Er sah Craceck sofort in der Nähe der Fahrkartenschalter herumstehen. Er machte einen besseren Eindruck als gestern. Er hatte einen alten grauen, aber frisch gebügelten Anzug an, trug eine rote Krawatte, und war rasiert und ordentlich gekämmt.
Als er Borran bemerkte, machte er ein unauffälliges Zeichen und deutete in Richtung Ausgang. Mike folgte ihm und ließ ihn noch hundert Meter allein auf dem Bürgersteig laufen, bevor er zu ihm aufholte.
»Ich bin sicher, dass Sie überrascht waren«, begann Craceck.
Sie gingen noch ein paar Sekunden nebeneinander her, bevor Borran mit einer Gegenfrage antwortete.
»Sie arbeiten nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich bin krank. Ich habe Asthma. Wenn ich mein Medikament nicht regelmäßig nehme, bekomme ich einen Anfall. Das habe ich mir im Zuchthaus geholt.«
Borran steckte sich eine Zigarette in den Mund und bot auch Craceck eine an. Der nahm sich einen Glimmstängel aus der Packung und ließ sich Feuer geben.
»Sie haben sich’s überlegt?«, fragte Borran.
»Ja. Und ich bin zu dem Entschluss gekommen, Ihnen zu helfen.«
»Woher dieser Sinneswandel?«
Craceck riss erstaunt die Augenbrauen hoch.
»Haben Sie nicht selbst gesagt, dass ich eine ganze Menge Gründe dafür hätte?«
»Genau das haben Sie gestern noch nicht wahrhaben wollen.«
»Na ja. Aber nun liegt eine ganze Nacht dazwischen. Ich hatte hinreichend Zeit, mir die ganze Sache nochmals durch den Kopf gehen zu lassen. Ich bin zu einem Entschluss gekommen.«
»Sie haben überhaupt nicht geschlafen?«, erkundigte sich Borran unschuldsvoll.
Craceck schaute ihn kurz an. Borran hätte jetzt nur zu gerne in seinen Gedanken gelesen.
»Ich bin die ganze Nacht ziellos durch die Straßen gerannt«, sagte Craceck zurückhaltend. »Ich mache das gerne, wenn mich ein Problem sehr beschäftigt.«
Borran ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken.
»Und was kam dabei heraus?«, erkundigte er sich.
»Nun, ich bin bereit. Bedingungslos. Das heißt, fast bedingungslos ...«
Borran bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick.
»Was wär’s denn diesmal?«
»Ich möchte die Haut von Buczenkow ...«
Die beiden Männer schlenderten nebeneinander her.
»Es scheint, dass Costomsky sie haben will«, sagte Mike in einem Ton, als würden sie sich über das strahlend schöne Wetter unterhalten. Doch im Osten ballten sich schon die ersten dunklen Wolken zusammen.
Craceck blieb stehen. Seine Blicke suchten nervös die Umgebung ab.
»Was haben Sie?«, fragte Borran.
»Ich werde so ein dummes Gefühl nicht los. Nachts in der Zelle bin ich auch immer aufgewacht, wenn jemand die Klappe öffnete und zu mir herein starrte. Und jetzt habe ich wieder das Gefühl, als würden wir beobachtet.«
»Tatsächlich? Warum sollte man Sie beobachten? Sie sind doch ein freier Mensch.«
»Das behaupten Sie. Ich bin mir nicht sicher. Ich spüre das nur. Sie sind Ausländer, und ich bin Bürger dieses Staates. Sie kennen die Sitten hier noch nicht.«
»Beunruhigt Sie das?«
»Weshalb haben Sie diese amerikanische Verkleidung? Ihr Akzent ist auch nicht ganz sauber. Trotzdem geben Sie an, mit Costomsky zu marschieren. Was sind Sie nun eigentlich? Von woher kommen Sie?«
Borran schüttelte den Kopf.
»Was spielt das schon für eine Rolle? Sie sollten die Gepflogenheiten in unserem Metier kennen, Craceck. Neugierde ist ungesund. Kann noch viel schlimmer sein als Ihr Asthma.«
Craceck blieb vor einem Schaufenster stehen. Doch es waren nicht die Ausstellungsstücke, die ihn interessierten. Er suchte, ob sich nicht ein Verfolger in der Scheibe spiegeln würde.
Auch Borran schaute hinein und bemerkte Al Mendel, der unauffällig auf der anderen Straßenseite in dieselbe Richtung wie sie ging.
Craceck drehte sich wieder um. Ihm war offensichtlich nichts aufgefallen. Zumindest äußerte er sich nicht in dieser Hinsicht.
»Wenn wir uns einig sind«, lenkte Mike Borran ihn ab, »dann wird es an der Zeit, einen Schlachtplan zu erstellen. Buczenkow muss verschwinden. Aber das braucht nicht jeder zu wissen, verstehen Sie?«
»Nur zu gut.«
»Die Operation muss so diskret wie nur irgend möglich über die Bühne gehen. Vor allem müssen wir uns über einen Ort einigen, an dem das Ganze passieren soll.«
»Und was soll ich dabei machen?«
»Finden Sie den passenden Ort. Sie sind hier zu Hause.«
»Da sehe ich keine Schwierigkeiten. Das ist eine Kleinigkeit. Aber wichtiger ist: Wie bekommen wir Buczenkow in unsere Hände? Sie kennen ihn? Er würde seiner eigenen Mutter misstrauen, wenn sie noch lebte.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Deshalb brauchen wir Sie ja.«
Craceck blieb abrupt stehen, nachdem sie eben erst ihre Wanderung wieder aufgenommen hatten.
»Was haben Sie da gesagt?«
»Sie werden Buczenkow zu diesem Ort bringen.«
»Sind Sie verrückt? Glauben Sie denn im Ernst, dass Buczenkow dabei mitmacht?«
»Das ist allein Ihre Angelegenheit. Sie werden schon einen Weg finden.«
»Soll ich vielleicht zu ihm gehen und ihm sagen, er solle mir folgen?«
»Genau das sollen Sie.«
Craceck wurde noch unruhiger. Er schaute Borran an, als käme der von einem anderen Planeten, als wäre der ein nie vorher gesehenes Ungeheuer, das sehr gefährlich ist. Er zog ein abweisendes Gesicht.
»Und wie könnte ich das anstellen? Verraten Sie mir das auch?«
»Sie brauchen nichts zu wissen. Zuviel Wissen schadet. Doch Sie hassen Buczenkow, und Buczenkow wird wissen, dass Sie ihn hassen. Wenn Sie mit ihm Kontakt aufnehmen ...«
»... finde ich mich schneller im Knast wieder, als ich pieps sagen kann.«
»Genau das wird nicht passieren. Ich nehme an, dass Buczenkow sich für intelligent hält und es wohl auch ist.«
»Er hat seine Karriere nicht umsonst gemacht. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wir müssen uns eine Geschichte ausdenken. Buczenkow wird keine Sekunde lang glauben, dass Sie ihn nur aufsuchen, um ihm einen heiteren Schwank aus Ihrem Leben zu erzählen. Das wäre sinnlos und unlogisch. Buczenkow wird so denken.«
»Und wenn er das nicht tut?«
»Dann werden wir Sie rächen«, erklärte Borran trocken.
Craceck ging mit gesenktem Kopf weiter.
»Sie machen mir Spaß«, knurrte er. »Wenn Sie schon nicht wollen, dass sein Tod wie ein Mord aussieht, warum arrangieren Sie dann nicht einfach einen Unfall? Ich werde gerne den Wagen lenken, der ihn überfährt.«
»So einfach ist das nicht. Wir wollen gar nicht, dass alle Welt glaubt, Buczenkow sei tot. Im Gegenteil. Man soll glauben, dass er noch lebt. Und zwar im Ausland.«
»Und was soll ich ihm erzählen? Schon eine Idee?«
»Lassen Sie mir einen Tag Zeit. Ich werde mir etwas ausdenken. Wir treffen uns dann morgen um die gleiche Stunde wieder, wenn Sie wollen.«
»Soll mir recht sein. Hoffentlich haben Sie dann auch wirklich einen Plan in der Tasche, nach dem man vorgehen kann. Dann können Sie auch auf mich zählen.«
»Sie riskieren nichts. Was ich über Buczenkow weiß, genügt vollauf, um einen Plan auszuarbeiten. Dann bis morgen.«
Mike Borran ging schnell weiter und ließ einen reichlich verwirrten Alexander Craceck auf dem Bürgersteig stehen.
So schlecht ließ sich die ganze Sache inzwischen gar nicht mehr an. So allmählich gerieten die Dinge ins Rollen. Aber wohin, das wusste Mike Borran auch noch nicht so recht.