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„Wir machen noch einen kleinen Abstecher zur St. Cliven’s Church, ehe wir zur Federal Plaza fahren“, sagte ich zu Milo, nachdem er am anderen Morgen zu mir in den Sportwagen gestiegen war.
Milo blickte auf die Uhr.
„Dann kommen wir zu spät“, wandte er ein.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das geht schon. St. Cliven’s Church liegt fast auf unserem Weg.“
Ich berichtete Milo in knappen Worten, was ich gesehen hatte.
„Du glaubst, das war der Obdachlose, den die Jungs in der Lambert Road gesehen haben wollen“, schloss Milo.
Ich nickte.
„Ich bin mir sogar sicher. Die Beschreibung von Kevin Blichman war einfach zu treffend! Das wirst du auch feststellen, wenn du ihm gegenüberstehst.“
Ein Blick in die Programmzeitschrift des Doorman hatte genügt, um herauszufinden, aus welcher Kirche dieser Gottesdienst übertragen worden war. Natürlich war die nächtliche Sendung, die ich gesehen hatte, nur eine Wiederholung gewesen, von der ich auch nicht wusste, wann sie tatsächlich aufgenommen worden war. Aber das machte nichts. Möglicherweise kannte den Mann mit dem Loch im Bart jemand aus dieser Gemeinde. Vielleicht kam er öfter dort hin, weil es eine Armenspeisung oder eine Kleiderkammer mit gutem Angebot gab.
Wir würden sehen.
Ich parkte den Sportwagen in der Nähe der Kirche. Wir stiegen aus und stellten später fest, dass das Kirchengebäude offen war. Wir traten ein. Eine Gruppe von Männern und Frauen war mit Reinigungsarbeiten beschäftigt.
Darunter auch der Mann mit dem "Loch im Bart"
Er blickte misstrauisch auf, als er uns bemerkte.
Ich zeigte ihm meinen Ausweis.
„Agent Jesse Trevellian, FBI", stellte ich mich vor. „Ich muss mit Ihnen sprechen."
Jeder Muskel und jede Sehne dieses Mannes waren sofort angespannt. Mein Ausweis schien eine Art Fluchtreflex ausgelöst zu haben.
„Keine Angst", versuchte ich ihn zu beschwichtigen. „Es wird Ihnen nichts vorgeworfen, aber es könnte sein, dass Sie für uns ein sehr wichtiger Zeuge sind.“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen“, sagte der Mann.
„Sind Sie Clint Martinson?“
„Ja. Leider kann ich Ihnen derzeit keine feste Adresse angeben. Im Augenblick verdiene ich mir hier ein paar Dollars. Der Reverend hat mir eine Chance gegeben und vielleicht bekomme ich durch diesen Job wieder festen Boden unter die Füße.“
„Ich habe Sie in einer Gottesdienstübertragung im Latter Days Television gesehen...“
„Der Glaube gibt mir Halt““, sagte Clint Martinson. „Und den brauche ich auch, um den Alkoholentzug durchzuhalten. Denn wenn ich das nicht schaffe, ist auch der Job im Handumdrehen wieder weg.“ Er seufzte. „Für mich hat etwas Neues begonnen. Ein neues Kapitel in meinem Leben. Ich weiß, dass es in meiner Vergangenheit ein paar dunkle Flecke gibt, die...“
„Nein, es geht nicht um Ihre Vergangenheit. Es geht überhaupt nicht um Sie!“, versicherte ich ihm. „Es geht um einen Gangsterboss, der Häuser und Gewerbegrundstücke über Strohmänner anmieten lässt, sie dann mit Giftmüll anfüllt und den Strohmann schließlich untertauchen lässt. Dafür kassiert er Millionen, weil das für die Firmen immer noch billiger ist, als die Gifte teuer zu entsorgen. Irgendwann findet dann jemand diese üblen Hinterlassenschaften – wenn sie sich nicht vorher selbst entzünden. In diesem Fall waren es ein paar Kinder, von denen zwei fast gestorben wären.“
„So ein Schwein!“, stieß Clint Martinson spontan hervor.
„Sie waren vor einiger Zeit auf einem Grundstück mit einem verlassenen Lagerhaus. Das war in Queens, Lambert Road... Die Kinder, von denen ich sprach, haben Sie genau beschrieben. Der Mann mit dem Loch im Bart.“
„Ja, das trifft zu“, gestand Martinson ein. „Ich war dort. Und ich werde das auch so schnell nicht vergessen. Ich hatte gedacht, dort für einige Zeit unterkriechen zu können. Es wurde immer kälter, aus den Subways vertrieben die Security Guards Leute wie mich und so war ich froh, ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben. Ich blieb allerdings nur ein paar Nächte.“
„Das muss zu einer Zeit gewesen sein, als das Haus noch nicht bis unters Dach mit Giftmüll gefüllt war.“
Martinson nickte. „Ja, das mag sein. Da standen jedenfalls eine Menge Fässer herum und auch so Plastikzeug. Irgendwie roch das komisch und ich bekam Kopfschmerzen. Deswegen bin ich weiter gezogen. Das hat ein paar Wochen gedauert, bis die Kopfschmerzen wieder weg waren. Außerdem sind mir für eine Weile die Haare ausgegangen. Hat sich glücklicherweise alles wieder normalisiert.“
„Haben Sie irgendwann einmal mitbekommen, dass jemand das Grundstück besucht hat?“
„Ich habe die Kinder gesehen. Ja, und dann kam einmal ein Lastwagen, von dem ein paar Behälter abgeladen wurden. Ich kann nicht sagen, was drin war.“
„Erinnern Sie sich an irgendwelche Details! Es kann alles wichtig sein!“, forderte ich ihn auf.
Er machte ein nachdenkliches Gesicht. „Der Wagen hatte vorne einen Stern wie bei Mercedes-Benz.“
„Dann könnte es der Atego gewesen sein, den auch Kevin Blichman gesehen hat!“, warf Milo ein.
„Sonst noch etwas? Vielleicht war der Name der Spedition irgendwo aufgedruckt!“, sagte ich.
Martinson schüttelte den Kopf. „Nein, nichts dergleichen. Aber ich habe mir einen Teil der Autonummer merken können. Das mache ich immer so. Ich bin einmal von einem Wagen angefahren worden und der Kerl ist einfach abgehauen und hat mich liegenlassen. Deswegen versuche ich mir jetzt immer die Nummern von Fahrzeugen in meiner Nähe zu merken. Außerdem ist es eine Art Sport. Schließlich hatte ich früher nichts anderes zu tun. Ich habe dann immer darauf gewartet, diese Fahrzeuge irgendwo wieder zu treffen, was auch ab und zu geschehen ist.“
„Wie lautet die Nummer?“, fragte ich.