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Am nächsten Morgen kamen wir erst gegen neun in die Federal Plaza. Vor dem Computer mit Zeerys Ermittlungsprogramm klapperte bereits die Tastatur. Mandy war schon im Büro. Ein Tasse Kaffee dampfte neben ihr. Sie konnte höchstens fünf Stunden geschlafen haben.

Innerhalb von einer halben Stunden sammelten sich nach und nach unsere Leute. Kaffee wurde gekocht, der neue Mordfall besprochen und ein Monitor nach dem anderen füllte sich mit Bildschirmschonern.

"Du musst die Lady ja ganz schön beansprucht haben, dass sie noch immer nicht aufgetaucht ist", grinste Milo spähte auf seine Armbanduhr.

Ich verkniff mir eine bissige Bemerkung.

Zusammen mit Jay und Leslie gingen wir zum SAC. Der Chef wollte einen mündlichen Bericht über den neuen Mordfall. Wir schilderten den Tatort und den groben mündlichen Befund des Arztes. Die Obduktion würde erst im Laufe des Tages durchgeführt werden. Jay und Leslie berichteten auch über das Verhör mit den beiden jungen Schwarzen, die Valeries Leiche gefunden hatten.

"Der Bruder des Ermordeten scheint wohl selbst ein Rassist zu sein nach allem, was wir über ihn wissen", schloss Jay seinen Bericht.

"Dazu hat er auch allen Grund", meinte Leslie. Verwundert sahen wir ihn an. "Nun - ich bin noch ein bisschen durch alte Unterlagen gesurft: Die Familie der beiden Jungs wurde vor einigen Jahren bei einem Raubüberfall getötet - die Täter waren Weiße."

"Und jetzt sein Bruder", stöhnte Milo, "der arme Hund!"

Jonathan McKee stand kopfschüttelnd auf. "Jedenfalls scheinen Mrs. Westmounts Täterprofil und ihre Prognose sich zu bestätigen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Gentlemen, dann sieht die Leiche des fünften Opfers ungefähr so aus, wie die Profilerin es prognostiziert hat." Wir nickten. "Unbezahlbar, solche Spezialisten", sagte Mr. McKee anerkennend. "Ich bin froh, dass ich sie angefordert habe. Ich war zuerst skeptisch, als mir der SAC von L.A. sagte, dass sie ihre Mitarbeit angeboten hatte."

Es klopfte, und Mandy steckte ihren Kopf zur Tür herein. "Jesse und Milo", sie senkte die Stimme, "das erste Verhör, ein junger Mann - er wartet vor Ihrem Büro."

"Gehen Sie nur, Gentlemen", sagte der Chef, "wir werden den Bericht für die Presse schon allein zustande bringen."

Wir gingen zu unserem Büro, und die Frage, die mir eben noch auf der Zunge lag, löste sich in Wohlgefallen auf. Der dunkelhäutige Junge, der an der Wand neben unserer Bürotür lehnte, nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch.

Er war etwa siebzehn, achtzehn Jahre alt, und seine verfilzten Rastalocken standen drahtig und wirr nach allen Seiten ab. Wir nahmen ihn mit in unser Zimmer. Ein Blick auf den Kalender half meinem Gedächtnis auf die Sprünge. "Du bist Sidney Lewis?" Er nickte. Ich kramte in meinen Hirnzellen nach einem Hinweis, wo ich den Namen schon gehört hatte.

"Der Freund von Terry Anderson?", sagte Milo. Wieder nickte er. "Setz dich, Sidney. Tut mir leid, das mit Terry, ehrlich."

Jetzt sah ich den verzweifelt wütenden Vater an der Schwelle des Zimmers seines toten Sohnes wieder vor mir. Und das Gedicht aus der Schülerzeitung fiel mir ein.

"Erzähl uns bitte, wann du Terry zum letzten Mal gesehen hast, Sidney." Milo nahm auf seinem Schreibtischstuhl gegenüber des Jungen Platz. Ich lehnte mich mit einer Schreibkladde vor dem Bauch gegen das Fenstersims.

Und der Junge erzählte. Über die letzten Tage von Terry Anderson konnte er keine Aussagen machen, die uns weiterbrachten. Er war in der vergangenen Woche auf einem Seminar für Nachwuchsschriftsteller in Boston gewesen. Und als er am Wochenende zurückkehrte, hörte er nur, dass sein Freund überfällig wäre.

Milo fischte eines der Pornohefte aus dem Chaos auf seinem Schreibtisch und reichte es dem Jungen. "Kennst du das?"

"Terry hat mir die Dinger gezeigt. Ein Typ aus unserem Viertel hat sie ihm verkauft." Den Namen des Mannes kannte er nicht.

"Du hast nichts davon gekauft?", bohrte Milo.

"Nicht mein Ding."

"Aber Terrys Ding", schob ich nach.

"Der quatschte den halben Tag lang von Sex", Sidney sagte das mit todernster Miene.

"Und dich langweilt das eher", Milo beugte sich nach vorn.

"Blödsinn - ich denke den halben Tag lang an Sex", sagte der Junge.

Ich glaubte ihm, dass er nichts Näheres über die Pornos wusste. "Kannst du dir vorstellen, dass Terrys Interesse an Sex so weit ging, dass er mit jemandem, der ihm solche Hefte angeboten hat, in eine fremde Wohnung oder ein fremdes Haus gegangen wäre?"

"Wenn dieser jemand eine Frau gewesen wäre, sofort."

"Und wenn es ein Mann gewesen wäre?", hakte Milo nach.

"Nur, wenn er den Typ gekannt hätte."

Ich notierte alles. Nach einer halben Stunde verabschiedeten wir den Jungen.

"Ziemlich geknickt, der Bursche", sagte ich.

"Was glaubst du, was ich heute für ein Gesicht machen würde, wenn dich jemand vor einer knappen Woche ins Jenseits befördert hätte", sagte Milo.

Er zog mich aus dem Büro. Der Chef stand mit dem Hörer in der Hand an einem der Telefone, und mir war, als hätte ich ihm noch eine wichtige Frage zu stellen. Doch sie wollte mir nicht mehr einfallen.

Am Zentralcomputer tippten wir die Information über die Pornohefte in Zeerys Programm. Wir verknüpften den Begriff >Pornographie< mit der zentralen Suchdatei, in der wir die Hauptkriterien abgespeichert hatte. Die vier Tabellenspalten bauten sich auf dem Monitor auf. Milo pfiff leise durch die Zähne. Bei zwei der Opfer hatten Zeugen Hinweise auf Pornohefte oder Pornofilme gegeben.

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