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Milo und ich gehörten diesmal zu den letzten, die am Tatort auf dem Parkdeck des New Palace Hotels eintrafen. Die Kollegen der City Police hatten bereits den gesamten Bereich weiträumig abgesperrt und Beamte der SRD machten bereits ihren mühseligen Job und suchten den Betonboden nach kleinsten Spuren ab. Die Gerichtsmedizin war mit einem ganzen Team vor Ort.

Einige der Leichen waren schon abtransportiert worden. Dort, wo sie gelegen hatten, waren ihre Umrisse mit weißer Kreide auf den Asphalt gezeichnet.

Agent Fred LaRocca begrüßte uns und fasste für uns knapp zusammen, was sich nach dem bisherigen Ermittlungsstand zugetragen hatte.

Etwas abseits stand Clive Caravaggio und befragte zwei Männer. Einer davon war Mike Milrone, wie ich gleich erkannte. Der zweite trug Uniform, wie sie für Chauffeure typisch war.

„Die beiden haben alles mitbekommen“, sagte Fred. „Sie konnten sich in den gepanzerten Wagen retten, bevor der Killer auch sie niederschießen konnte...“

„Es war nur ein Mann?“, wunderte sich Milo.

„Ja“, bestätigte Fred. „Es gibt eine Aufzeichnung der Überwachungskamera. Der Kerl war aber leider maskiert, sodass wir ihn nicht identifizieren können. Er muss mit unglaublicher Geschwindigkeit und Sicherheit nacheinander die Leibwächter abgeknallt haben. Alles Kopftreffer.“

„Er hat sich wohl gedacht, dass es wenig Sinn macht, wenn er auf den Rumpf zielt“, meinte ich. „Schließlich musste er damit rechnen, dass Milrones Wachpersonal Kevlar-Westen trägt.“

„Genau“, nickte Fred. „Trotzdem, diese Schusssicherheit ist beängstigend.“

„...aber vielleicht typisch für einen ehemaligen Navy Seal“, meinte Milo. „Wäre interessant zu erfahren, ob Flash damals im Rahmen seiner Ausbildung auch ein Scharfschützentraining absolviert hat.“

„Jay und Leslie sind übrigens auch hier“, berichtete Fred. „Die beiden verhören gerade Makarow, der ein paar Etagen hier drüber in einer Luxus-Suite residiert.“

„Dann wollten die Milrones wohl zu ihm“, murmelte ich.

„Sieht so aus.“

Gemeinsam mit Fred LaRocca gingen Milo und ich zu den Gerichtsmedizinern.

Die Leiche von Vic Milrone lag noch dort, wo der Täter ihn niedergestreckt hatte.

Eine ziemlich große Blutlache hatte sich gebildet.

Der Gerichtsmediziner im Dienst des Coroners war Dr. Brent Claus. So stellte er sich uns gegenüber knapp vor, ohne dabei den Blick von dem Toten zu nehmen. Er war gerade damit beschäftigt ein paar Fotos zu machen.

„Sagen Sie nicht, ich wäre pingelig, weil ich meine eigenen Fotos schieße und nicht auf die Tatortbilder des FBI oder  SRD vertraue“, sagte Dr. Claus, als er Milos skeptischen Blick registrierte. „Nichts gegen das fotografische Können Ihrer Leute, aber die wissen in der Regel nicht genau genug, worauf es mir ankommt.“

„Ich verstehe schon“, sagte ich. Mich interessierte vielmehr die Schnittwunde an Vic Milrones Hals.

Dr. Claus hörte auf zu fotografieren, betrachtete das Ergebnis kurz auf dem Display seiner Digitalkamera und nickte dann zufrieden.

Anschließend wandte er sich an mich.

„Das ist in der Tat sehr seltsam“, meinte er. „Diese Killermaschine, die hier zugeschlagen hat, war gut genug, die Leibwächter durch Kopfschüsse auszuschalten. Ehe die gemerkt haben, was los war, waren vermutlich zwei, drei Mann tot.“ Dr. Claus holte zu einer großen Geste aus und deutete schließlich mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Vic Milrones Leiche. „Nur den Kerl hier trifft der Schütze am Oberkörper, der natürlich mit Kevlar gesichert war, wie Sie sehen können.“

„Das dürfte trotzdem ziemlich schmerzhaft für Vic Milrone gewesen sein“, stellte ich fest. „Zumal er vor kurzem erst ein paar solcher Treffer abbekommen hatte und vielleicht sogar ein paar Rippen etwas angeknackst waren.“

„Das werde ich mir noch alles genauer bei der Obduktion ansehen“, versprach Dr. Claus. „Ich gehen jedenfalls davon aus, dass der Ermordete durch die Wucht der Geschosse zu Boden gerissen und außer Gefecht wurde. Anschließend hat man ihm dann die Kehle durchgeschnitten. Sehen Sie, wie der Schnitt geführt wurde!“ Dr. Claus ging in die Hocke und zeichnete den Verlauf des Schnittes nach. „Ich frage mich, wieso er den Mann nicht einfach erschossen hat! Schließlich hatte er die Waffe in der Hand!“

„Die geradezu beängstigende Effektivität, mit der dieser Kerl vorgegangen ist, spricht dafür, dass es sich tatsächlich um Flash handelt“, meinte ich.

Milo war derselben Ansicht.

„Mal angenommen, das trifft zu – dann sollten wir mal nachforschen, ob es vielleicht irgendeine offene Rechnung zwischen Vic Milrone und diesem Killer gibt.“

„Daran habe ich auch schon gedacht“, meinte auch Fred LaRocca. „Wer so tötet, will doch irgendetwas demonstrieren.“

„Fragt sich nur was“, murmelte ich und wandte den Blick ab.

„Sie sollten herausfinden, wer auf diese spezielle Weise ein Messer führt“, meinte Dr. Claus. „Ansonsten werde ich mich mit der Obduktion beeilen. Aber die wichtigsten Angaben, wie Tatzeit und Tathergang stehen sowieso nicht in Zweifel. Schließlich gibt es doch die Videoaufzeichnung und Zeugen.“

Bei der Befragung von Mike Milrone und dem Chauffeur ging etwas lauter zu.

„Ihr Onkel ist tot – finden Sie nicht, dass es jetzt an der Zeit wäre, endlich mit uns zu kooperieren?“, fragte Clive ziemlich aufgebracht.

„Ich habe meiner Aussage nichts hinzuzufügen“, erwiderte Mike Milrone ziemlich kühl. „Im Übrigen habe ich das recht zu schweigen...“

„Sie sind kein Angeklagter, sondern nur ein Zeuge – und als solchem steht ihnen dieses Recht nicht zu.“

Mike Milrone trat auf Clive Caravaggio zu und sagte dann ziemlich schneidend: „Meiner Ansicht nach sollten Sie sich ein paar ganz andere Fragen stellen, Agent Caravaggio! Zum Beispiel, wie es möglich ist, dass mein Onkel heimtückisch ermordet wurde, obwohl Sie ihn doch angeblich beschattet haben!“

„Lass es gut sein, Clive, es hat keinen Sinn!“, fand Orry. Der als bestangezogendster G-man geltende und stets hochmodisch gekleidete Medina hatte seine Seidenkrawatte und den ersten Knopf seines Hemdes gelockert. Ein ungewohnt legerer Anblick. Aber das Bild des Grauens, was sich auf dem Parkdeck des New Palace Hotels nach wie vor bot, war wohl auch auf ihn nicht ohne Wirkung geblieben. Es gibt Dinge, an die man sich in unserem Job trotz aller Routine einfach nicht gewöhnt. Der Anblick von Ermordeten gehört dazu. Selbst dann, wenn es sich bei den Opfern um Personen handelte, die selbst alles andere als schuldlos waren.

„Sie können gehen, Mister Milrone“, wandte sich Clive schließlich an Mike. „Aber ich möchte, dass Sie sich in nächster Zeit für uns zur Verfügung halten, falls wir noch Fragen an Sie haben.“

„Selbstverständlich“, sagte Mike. Sein Gesicht wurde sehr ernst und er hatte inzwischen die vollkommene Kontrolle über seine Mimik zurückerlangt. „Wissen Sie, es stand Onkel Vic wohl niemand so nahe wie ich... Sein Tod ist ein herber Verlust. Ich bräuchte ihn in einer Situation wie dieser doppelt. Nicht nur als Geschäftspartner, sondern als einen Mann, der für mich immer wie ein Fels in der Brandung dastand. Jemand, auf den man sich absolut verlassen konnte, und der sich auch nicht scheute, zu einem zu stehen, wenn es sonst niemand tat.“

Zusammen mit dem Chauffeur verschwand er über den Aufzug, der von hier aus ins Erdgeschoss des New Palace Hotels führte. Um nach Hause zu gelangen, mussten die beiden ein Taxi nehmen oder sich einen Wagen aus Mike Milrones Fuhrpark herbeordern, schließlich waren zwei Reifen an der Stretch-Limousine zerschossen worden und außerdem waren die SRD-Kollegen mit ihrer Behandlung des Wagens noch lange nicht fertig.

Clive und Orry begrüßten uns knapp. „Komisch Jesse, aber wenn dieser arrogante Kerl den Mund aufmacht, glaube ich nicht einen Ton davon!“

„Kann ich gut verstehen“, erwiderte ich. „Aber wir werden wohl kaum erwarten können, dass Mike uns irgendetwas sagt. Solange es dem Syndikat schadet, das sein Onkel aufgebaut hatte.“

„Irgendjemand wird ja wohl in die Fußstapfen des Alten treten“, meinte Milo.

Clive wandte sich unterdessen an mich. „Hört mal, könntet ihr euch nicht die Videoaufzeichnung ansehen? Zumindest oberflächlich.“

„Machen wir“, versprach ich.

„Der Chef des hiesigen Security Service findet ihr in seinem Büro. Es liegt im Erdgeschoss des New Palace Hotels. Am besten, ihr fragt den Doorman in der Eingangshalle.“

„Danke.“

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