum um.
An den beiden Stehpulten vor der Fensterfront beschäftigten sich zwei Männer mit irgendwelchen Papieren. Eine Frau hantierte am Geldautomaten herum. Am Kassenschalter standen drei Kunden. Die schönen Augen der jungen Kassiererin hingen jetzt an den Geldscheinen, die sie einem von ihnen auszahlte.
"Mr. Miller ist leider nicht da, Mr. Moriga." Eine hohe Frauenstimme hinter ihm. Herbert Moriga drehte sich wieder zum Tresen um. Die Rothaarige war hinter dem Monitor ihres PCs aufgetaucht. Sie machte ein fast schuldbewusstes Gesicht.
Er steckte beide Hände in die Taschen seiner schwarzen Leinenhose, sodass sich sein zerknautschter Trenchcoat öffnete und den Blick auf eine rote Samtweste und ein bis über das Brustbein aufgeknöpftes Hemd freigab. Für einen Moment blieb der Blick der Rothaarigen an Morigas schwarzer Brustbehaarung hängen.
"Er hat letzte Woche einen Termin mit mir vereinbart!" Auch jetzt, wo seine sanfte Stimme einen energischen Unterton annahm, verschwand das Grinsen nicht von seinem Gesicht. "Also muss er da sein, oder sehen Sie das anders?"
Endlich traute die Frau sich aus der Deckung ihres Schreibtisches heraus. "Sicher, Mr. Moriga", sie versuchte ein verständnisvolles Lächeln. Ihre großen, grünen Augen bekamen plötzlich etwas Starres. Als würde die Frau einen hartnäckigen Kampf mit ihnen führen, damit sie nicht wieder zur Brustbehaarung des Mannes herunterwanderten. "Normalerweise schon. Aber Mr. Miller musste unvorhergesehen in einer anderen Filiale aushelfen. Nur vorübergehend."
Er sah sie herausfordernd an. "Und was machen wir jetzt?"
"Ich hole Mr. Bertrand, Moment bitte." Und wieder streifte der Blick der Frau seine breite, haarige Brust.
Sie eilte auf eine große Trennwand zu, die den Geschäftsraum teilweise vom Schreibtisch des Filialleiters abtrennte. Moriga wandte sich zur Kasse. Das blonde Mädchen beobachtete ihn. Ein entzückendes Lächeln glitt über ihre schönen Züge. Moriga lächelte zurück.
Er hatte sich nie gefragt, warum die Frauen auf ihn flogen - auf einen kleinen, kahl geschorenen Mann mit O-Beinen. Er nahm es einfach als naturgegeben und selbstverständlich hin.
Die Rothaarige sprach mit dem stellvertretenden Filialleiter. Bertrand war nach Morigas Erfahrungen keine Leuchte. Hielt sich eng an die Vorgaben seiner Direktoren. Ein verkrampfter Sesselfurzer - so schätzte er ihn ein.
Dass Miller nicht da war, wollte ihm für einen Moment Kopfzerbrechen bereiten. Der junge Bankkaufmann war kein ganz unbedeutender Faktor in seiner Planung. Moriga kannte Raymond Miller auch privat. Zwar nur flüchtig - sie trafen sich ab und zu in einem Fitness-Studio in der Broome Street - aber Miller hatte ihm schon manchen Kredit zu günstigen Bedingungen verschafft.
Moriga schob seine Bedenken beiseite. Er war Optimist. Und würde schon klarkommen mit diesem Bertrand.
"Mr. Bertrand erwartet Sie, Mr. Moriga." Er klemmte sich seine Tasche unter den Arm und ging um den Tresen herum. Wieder dieser schaukelnde, angriffslustige Gang. Die Rothaarige sah ihm nach - mit starren Augen und leicht geöffneten, feuchten Lippen.
"Hi, Mr. Bertrand! Wie geht's so?" Er streckte dem Mann die rechte Hand hin. Der hagere Enddreißiger bewegte keine Miene. Als müsste er eine lästige Pflicht hinter sich bringen, ließ er das Händeschütteln über sich ergehen. Irritiert spähte er nach Morigas Rechten, als der sie zurückzog - der kleine Finger und das obere Glied des Ringfingers fehlten.
"Mr. Miller und ich hatten über einen größeren Kredit verhandelt." Herbert Moriga schüttelte den Trenchcoat von seinen Armen ab und ließ ihn hinter sich über die Stuhllehne fallen. "Heute wollten wir die Angelegenheit über die Bühne ziehen." Lächelnd entblößte er sein strahlend weißes Gebiss. "Sie wissen ja wie das ist heutzutage - wenn man nicht ganz schnell investiert, wird man von Bill Gates gefickt und ist weg vom Fenster."
Es machte ihm Spaß zu sehen, wie der andere schluckte und die Lippen zusammenpresste.
Der dreiunddreißigjährige Moriga hatte zwölf Jahre bei der Army gedient und war erst vor zwei Jahren im Range eines Lieutenants entlassen worden. Mit seiner hohen Abfindung und einer dicken Erbschaft war er in ein expandierendes Software Unternehmen einstiegen. Sein Kompagnon, Richard Gershom, wollte eine Filiale in Boston aufmachen. Dazu brauchte die Firma mindestens achthunderttausend Dollar von der New York Traffic Bank.
"Haben Sie die Papiere schon fertig gemacht?" Wieder verzog Moriga seine vollen Lippen zu einem Grinsen.
Dieses freundliche Gesicht mit der Stupsnase und den listigen braunen Augen, seine liebenswürdige Art und seine Hartnäckigkeit, wenn er mit Schwierigkeiten konfrontiert wurde, hatten ihm bei der Army den Spitznamen >Biber< eingebracht. Böse Zungen behaupteten, es wäre vor allem der Schwanz des Tieres gewesen, der bei diesem Spitznamen Pate gestanden hatte.
Bertrand faltete seine kleinen Hände und räusperte sich. "Die New York Traffic Bank kann Ihnen den Kredit leider nicht gewähren, Mr. Moriga. Die Sicherheiten scheinen uns einfach nicht seriös genug zu sein."
Falten türmten sich auf Morigas Stirn. "Ich hör wohl nicht recht!" Er schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. "Erstens hat Mr. Miller mir den Kredit in die Hand versprochen. Und zweitens: Unsere Firma mit allen Immobilien und den beweglichen Gütern ist gut und gern zehn Millionen wert. Was erlauben Sie sich eigentlich!?"
Er wurde so laut, dass die Rothaarige und einige Kunden zu ihm herüberschauten.
Bertrand wartete, bis sein Kunde Dampf abgelassen hatte. Wieder räusperte er sich. "Mr. Miller wurde von der Geschäftsleitung angewiesen, ihre Kreditwürdigkeit genauer zu überprüfen, und leider ..." Er unterbrach sich mitten im Satz und machte eine bedauernde Geste.
Moriga war für einen Moment sprachlos. Sollte Richie ihm irgendetwas verheimlicht haben? Er überließ die wirtschaftlichen Dinge weitgehend seinem Kompagnon und dem Rechtsanwalt der gemeinsamen Firma.
"Das müssen Sie mir erklären, Mr. Bertrand."
Lautlos tauchte die Rothaarige neben Moriga auf. Sie legte ihrem Chef einen kleinen Zettel vor. Moriga sah ihre Hand zittern. Er stutzte. "Da ist ein ... ein Herr", flüsterte die Frau mit bebender Stimme.
Bertrand nahm den Zettel. Sein Unterkiefer sank nach unten. Er wurde leichenblass. Mit geweiteten Augen starrte er an Moriga vorbei zum Schaltertresen.
Moriga drehte sich um. Hinter dem Tresen stand ein hagerer mittelgroßer Mann in einem dunklen Anzug. Vor sich einen geöffneten Aktenkoffer. Vom Innenrand seines schwarzen Hutes hing ein schleierartiges Tuch über seine Gesicht. Ebenfalls schwarz.
Morigas Wirbelsäule straffte sich. Ihm war sofort klar, dass der Mann nicht hier war, um ein Sparkonto zu eröffnen.
Bertrand griff hastig zum Telefon und wählte eine Nummer. Seine Unterlippe bebte, während er den Hörer ans Ohr presste. Plötzlich schien er Moriga noch bleicher zu sein, als zuvor schon. Nach langen Sekunden ließ er den Hörer aufs Telefon fallen.
Er stand auf und stelzte mit steifen Knien an ihm vorbei und ging auf den Tresen zu. Moriga sah ihn mit dem Maskierten sprechen. Der griff in seinen Aktenkoffer. Als seine Hände wieder auftauchten hielten sie ein Maschinenpistole fest. Der Maskierte machte eine ruckartige Bewegung nach oben.
Erst als die Rothaarige die Hände hob und sich in Bewegung setzte, kapierte Herbert Moriga, dass die stumme Geste ihr und ihm gegolten hatte.
Der Maskierte wiederholte sie. Diesmal heftiger.
Langsam stand Moriga auf und hob die Hände bis in Schulterhöhe. Sein Kopf weigerte sich zu akzeptieren, was er da sah. Hätte ihm Bertrand zehn Millionen ohne Sicherheiten und zu einem Girokontozins gegeben - er hätte unterschrieben und es für selbstverständlich gehalten.
Aber unangenehme Dinge, Unfälle, Krankheiten oder Ähnliches, konnte er einfach nicht in Zusammenhang mit sich selbst bringen. Und Opfer eines Banküberfalls zu werden - von so etwas liest man in der Zeitung. Oder schaut es sich bei einem Bier vom Fernsehsessel aus an.
Der Maskierte zischte einen Fluch. Und legte die MP auf Moriga an. Der löste sich aus seiner Erstarrung und ging schnell auf den Tresen zu. Und versuchte die Wut zu ignorieren, die er heiß in sich aufsteigen fühlte.
Der Mann mit dem Schleier winkte ihn und die Rothaarig aus dem Geschäftsbereich heraus in den Kundenteil des Schalterraums. Dann riss er dem Filialleiter den Zettel aus der Hand, klappte seinen Aktenkoffer zu und folgte Bertrand in den Tresorraum. Dabei ging er rückwärts und zielte mit der MP auf Moriga und die Rothaarige.
Moriga sah plötzlich, dass alle Kunden stumm und mit erhobenen Händen dastanden. Auch die süße Kassiererin und die drei anderen Mitarbeiter der Bankfiliale. Den Grund dafür erkannte er jetzt erst: Einen untersetzten Mann in rotem Sakko. Ebenfalls mit einer Maschinenpistole bewaffnet. Und ebenfalls mit einem schwarzen Schleier um den Kopf. Der schien an seiner lächerlich großen Schildkappe befestigt zu sein.
Sekunden später kam der Schwarze mit Bertrand zurück. Immer noch die MP im Anschlag. Bertrand trug den Aktenkoffer. Der Maskierte bugsierte ihn mit der MP in Richtung Kassenraum. Bertrand schloss auf und reichte den Koffer hinein. Die Blonde leerte hastig ihre Kasse.
Der Schwarze nahm den Koffer wieder entgegen und spurtete um den Tresen herum in den Kundenbereich zurück. In dem Moment kehrte er Bertrand den Rücken zu. Und Moriga beobachtete, wie der Filialleiter zögernd seinen Arm nach der Kante eines Schreibtisches ausstreckte. "Du Idiot wirst doch jetzt keinen Alarm mehr geben!", dachte Moriga.
Drei, vier Schüsse donnerten durch den Schalterraum. Noch während er sich auf den Boden warf, sah Moriga Bertrand die Arme hochreißen und stürzen. "Er hat auf ihn geschossen! Der Kerl an der Tür hat auf ihn geschossen!"
Als er sich wieder aufrappelte waren die beiden Männer verschwunden. Die meisten Mitarbeiter und Kunden standen immer noch mit erhobenen Händen da. Als wären sie zu Gipsfiguren erstarrt. Nur zwei Männer vor dem Kassenschalter lagen am Boden.
Hinter dem Panzerglas des Schalters die blonde Kassiererin. Mit hängenden Schultern stand sie da und sah ihn aus traurigen Augen an.
"Alarmieren Sie die Polizei!", brüllte Herbert Moriga. Er hechtete über den Tresen und rannte zwischen den Schreibtischen durch. Neben dem Eingang zum Kassenraum lag Bertrand auf dem Rücken. Seine Augen starrten leer an die Decke. Um seinen Schädel vergrößerte sich langsam eine Blutlache ...