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Ein Augenblick kann eine Ewigkeit sein und eine Ewigkeit in einem Augenblick vergehen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit verronnen war und ob ich mich noch in dieser oder schon in der nächsten Welt befand. Alles drehte sich vor meinen Augen. Irgendwo aus dem Hintergrund hörte ich dann eine Stimme Worte murmeln.
Es klang erst wie aus weiter Entfernung.
Die Stimme klang bekannt, die Worte entstammten einer fremden, sehr archaisch klingenden Sprache, der die Aura des Uralten anhaftete.
Die Finsternis um mich herum schien zu verblassen und langsam durchsichtig zu werden wie schwarze Rauchschwaden, die sich verteilen.
Die Stimme!
Jetzt wusste ich, wem sie gehörte.
Es war Tante Marge!
Ich fühlte wie der Druck um meinen Hals nachließ und die dunklen, monströsen Arme, deren Hände sich würgend um meine Gurgel gelegt hatten, sich nach und nach auflösten. Ich taumelte und fühlte den Boden unter mir, als ich hinfiel. Dann rang ich nach Luft, wollte etwas sagen, brachte aber zunächst keinen Ton heraus.
In der Tür stand Tante Marge. Ich blickte zu ihr hinauf und bemerkte das Buch, das sie in der Rechten hielt. Es waren die Schriften von Al-Tarik.
Ich erkannte den Einband sofort wieder.
"Jenny!", rief sie, kam herbei und beugte sich zu mir hernieder.
"Oh, Tante Marge... Ich dachte schon..."
"Ja, es war sehr knapp", sagte Tante Marge.
"Das war er!", rief ich, immer noch erfüllt von namenloser Angst. "Dieser Schatten hat mich schon einmal verfolgt!" Ich sah Tante Marge an und fragte sie dann nach einer kuren Pause und mit wispernder, zaghafter Stimme: "Das war Quarma'an, nicht wahr?"
Tante Marge nickte.
"Ja, mein Kind. Daran gibt es für mich keinen Zweifel."
"Aber wie kommt es, dass ich jetzt noch lebe? Ich konnte diese kalten groben Hände bereits um meinen Hals herum spüren..."
"Es muss furchtbar gewesen sein, Jenny!" Ich sah auf das Buch in Tante Marges Hand. "Was hast du gemacht?"
Ein mildes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie strich mir das durcheinandergewirbelte Haar aus dem Gesicht.
"Jaffar Al-Tarik hat in seinen Schriften beschrieben, wie sich Quarma'an beschwören lässt. Aber er beschreibt auch Rituale, die ihn wieder bannen können. Und ein solches habe ich angewandt... Ich bin so froh, dass es funktioniert hat!"
"Sonst wäre ich jetzt tot", stellte ich fest.
"Ja."
Ich wagte es kaum auszusprechen, fragte dann aber doch, weil es mir einfach keine Ruhe ließ.
"Kann dieses Wesen zurückkehren?"
"Jederzeit", war Tante Marges ernüchternde Antwort. "Du musst dir das Ritual und die entsprechenden Worte einprägen, mein Kind! Sonst bist du beim nächsten Mal vielleicht verloren..."
"Ja", murmelte ich abwesend.
Ich erhob mich und Tante Marge half mir dabei. Mir war etwas schwindelig und um den Hals herum hatte ich noch immer ein leichtes Druckgefühl. Vielleicht würde ich ein paar blaue Flecken zurückbehalten, aber ansonsten war nichts geblieben. Ich atmete tief durch.
"Bulmer wird dieses Monstrum geschickt haben", stellte ich fest. "Schließlich nennen er und die seinen sich doch DIE HERREN QUARMA'ANS!"
"Ja", sagte Tante Marge sehr ernst. "Ich fürchte du hast recht."
Allein der Gedanke an das, was soeben geschehen war, trieb mir bereits kalte Angstschauer über den Rücken.
Aber die Gefahr war noch keineswegs vorbei!
Irgendwo da draußen lauerte ein furchtbarer Mörder auf mich, vor dem auch Scotland Yard mich kaum würde schützen können. Er würde es wieder und wieder versuchen und nicht eher ruhen, bis er sein Ziel erreicht hatte...
"Tante Marge, ich muss telefonieren", sagte ich.
"Warum?"
"Ich muss wissen, wie es Kevin geht. Wenn Bulmer die Herrschaft über dieses Wesen hat, dann wäre es doch genauso möglich, dass auch er auf seiner Todesliste steht..." Nur ein paar Augenblicke später hatte ich den Hörer in der Hand und wählte seine Nummer. Ich hoffte, dass ich ihn erreichen würde und atmete innerlich auf, als ich dann endlich seine Stimme hörte.
"Ja?"
"Oh, Kevin..."
"Jennifer! Was ist los?"
"Wir müssen uns treffen!"
"Jetzt? Um diese Zeit?"
"Ja, jetzt!"
"Gut", sagte er. "Ich nehme mir ein Taxi und bin gleich bei dir."
"Bis gleich", wisperte ich. Der sicherste Ort in dieser verfluchten Nacht war vermutlich jetzt die Villa von Tante Marge. Ich konnte es kaum noch erwarten, ihn in die Arme zu schließen.