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Mike Borran war unterwegs zur Briscol Street, in der eine gewisse Mariann Parcel wohnen sollte, deren Augen einen Jirj Costomsky veranlassten, sein Land zu verraten, dem er Zeit seines Lebens treu ergeben gewesen war.

Miss Parcel wohnte in der vierten Etage. Es war Mittag, und der Russe befand sich seit vierundzwanzig Stunden in den Händen ausgesuchter Spezialisten, die ihn nach allen Regeln der Kunst in die Mangel nahmen. Aber bisher war Costomsky bei seinen ursprünglichen Aussagen geblieben und hatte dabei die Sturheit eines Ambosses an den Tag gelegt.

Borran drückte den Klingelknopf. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür. Mariann Parcel schaute den unerwarteten Besucher mit großen Augen an.

»Was wünschen Sie?«

»Miss Parcel?«

Die junge Frau nickte.

»Dürfte ich Sie wohl kurz sprechen?«

»Worum handelt es sich?«

»Es geht um Ihre Bekanntschaft mit Oberst Jirj Costomsky, Militärattaché der sowjetischen Botschaft.«

Plötzlich teilten Sorgenfurchen das nicht unhübsche, aber doch etwas gewöhnliche Gesicht der jungen Frau.

»Sind Sie von der Polizei?«

»Nein.« Mike räusperte sich. »Sagen wir mal, ich komme von der Verwaltung. «

Sie zögerte noch einen Augenblick, ehe sie zur Seite trat und Borran einließ.

Mike folgte ihr in ein geschmackvoll eingerichtetes Wohn-Schlafzimmer. Sie zeigte auf einen Sessel und deutete ihm an, Platz zu nehmen.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie. »Ich kann mir nicht denken, weshalb Sie hergekommen sind.«

Borran glaubte ihr. In der Zentrale hatte man Mariann Parcels Vergangenheit bis in die intimsten bekannten Details durchforscht und absolut nichts Verdächtiges gefunden.

»Sie werden es gleich erfahren«, meinte Mike. »Wie lange kennen Sie Costomsky?«

»Muss ich darauf antworten?«

»Ich bitte darum.«

»Seit vierzehn Tagen ungefähr.«

»Was bedeutet er Ihnen?«

»Ihre Fragen werden von Mal zu Mal impertinenter, junger Mann.«

Borran zuckte mit den Schultern und lächelte unschuldig. »Ich habe diese Fragen nicht erfunden«, log er. »Mein Chef will das alles wissen. Ich bin auch nur ein klitzekleines Rädchen im Getriebe.«

»Aber Sie sind von der Abwehr!«

»Ich habe keinerlei Befugnisse, irgend etwas von Ihnen zu verlangen.«

Sie lächelte zaghaft zurück.

»Dann sind Sie vom CIA. Stimmt’s?«

»So ungefähr«, antwortete er.

»Können Sie mir etwas über Jirj sagen?«

»Er ist bei uns. Freiwillig. Doch der eigentliche Zweck meines Besuches war es, dass ich die Fragen stellen wollte.«

»Entschuldigen Sie. Ich möchte nur so wenig wie nur irgend möglich mit irgendwelchen Behörden zu tun haben.«

Mike konnte ihr das nachfühlen. Ihm war es früher nicht viel anders ergangen. Vor seiner aktiven Zeit. Doch aller Bürokratismus an sich war ihm auch heute noch ein Gräuel.

Mariann Parcel war nervös. Nur zu verständlich.

»Bringen wir’s hinter uns«, meinte sie schließlich. »Und um auf Ihre impertinente Frage von vorher zurückzukommen, was Jirj mir bedeutet, ich fürchte, ich kann Ihnen das nicht sagen, weil ich es selbst nicht genau weiß.«

»Aber Costomsky liebt Sie!«

»Sagte er das auch bei Ihnen?«

»Wollte er es Ihnen nicht beweisen?«

»Inwiefern?«

»Er hat Ihnen eröffnet, Sie mit nach Moskau zu nehmen.«

»Stimmt. Aber ich konnte nicht ahnen, dass er das Bedürfnis hatte, sich Dritten anzuvertrauen.«

»Seine besondere Lage gab ihm wohl das Recht dazu. Sie haben sich doch geweigert, mit ihm nach Moskau zu gehen.«

»Ja.«

»Warum?«

»Sein Antrag kam zu überraschend für mich. Jirj hatte mir nie vorher seine Gefühle gezeigt. Doch nun müssen Sie mir eine Frage beantworten. Ich sage sonst keinen Ton mehr zu Ihnen. Was ist los mit Jirj?«

»Er hat bei uns um politisches Asyl nachgesucht«, sagte Mike Borran. »Mister Costomsky versucht, uns klarzumachen, dass seine Gefühle für Sie stärker sind als alle seine Bindungen an sein Heimatland. Verstehen Sie jetzt, weshalb ich etwas impertinent sein musste?«

Mariann Parcels plötzlich so offen zur Schau getragene Verblüffung war zweifellos echt. Mike Borran drang nicht weiter in sie. Im Grunde genommen wusste er schon, was er hatte wissen wollen.

Jirj Costomsky hatte bei den bisherigen Verhören, sein Verhältnis zu dieser jungen Frau betreffend, noch keine einzige Silbe gelogen.

General Benson würde das ziemlich fatal finden.

Mike Borran erhob sich aus seinem Sessel und ging hinüber zum Fenster, unter dem vier Stockwerke tiefer der Verkehr vorüber brandete.

»Sie scheinen Costomsky nicht so recht vertraut zu haben«, begann er vorsichtig. »Und bei uns traut man ihm auch nicht so recht. Obwohl ich persönlich meine, dass er einen guten Grund hatte, sich in Sie zu verlieben ...«

Borran wandte sich um und sah, dass Mariann Parcel seine letzten Worte wie Honig hinuntergegangen waren.

»Aber«, schwächte er sofort ab, »wir dürfen auch nicht außer acht lassen, dass Costomsky bisher ein überaus heimattreuer Russe war. Oder um mich deutlicher auszudrücken: Er war KGB-Agent. Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Leider auch jene, dass Costomsky sowohl mit Ihnen, als auch mit uns, nur ein abgekartetes Spiel treiben will.«

Marianns Miene verfinsterte sich schlagartig.

»Das heißt, Sie erwarten von mir, dass ich ihn ausspioniere?«

»Nicht so krasse Ausdrücke, bitte. Nur wenn Sie etwas Sonderbares an ihm bemerken sollten ...«

Auch sie stand jetzt auf.

»Ich habe schon verstanden«, sagte sie eisig.

Mike gab sich alle Mühe, so verständnisvoll wie nur irgend möglich zu wirken.

»Wir wollten Sie weder kränken, noch Sie zum Feind haben, Miss Parcel. Wir wollten nur ehrlich zu Ihnen sein und ein klärendes Gespräch mit Ihnen führen. Unsere Dienststelle übt gewisse Kontrollfunktionen aus, die der Sicherheit aller dienen. Auch Ihrer Sicherheit, Miss Parcel! Ich danke Ihnen für die Zeit, die Sie mir geopfert haben.«

Er ging zur Tür.

Im Türrahmen drehte er sich nochmals um und gab ihr eine Visitenkarte.

»Falls Ihnen etwas auffallen sollte, können Sie uns unter dieser Nummer erreichen. Auf Wiedersehen. Alles Gute für Sie.«

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