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Ben fuhr an diesem Donnerstagvormittag bis nach Harlem hoch. Fast eine Stunde lang kreuzte er durch die Straßen des Schwarzenviertels, bis er an einem zerfallenen Schlachthof vorbeikam. Langsam ließ er seinen Ford Mustang an dem verlassenen Gebäudekomplex vorbeirollen.
Er wendete und fuhr erneut die Backsteinfassaden und wellblechbedeckten Lagerhäuser ab. Die Zufahrt zum Innenhof war frei, der linke Flügel des rostigen Eisengatters fehlte. Im Inneren des Hofes sah er Schutthalden, abgewrackte Lieferwagen und Halden von Metallstreben. Auf der anderen Straßenseite befand sich ein ausgedehnter Parkplatz mit nur wenigen Fahrzeugen. Eine Sporthalle und eine große Diskothek säumten den Platz, aber in beiden Gebäuden fanden um diese Zeit - es war kurz vor zwölf - keine Veranstaltungen statt.
Ben sah sich um. Auch sonst keine Menschenseele in der Nähe. Die nächsten Wohnblocks begannen erst dreihundert Meter von dem alten Schlachthof entfernt. Kurzentschlossen zog er das Steuer herum und bog in den verlassenen Hof ein.
Er stoppte den Wagen vor den Kühlerhauben von zwei verrosteten Trucks, sodass auch ein aufmerksam in den Hof spähender Passant ihn nicht entdecken würde.
Er öffnete seinen Kofferraum. Blutschlieren zeichneten sich auf der Innenseite der Plastikfolie ab, die das verkrümmte Bündel im Inneren des Kofferraums umhüllte. Wieder sah er sich nach allen Seiten um. Dann zog er das Bündel über die Kante des Kofferraums. Schwer schlug es auf dem zerbröselten Asphalt des Hofes auf.
An zwei Enden riss er die Plastikplane hoch, und die nackte Leiche eines schwarzhäutigen, großen Mannes rollte heraus. Mit starrem Blick und bebender Unterlippe starrte Ben den Toten an.
Er hatte ihn gestern Nachmittag in einem Stehimbiss an der vierzehnten Straße Ecke Ave A getroffen und ihm einen Hamburger und eine Cola spendiert. Ben hatte ihn einen Blick in ein Tütchen mit dem begehrten Pulver tun lassen, auf das viele Typen dieser Sorte standen. Und er hatte richtig getippt. Der Aussicht auf eine Gratisdosis hatte der Bursche nicht widerstehen können.
Bens freundliche, fast schüchterne Harmlosigkeit hatte nicht mal die Spur von Misstrauen in ihm aufkommen lassen. Wer hat schon Angst vor einem dicken, gummibärenfressenden Babyface? Ahnungslos wie ein Kalb war er in die tödliche Falle getrottet. Mit einem kleinen Vorschlaghammer hatte Ben ihm von hinten den Schädel zertrümmert. Und sich dann in einer Hassorgie über die Leiche hergemacht.
Entsprechend sah sie aus. Mit einem Fußtritt drehte Ben sie auf den Bauch. Das, was mal Rücken und Gesäß des Mannes gewesen war, hinterließ einen dunklen, feuchten Abdruck auf dem Asphalt. Wilde Erregung pochte in Bens Eingeweiden. Mit den Füßen schob er den Toten unter den Lieferwagen.
Die Plastikfolie legte er sorgfältig zusammen. Er würde sie morgen oder übermorgen im Meer waschen.
Eine Stunde später stand er hinter dem Tresen der Spielhalle. Mit fortschreitendem Nachmittag füllten sich die Plätze vor den Spiel- und Videoautomaten. Hinter Ben im Regal flimmerte die Glotze. Die Fünf-Uhr-Nachrichten kündigten eine Pressekonferenz mit dem FBI an. Ben lehnte sich mit dem Rücken gegen die Theke verfolgte das Geschehen auf der Mattscheibe.
"Wir übertragen nun direkt die lang erwartete Pressekonferenz des FBI zu dem >Young-black-man-killer<, der unsere Stadt seit zwei Wochen in Angst und Schrecken versetzt", sagte der Nachrichtensprecher. "Wir schalten um zu unserem Team in die City Hall."
Ben versuchte zu verstehen, was er da eben gehört hatte - >... der eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt ...< Wenn die meist jüngeren Männer, die sich allmählich hinter ihm am Tresen versammelten, sein Gesicht gesehen hätten, wäre ihnen ein merkwürdiges Leuchten in den Augen der Spielhallenaufsicht aufgefallen.
"Wir haben es mit einem etwa zwanzig bis fünfundzwanzigjährigen Täter dunkler Hautfarbe zu tun", sagte ein etwas älterer, drahtiger Mann mit silbergrauem Haar. Sein Name wurde eingeblendet - >Jonathan McKee, Special Agent of Charge, FBI<.
"Wir gehen davon aus, dass er körperlich nicht besonders attraktiv ist", fuhr der FBI-Mann fort, "vermutlich ist er von geringer Körpergröße und hat Übergewicht." Bens Unterkiefer sackte nach unten und seine Augen weiteten sich. "Er scheint farbige Süßigkeiten zu bevorzugen und geht einer geregelten Arbeit nach." Ben schielte seitlich auf den Tresen hinunter. Die Tüte mit den Gummibären lag in einem Fach unter der Theke - Gott sei Dank!
Aus den Augenwinkeln entdeckte er viele seiner Kunden hinter sich stehen. Alle schauten wie gebannt auf den Bildschirm. Schweiß trat ihm auf die Stirn.
"Wir glauben, dass er einen PS-starken Wagen fährt und in der East Village wohnt oder sich vorwiegend dort aufhält", sagte der grauhaarige Mann im Fernsehen. Ben glaubte zu spüren, dass der Boden unter ihm wankt. "Er wird versuchen, weiter zu töten - junge Männer, die seinen bisherigen Opfern ähneln. Aber wir verfolgen einige heiße Spuren. Aus ermittlungstaktischen Gründen kann ich Ihnen keine Einzelheiten nennen. Aber seien Sie sicher, dass wir den Mann fassen werden. Sehr bald schon."
Bens Brillengläser liefen an. Er nahm das Horngestell von der Nase und begann die Brille zu putzen. "Am kommenden Montag werden wir in der Aula der Armstrong-Highschool ein Hearing veranstalten. Alle interessierten Bürger von Stuyvesant Town sind eingeladen. Wir werden ihnen Rede und Antwort stehen. Danke." Der Mann stand auf und verließ das Podium.
Mit zitternden Händen putzte Ben seine Brille - dreimal, viermal. Hinter ihm setzte ein unruhiges Gemurmel ein. Seine Kunden zerstreuten sich und kehrten zu ihren Spielgeräten zurück. Ben wagte lange nicht, sich umzudrehen.
Erst als jemand hinter ihm einen Geldschein wechseln wollte, wandte er sich wieder dem Tresen zu. Freundlich und zuvorkommend wie immer bediente er den Mann. Seine flackernden Augen wanderten durch den Raum, von Spieler zu Spieler. Doch niemand, der zu ihm herüberspähte, niemand, der ihm verstohlene Blicke zuwarf. Seine Hand zuckte unter die Theke und angelte ein paar Gummibären aus der Tüte. Ganz langsam beruhigte er sich wieder.