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Die Spurensicherung war schon in dem verlassenen Büro der stillgelegten Textilfabrik, als Diana und ich eintrafen. Milo ebenfalls.
Ein erster Blick auf die nackte Leiche bestätigte mir, dass wir es mit einem erneuten Mord des >Young-black-men-killers< zu tun hatten: Der Tote war schwarz, höchstens knapp über zwanzig, und von kräftiger Statur. "Wann?", fragte ich unseren Polizeiarzt.
"Cirka dreißig Stunden her, würd' ich sagen", er stand auf und zog sich die Gummihandschuhe aus. "Der Tod trat vermutlich durch Strangulation und nicht durch die Schussverletzungen ein. Aber genaueres erfahren Sie nach der Obduktion."
"Schussverletzungen?" Milo runzelte die Stirn.
"Ja." Der Arzt nickte. "Oberschenkel und Genitalbereich. Als hätte der Täter eine ganze Trommel gezielt auf diese Körperteile abgefeuert.
Fragend sahen wir zu Diana. "Habe ich Ihnen gestern prophezeit - >Verletzungen im Genitalbereich<. Die Wut und Grausamkeit des Killers steigen mit wachsendem Selbstvertrauen." Jetzt war sie wieder ganz die analytische Wissenschaftlerin.
"Und die Schnittverletzungen im Gesäß?"
Scheinbar ungerührt nickte der Arzt erneut. "Wie umgepflügt."
"Wer hat ihn gefunden?", wollte ich wissen.
"Verwandte", sagte Milo, "Jay und Leslie verhören sie draußen im Wagen."
"Komm", ich wandte mich an Diana, "schauen wir sie uns an."
"Ich würde mir gern noch den Tatort genauer ansehen", sagte Diana. Also ging ich allein auf die Straße vor die alte Fabrik.
Jay und Leslie saßen mit zwei jungen Schwarzen in ihrem erleuchteten Dienstwagen. Ich stellte mich an die heruntergedrehte Seitenscheibe und sah mir die Jungens an. Sie schienen fix und fertig zu sein. Der Ältere - ein Bruder des Opfers, wie ich dem Gespräch entnahm - gestikulierte erregt.
"Das waren weiße Fanatiker, Mann, das können Sie mir glauben!", schrie er. "Mein Bruder geht doch keinem Sexmörder auf den Leim. Wir sind auf der Straße groß geworden, verflucht! Wenn den einer angemacht hätte, müsste er sich morgen beim Zahnarzt 'ne Prothese verpassen lassen!"
Solches und ähnliches Zeug gab der Bursche von sich. Der andere schwieg meistens. Und wenn er doch einmal etwas sagte, sprach er leise und starrte dabei zum Autofenster in die Nacht hinaus.
Kein Wunder - wie sich herausstellte, hätte es fast ihn erwischt. Sein toter Cousin hatte für ihn eine Expressbotentour übernommen.
"Eine Lieferung in die Fabrik?", wunderte ich mich. "Die ist doch seit Jahren stillgelegt."
Er zuckte nur müde mit den Schultern. "Weiß nicht, was er hier zu suchen hatte."
"Der Streckenplan mit den Adressen ist verschwunden", klärte Jay Kronburg mich auf. "Mitsamt dem Fahrrad."
"Das geht auf das Konto der Schweine vom Ku-Klux-Klan, verflucht!", brüllte der Ältere erregt. "Da müssen Sie suchen, sage ich Ihnen!"
Eine knappe Stunde später schob sich die Aufzugstür im sechsundzwanzigsten Stockwerk der Federal Plaza auseinander. Diana hatte ich nach Hause gebracht. Ohne einen weiteren Vorstoß zu wagen.
Obwohl es bereits nach elf war, herrschte ein hektisches Treiben in allen Büros. Unsere Leute von >Youbmek< waren teilweise noch mit Verhören beschäftigt, oder damit, die Datenbank mit den Verhörprotokollen zu füttern.
"Ich such' mal 'nen freien PC", Jay schwenkte den Zettel mit den Personalien des Toten. "Mal sehen ob dieser Geoffrey Valery im NCIC zu Hause ist. Hab' da so'n Gefühl."
Milo und ich führten unsere Verhöre durch. Als ich hinterher aus dem Büro kam, winkte Jay mich an seinen Schreibtisch. "Dieser Valery und sein Bruder sind gute Bekannte der Polizei." Er reichte mir den Computerausdruck. "Vorstrafen wegen Autodiebstahl und Körperverletzung. Vor allen dieser Jerome Valery scheint's faustdick hinter den Ohren zu haben."
Ich überflog die Daten. Die Brüder waren vor einem Jahr in Houston bei einer Massenschlägerei festgenommen worden. Schwarze hatten sich mit Weißen geprügelt. Und vor zwei Jahren in Los Angeles. Wegen Plünderung und Körperverletzung. "Wann war das denn, als diese wahnsinnigen Cops in L.A. den farbigen Autofahrer vor laufender Kamera verprügelt haben?", fragte ich Jay.
"Vor zwei Jahren", antwortete Jay, "danach gab es doch die Rassenkrawalle."
"Die Valery-Brüder scheinen eine Vorliebe für solche Veranstaltungen zu haben." Langsam begriff ich, warum der Bruder des Ermordeten darauf bestand, dass wir nach einem weißen Rassenfanatiker als Mörder suchten.