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Nobel Warren zog das hellblaue Hemd vom Garderobenständer. Während er hineinschlüpfte, ging er langsam zum Tisch. Dort lag neben einem schwarzen Aktenkoffer sein abgegriffenes Taschenbuch. Murmelnd las er die Denksportaufgabe, mit der er an diesem Tag sein Hirn in Schwung bringen wollte.
"Dass du heute Morgen für so etwas Nerven hast." Oliver Adams, der hinter am Tisch hockte und Kaffee trank, staunte Warren kopfschüttelnd an. Er trug ein sandfarbenes Sakko. Darunter ein schwarzes Polohemd und schwarze Hosen. Die unvermeidliche Baseballkappe lag neben seiner Tasse auf dem Tisch.
"Du glaubst gar nicht, wie sehr das beruhigt." Warren verschwand mit einer dunkelroten Krawatte im Bad. "Ein Mann, der unsere verlogene Stadt satt hat, macht sich auf den Weg in die legendäre Stadt, in der nur die Wahrheit gesprochen wird", rief er, während er sich die Krawatte band.
"Armer Irrer", knurrte Adams und griff nach dem Buch um die Aufgabe mitzulesen.
"Er kommt an eine Weggabelung", fuhr Warren unbeirrt fort. "Der eine Weg führt in die Stadt der Wahrheit, der andere nach New York City, in die Stadt der Lüge, zurück. Er hat keinen Schimmer, welchen er nehmen muss. Zwei Wächter vor den Wegen - der eine lügt grundsätzlich und immer, der andere sagt ausschließlich die Wahrheit. Unser Mann darf einem von beiden eine einzige Frage stellen. Eine Frage, die nur mit >ja< oder >nein< zu beantworten ist. Wie lautet die Frage?"
"Leck mich am Arsch", brummte Adams. Er schlug hinten bei den Lösungen nach. Schnell legte er das Buch wieder weg, als Warren aus dem Bad zurückkam.
"Schwieriges Problem." Warren stieg in eine dunkelgraue Anzughose.
"Schwieriger erscheint mir das Geschäft, auf das wir uns eingelassen haben." Adams zündete sich eine Zigarette an.
"Wieso?" Warren tat überrascht.
"Woher weißt du, dass er die auch zweiten Fünfzigtausend bezahlt?"
"Er zahlt, verlass dich drauf, Oliver." Warren verschwand in seinem Arbeitszimmer und kehrte kurz darauf mit den Einzelteilen der Maschinenpistole zurück. "Glaub mir, ich kenne die Menschen. Moriga sitzt jetzt mit uns in einem Boot."
"Und wenn seine Kleine Mist geredet hat, und heute doch nicht das große Geld in der Bank liegt?" Adams blieb misstrauisch.
"Ich habe recherchiert. Die Frau hat die Wahrheit gesagt." Er legte die Maschinenpistole in den Aktenkoffer und schloss ihn. "Du machst dir zu viel Sorgen, Oliver." Warren schenkte sich einen Kaffee ein. "Wir haben die Sache im Griff, glaub mir." Adams gab ihm Feuer, als er sich eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch geangelt hatte.
"Und dieser Miller", sagte er nachdenklich. "Früher oder später hätten wir uns sowieso mit ihm beschäftigen müssen. Moriga ist nicht dumm, musst du wissen. Er hat völlig recht, wenn er sagt, dass wir genauso geliefert sind wie er, wenn Miller ihn auffliegen lässt."
"Hast ja recht", knurrte Adams.
Eine Stunde später saßen sie in einem dunkelblauen Kombi. Nick Gordener steuerte den Wagen. "Freu dich, Nicki, ich hab ein Rätsel für dich!", sagte Warren.
Gordener verdrehte die Augen. "Lass mich bloß in Ruhe." Warren schildert ihm die Denksportaufgabe in aller Breite. Und genoss dann das hilflose Gesicht des Pferdezüchters.
"Ne Frage, die nur mit >ja< oder >nein< beantwortet werden darf ...?" Er zuckte mit den Schultern. "Das geht überhaupt nicht. Dein gottverdammtes Rätsel ist überhaupt nicht zu lösen!"
"Ja, es ist kompliziert", räumte Warren ein. "Aber es ist zu lösen." Er drehte sich vom Beifahrersitz zu Adams um. "Wenn ich es nicht rauskriege, blasen wir die Sache ab", grinste er.
Gordener bog von der zehnten Avenue in die siebenundzwanzigste Straße ein. Vor der Kirche gegenüber des Chelsea Parks hielt er am Straßenrand. Minutenlang saßen die Männer schweigend im Wagen. Warren mit gegen die Nackenstütze gelehntem Kopf. Eine steile Falte zuckte zwischen seinen geschlossenen Augen.
"Okay." Gordener sah auf die Borduhr. "Ihr solltet dann mal."
"Mist!" Warren riss die Augen auf. "Ich komm' nicht drauf."
">Gehören Sie zu der Stadt auf deren Zugangsweg Sie stehen?", kam es aus dem Font. Warren drehte sich überrascht um.
"Ist doch klar", rief Adams, "vor dem Weg zur Wahrheitsstadt antworten beide mit >ja<, auf dem Weg zur Lügenstadt antworten beide mit >nein<, der Lügner genau wie der Wahrheitsfanatiker."
"Könnt ihr mal mit der Scheiße aufhören!" Gordener schlug fluchend aufs Lenkrad.
"Unser Mann muss einfach den Weg nehmen, vor dem er die Antwort >ja< erhält, dann kommt er auf jeden Fall in seine langweilige Stadt."
Warren musterte Adams mit kaltem, bösem Blick. Dem wich das Grinsen aus dem Gesicht. "Du hast die Lösung nachgelesen." Er öffnete die Wagentür. "Idiot!", fauchte er und stieg aus.