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"Früh heute!" Der Wirt des >Mezzogiorno <winkte uns von der Theke aus zu. Es war erst kurz nach zwölf. Sonst, wenn wir in dieser gemütlichen Pizzeria in der Spring Street zu Mittag aßen, kreuzten wir nicht vor eins oder halb zwei auf.

"Mitten in der Nacht gefrühstückt", rief Milo dem Wirt zu. "Der Magen meldet sich früher als sonst." Milo rieb sich über den Oberbauch.

Ersteres war übertrieben. Wir hatten gegen sechs Uhr morgens gefrühstückt. Gemeinsam und in unserem Dienstwagen, einem grauen Mercury. Das lag schlicht und einfach daran, dass wir uns die Nacht mit einer Observation um die schlagen mussten. Wir waren einem russischen Waffenhändler auf der Spur gewesen. Noch am frühen Morgen konnten wir den Mann bei der Abwicklung eines dicken Geschäftes stellen.

Den Morgen und Vormittag über waren Verhöre und Berichte angesagt gewesen. Eine klare Sache. Mit den Beweisen, die wir der Staatsanwaltschaft auf den Tisch gelegt hatten, dürfte sie den Mann in kürzester Zeit dorthin bringen, wo er hingehörte: hinter Gittern.

Wir bestellten Pizza und Cola. Und merkten einmal mehr, dass es nach getaner Arbeit besonders gut schmeckte.

"Und weißt du, was wir jetzt machen?" Milo schob seinen Teller von sich weg und knüllte die Serviette zusammen. "Jetzt machen wir einen Verdauungsspaziergang durch SoHo. Ganz gemütlich, als wenn's in dieser schönen Stadt überhaupt keine Arbeit für uns gebe."

"Gute Idee, Partner." Ich zog mir eine Camel aus der Schachtel. Bei großer Anspannung, oder wenn ich mich ganz entspannt fühlte wie jetzt, überfiel mich regelmäßig das Bedürfnis nach einer Zigarette. "Und wenn wir an einem schönen Café vorbeikommen, lädst du mich zu Kaffee und Kuchen ein."

"Und du mich zu einem Whisky."

Während wir zahlten, dudelte mein Handy los. Milo zog den Mundwinkel hoch. "Ich glaub, es wird nichts mit unserem Spaziergang."

Er hatte recht. Unser Chef war am Apparat.

"Hören Sie, Jesse - Norman Ruther hat gerade angerufen. Er steckt in personellen Schwierigkeiten." Norman Ruther war Chef der >Bank Robbery Task Force<. Diese Sondereinheit für Banküberfälle wurde vom FBI und der City Police gemeinsam unterhalten.

"Und jetzt hat die City Police seine Sondereinheit angefordert. Ich würde Sie und Milo bitten in den Fall einzusteigen."

"Einverstanden."

"Dann fahren Sie doch mal eben zur Prince Street, Ecke Green Street. Dort ist ein Filiale der New York Traffic Bank überfallen worden. Der Kollege Ruther erwartet Sie schon."

"In Ordnung, Sir." Ich steckte mein Handy weg. "Wir müssen mal eben um die Ecke, Partner."

"Um die Ecke?"

"Ja. Banküberfall in der Prince Street."

"Was haben wir mit Banküberfällen zu tun?" Während wir zu unserem Mercury gingen, erklärte ich ihm die Sachlage.

Die Prince Street lag nur einen Block weiter nördlich und die Bank nur vier Querstraßen westlich von unserer Pizzeria. Zehn Minuten später hielten wir vor der Bankfiliale. Davor das vertraute Bild: Streifenwagen, Ambulanzen, Gaffer und Presse vor dem gelben Absperrband. Und ein Leichenwagen.

Milo verzog das Gesicht und rieb sich den Bauch. "Muss das sein?", knurrte er.

Die Bank war in einem Duckworth-Haus untergebracht. So hieß der Architekt, der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts in diesem Viertel seine Leidenschaft für Gusseisen ausgetobt hatte. Die Fassade des Hauses bestand eigentlich nur aus Fensterbögen, Säulen und Mauersimsen - alles aus Gusseisen. Und dazwischen natürlich die Glasscheiben in den großen Fenstern.

Wir stiegen die Vortreppe hoch und betraten den nicht besonders großen Schalterraum. Er war ganz mit dunklem Holz getäfelt und wirkte auf mich etwas düster.

Hinter dem Schaltertresen an einem der Schreibtische saß ein bulliger Mann - groß, rotes Gesicht, Tränensäcke und Doppelkinn, etwa fünfzig Jahre alt: Norman Ruther, Inspektor der New York City Police und Leiter der >Bank Robbery Task Force<.

Als er uns sah, stand er auf und kam um den Tresen herum auf uns zu. "Jesse und Milo, schön Sie mal wiederzusehen." Wir kannten uns aus früheren Einsätzen. "Vorgestern sind gleich zwei meiner Leute angeschossen worden. Und die fehlen mir jetzt."

Er drehte sich um und bedeutete uns mit einer Handbewegung ihm zu folgen. "Hört euch die Sache einfach mal an. Den Hintergrund erklär' ich euch später."

Mit schweren Schritten, und den großen grauhaarigen Schädel auf die Brust gesenkt, stapfte er zurück an den Schreibtisch. Sein dunkelgrüner Anzug war um das Gesäß herum total zerknittert.

Ein Mann und zwei Frauen warteten dort auf ihn. "Mrs. Glenn und Miss Hennessy", deutete er auf eine rothaarige Endvierzigerin mit verweinten Augen und eine junge Frau mit kurzen, blonden Haaren. "Die beiden sind hier angestellt. Und das ist Mr. Moriga." Ruther ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen. "Er war zurzeit des Überfalls als Kunde beim stellvertretenden Filialleiter." Er deutete auf einige Leute vom Zentrallabor, die sich vor dem Eingang zum Kassenraum am Boden zu schaffen machten. "Er hat Mr. Bertrand zuletzt gesprochen. Abgesehen von seinem Mörder."

Ich bewegte mich auf den Kassenraum zu. Milo machte keine Anstalten, mir zu folgen. Auf dem Boden zwischen Kassentür und Schreibtisch die Leiche eines etwa vierzigjährigen Mannes in einer großen Blutlache.

Der Gerichtsmediziner sah auf. "Hi, Mr. Trevellian." Betreten schaute er den Toten an. "Er war sofort tot. Vier Einschüsse. Drei in den Kopf, einer im Rücken."

Ich nickte und ging zurück zu Milo und Ruther. Zwei Mitarbeiter von der Pathologie drängten sich mit einem Leichensack an mir vorbei.

"Sie waren mit Maschinenpistolen bewaffnet", sagte Ruther.

"MP5, Heckler & Koch", mischte der Mann sich ein, den Ruther als >Mr. Moriga< vorgestellt hatte. Ein kleiner Bursche mit sympathischem Jungengesicht, einem gewaltigen Brustkasten und breiten Schultern. Ich sah ihn fragend an. "War zwölf Jahre bei der Army. Und bin ein Waffennarr." Er zuckte mit den Schultern und breitete die Arme aus, als müsste er sich dafür entschuldigen, dass er die Waffe erkannt hat. Sein Lächeln hatte fast etwas Verlegenes.

Die Augen des blonden Mädchens hingen bewundernd an seinen Lippen. Der große Schädel des Mannes war fast kahl rasiert. Die sprießenden Haarstoppeln bedeckten ihn wie ein schwarzer Schatten. Auch sein braun gebranntes Gesicht war dunkel vor Bartstoppeln. Ich schätzte, dass er Südamerikaner unter seinen Vorfahren hatte.

"Einer der Männer gab Ihnen also einen Zettel." Ruther wandte sich an die Rothaarige.

"Ja", schluchzte sie, "da stand drauf: >Wir haben Ihren Sohn und Ihre Frau.<" Ein Heulkrampf schüttelte die Frau. "Und dass Mister Bertrands Familie sterben wird, wenn die Bankräuber nicht in einer halben Stunde mit dem Geld zurück wären ...", flüsterte sie. "Ich weiß den genauen Wortlaut nicht mehr ..."

Ruther notierte alle Aussagen und ließ sich auch von der Kassiererin und diesem Moriga genau schildern, was sie beobachtet hatten. "Wenn wir noch Fragen haben, werden wir uns bei Ihnen melden." Er steckte sein Notizbuch weg und stand ächzend auf.

Wir räumten unserem Psychologen das Feld. "Auf den Schreck sollten wir einen trinken gehen", hörte ich den sympathischen Kahlkopf zu der Kassiererin sagen.

"Scheint auch so einer zu sein, der nichts anbrennen lässt", raunte ich Milo zu während wir die Bank verließen.

"Was heißt hier >auch<?" Milo spielte den Entrüsteten. "In so einer Situation ein Frau anzusprechen, die gerade Opfer eines Banküberfalls geworden ist, wäre unter meiner Würde."

"Selbstverständlich", sagte ich und erntete einen strengen Blick meines Partners.

"Also Gentlemen - die Sache ist die ..." Ruther zog eine Schachtel West heraus und steckte sich eine Zigarette an. "Das ist nicht der erste Überfall dieser Art." Er stützte sich auf das Dach seines Dienstwagens und betrachtete aus schmalen Augen die eiserne Fassade des Bankgebäudes.

"Vor etwas über einem Jahr in Albany oben, vor sechs, sieben Monaten in Lancaster City, Pennsylvania, vor zwei Monaten in Princeton, New Jersey." Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette.

"Und immer die gleiche Masche: Ein Mann kommt in eine mittlere Bankfiliale - meistens freitags, wenn die Löhne im Tresor liegen - steht ein Weilchen am Geldautomaten herum, dann taucht er maskiert vor dem Tresen auf und drückt einem Mitarbeiter einen Zettel für den Filialleiter in die Hand, auf dem irgendeine fürchterliche Drohung steht."

Seine Augen wanderten zum Eingang der Bank - Moriga und das Mädchen drückten eben die Eingangstür auf. "Meistens eine Drohung, die sich auf die Familie des Filialleiters bezieht. Inzwischen ist ein zweiter Mann aufgetaucht und hält Kundschaft und Mitarbeiter in Schach." Er zuckte resignierte mit den Schultern. "Na ja - und den Rest kennen Sie ja."

"Beute?", fragte Milo.

"Immer zwischen achtzig und zweihunderttausend Dollar", berichtete Ruther. "Heute wird's wohl nicht ganz soviel gewesen sein. Die New York Traffic Bank ist schon lange dazu übergegangen, die Lohngelder in der Nacht auf den Freitag auszufahren."

Er warf seine Zigarette weg. "Jedenfalls ist es unser Job, die Bande zu fangen. Kommen Sie doch einfach mal mit ins Civic Center. Dort können Sie ungefähr zwanzig Pfund Papier mit Ermittlungsergebnissen studieren." Er grinste und kletterte ächzend in seinen Wagen.

"Banküberfälle", brummte Milo, während wir hinter Ruther herfuhren. "Nicht gerade unsere Spezialität, was?"

"Unsere Spezialität ist doch immer das, was gerade anliegt Partner, oder?", grinste ich.

"Wenn du meinst ...?"

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