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Der Regen ließ ein wenig nach und wir stiegen aus. Wir überquerten die Straße und ich berührte mit der Rechten den kalten, feuchten Stein, aus dem die Mauer war.
"Dieses Grundstück grenzt direkt an Bulmers Anwesen an", stellte Kevin fest. "Es scheint nicht bebaut zu sein. Zumindest nicht mit einem mehrstöckigen Haus, das über die Mauer hinüberragen würde..."
"Aber das Unkraut ragt inzwischen an manchen Stellen schon hinüber", erwiderte ich nachdenklich, während meine Hand noch immer über den Stein strich.
"Ein verwildertes Grundstück, weiter nichts. Vermutlich ein Spekulationsobjekt. Der Besitzer will warten, bis der Preis noch ein bisschen weiter gestiegen ist, was ja wohl in dieser Wohngegend nur eine Frage der Zeit sein dürfte. Oder fehlt ihm das Geld, um zu bauen..."
"Komm", sagte ich leise.
"Ich weiß nicht, wonach du eigentlich suchst!" Ich konnte es ihm auch nicht sagen, noch ihm von meinem Traum erzählen. Nur Tante Marge und ich wussten von meiner Gabe. Und das sollte auch auf absehbare Zeit so bleiben. Wir gingen die Straße entlang bis zur Ecke, wo eine kleine Seitenstraße abzweigte.
"Dort ist ein Eingang", stellte ich mit ausgestreckter Hand fest und deutete auf ein gusseisernes Tor, das dem recht ähnlich war, dass den Besitz von Morris Bulmer abgrenzte. Nach ein paar Schritten hatten wir es erreicht. Es war beinahe durchgerostet.
Dahinter befand tatsächlich ein völlig verwildertes Grundstück, in dessen Mitte sich ein kleines, nicht sehr hohes Gebäude aus grauem Stein befand, dessen Mauern ebenfalls von Rankpflanzen überwuchert waren.
Und doch erkannte ich sofort, was das für ein Gebäude war und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag vor den Kopf.
"Ein Mausoleum", flüsterte ich. "Das ist eine Grabstätte, Kevin. Vermutlich eine sehr alte, denn heutzutage ist es natürlich nicht mehr erlaubt, so ein Ding einfach mitten in einem Wohngebiet zu errichten..."
"Meinst du, Bulmer war - hier?"
"Zur Beschwörung von Quarma'an braucht man doch die Energie von Totengeistern", gab ich zu bedenken.
Ich stieß die Gittertür an.
Sie war nicht abgeschlossen. Der Bügel, der sie eigentlich hätte verschließen sollen, war längst durchgerostet. Mit einem unangenehmen Quietschlaut öffnete sie sich. Kevin zuckte die Achseln.
"Sehen wir es uns an", meinte er.
Der Regen verebbte zwar fast vollends, aber unsere Köpfe waren ohnehin schon nass. Und unsere Füße wurden es jetzt auch, als wir durch das hohe und wohl schon seit Jahren nicht mehr geschnittene Gras traten. An manchen Stellen war es plattgetreten. Ein Zeichen dafür, dass dieses Grundstück von einer ganzen Reihe von Menschen betreten worden war. Und zwar vor noch nicht so langer Zeit...
Unter unseren Füßen knackte es.
Zwischen den wild wuchernden Gebüschen und den knorrigen und verwachsenen Bäumen, die mich irgendwie an jene erinnerten, die auf Bulmers Anwesen zu finden waren, konnten wir schließlich für einen Moment bis zur anderen Seite des Grundstücks blicken und so konnte ich sehen, dass eine dichte Dornenhecke den Zugang zu Bulmers Grundstück versperrte. Dann hatten wir das Mausoleum erreicht.
Der graue Stein, aus dem es erbaut war, wirkte kalt und abweisend. Der Säuleneingang war einen antiken Tempel nachempfunden und wirkte auf mich in diesem Moment wie die Pforte zur Hölle...
Ich spürte instinktiv, dass hier der Schlüssel zu allem lag...
Wir traten zwischen den Säulen hindurch.
"Dort scheint eine Inschrift zu sein", stellte Kevin fest und riss ein paar Ranken zu Seite. Die in den Stein gemeißelte Schrift war schon beinahe gänzlich verblasst. Nur ein Wort war noch einigermaßen deutlich zu lesen.
Cooper.
"Vermutlich der Name derer, die hier ihre Familiengruft errichteten", meinte ich. "Dem Aufwand nach, der hier getrieben wurde, muss es sich um eine recht einflussreiche Familie gehandelt haben..."
Eine Treppe führte hinab und ich zögerte unwillkürlich als ich die Stufen vor mir sah. Aber ich wusste, dass dort unten vielleicht eines jener Geheimnisse auf mich wartete, denen ich auf der Spur war...
Unten angekommen traten wir in einen ziemlich dunklen, gruftartigen Raum, in dem sich insgesamt fünf steinerne Sarkophage befanden, die mit seltsamen Zeichen bemalt worden waren.
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Dies war jene Gruft, die ich in meinem Traum gesehen hatte.
Auf einem der Sarkophage stand ein fünfarmiger Kerzenleuchter.
Das wenige Licht, das durch den Eingang herein schien, ließ auf der kalten Steinwand seltsame Schattengebilde entstehen. Ich trat näher und bemerkte fünf Kreise, die in den Stein hineingeritzt worden waren und zusammen wiederum kreisförmig angeordnet waren.
"An diesem Ort haben sie Quarma'an beschworen", flüsterte ich in die gespenstische Stille hinein. "Siehst du die Zeichen auf den Sarkophagen? Sie haben versucht, sich die Energie der Toten nutzbar zu machen..."
Es war Kevin anzusehen, wie unwohl er sich im Moment hier fühlte.
"Und du meinst, meine Schwester hat sich an so etwas beteiligt?"
"Ja", murmelte ich. Ich merkte, dass ich auf etwas getreten war, bückte mich und hob es auf. Es war ein mit rotem Stoff überzogener Knopf, in den die Initialen P.G. eingestickt waren.
Pamela Green!
"Hier!"
Ich reichte Kevin den Knopf. Er hielt ihn ins Licht und sagte dann schluckend. "Ich habe Pamela mal ein rotes Kleid zum Geburtstag geschenkt, an dem hinten so ein Knopf war... Sie war also wirklich hier!"
Seine Faust umschloss den Knopf und sein Gesicht bekam etwas Grimmiges.
Ich fasste ihn am Arm und fügte hinzu: "Ich glaube, sie ist hier umgebracht worden, Kevin!"
Im nächsten Moment drang von draußen ein dumpfer, kehliger Laut an unsere Ohren. Ein Laut, von dem nicht zu sagen war, ob ein Tier oder ein Mensch ihn ausgestoßen hatte. Ich klammerte mich unwillkürlich an Kevin fest und als wir uns dann anblickten, sah ich, dass auch ihm dieses Geräusch durch Mark und Bein gegangen war.
"Mein Gott, was war das?", flüsterte er.