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"Hey, was machst du für ein sauertöpfisches Gesicht, Jenny?" Die Stimme, die mich abrupt aus meinen Gedanken herausriss, gehörte Joe Carmodie, der als Fotograf beim London City Telegraph angestellt war. Joe und ich hatten oft zusammengearbeitet und bildeten ein wirklich gutes Team. Genau wie ich war er sechsundzwanzig Jahre alt. Seine unkonventionelle Art hatte unseren Chefredakteur schon so manches Mal zur Weißglut gebracht. Aber er war ein guter Fotograf, daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Joe setzte sich frech auf meinen Schreibtisch. Mit einem Seitenblick bemerkte ich, dass seine Jeans einen neuen Flicken hatte.

Das Revers seines Jacketts war ziemlich ramponiert, was durch die Kameras kam, die für gewöhnlich wie Mühlsteine an seinem Hals hingen.

Mit einer lässigen Handbewegung fegte er sich das etwas zu lange blonde Haar nach hinten und meinte dann: "Nun sag schon, welche Laus ist dir über die Leber gelaufen? Hat der Chef im Zuge von Sparmaßnahmen dein Gehalt gekürzt oder an deinem letzten Artikel so gründlich redigiert, dass du nur noch an der Namenszeile erkennen konntest, dass es deine Story war?"

Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel fast wie automatisch hochzogen. Dem jungenhaften Charme dieses Mannes konnte man sich kaum entziehen und es war schwer, in seiner Gegenwart schlechtgelaunt zu bleiben.

Mir gelang das zumindest nur selten.

Joe sah mich an und zog die Augenbrauen hoch.

"Oder sollte es vielleicht sogar möglich sein, dass du dir ein paar ernsthafte Gedanken machst, Jenny?" Ich war verwirrt.

"Ernsthafte Gedanken?", fragte ich zurück. "Und worüber?" Joe zuckte die Achseln.

"Was weiß ich? Über die Zukunft, dein Leben, und darüber, dass da in deiner Nähe seit langem ein überaus sympathischer, gutaussehender, intelligenter Mann ist, der es wert wäre, mal genauer betrachtet zu werden ..."

"Du sprichst doch nicht etwa von dir selbst, Joe!"

"...und der außerdem in derselben Branche arbeitet wie du, was es erheblich erleichtert, sich zu verabreden. Schließlich hättet ihr in etwa dieselben Arbeitszeiten." Ich unterbrach ihn.

"Joe!", tadelte ich ihn.

Er hob beschwichtigend die Hände.

"Schon gut, Jenny! Ich weiß, dass ich mir bei dir immer wieder einen Korb abholen kann. Aber ich versuche es halt trotzdem ab und zu!"

Seit ich beim Telegraph angefangen hatte, war Joe ein bisschen verliebt in mich. Aber für mich war er einfach nur ein guter Freund und Kollege. Privat waren wir kein Paar und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass wir irgendwann in der Zukunft eines werden würden. Er war mir einfach zu unreif und sprunghaft und entsprach so gar nicht meinen Vorstellungen von einem Traummann.

Nett war er trotzdem.

"Ich hatte einen merkwürdigen Anruf", sagte ich schließlich und fasste ihm in knappen Worten mein Gespräch mit Pamela Green zusammen.

"Ihr wurdet unterbrochen?", fragte er dann stirnrunzelnd zurück.

"Ich weiß es nicht", erwiderte ich. "Zumindest war das Gespräch ziemlich abrupt zu Ende..." Ich zuckte die Schultern. "Sie klang so verzweifelt..."

"Du glaubst, dass an dieser wirren Geschichte auch nur etwas dran ist?" Joe sah mich ziemlich verständnislos an. "Eine Verrückte, wenn du mich fragst. Sie hat sich wahrscheinlich in der Nummer geirrt und brauchte eher jemanden von der Bahnhofsmission..."

"Joe, ich weiß nicht. Ich habe schon ins Telefonbuch geschaut, aber weißt du, wie viele Eintragungen es unter Pamela Green gibt?"

"Lass mich raten: Ein Dutzend? Noch mehr? Und die meisten Frauen dieses Namens stehen vielleicht gar nicht im Telefonbuch, weil nur der Name ihrer Männer dort angegeben ist. Oder sie nennen sich P. Green, damit irgendwelche kranken Geister, die Frauen mit Telefon-Terror in den Wahnsinn treiben, nicht wissen, welches Geschlecht der Besitzer des Anschlusses hat."

Ich zuckte die Schultern.

"Morgen werde ich schlauer sein."

"Komm", sagte Joe und nahm meine Hand. Er zog mich halb aus dem Sessel heraus und ich stand einen Moment später etwas verwirrt vor ihm.

"Wohin?"

"Hör auf zu grübeln!"

"Leichter gesagt als getan!"

"Wie wär's zur Abwechslung mit Arbeiten, Jenny?" Joe grinste.

Ich ahnte schon, dass er irgendwie etwas zu wissen schien, was sich noch nicht bis zu mir herumgesprochen hatte. Einen Moment noch ließ er mich zappeln, aber dann rückte er endlich mit der Sprache heraus.

Martin T. Stanford, der leicht cholerische Chefredakteur des London City Telegraphs, hatte vor, uns beide auf eine brisante Story anzusetzen. "Es geht um diesen geheimnisvollen Killer, der seit einiger Zeit in London sein Unwesen treibt", sagte Joe.

"Gibt es denn da schon etwas Neues?", fragte ich überrascht, denn meines Wissens tappten die Ermittler in diesem Fall schon seit geraumer Zeit im Dunkeln.

Der geheimnisvolle Mörder, bei dem es sich vermutlich um einen Psychopathen handelte, war ihnen offenbar immer einen Schritt voraus.

"Abwarten, Jenny. In einer halben Stunde gibt es eine Pressekonferenz bei Scotland Yard. Und wenn wir deinen Wagen neben, anstatt meiner Rostlaube, dann kommen wir nicht nur pünktlich, sondern haben vielleicht sogar noch Chancen auf einen Sitzplatz!"

Ich lächelte.

"Okay", sagte ich. "Dann los!"

"Nach Ihnen, Ma'am!"

"Das solltest du dir nicht angewöhnen, Joe. Es passt nicht zu dir!"

"Ach, nein?"

"Nein!"

Wir lachten beide.

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