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"Du kommst spät, mein Junge", Tom Lewis legte die Stirn in Falten und musterte seinen Sohn. Der Sergeant mochte es nicht, wenn seine Söhne nicht pünktlich zum Abendessen zu Hause waren.

Sidney legte seine Jeansjacke mit der Waffe auf die untere Treppenstufe. Er hatte sie schon vor der Haustür ausgezogen und zusammengerollt. Seinem Dad traute er zu, dass er den Revolver entdeckte, wenn er die Jacke an die Garderobe gehängt hätte. Der hatte einen Instinkt für Dinge, die anders waren als sie sein sollten. Und einen verdammt scharfen Blick - den Blick eines Cops eben. Sid setzte sich schweigend an den gedeckten Tisch. Seine Mutter reichte ihm den Brotkorb.

"Wo warst du?", fragte Tom.

"Hatte in der Stadt zu tun." Der Sergeant begriff, dass sein Sohn es für seine Sache hielt, wo er gewesen war. Und das akzeptierte er.

Sids jüngere Brüder - der jüngste war elf - nahmen das Gespräch wieder auf, das sie unterbrochen hatten, als Sid zur Tür hereingekommen war. Lautstark zogen sie über einen Lehrer her, den zwei der Jungens in Mathematik hatten. Sid war dankbar für die Geräuschkulisse. Das bewahrte ihn vor weiteren Fragen. Die besorgten Blicke seiner Mutter entgingen ihm nicht. Und die prüfenden seines Vaters auch nicht.

Er war den ganzen Nachmittag in Stuyvesant Town herumgelaufen, hatte sich vor Bars, Imbissstuben und auf Plätzen aufgehalten und jeden schwarzen Bursche beobachtet, der seiner Meinung nach brutal genug aussah, um einen Mord zu begehen. Ein paar Mal war er sogar jemandem hinterhergegangen. Doch niemand hatte ihn angesprochen.

Natürlich hatte er die Pressekonferenz des FBI verpasst. Er war ja den ganzen Tag unterwegs gewesen. Und morgen am Freitag, würde er sich wieder auf die Socken machen. Er hatte sich sogar vorgenommen, die Schule zu schwänzen. Terrys Mörder zu finden, war wichtiger. Viel wichtiger.

Nach dem Essen nahm er seine Jeansjacke von der Treppe - und ging nach oben. "Muss noch was für die Schule tun", er drehte sich um. Der ernste Blick seines Vaters traf ihn. "Was, zum Teufel, geht hinter seiner schwarzen Bullen-Stirn vor?", fragte er sich und sagte so cool wie möglich: "Wünsch' dir'n guten Dienst, Dad. Halt die Ohren steif."

"Mach ich, Sid - danke."

Er saß kaum fünf Minuten an seinem Schreibtisch, da klopfte es an seine Tür. Sein Vater trat ein und setzte sich wortlos auf das ungemachte Bett. Er trug seine Uniform. Eine Zeit lang sahen sie sich schweigend an.

"Das FBI spricht mit allen Leuten, die Terry und die anderen drei näher kannten", sagte der Sergeant schließlich. "Du hast morgen Vormittag um zehn einen Termin in der Federal Plaza."

Das passte Sid gut in den Kram - eine Entschuldigung für die Schule hatte er schon mal. Das Verhör - natürlich kapierte er, dass sein Vater diesen Begriff bewusst vermied - das Verhör würde hoffentlich nicht allzu lange dauern.

"Ich fahr' dich, wenn du willst", sagte sein Vater. Immer noch dieser ernste Blick.

"Lass mal, Dad - ich nehm ganz gern die Metro."

"Sie haben Pornohefte unter Terrys Bett gefunden. Sicher werden sie dich fragen, ob du weißt wer ihm die verkauft hat."

"Keine Ahnung", Terry hatte ihm die Hefte mal gezeigt. Er wusste nur, dass ein Typ aus dem Viertel sie ihm verkauft hatte. Doch Sid kannte nicht einmal dessen Namen.

"Hast du auch solches Zeug bei dir versteckt?"

"Ach, Dad", Sid grinste müde. "Wenn ich mich wirklich mal aufgeilen will, geh' ich 'runter an dein Bücherregal. Da steht genug scharfes Zeug ..."

Der Sergeant winkte grinsend ab. "Schon gut, Sid." Sofort wurde sein Gesicht wieder ernst. "Ich muss jetzt ins Revier." Er stand auf. Vor Sid blieb er stehen und streckte seine Hand aus. "Aber vorher möchte ich meine alte Dienstwaffe zurück."

Sid schloss die Augen und gab seinem Schreibtischstuhl einen Stoß, sodass er sich zweimal um seine Achse drehte. "Oh Shit!" Er stand auf und ging zum Bett, wo seine Jeansjacke lag. "Woher weißt du das, du verdammter Schnüffler?!"

"Der Schlüssel - merk dir das nächste Mal, in welcher Richtung er angeklebt ist." Sid knallte seinem Vater wütend den Revolver auf den ausgestreckten Handteller. "Und jetzt sagst du mir noch, wozu du die Waffe geklaut hast."

Sid zuckte mit den Schultern und wandte sich dem Fenster zu. Es fiel ihm nicht leicht seinen Vater anzulügen. "Zum Selbstschutz, zu was denn sonst?"

Er spürte seine Hand auf der Schulter. "Mach' kein Quatsch, Bürschchen. Du wirst ja wohl klug genug sein, mit keinem Fremden mitzugehen, oder?"

"Klar."

"Also - das ist Selbstschutz genug." Die Hand klopfte ihm auf die Schulter. "Bye."

Sid hörte die Tür auf- und zugehen, er hörte die schweren Schritte seines Vaters auf der Treppe und schließlich das Quietschen der Haustür. Unten auf der Straße sah er seinem Vater zwei Nachbarn zuwinken, die biertrinkend auf der Vortreppe ihres Hauses saßen. Dann stieg der Sergeant ein und fuhr zur Arbeit. "Bullshit!", zischte Sidney.

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