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Ich stand vor der Tür des Hotelzimmers, hob die zur Faust gewordene Hand und wollte schon anklopfen, da hielt ich inne. Von drinnen war der einschmeichelnde, etwas melancholische Klang eines Saxophons zu hören. Einige Augenblicke lang lauschte ich der Melodie, dann klopfte ich doch. Kevin machte mir auf. Um den Hals hing sein Altsaxophon. Er sah mich an und lächelte.
"Hallo, Jennifer", sagte er
"Hallo."
"Komm herein. Bei deinem Handy scheint der Akku leer zu sein. Jedenfalls habe ich vergeblich versucht, dich anzurufen und es dann in der Redaktion versucht..."
"Ich weiß..."
Er küsste mich flüchtig auf die Stirn, während ich der Tür mit der Hacke einen Stoß gab, so dass sie hinter mir ins Schloss fiel.
"Eine schöne Melodie, die du da gespielt hast", sagte ich. "Ich habe einen Augenblick zugehört..."
Kevin stimmte das Stück erneut an. Eine langsame, wunderschöne Melodie. Er setzte das Mundstück wieder ab und sagte dann: "Es heißt Summertime und ist aus Porgy and Bess. Pamela hat dieses Stück sehr gemocht..." Die letzten Worte sprach er mit belegter Stimme. Er nahm das Instrument ab und legte es zur Seite. Er sah sehr nachdenklich aus, als er schließlich, nach einer kurzen Pause fort fuhr: "Ich hätte etwas für sie tun müssen, als sie noch lebte. Jetzt kann ich nur noch versuchen, ihren Tod aufzuklären..."
"Kevin..."
Er sah mich an.
Sein Lächeln wirkte etwas matt, aber dennoch konnte mich ein Blick von ihm verzaubern.
"Hast du schon etwas gegessen, Jennifer?"
"Nein."
"Welch ein Zufall, ich auch nicht. Zwei Straßen weiter gibt es ein indisches Restaurant, in dem ich schon seit Jahren einkehre, wenn ich in London bin... Wie wär's?"
"Warum nicht?"
"Dann komm..."
Er zog sich seine Jacke an und dann gingen wir einen Moment später Arm in Arm den Hotelflur entlang. Wir nahmen den Aufzug, küssten uns während der Fahrt hinab ins Erdgeschoss und gelangten dann in die Hotelhalle. Bevor wir hinaus ins Freie traten, hielt ich ihn an.
"Kevin", flüsterte ich.
Er sah mich an. "Was ist?"
"Als ich vorhin aus dem Verlagsgebäude kam, wurde ich verfolgt."
"Verfolgt?", echote er und hob dabei die Augenbrauen. "Von wem?"
"Ich konnte nicht mehr als einen Schatten sehen..."
"Vielleicht sind wir in ein Wespennest getreten und dieser Bulmer hat doch mehr mit Pamelas Tod zu tun, als er uns glauben machen will..."
"Ja", murmelte ich.
"Es scheint, als müssten wir in Zukunft sehr aufpassen." Er lächelte und sein starker Arm um meine Schulter beruhigte mich etwas. "Ich bin bei dir, Jennifer", sagte er. "Du brauchst keine Angst zu haben.
"Ich weiß", flüsterte ich.
Wir küssten uns erneut, dann gingen wir hinaus in die Nacht. Wer immer mir auch vor dem Verlagsgebäude aufgelauert haben mochte, es war unmöglich, dass er mir gefolgt war. Ich hatte keinen Wagen bemerkt, der nach mir den Parkplatz verlassen hatte und auf der Fahrt zu Kevins Hotel hatte ich einige Umwege gemacht, um ganz sicher zu gehen... Und doch blieb ein Rest von Furcht, der an meiner Seele nagte.
Ich konnte mir noch so oft sagen, dass das unbegründet war. Es war eine kühle Nacht. Der Wind schnitt einem unangenehm durch die Kleider. Aber Kevins Arm wärmte mich ein wenig. Wir gingen die mäßig beleuchteten Straßen entlang. Ich war etwas angespannt und suchte überall nach jener düsteren Gestalt...
Ich fand sie nirgends, aber ich wusste nicht, ob mich das wirklich beruhigen sollte.
"Ist es noch weit?", fragte ich.
"Nein. Wir sind gleich da."
Wir gingen schneller. Schließlich erreichten wir das Lokal, von dem Kevin gesprochen hatte und ich war froh, wieder innerhalb von vier Wänden zu sein. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Bedrohung hier weniger groß war - obwohl das natürlich Unsinn war.
Im Innern des Lokals herrschte Halbdunkel.
Das Licht von Kerzen erfüllte den Raum und ließ ihn warm und gemütlich erscheinen.
Wir setzten uns an einen Tisch in der Ecke. Und ich beschloss, es einen wunderschönen Abend werden zu lassen, ganz gleich, welche düsteren Schatten dort draußen in den Straßenschluchten auch lauern mochten. Kevin nahm meine Hand. Sie fühlte sich angenehm warm an.
"Ich möchte in dieser Nacht nicht allein sein, Kevin", flüsterte ich.
"Das brauchst du auch nicht, Jennifer!" Der Ober kam und nahm unsere Bestellung auf. Ich sah dabei kurz hinaus aus dem Fenster und glaubte für einen Moment, drüben auf der anderen Straßenseite etwas zu sehen. Etwas Dunkles, das kaum mehr als ein Umriss war, der sich gegen die das Licht der Straßenlaternen abhob.
Es begann zu regnen. Die Tropfen prasselten gegen die Scheibe und ich fragte mich, ob ich mir das alles nur einbildete, oder ob da draußen wirklich jemand oder etwas lauerte.
"Du hast ja eine Gänsehaut", stellte Kevin fest, als der Ober gegangen war.
"Es ist ein bisschen kühl hier."
"Findest du?"
Ich wollte jetzt einfach nicht noch einmal davon anfangen. Kevin sollte mich nicht für jemanden halten, der am Rande des Wahnsinns stand.
Hatte das nicht auch für Pamela gegolten?
Ich erschrak, als mir die Parallele bewusst wurde.