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Von der Federal Plaza aus fuhr Sidney mit der U-Bahn nach Stuyvesant Town. Das Interesse der beiden G-Men für Terrys Pornohefte beschäftigte ihn während der ganzen Fahrt. "Glauben die Cops, dass der Typ, der Terry die Hefte verkauft hat, der Mörder ist?"
An der vierzehnten Straße stieg er aus. Nicht weit von der Subway-Station entfernt, betrat er das Waffengeschäft, in dem sein Vater manchmal Munition für seine privaten Schusswaffen kaufte. Er kramte die Dollarnoten aus der Tasche, die er heute Morgen aus seiner Spardose gezogen hatte und kaufte ein mittelmäßiges Stilette.
Mit der Stichwaffe in der Gesäßtasche machte er sich auf den Weg quer durch Stuyvesant Town. Er schlenderte durch die Straßen, blieb an belebten Kreuzungen und vor Imbissbuden stehen, und tat so als würde er die Schaufensterauslagen der Läden betrachten, die sich neben Bars und Cafés befanden.
Um die Mittagszeit leistete er sich einen Hotdog und eine Cola. Fast vier Stunden lang war er unterwegs, bis er an der Ecke East 16th Street Ave C ein paar Jugendliche scheinbar gelangweilt am Bordstein sitzen sah. Sie rauchten und plauderten, und schienen weiter nichts zu tun, als die Zeit totzuschlagen.
Es waren vorwiegend Latinos, aber auch zwei Asiaten und ein Junge seiner Hautfarbe waren dabei. An der Straßenecke befand sich eine Bar und gleich daneben eine Videothek. Irgendetwas an dieser Szenerie machte Sidney stutzig.
Er überquerte langsam die Straße und ging auf die Videothek zu. Jetzt erst bemerkte er rechts von sich, etwa hundert Meter weiter in der sechzehnten Straße, einige Mädchen, die lässig an die Hauswände lehnten und rauchten.
Ein halbes Dutzend vielleicht, und jedes von ihnen stand allein. Von Weitem war ihr Alter schwer zu schätzen. Aber Sidney sah an der Art wie sie dastanden, und wie sie gekleidet waren, und vor allem an den Wölbungen unter ihren T-Shirts, dass es keine Kinder mehr waren. Aber auch, dass sie sehr jung waren, sah er. Nicht älter jedenfalls als die Jungens links von ihm auf dem Bordstein.
In dem Augenblick, als Sid vor dem Schaufenster der Videothek angekommen war, rollte ein ziemlich teurer Wagen, ein nagelneuer Chrysler, langsam an ihm vorbei und hielt kurz darauf auf der Höhe eines der Mädchen. Das Mädchen stieß sich von der Hauswand ab, schritt mit wiegenden Hüften zu dem Chrysler und stieg ein. Der Wagen rollte davon.
Natürlich kannte Sid die Gegend, und plötzlich fiel ihm ein, dass Terry und er sich vor etwa einem Jahr hier herumgetrieben hatten, um Nutten zu begaffen. Und jetzt begriff er: Der Straßenstrich machte hier sein Geschäfte.
Er tat so, als würde er die Werbeplaktate für die Filme betrachten. Aus den Augenwinkeln sah er links von sich einen Mann um die Ecke biegen. Er quatschte einen der Jungen an und verschwand mit ihm in der Bar. Klar doch - die jungen Burschen waren Stricher.
Sid wusste selbst nicht genau, warum er plötzlich davon überzeugt war, dass er sich hier genau in dem Milieu befand, in dem sich auch der Mann bewegen musste, der Terry die Pornohefte verkauft hatte. Und die Schlussfolgerung von den Pornoheften auf den Mörder hatte sich durch das Gespräch mit den beiden G-Men schon so fest in seinem Hirn verankert, dass er es kaum noch hinterfragte.
In der Videothek sah er hinter dem Schaufenster undeutlich einen Mann vor der Theke stehen. Es war ein farbiger Mann. Er sprach mit einem anderen, der hinter der Theke an der Kasse saß. Der schob dem Kunden etwas über den Tresen, das Sid nicht erkennen konnte.
Kurz darauf kam der Mann aus der Videothek. Zusammengerollt in seiner rechten Hand hielt er einige Magazine. "Pornos!", schoss es Sidney durch den Kopf.
Der Typ - er war groß und breitschultrig, und trug ein gelbes Muskelshirt und hautenge Wildlederhosen - stellte sich zu den Jugendlichen an den Bordstein. Er wechselte ein paar Worte mit ihnen und verschwand dann mit dem dunkelhäutigen Jungen in der Bar.
Sidneys Herz klopfte. Die Gedanken purzelten ihm wild durch den Kopf. "Das könnte er sein!", behaupteten die meisten von ihnen.
Nach etwa zwanzig Minuten kam der schwarze Junge und der Typ mit dem gelben Muskelshirt wieder zurück auf die Straße. Grußlos verschwand der Mann hinter der Straßenecke in der Ave C. Sidney wartete ein paar Sekunden, dann lief er hinter ihm her.
Er sah ihn in Richtung Roosevelt Drive gehen. "Vielleicht täuscht du dich", sagte eine Stimme in Sids Kopf, "vielleicht ist das ein ganz normaler schwuler Typ, der absolut nichts mit Terrys Tod zu tun hat."
Der Mann blieb stehen und blickte in ein Schaufenster. Sidney verlangsamte seinen Schritt. Der Mann sah kurz auf und ging weiter.
"Vielleicht ist es aber auch der Mörder", entgegnete Sid der Stimme in seinem Kopf, "und dann würd' ich mich in den Arsch beißen, wenn ich mich nicht an seine Fersen geheftet hätte."
Der Mann überquerte die Ave C. Dabei blickte er sich wieder um. Sid tastete nach dem Messer in seiner Gesäßtasche. Der Mann verlangsamte spürbar seinen Schritt. Dann bog er links ins Wohngebiet ab und verschwand zwischen zwei Häusern.
Sid war überzeugt davon, dass der andere jetzt einen Sprint hinlegen würde, um ihm zu entwischen - er rannte los. Er bog um die Hausecke und prallte mit einem gelben Muskelshirt zusammen.
"Wie eilig er's plötzlich hat ...", der Typ sprach als hätte er Steine gefressen - gepresst, krächzend und mit einem rauchigen Bass. Und er stank nach einem billigen Eau de Cologne. "Was ist los, Kleiner? Willst du gefickt werden?"
Sid wich langsam zurück, doch der Kerl schnappte ihn am T-Shirt und zog ihn heran. "Mein Bedarf für heute ist gedeckt. Komm morgen noch mal. Oder hat es einen anderen Grund, dass du hinter mir herschleichst, he?"
Sid schlug die fremden Hände von seinem Hemd und wollte sich verdrücken. "Okay, dann eben morgen ...", keuchte er.
Mit einem Sprung war der Kerl bei ihm und stieß ihn mit beiden Fäusten so heftig gegen die Brust, dass Sid zu Boden ging. Ein Fußtritt bohrte sich schmerzhaft in seine Rippen. Sid rollte sich zur Seite und griff nach seinem Stilette.