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Die Beerdigung rauschte an ihm vorbei, wie ein langweiliger Film. Herbert Moriga hielt sich im Hintergrund der kleinen Trauergesellschaft, die sich an diesem Vormittag auf dem Friedhof in Brooklyn getroffen hatte. Er wollte hinterher so bald wie möglich verschwinden. Möglichst ohne Mister und Mistress Gershom sein Beileid für das Abscheiden ihres Sohnes auszusprechen. Lügen lagen ihm nicht.
Moriga trauerte nicht um Richie. Er war stinksauer auf ihn. "Wenn er sich nicht erschossen hätte, hätte ich ihn umgelegt", hatte er zu Trisha gesagt, als er die Nachricht von Richies Tod erhalten hatte. Nur wenige Stunden vorher hatte ihn der Anwalt über die wahre Situation seiner Finanzen informiert.
Moriga hatte Trisha Hennessy weggeschickt - die junge Kassiererin fühlte sich schon fast zu Hause bei ihm - und hatte dann eine Stunde lang in seinem Apartment herumgetobt. Lieber hätte er mit Richie geschrien. Aber der hatte sich verleugnen lassen.
Jedenfalls lag die Asche seines Kompagnons jetzt in der Urne, die sie eben in dem kleinen viereckigen Loch versenkten. "Und der Teufel weiß, in welchen schwarzen Löchern du meine Dollars versenkt hast", murmelte Moriga bitter. Er hatte nicht einmal mehr genug Geld auf der Bank, um die Raten für seine nagelneue Corvette zu bezahlen, die er vor drei Wochen geleast hatte.
Der Herbstwind wehte rotbraunes Laub über die Gräber, und Herby fand beängstigend zutreffend, was seine eigene Situation anging.
Nach der Beerdigung fuhr er zurück nach Chelsea, wo er ein großes Apartment in der sechsundzwanzigsten Straße bewohnte. Er warf die Tür hinter sich zu, ließ seinen Trenchcoat über auf das Parkett hinuntergleiten, holte eine Flasche Whisky aus der Schrankbar und warf sich auf sein Bett.
Okay, Herby-Boy - was machen wir jetzt? Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche. "Kugel und Strick scheiden aus", murmelte er. "Es wär' einfach zu schade um dich."
Er hatte nie verstehen können, wie man auf die blöde Idee verfallen konnte, seinem Leben eigenhändig ein Ende zu machen.
Moriga ging alle Möglichkeiten durch: Zurück zur Army, einen Job suchen, seine Aktien und das Wochenendhaus in Malibu verkaufen und sich so eine Zeit lang über die Runden schwindeln.
"Oder du nimmst eine Bank aus", grinste er und setzte die Flasche an.
Die Army hätte ihn gern behalten - er war ein fähiger Offizier gewesen und hatte das bei verschiedenen Gelegenheiten unter Beweis gestellt. Im Golfkrieg, in Somalia und in Bosnien zum Beispiel.
Herbert Moriga gehörte nicht zu den Männern, die ihre Diplome und ähnlichen Kram an der Wand ausstellten. Er hatte es nicht nötig, sich seinen Wert ständig vor Augen führen zu müssen. Die Auszeichnungen, die er bei der Army eingefahren hatte, lagen in irgendwelchen Schubladen unter alten Briefen oder vergilbten Fotos aus der Collegezeit. Wenn sie nicht beim letzten Umzug verloren gegangen waren.
Aber noch einmal eine Uniform anziehen, sich noch einmal in dieses Korsett von hierarchischen Strukturen und festgelegten Tagesabläufen zu zwängen - "nein, danke", brummte Herby und angelte eine Gitane aus der Schachtel auf seinem Nachttisch.
Und einen Job? "Ach du Schande ...!" Herbert Moriga machte ein angewidertes Gesicht und goss sich einen Schwall Whisky in den Hals.
Zwar erst wenig länger als zwei Jahre genoss er den Umstand, keinen Vorgesetzten mehr zu haben - aber das reichte, um ihn von dieser Existenzform zu überzeugen. Um keinen Preis der Welt würde er je wieder die Anordnungen eines anderen ausführen. Lieber würde er in den Untergeschossen der Central Station neben den Heizungsrohren schlafen. Oder ein Bordell aufmachen ...
"... oder eine Bank überfallen", murmelte er grinsend.
Er stand auf und drückte die Gitane in einem der Kakteentöpfe auf dem Fensterbrett aus. Die Whiskyflasche zurück in die Bar, den Trenchcoat vom Boden geangelt, die Gitanes und die Streichhölzer in die Westentasche.
Er musste an die Luft.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit lief er ziellos durch Chelsea, durch den Theatre District bis hinauf an das Ende des Parks und wieder zurück. Seine Grübeleien drehten sich im Kreis. Und kehrten merkwürdigerweise immer wieder zu dem Freitag in der letzten Woche zurück, an dem er Zeuge und Opfer eines Banküberfalls geworden war.
Am Abend begann es zu regnen, und Herbert Moriga flüchtete in eine Bar in der Upper Midtown. Er bestellte ein Bier und riss eine frische Packung Gitanes auf, die er sich unterwegs gekauft hatte.
Rauchend und biertrinkend dachte er an den Mann in dem dunklen Anzug, an seine Maschinenpistole und an die zitternde Hand der Rothaarigen, als sie Bertrand den Zettel reichte.
Es war so einfach gegangen. Die beiden Burschen waren einfach in die Bank spaziert, hatten den Zettel abgeliefert, ihren Koffer aufgesperrt und waren mit etwas mehr als zwanzigtausend Dollar wieder hinausgegangen.
Zwanzigtausend Dollar, oder fünfundzwanzigtausend - das war nicht die Welt, okay, aber mit ein bisschen Glück konnte man auch wesentlich mehr machen. Las man nicht ständig von irgendwelchen Idioten, die so mir nichts, dir nichts fünfhunderttausend oder mehr bei einem Banküberfall ...?
Moriga schüttelte sich und rammte die halb gerauchte Gitane in den Ascher. "Du spinnst ja, Herby ..."