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Wenig später öffnete sich die Tür und ein älterer, unglaublich dürrer Herr trat ein. Er war relativ hochgewachsen, wenn auch sein Rücken inzwischen etwas gebeugt war. Auf seinem Kopf hatte er kaum noch Haare und zusammen mit den hervorstehenden Wangenknochen gab ihm das eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Antlitz des Totenschädels, der das Bücherregal zierte.

Seine Lippen wirkten blutleer und bildeten einen schmalen Strich. Das Gesicht war ernst und mit den aufmerksamen Augen musterte er uns nacheinander.

"Miss Dexter, Mr. Green..." Offenbar hatte Jenkins ihn bereits darüber aufgeklärt, wer Kevin war. "Bleiben Sie ruhig sitzen und machen Sie keine Umstände...", fuhr der dürre Mann dann fort.

"Sie sind Morris Bulmer, wenn ich mich nicht irre", sagte ich. Er bedachte mich mit einem durchdringenden, kühlen Blick und nickte knapp.

"Reden Sie nicht lange drum herum! Sagen Sie mir, was Sie wollen! Obwohl ich längst im Ruhestand bin, ist meine Zeit knapp bemessen... Sie werden mich vielleicht besser verstehen, wenn Sie älter sind, Miss Dexter. Die Zeit zerrinnt einem dann förmlich zwischen den Fingern, obwohl man noch so vieles erforschen und begreifen möchte..." Seine Augen flackerten nervös.

Die Stimme sprach mit einer unheimlichen Intensität. Ich hatte keinen Zweifel daran, einem Mann gegenüberzustehen, der von seiner Arbeit - was immer das im Moment auch sein mochte - geradezu besessen war.

"Reden Sie schon!", wies er mich dann ziemlich barsch an.

"Es geht um Pamela Green", sagte ich und wartete ab, was die Nennung dieses Namens bei meinem Gegenüber bewirken würde.

Nichts.

Er blieb kalt und unbewegt wie ein Fisch.

"Weiter!", forderte er.

"Sagt Ihnen der Name nichts?"

"Sie verschwenden meine Zeit, Miss Dexter!" Ich stand auf und sah ihm geradewegs ins Gesicht. Einen ganzen Schritt ging ich auf ihn zu, dann erklärte ich: "Sie hätten mich gar nicht hereingelassen, wenn ich diesen Namen nicht erwähnt hatte! Also tun Sie nicht so, als hätten sie Pamela nicht gekannt!"

"Sie sprechen von ihr in der Vergangenheit", stellte Bulmer fest.

"Sie ist tot", warf Kevin ein. "Erwürgt. Und Ihr Name stand in ihrem Adressbuch, Mr. Bulmer."

"Ah, ich verstehe...", murmelte er leise. "Der Tod Ihrer Schwester tut mir leid, Mr. Green. Allerdings weiß ich nicht, wie ihn Ihnen weiterhelfen kann!"

"Kannten Sie sie gut?"

"Nein." Bulmer schüttelte den Kopf. "Sie war einige Male bei mir, weil sie sich für meine Studien interessierte..."

"Welche Studien?", fragte Kevin.

"Ich bin Wissenschaftler und hatte lange Jahre einen Lehrstuhl für Psychologie. Mit der Zeit begann ich mich besonders für parapsychologische Phänomene zu interessieren und habe versucht, auf diesem Gebiet einige empirische Testverfahren zu entwickeln..."

"Und okkulte Studien?", warf ich ein. Er sah mich an.

Kalt wie der Tod musterte er mich.

Sein Blick ließ mir einen Schauder den Rücken hinunterlaufen.

"Was soll die Frage?", fragte er zischend.

"Pamela interessierte sich sehr dafür. Ihre Wohnung war voll von entsprechender Literatur. Kurz vor ihrem Tod rief sie mich an und sprach von einer großen Gefahr..."

"Ach, ja?"

"Einer Gefahr, die von einem Wesen namens Quarma'an ausginge..."

Ein Ruck schien den dürren Mann zu durchfahren. Seine Körperhaltung verkrampfte sich. "Wissen Sie, ich bin ein Gentleman und spreche nicht gerne schlecht über Verstorbene. Aber was Miss Green angeht..."

"Ja?"

Er sah zu Kevin hinüber und fuhr fort: "Ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich das so offen sage, aber Ihre Schwester war psychisch recht labil..."

"Das ist mir nicht neu", erklärte Kevin.

"Um sich mit Okkultismus zu beschäftigen, sollte man aber seelisch sehr stabil sein, Mr. Green! Ansonsten kann man Dinge erleben, die einen womöglich über den Abgrund stürzen können..."

Jetzt erhob sich auch Kevin.

Seine Augen verengten sich etwas. Sein Blick drückte Skepsis aus. "Und Sie meinen, genau das ist mit Pamela geschehen?"

Bulmer hob ein wenig die Schultern und entgegnete: "Ich weiß es nicht. Ich kannte Ihre Schwester, als sie noch lebte, Mr. Green. Was Ihren Tod angeht, fragen Sie besser Scotland Yard..."

Kevin wollte noch etwas sagen, aber in diesem Moment klingelte das Telefon. Auf einer Kommode befand sich ein ausgesprochen altertümlich wirkender Apparat, der aus einem Museum zu stammen schien. Bulmer bedeutete Kevin mit einer Handbewegung zu schweigen und ging dann an den Apparat. Er nahm den Hörer ans Ohr und sagte kurz hintereinander zweimal ein fast tonloses "Ja." Dann legte er auf und sah uns an. "Wenn Sie wollen, können wir das Gespräch ein anderes Mal fortsetzen. Aber im Moment habe ich keine Zeit mehr... Sie werden mich jetzt sicher entschuldigen! Mr. Jenkins bringt Sie zur Tür." Er atmete tief, griff sich einen Moment an die Herzgegend. Auch wenn es seinem Gesicht nicht abzulesen war - irgend etwas schien Bulmer sehr aufgeregt zu haben. Vermutlich etwas, das er so eben erfahren hatte...

"Gehe Sie jetzt!", rief er dann, fast beschwörend. "Bitte!" Dann rief er Jenkins aus dem Nachbarraum herbei und dieser brachte uns wortlos zur Tür.

"Was ist plötzlich mit Mr. Bulmer los?", fragte ich ihn, als wir bereits draußen waren und auf das gusseiserne Tor zugingen.

Er gab keine Antwort.

Statt dessen blieb er stehen und öffnete das Tor per Fernbedienung.

Mit der Hand wies er dorthin.

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Kevin, der genauso verwirrt war wie ich. Irgend etwas Seltsames schien hier vor sich zu gehen.

Aber ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was.

"Auf Wiedersehen, Mr. Jenkins", sagte ich.

"Gehen Sie jetzt", erwiderte der Sekretär mit einer Stimme, deren Klang an klirrende Eiswürfel erinnerte.

"Kommen Sie, Jennifer", sagte Kevin. Ich fühlte seine Hand an meinem Arm.

Ein paar Schritte später hatten wir das gusseiserne Tor erreicht. Ein Quietschen ließ mich den Kopf zur Seite drehen. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich für den Bruchteil einer Sekunde etwas Dunkles, Schattenhaftes.

Es schien dicht neben einem der knorrigen und verwachsenen Bäume zu kauern.

Blitzartig wirbelte ich herum, Die Gittertür hatte sich bereits geschlossen. Meine Hände umfassten das kalte Metall und ich sah ungläubig und angestrengt zwischen den eisernen Stäben hindurch.

"Was haben Sie, Jennifer?"

"Da war etwas! Dort! Bei dem Baum!" Ich schluckte und fühlte, wie mein Puls zu rasen begann.

Kevin trat neben mich.

Seine Hände fassten zärtlich meine Schultern.

"Beruhigen Sie sich, Jennifer", sagte er sanft. "Dort ist nichts..."

Ich atmete tief durch. Er hatte recht. So sehr mich auch anstrengte, ich konnte das schattenhafte Etwas, das ich gerade zu sehen geglaubt hatte, nirgends entdecken. Fange ich vielleicht schon an, meine Traumvisionen und die Wirklichkeit durcheinanderzuwerfen?, ging es mir dann im nächsten Moment angstvoll durch den Kopf.

Ich war verwirrt.

Jenkins stand noch immer da und blickte starr in unsere Richtung, so als wollte er sichergehen, dass wir auch wirklich verschwanden.

Wir taten ihm den Gefallen.

Kevin legte den Arm um mich und ich ließ mich von ihm wegführen. "Mein Gott, Sie zittern ja...", hörte ich ihn wie von Ferne sagen.

"Halb so schlimm", erwiderte ich.

Aber das war eine Lüge.

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