image
image
image

10

image

image

Nick Gordener setzte eine große Sonnenbrille auf und ließ den Wagen langsam auf die Straßenecke zurollen. Er hatte es nicht eilig. Adams und Warren waren erst vor drei Minuten ausgestiegen. Wahrscheinlich würde Warren jetzt erst die Bank betreten.

Als er in die Straße einbog, in der die Bank lag, sah er eben das hellblaue Jackett des kleinen Adams und seine schwarze Schildkappe in der Glastür verschwinden.

Langsam ließ Gordener den Wagen an der Bank vorbeirollen. Diesmal hatten sie einen grauen Toyota Kombi geliehen. Etwa zwanzig Schritte hinter der Bankfiliale fuhr an den Straßenrand. Den Motor ließ er laufen. Gespannt blickte er in den Rückspiegel.

Sie waren am frühen Vormittag in New York City aufgebrochen. Anderthalb Stunden hatten sie für den Weg in Connecticuts Hauptstadt einkalkuliert. Zwei Stunden hatte sie gebraucht. Der Überfall auf die New York Traffic Bank hatte nicht mehr als zweiundzwanzigtausend Dollar eingebracht. Zu wenig. Alle drei waren sie sich einig geworden, so schnell wie möglich wieder zuzuschlagen.

"Hey Mister!" Jemand klopfte an das Seitenfenster. Gordener zuckte zusammen. Aus den Augenwinkeln sah er einen jungen Mann in Jeansjacke und mit einer Umhängetasche aus billigem schwarzem Kunststoff unter dem Arm. In der Rechten hielt er ein Stück Papier - ein Flugblatt oder so etwas.

Gordener bemühte sich, dem Mann sein Gesicht nicht zu zeigen. Aus den Augenwinkeln musterte er ihn. Gefahr oder nicht? Er sah harmlos aus, höchstens zwanzig, ein bisschen wie einer dieser Spinner, die sich mit Schlauchbooten vor Oeltanker setzen oder auf Labrador Robbenjäger fotografieren.

Egal - der Typ hatte ihn schon wahrgenommen. Jetzt konnte es nur noch darum gehen ihm möglichst wenig Anlass zu geben, sich sein Gesicht und seinen Wagentyp einzuprägen.

Gordener ließ also die Scheibe herunter. "Was' los?", knurrte er, ohne dem Jungen sein Gesicht zuzuwenden.

"Hier:" Der andere lächelte auf eine Art, die Gordener unter anderen Umständen zum Wahnsinn getrieben hätte - mild, verstehend und liebevoll. Wie die eine österreichische Prinzessin in aus einem alten Film, den er sich als Junge mit seiner Mutter angesehen hatte.

"Hier habe ich etwas zu lesen für Sie", säuselte der junge Bursche. Er war wohl noch jünger als zwanzig.

"Kann ich verdammt gut brauchen", sagte Gordener gepresst, nahm das Prospekt entgegen und machte Anstalten, das Fenster wieder hochzulassen. Die Augen immer im Rückspiegel.

"Moment noch, Mister", sagte der andere mit leuchtenden Augen. "Kennen Sie Jesus? Haben Sie Frieden mit Gott?"

"Ach du Scheiße ...!" Stöhnend ließ Gordener seinen Kopf gegen die Nackenstütze fallen. Er hatte mal einen Gefängnispfarrer kennengelernt, der ähnliche Sprüche draufgehabt hat.

"In dieser Broschüre finden Sie die wichtigsten Bibelstellen, die Ihnen ..."

"Lass Sie mich bitte in Ruhe, Mister, ja?" Gordener bot sein gesamtes Potential an Höflichkeit auf. Er brachte sogar ein Lächeln zustande.

"... den Weg zu Gott zeigen. Lesen Sie diese Bibelstellen, fallen Sie auf die Knie und bitten Sie Ihren himmlischen ..."

"Hör zu, Bursche!" Gordener hielt dem Jungen den ausgestreckten Zeigefinger unter die Nase. "Wenn du heute deine Eier mit nach Hause nehmen willst, dann verpiss dich! Aber ganz flott!"

"... um Vergebung für Ihre Sünden. Es ist ganz einfach. Ich will Ihnen mal erzählen, wie das bei mir war ..."

Im Rückspiegel sah Gordener seine beiden Partner aus der Bank spurten. Er drückte den Knopf auf der Armlehne der Fahrertür. Das Fenster schob sich hoch. Der Junge zog rasch seine Hand zurück. Ohne dass er von seinem Vortrag abließ.

Warren und Adams rissen die Türen auf, Gordener gab Gas und der junge Mann stürzte rücklings auf die Straße.

"Scheiße, Scheiße, Scheiße!", brüllte Warren neben ihm. "Ich hab gewusst, dass es schiefgeht, ich hab's gewusst!"

"Was ist passiert, zum Teufel?", brummte Gordener. Doch die anderen beiden beachteten ihn überhaupt nicht.

"Gleich heute Morgen habe ich es gespürt, als ich die Lösung nicht finden konnte! Die Lösung von dieser gottverdammten Aufgabe!"

Warren schrie, heulte fast. Adams hatte den Kopf auf die Oberkante der Rücklehne gelegt und die Augen geschlossen. Gordener beobachtete ihn im Rückspiegel. "Kann mir jetzt endlich einer sagen, was passiert ist?"

"Der Filialleiter, den wir beobachtet haben, hatte heute dienstfrei. Und sein Vertreter hat weder Frau noch Kinder." Adams erzählte ohne die Augen zu öffnen. "Er starrte ungläubig auf den Zettel, drückte auf den Alarmknopf unter der Schreibtischkante und warf sich in Deckung."

Gordener zwang sich, die Geschwindigkeitsbeschränkung einzuhalten. Am Ende der Straße tauchte das Parkhaus auf, in dem sie seinen Buick geparkt hatten. "Soll das heißen, ihr seid ohne Kohle da raus gekommen?!"

"Ich hab dem Kassierer 'ne Ladung ins Panzerglas gejagt", erzählte Adams müde und mit schleppender Stimme. "Der hat immerhin seine Kasse geleert."

Warren riss sich den Hut vom Kopf und öffnete seinen schwarzen Aktenkoffer. "Das reicht nicht mal für die Spesen!" Er ließ Hut und MP5 im Koffer verschwinden. "Schon der zweite Fehlschlag innerhalb von drei Wochen!"

Im Parkhaus wechselten sie die Fahrzeuge. Eine Freundin von Nobel Warren würde den Toyota zurück zur Autovermietung bringen. Und vorher natürlich das gestohlene Nummernschild abschrauben.

Auf der Interstate nach New York City schwiegen sie lange. Erst als sie die Nordgrenze Manhattans erreichten, meldete sich Oliver Adams zu Wort. "Was machen wir jetzt. Vorübergehend keinen Hit mehr?"

"Ich muss", sagte Gordener spontan. "Wenn nicht mit euch, muss ich auf eigene Faust losziehen und mich mit Einbrüchen über Wasser halten. So ein Gestüt kostet Geld."

"Eine schlechte Ernte und einen Fehlschlag bei fünf Versuchen - das ist doch kein Weltuntergang!" Nobel Warren hatte sich längst wieder gefangen. "Das ist ein hervorragendes Ergebnis! Wir sind gut Jungs. Und deswegen machen wir weiter."

Gordener wusste, dass Warren aus dem gleichen Grund weitermachen wollte, wie er selbst. Und so schnell wie möglich. Sein Detektivbüro warf nicht genügend ab. Jedenfalls nicht so viel, dass er seine vielen Frauen und seine Wettleidenschaft finanzieren konnte. Und Adams hatte eine Menge Schulden. Ihm blieb als Alternative eigentlich nur noch der Strick.

"Okay", sagte Adams, "aber lasst uns die Sache gründlicher vorbereiten. Ich will so viel Dollars einfahren, dass wir vorläufig nicht mehr arbeiten müssen ..."

image

image

image