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Die Morgensonne blinzelte durch die Stores, als Mike Borran erwachte. Unwillkürlich waren die Erinnerungen an die vergangene Nacht wieder da. Es waren nicht die schlechtesten.
Doch als er seine Hand, die Augen noch geschlossen, hinüber zur anderen Seite seines breiten Betts ausstreckte, trafen seine Finger nur auf kühles Laken.
Mike Borran fuhr hoch. Er war schneller hellwach, als auch der lauteste Wecker es jemals zustande gebracht hätte.
»Corry?«, rief er fragend und wusste doch schon, dass niemand mehr da war, der ihm eine Antwort hätte geben können.
Borran sprang aus dem Bett und schlüpfte in die Shorts, die neben dem Nachttisch lagen.
Parfüm lag in der Luft. Ausgerechnet Plentys Parfüm. Von einer Plenty, die sich zur Zeit in Chicago aufhielt.
Mike Borrans Laune wurde nicht besser, als er feststellte, dass vom Kaminsims eine wertvolle Jadefigur fehlte. Dreihundert Jahre alt, chinesischen Ursprungs und scheußlich teuer. Sie stellten den Mondgott Yong Yü Nan dar. Ausgerechnet jene Gottheit, die für die Liebenden zuständig war.
Mit ihrem Diebstahl hatte sich Corry Lambert einen miserablen Scherz erlaubt.
Mike Borran durchsuchte seinen Bungalow nur pro forma. Er glaubte nicht daran, Corry Lambert zu finden. Natürlich war sie auf und davon. Nur hatte sie neben einigen japanischen
Kameras auch noch ein Geschenk von Plenty in ihrem großen Seesack.
Er ließ einen ellenlangen Fluch vom Stapel, den er bisher zurückgedrängt hatte und fühlte sich danach nur unwesentlich wohler.
Borran hatte sich übertölpeln lassen wie ein grüner Junge, und das stimmte ihn nicht eben freundlicher. Er konnte wohl nicht umhin, McIntire zu informieren und ihm zu sagen, dass die CIA sich ihre tausend Dollar an den Hut oder sonst wohin stecken konnte.
Er wählte viermal und ließ es viermal ausklingeln. Johnnie McIntire rührte sich nicht. Fast feindselig starrte Borran den Telefonapparat an.
Aber wenn er noch länger untätig hier herumhockte, dann machte ihn das auch nicht klüger.
Plenty wollte in den nächsten Tagen wieder aufkreuzen, und wenn die Jadefigur dann nicht auf ihrem angestammten Platz stand, dann konnte das unter Umständen ziemlich bitter für ihn werden. Seine feste Freundin war nicht eigentlich das, was man als umgänglich bezeichnen konnte, wenn sie einmal in Rage geraten war.
Das Erlebnis der Nacht stieß ihm nun sauer auf. Er musste diese Corry Lambert wiederfinden.
Starker Kaffee mit einem reichlichen Schuss Cognac brachte sein Gehirn in Schwung.
Da war einmal dieses Zeichen auf ihrem Körper gewesen, das sie vor ihm verstecken hatte wollen.
Ein Kreuz und darüber das Sonnensymbol, das Mike Borran endlich das berühmte Licht aufgehen ließ.
Er erinnerte sich wieder an die Radio-Nachrichten vom Vortag, an das ermordete Mädchen. Von einer Sekte, die sich mit Kreuz und Sonne schmückte, hatte er ebenfalls schon irgendwann einmal gelesen. Wie nannte sie sich doch gleich wieder?
Ach ja.
»Children of Sun«.
Kinder der Sonne.
Eine Bande ausgeflippter Jugendlicher mehr, die sich in ihrer hochtechnisierten Umwelt nicht mehr zurechtfand oder sich nicht mehr zurechtfinden wollte und dabei auf der Suche nach einem besseren und humaneren Leben jeden nur erdenklichen Irrweg einschlug.
Sekten und Geheimbünde schossen wie Pilze aus dem Boden, und die amerikanische Verfassung stellte den denkbar günstigsten Nährboden dafür. Nur in wenigen Ländern auf dem Erdball durften die Leute so freizügig spinnen, wie ausgerechnet in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Kalifornien hatte es dabei am schlimmsten getroffen. Eine wahre Guru-Schwemme überflutete das Land.
Mike Borran kannte weder die Philosophie der Sonnenkinder noch die irgendeiner anderen Sekte, doch er wusste jetzt, wo er einhaken musste, wenn er auf der Suche nach Corry Lambert weiterkommen wollte.
Er glaubte nicht mehr daran, dass sie sich Kreuz und Kreis nur zum Spaß auf den Körper gepinselt hatte. Corry Lambert war dem Sog abstruser Versprechungen erlegen.
Borran rief einen ihm bekannten Redakteur eines Rundfunksenders an. Zehn Minuten später wusste er mehr über die »Children of Sun« als die Leute vom Gerichtshof in L.A., wo sich jede Sekte ins Vereinsregister aufnehmen lassen musste, um keine Steuern bezahlen zu brauchen. Unter dem Deckmantel der verfassungsrechtlich garantierten freien Religionsausübung durften ihre Oberhäupter ungestört im Trüben fischen.
Mike Borran warf sich hinters Steuer und lenkte den Bentley aus der Stadt hinaus. Zum Santa Barbara Valley war es nicht allzu weit.
Wütend auf sich und auf Corry Lambert trat er das Gaspedal und quälte den Motor, was die Achtzylindermaschine jedoch nicht sonderlich übel nahm.
Die Stoßdämpfer fingen sogar die knöcheltiefen Schlaglöcher auf, als die Straße einer ausgeschwemmten Schotterpiste wich, die sich in die baumlosen Berge bohrte. Der Wagen zog eine lange Staubfahne hinter sich her.
Das Santa Barbara Valley lag in einem Teil Kaliforniens, in dem das Land nicht mehr schön und fruchtbar, sondern nur mehr elend heiß war. Zwischen den Hügelwänden staute sich eine Backofenhitze, von keinem Windstoß erfrischt.
Die Straße führte vorbei an verlassenen Ranches, deren neue Besitzer langschwänzige Ratten waren. Windmühlen rosteten einsam vor sich hin. An den Hängen nagte die fortschreitende Erosion. Seit die ersten Siedler die Hügel abgeholzt hatten, war das Land versandet und zeigte sein nacktes und unfreundlichstes Gesicht.
Erst als der Pazifik schon weit hinten unter ihm im Dunst lag, wurden die Temperaturen erträglicher. Nun standen auch vereinzelt wieder ein paar Bäume herum, deren flache Wurzeln sich in den Felsboden krallten. Borran konnte wieder durchatmen, ohne befürchten zu müssen, sich die Lungen zu verbrennen.
Wegen des Staubs hatte er die Seitenfenster des Bentley geschlossen gehabt. Jetzt öffnete er sie. Abdrücke von Pneus auf der Straße sagten ihm, dass diese Piste doch öfter befahren wurde.
Das musste wohl auch so sein, denn der befreundete Redakteur hatte ihm auch noch gesagt, dass die »Children of Sun« jeden Tropfen Wasser aus dem Tal holen mussten. Außer Krüppelkiefern und den hartnäckigsten Unkräutern wuchs hier oben nichts mehr.
Nur Sonne gab es überreichlich.
Mike Borran wischte sich über die Schweiß verklebte Stirn, die im Nu auch noch von einer feinen Staubschicht überkrustet wurde. Über der Straße flirrte die Luft.
Der Weg vollführte eine scharfe Kehre und endete vor einer Ansiedlung, die in dieser Umgebung ebenso deplatziert wirkte, wie eine Imbiss-Stube auf dem Mond.
Das Camp bestand aus roh zusammengenagelten Bretterbuden, abgerissen und staubbedeckt. Nur der Maschendrahtzaun, der es umgab, gleißte in der hochstehenden Sonne. Das Ganze hatte eine fatale Ähnlichkeit mit einem Gefangenenlager.
In einer Felskanzel blinkte matt der Lauf einer MPi. Von dort aus konnte man die Straße und das Ende des Tals mit Bleihummeln bestreichen.
Davon hatte der Radio-Redakteur Mike Borran nichts erzählt gehabt. Dass er hier auf eine Art Festung stoßen würde.
Vor dem Drahtgatter in einem Metallrohrrahmen patroullierten zwei Figuren mit Schnellfeuergewehren aus ausgemusterten Armee-Beständen. Sie sahen so wenig einladend aus, wie das ganze Lager der »Sonnenkinder«, von denen sich nicht ein einziges blicken ließ.
Mike Borran hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Er wendete seinen Bentley an einer Ausweichstelle und fuhr im Rückwärtsgang an das Tor heran. Prompt senkten die Wachmannschaften ihre Gewehre. Borran konnte das klickende Entspannen der Sicherung bis herein in seinen Wagen hören.
Die »Children of Sun« mussten eine ziemlich militante Sekte sein, und Borran bedauerte es, dass er kein Schießeisen mitgenommen hatte.
Aber hätte es ihm viel genützt?
Kaum.
Er verwarf den Gedanken daran wieder. Viel mehr interessierte ihn, ob er Corry Lambert hier antreffen würde.
Trotz der Drohgebärde der beiden Posten am Tor stieg er aus und schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, auf sie zu. Im Näherkommen bemerkte er, dass diese »Soldaten« bestimmt nicht aus der Heilsarmee rekrutiert waren. Ihre Gesichter wären eine echte Bereicherung für jedes Verbrecheralbum gewesen.
Ihre Figuren waren wie aus einer Gussform. Breit, stämmig, stiernackig. Nur trug der eine einen Guerillabart, der andere hatte sich den Wildwuchs aus dem eckigen Gesicht geschabt, doch das ließ ihn auch nicht adretter erscheinen.
Sie hatten Arme wie andere Leute Oberschenkel und Pranken, die sich mit denen McIntires durchaus messen konnten. Insgesamt betrachtet sahen sie aus wie King-Kong-Darsteller nach dem Abschminken.
»Stopp!«, brüllte der Bärtige schon von weitem. Seine Stimme war überraschend hoch. Die Läufe der beiden Gewehre pendelten sich auf seinen Unterkörper ein, und ein Seitenblick auf die Felskanzel sagte Borran, dass ihn auch der Heckenschütze aufs Korn genommen hatte.
Borran nahm die Hände vorsichtig aus den Taschen. Die Männer durften keinesfalls auf die Idee kommen, er würde mit einer Taschenartillerie auf sie zu spazieren. Vermutlich hatten sie nervöse Zeigefinger.
Mikes Vorsicht war berechtigt.
»Hände in den Nacken«, meldete sich der Glattrasierte. »Und dann drehst du dich um und verschwindest wieder. Alles kapiert, oder soll ich dir’s aufschreiben?«
Sie lachten hässlich. Es klang wie ein Blechlöffel in einem Blechnapf, wenn man ihn darin hin und her schüttelt. Keine erfreulichen Zeitgenossen.
Doch Borran war nicht gekommen, um sich so schnell wieder abwimmeln zu lassen. Er vertraute darauf, dass die Wachtposten nicht auf einen Unbewaffneten schießen würden.
»Ich muss mit einem eurer Mitglieder sprechen«, rief er deshalb und schimpfte im stillen darüber, dass seine Stimme nicht den gewohnten festen Klang hatte. Es ging ihm an die Nieren, dass die beiden Figuren mit Feuerspritzen auf ihn zeigten. Borran hatte das Tor schon fast erreicht.
Die Männer wechselten einen schnellen Blick.
»Ich glaube nicht, dass einer unserer Gäste dich zu sprechen wünscht«, meinte der Bärtige schließlich. Und er fügte hinzu: »Wir geben einen guten Rat immer nur einmal. . .«
Borran wusste sehr gut, was das zu bedeuten hatte. Er konnte in ihren Gesichtern lesen wie in einem offenen Buch. Den beiden Typen machte es gar nicht so viel aus, wenn er sich stur stellte. Sie erhofften sich ein wenig Abwechslung in ihrer Eintönigkeit.
»Ich bin es auch nicht gewöhnt, meine Anliegen wie ein Leierkasten ständig zu wiederholen«, presste Borran zwischen verkniffenen Lippen heraus. Zwischen seinen dunklen Augenbrauen saß eine steile Falte.
»Du willst also unbedingt ins Camp kommen, obwohl wir dir das verboten haben?«, vergewisserte sich der Bärtige nochmals. Borran entging das hinterlistige Funkeln in dessen Augen nicht. Wenn er jetzt den Rückzug angetreten hätte, wäre er sich wie ein Feigling vorgekommen. Doch im Bewusstsein, dass zwischen Tollkühnheit und Dummheit nur ein sehr schmaler Grat liegt, versuchte er es nochmals im Guten.
»Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass ich eine eurer Wanzenbuden betreten will. Ich sagte lediglich, ich wolle eines eurer Mitglieder sprechen.«
»Das hab ich auch schon mal gesagt«, entgegnete der Glattrasierte. »Unsere Gäste geben heute keine Privataudienzen.«
»Vielleicht wird Miss Corry Lambert eine Ausnahme machen. Sie hat mich bestohlen.«
»Ich denke doch, du kannst das beweisen, Mister.«
Damit brachte er Mike in eine verteufelte Zwickmühle. Immer noch ließ sich im Camp keine Menschenseele blicken.
Wieder wechselten die beiden einen hinterhältigen Blick. Sie schienen keine Worte zu gebrauchen, um sich zu verständigen.
»Natürlich kann ich das beweisen«, hörte Borran sich sagen. »Nachdem ich mit Miss Lambert gesprochen habe.«
»Dann werden wir wohl mal eine Ausnahme machen«, meinte der Rasierte.
Das Tor war nicht verschlossen. Er versetzte dem Rahmen einen Tritt, und er schwang laut in den Angeln kreischend auf. Borrans Druck in der Magengegend verstärkte sich. Seine Bauchmuskulatur krampfte sich zusammen.
»Nun komm schon, Kleiner«, meinte der Schwarzbart. »Wir sind heute gut aufgelegt. Stimmt’s nicht, Rudy?«
»Keine Namen, du Trottel!«
Das verstand Mike Borran noch. Aber dann verstand er fast nichts mehr. Er sah nur mehr einen Gewehrkolben auf sich zurasen, und nur seinen geschulten Reflexen war es zu verdanken, dass ihm dieser Hieb nicht den Kopf von den Schultern riss. Er brachte noch seine linke Schulter zwischen Hartholz und Schläfe.
Dafür war sein Arm zu nichts mehr zu gebrauchen. Ein siedend heisser Schmerz durchfuhr ihn, zuckte hoch bis unter seine Gehirnrinde und löste eine ganze Skala verschiedenster Reaktionen aus.
Man hatte Mike Borran nicht umsonst in ein Trainingslager der CIA gesteckt.
Ein entschlossener Mann kann auch mit nur einem Arm und zwei Beinen eine Menge Schaden anrichten, wenn er in den fernöstlichen Kampfarten gedrillt worden war.
Borran besaß zwar keinen Dan Grad, aber konnte auf ein Reservoir höllischer Wut zurückgreifen, die ihn jetzt mit einem Mal durchströmte. Doch er konnte diese Wut kanalisieren. Er schlug nicht wild um sich.
Zuerst mussten diese beiden Waffen weg.
Die Kerle mit den Gesichtern von Mafia-Schlägern waren sich ihrer Sache viel zu sicher gewesen. Auch sah Borran äußerlich kaum danach aus, als dass er die Brisanz einer mittleren Handgranate entwickeln konnte. Alles Fähigkeiten, die im Trainingslager behutsam in ihm geweckt und zur Entfaltung gebracht worden waren.
Der Bärtige und jener, den er »Rudy« genannt hatte, standen ziemlich nah an Mike Borran, und das war ein Fehler.
Ihr Fehler.
Ein Rundschlag mit gestrecktem Bein fegte ihnen die Gewehre aus den Pranken. Borran fiel, doch er rollte sich schräg über die heile Schulter ab und stand eher wieder auf den Beinen, als die beiden Schläger mit ihren Augen zwinkern konnten.
Mit einem Kampfschrei auf den Lippen stürzte Borran auf die beiden vollkommen verdatterten Männer zu, die immer noch erstaunt ihre leeren Hände betrachteten. Borran versorgte sie mit einem Doppelschlag.
Zuerst die Faust auf den Hals des Bärtigen, dann schnellte sein Arm zurück, und der Ellenbogen traf die entsprechende Stelle am Nacken Rudys.
Danach mochten beide nicht mehr kämpfen, rissen nur noch die Augen weit auf und fielen um wie gefällte Baumstämme.
Ein Schuss bellte auf, und von Borrans Zehen spritzte Sand und Geröll weg. Über der Felskanzel stand eine weiße Pulverwolke.
»Keine Bewegung mehr, Mister. Mir kannst du mit deinen schäbigen Tricks nicht beikommen.«
Borran sah hastig um sich.
Zum Bentley war es zu weit, doch selbst wenn er den Wagen erreichte, konnte der Heckenschütze ihn noch löchern wie einen Schweizer Käse.
Schief grinsend hob er seinen gesunden Arm über den Kopf. Der linke gehorchte seinem Willen immer noch nicht.
Hinter sich ein Geräusch. Er hatte nicht allzu heftig zugeschlagen gehabt.
Der Bärtige hatte in dieser Hinsicht weitaus weniger Skrupel. Er donnerte Borran den klobigen Kolben eines großkalibrigen Revolvers auf den Hinterkopf, und Mike Borran vergaß unter einer grellen Explosion in seinem Schädel, warum er überhaupt in dieses friedliche Hochtal aufgebrochen war.