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Clark Bensons Gedanken überschlugen sich, als er von seinem unerwarteten Besucher erfuhr.

»Jirj Costomsky?«, vergewisserte er sich. »Ist wirklich kein Zweifel möglich? Er kam vollkommen freiwillig zu uns?«

»Drei Fragen auf einmal, Chef«, meinte O’Reary. »Ob er Costomsky heißt, kann ich Ihnen nicht mit Sicherheit bestätigen. Dass er freiwillig kam, schon. Er scheint ganz wild auf eine Unterredung mit Ihnen zu sein. Er ist übrigens nicht bewaffnet.«

Benson nagte an seiner Unterlippe, weil ihm dabei manchmal gute Einfälle kamen, doch diesmal nagte er vergeblich.

»Sie wissen, wo Sie Borran erreichen können?«

»Im Hyatt's?«

»Der Kerl macht es uns nie billig«, knurrte Benson. »Ja. Dort erreichen Sie ihn. Er sollte inzwischen ausgeschlafen haben. Sorgen Sie dafür, dass er so bald wie möglich kommt. Ich habe mit ihm zu reden. Aber er soll sich nicht vor Costomsky blicken lassen. Ach, Mist. Ich bin im Moment etwas durcheinander. Aber schleifen Sie den Kerl zu mir. Und wenn Sie ihn an den Haaren herbeizerren müssen.«

»Das wird Borran nicht gefallen.«

Benson schniefte.

»Dann bleiben Sie eben höflich. Ist immer noch die beste Methode, diesem Querkopf beizukommen. O Lord! Dieser Besuch wirft meine schönsten Pläne über den Haufen.«

»Kann ich gehen, General?«

»Verschwinden Sie! Ich brauche Borran. Aber sagen Sie ihm das um Himmels Willen nicht. Sonst wird er eingebildet.«

Benson stand auf, als O’Reary gegangen war. Er ging ins Zimmer nebenan. Die Wände waren mit Fernsehmonitoren vollgestellt. Der General drückte auf einen Knopf, und auf einem Bildschirm flimmerte Costomskys Bild.

Der Russe blätterte gelangweilt in einem Magazin. Er hatte sich mit einer seiner Papyrossis eingenebelt. Ein Bild des Friedens, von Rauchschwaden blau gefärbt. Benson gefiel die Szene trotzdem nicht, aber er konnte nichts an ihrer Dramaturgie ändern. Beim Besuch Costomskys hatte er gewiss nicht Regie geführt. Das Schicksal hatte ihm das Heft aus der Hand genommen. Er war kein Regisseur mehr. Er fühlte sich zum Darsteller degradiert, und seine derzeitige Rolle war ihm in der Seele zuwider. Er mochte nicht behandelt werden. Er wollte selbst handeln.

Doch in diesem Fall musste er sich wohl oder übel in die Gegebenheiten fügen.

General Clark Benson hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Er suchte das Zimmer auf, in dem Costomsky wartete. Der General streckte widerwillig die Rechte aus.

»Ich bin Benson«, sagte er.

Der Russe ergriff die Hand.

»Und ich bin Oberst Jirj Costomsky.«

Benson zog ein Gesicht, als habe er auf eine Made gebissen.

»Militärattaché der sowjetischen Botschaft.«

»Sie sind gut informiert.«

»Das gehört zu unserem Alphabet. Ich muss zugeben, dass ich etwas überrascht bin. Woher wissen Sie von meiner Existenz?«

»In jeder Branche muss man seine Konkurrenz kennen.«

Diese Antwort war nach Bensons Geschmack. Der Russe redete nicht lange um den heißen Brei herum.

»Okay«, sagte Benson. »Wir können frei miteinander sprechen. Haben Sie ein Problem, bei dessen Lösung ich Ihnen helfen könnte?«

»So ist es.«

»Ich höre.«

»Das Problem betrifft mich persönlich.«

General Clark Benson strich sich mit der Hand übers glattrasierte Kinn. »Ich weiß zwar nicht, wie Ihre Dienststelle dazu steht. Aber ich könnte mir lebhaft vorstellen, dass man Ihren Besuch bei mir unter derartigen Umständen nicht sonderlich begrüßt.«

»Keine Sorge. Ich habe aufgepasst. Ich wurde nicht beschattet.«

»Hm. Aber Sie haben Verständnis für meine augenblicklichen Ressentiments Ihnen gegenüber?«

»Selbstverständlich. Bei uns herrschen ähnlich strenge Bestimmungen.«

»Warum haben Sie gerade mich ausgesucht?«

»Weil ich Ihre Probleme kenne.«

Benson zog die buschigen Augenbrauen hoch.

»Die kennen Sie tatsächlich?«

»Stehen Sie etwa weniger unter Erfolgszwang als einer von uns?«, konterte Costomsky mit einer Gegenfrage.

Dann lehnte er sich bequem zurück. »Sie sehen in mir einen Überläufer«, sagte er.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Benson die Tragweite dessen, was der russische Oberst gerade gesagt hatte, verdaute. Das Kinn wurde ihm lang.

»Verstehe ich Sie richtig?«, fragte er dann. »Sie wollen gegen gewisse Gegenleistungen um politisches Asyl nachsuchen?«

Costomsky lehnte sich in seinem unbequemen Sessel noch weiter zurück. »Sie haben den Kern getroffen, General. Das will ich tatsächlich.«

»Darf man auch den Grund erfahren?«

»Ich habe mich verliebt, General. Der Frau meiner Wahl gefällt es nicht in Moskau.«

Benson glaubte ihm kein Wort. Er kannte den Werdegang Costomskys zu gut. Für die Liebe war niemals auch nur die kleinste Ecke frei gewesen.

»Wirklich?«

Er hatte mehr aus Höflichkeit gefragt. Und um jene Zeit zu gewinnen, die sein Gehirn brauchte, um auf Touren zu kommen.

»Ja«, antwortete Costomsky schlicht. »Ich habe lange nachgedacht, ehe ich mich entschlossen habe, zu Ihnen zu kommen.«

»Was erwarten Sie jetzt von mir?«

»Vielleicht dasselbe Entgegenkommen, das ich unter anderen Vorzeichen auch Ihnen gewährt hätte: Die richtigen Worte an den richtigen Stellen.«

General Clark Benson verschränkte die Arme vor dem Bauch.

»Ihnen ist doch klar, dass das allein nicht genügt. Sie haben doch auch schon daran gedacht, dass Sie uns die Lauterkeit Ihres Gesuchs beweisen müssen. Immerhin stehen Sie an ziemlich exponierter Stelle. Unter gewissen Umständen wäre es mir eventuell möglich, in Ihrem Sinne zu intervenieren ...«

»Sprechen Sie doch im Klartext, verehrter General. Ich soll aus der Schule plaudern, nicht wahr? Wie wär’s mit dem sowjetischen Angriffsplan im Falle einer westlichen Aggression?«

Benson schmollte. »Ist das alles?«

»Sie sind sehr anspruchsvoll.«

»Und Sie brauchen schließlich nicht zu reden. Ich möchte Ihnen nur Ihre Situation verdeutlichen. Die Pläne über Ihre großen Land-, See- und Luft-Manöver bekommen wir zweimal im Jahr. Sie müssten schon etwas Besseres anzubieten haben, Costomsky. Ihr Angebot wiegt Ihr Ersuchen um politisches Asyl bei Weitem nicht auf.«

Der Russe schien zu resignieren.

»Ihr Preis ist verdammt hoch, Benson. Aber man sagt wohl, es wäre besser, Sachen zu kaufen, als Wünsche zu haben, nicht wahr?«

»So ist es. Ihr Angebot? Ich höre.«

Costomsky legte eine lange Pause ein.

»Wie wäre es?«, fragte er plötzlich. »Ein fairer Handel. Die USA entsprechen meinem Wunsch, und ich liefere dafür die gesammelten Informationen über ein Agentennetz, das von Prag aus gesteuert wird. Es operiert hauptsächlich in den Benelux-Staaten. Der Mann, der die Fäden in der Hand hält, heißt Boris Buczenkow. Ich könnte Ihnen seine Codes liefern, die Arbeitsweise seiner Leute, die Orte, wo sie sich treffen, all ihre Toten Briefkästen. So ziemlich alles also.«

»Klingt schon wesentlich besser. Auf dieser Basis könnten wir uns eventuell einigen.«

»Das meine ich doch auch. Sie könnten noch viel mehr mit meinen Informationen anfangen ...»

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Buczenkow arbeitet eng mit der Moskauer Zentrale zusammen. Wenn Sie einen Top-Agenten haben, ist es ihm unter Umständen möglich, sogar noch diese Kontakte anzuzapfen. Doch das müsste wohl schon ein Supermann sein. So was haben Sie sicherlich auch nicht.«

General Clark Benson dachte an Mike Borran und schwieg.

Er hatte einen Superman.

Der General stellte die Gedanken an ihn zurück.

»Wir haben einige ausgezeichnete Leute«, antwortete er stattdessen.

»Aber Sie haben nur einen Mike Borran ...!«

Benson war für Sekunden aus dem Gleis geworfen. Borran war bei der Gegenseite natürlich bekannt. Allerdings nur dem Namen nach. Über seine spezielle, einem Außenstehenden unglaublich erscheinende Fähigkeit, sich unsichtbar machen zu können, war mit Sicherheit noch nichts durchgesickert.

Benson fixierte Costomsky.

»Borran? Sie haben schon von diesem Mann gehört?«

»Nur ganz am Rande. Er soll eines der besten Pferde in Ihrem Stall sein. Buczenkow ist eines der besten Pferde im Stall der Tschechen. Ob Ihr Mister Borran eine Konfrontation überlebt? Ich wage das zu bezweifeln.«

General Clark Benson war von Eitelkeiten nicht ganz frei.

»Unser bester Agent soll sich dieser Sache annehmen?«

»Wenn davon abhängen sollte, ob ich in den Staaten bleiben darf oder nicht, Ihr Allerbester. Ich liebe Mariann nämlich, müssen Sie wissen.«

Dieser Bastard von einem Kirgisen lügt!, dachte General Clark Benson im Vertrauen auf seine Menschenkenntnis.

Doch das sagte er nicht laut.

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