"Sie haben nicht zufällig eine Ahnung, was das Wort Quarma'an bedeutet, oder?", fragte ich Kevin später, nachdem wir die Wohnung längst verlassen hatten und in einem Lokal saßen, das zwei Straßen weiter lag. Immerhin war es einigermaßen gemütlich.
Kevin sah mich fragend an.
"Was soll das sein?"
"Mit diesem Namen bezeichnete Pamela die Gefahr, vor der sie warnen wollte..."
Er zuckte die Achseln.
"Wie ich Ihnen schon sagte, habe ich Pamela in den letzten Jahren viel allein gelassen. Ich dachte, sie sei eigentlich alt genug, um ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Jedenfalls redete ich mir das ein. Aber das war wohl ein Irrtum..." Er nippte an seinem Glas und seine sympathischen Züge bekamen etwas Düsteres. Schließlich fuhr er fort: "Haben Sie die Bücher bemerkt? Und die seltsamen Zeichen, mit denen ihre Wohnung bemalt war?"
"Ja."
"Sie hat sich anscheinend in der letzten Zeit immer mehr mit Okkultismus, Magie und ähnlichen Dingen befasst. Ja, man kann sagen, sie hat sich vermutlich darin verrannt und den Kontakt zur Realität verloren... Sie konnte wohl zeitweise kaum noch eine Entscheidung treffen, ohne vorher die Tarotkarten zu legen oder die Sache auszupendeln... "
"Sie glauben also, das nichts dahintersteckt..."
"Ja, ich halte es für eine ihrer wahnhaften Ideen. Miss Dexter, ich rede ungern schlecht über meine tote Schwester, aber sie wurde zunehmend zu einer Person, mit der man nicht leicht umgehen konnte. Es ist kein Wunder, dass sie nach und nach ihr Leben in Unordnung brachte. Sie verlor sogar ihren Job bei einer Import/Export-Firma, wie ich bei meinem letzten Besuch erfahren habe..."
"Könnte es sei, dass Sie Mitglied irgend einer Sekte oder dergleichen gewesen ist?"
Kevins Blick war nicht einmal sonderlich überrascht.
"Daran musste ich auch denken, als Sie mir von dem Anruf erzählten." Er griff in die Innentasche seines Blousons und holte ein schwarzes Büchlein heraus.
Ein Adressbuch.
"Haben Sie das aus der Wohnung?", fragte ich und er nickte.
"Ja. Die Polizei scheint das nicht sehr interessiert zu haben..."
"Wenn dieser geheimnisvolle Serientäter Ihre Schwester getötet hat, dann dürfte er ja auch wohl kaum darin stehen", erwiderte ich. "Schließlich nimmt man an, dass er seine Opfer ziemlich wahllos aussucht..." Ich streckte die Hand aus.
"Darf ich das Buch mal sehen?"
"Sicher."
Er gab es mir.
Ich blätterte etwas darin herum. Viele Adressen standen nicht darin. Die meisten Eintragungen waren im übrigen auch unvollständig. Ein Vorname und eine Telefonnummer zum Beispiel. Eine besondere Ordnung schienen die Eintragungen nicht zu haben.
Eine Adresse war schwarz eingerahmt und schien Pamela besonders wichtig gewesen zu sein.
"Kennen Sie einen Morris Bulmer?", fragte ich Kevin. Er schüttelte den Kopf.
"Nein, keine Ahnung, wer das ist. Ich kenne auch von den anderen in dem Buch verzeichneten Personen kaum jemanden, mit Ausnahme einiger Schulfreundinnen. Aber mit denen hatte Pam schon seit längerem keinen Kontakt mehr... Wie gesagt, sie wurde immer seltsamer in ihren Ansichten. Nach und nach müssen die meisten ihrer alten Kontakte abgebrochen sein..." Ich gab Kevin Green das Adressbuch zurück und er steckte es wieder ein.
"Hier", murmelte ich etwas abwesend. Er sah mich an und ich merkte erst einen Augenblick später, wie intensiv er mich musterte. Ich schluckte und war etwas verlegen.
Der Blick dieser meergrünen Augen jagte mir unwillkürlich einen wohligen Schauer über den Rücken.
Für eine Weile herrschte Schweigen, ehe Kevin schließlich sagte: "Es tut gut, mit jemandem über Pam reden zu können, Miss Dexter... Und wenn sie am Ende vermutlich auch nur auf Ihre Sensationsstory aus sind, scheint Ihnen das Schicksal meiner Schwester zumindest ein wenig nahezugehen. Ich bilde es mir wenigstens ein..."
"Sie irren sich, Mr. Green", sagte ich.
"Nennen Sie mich Kevin."
"Meinetwegen", nickte ich.
"Und wie war Ihr Vorname? Jennifer, nicht wahr?"
"Ja."
Seine Augen verengten sich etwas, als er mich dann nach kurzer Pause fragte: "Ich hätte Sie nicht unterbrechen sollen, Jennifer. Inwiefern irre ich mich?"
"Sie schätzen mich falsch ein", erklärte ich. "In diesem Fall steht bei mir keineswegs die Story an erster Stelle, auch wenn mein Chef mich in die Kreuzworträtsel-Redaktion versetzen würde, wenn er das wüsste."
Kevin hob die Augenbrauen.
"Sondern?"
"Ich sagte es Ihnen bereits einmal. Pamela rief mich in höchster Verzweiflung an, weil sie glaubte, dass ich sie ernst nehmen würde und ihr vielleicht helfen könnte. Darum fühle ich mich ihr gegenüber in gewisser Weise verpflichtet." Ich brach ab, atmete tief durch und fuhr schließlich in gedämpften Tonfall fort: "Wissen Sie, was mir manchmal im Kopf herumspukt?"
"Was?"
"Dass sie vielleicht noch leben könnte, wenn ich mich sofort mit ihr getroffen hätte."
Ein mattes Lächeln ging über sein markantes Gesicht. Er ließ mich dabei nicht aus den Augen.
"Es scheint, als hätten wir einiges gemeinsam", stellte er fest.
"Sie sagen es", murmelte ich.
"Ich hoffe mehr, als nur die fixe Idee einer schuldhaften Verstrickung", entgegnete er und nahm sein Glas. Ich nahm das meine und wir tranken fast im gleichen Moment.