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"Ich frage mich, wie der Tod von Jenkins in die ganze Sache hineinpasst!", meinte Kevin auf dem Weg zum Wagen. "Andererseits - Pamela war ja wohl auch Mitglied dieses merkwürdigen Zirkels. Und sie ist ebenfalls ermordet worden."

"Ich schlage vor, wir fragen Bulmer selbst", erwiderte ich.

"Schließlich hat er uns doch gewissermaßen für heute morgen eingeladen!"

"Das war Jenkins!", korrigierte mich Kevin. "Und der weilt bekanntlich nicht mehr unter den Lebenden..."

"Ein Grund mehr, Bulmer aufzusuchen, findest du nicht?" Kevin verstand mich.

"Du möchtest seine Reaktion auf diese Nachricht sehen, nicht wahr?"

Ich zuckte die Schultern. "Vielleicht ist es für ihn ja gar keine Neuigkeit!"

"Durchaus möglich!", zischte Kevin zwischen den Zähnen hindurch.

Es war ein grauer, wolkenverhangener Tag. Einer von jener Sorte, an denen es überhaupt nicht richtig hell zu werden schien. Zusätzlich kam noch dichter Nebel auf, der aus der Themse aufgestiegen war und sich wie ein übler Geist über die Stadt gelegt hatte.

Der Nebel kroch durch die Straßen und im Radio konnte man hören, dass es deswegen schon einige Unfälle gegeben hatte. Eigentlich hätte man meinen können, dass die Londoner sich irgendwann daran gewöhnt hatten. Für manche schien das nicht zu gelten.

Als wir Bulmers Villa erreichten und ausstiegen, fröstelte ich unwillkürlich und auch Kevin zog sich den Kragen seiner Jacke hoch.

Wir traten an das gusseiserne Tor und waren beide etwas überrascht, als es sich diesmal öffnete, ohne dass einer von uns dafür die Klingel betätigt hätte.

"Scheint so, als hätte man uns beobachtet!", sagte Kevin.

"Ja."

Etwas zögerlich gingen auf den Eingang zu.

Die seltsam verwachsenen Bäume mit ihren Totempfahlgesichtern ähnlichen Stämmen sahen in dem dichten Nebel noch gespenstischer aus, als ohnehin schon. Eine eigentümliche Atmosphäre hing über der Villa.

Die Haustür öffnete sich und ein Butler mit bewegungsloser Miene trat heraus. Er war irgendwo in den Fünfzigern, aber sein Alter war schwer zu schätzen.

Sein Gesicht hatte etwas Maskenhaftes.

"Kommen Sie herein!", sagte der Butler auf eine Art und Weise, die mir nicht gefiel.

"Ist Mr. Bulmer bereit, mit uns zu sprechen?"

"Ja."

Wir folgten ihm in den Salon, in dem Mr. Bulmer uns schon einmal, wenn auch kurz recht kurz, empfangen hatte. An der langen Tafel saß ein gutes Dutzend Männer und Frauen. Sie waren dunkel und festlich gekleidet, fast wie auf einer Beerdigungsgesellschaft.

Die Anwesenden hatten die Augen geschlossen und fassten sich mit angestrengt wirkenden Gesichtern bei den Händen. Bulmer war auch unter ihnen.

Mitten auf dem Tisch lag der Totenschädel, der bei unserem ersten Besuch in einem der Bücherregale gestanden hatte. Der Schädel leuchtete leicht grünlich. Der helle Schimmer, der ihn umgab schien zu pulsieren.

Als ich kurz zu Kevin hinüberblickte, sah ich die Verwunderung in seinem Gesicht. Aber er sagte nichts. Die Augen der Anwesenden öffneten sich.

Das Leuchten um den Schädel herum verschwand.

"Fühlt sie, die Kraft der Totengeister!", war Bulmers brüchige Stimme zu hören. Der alte Mann atmete tief durch. In seinen Augen blitzte es. "Denkt daran! Es ist die stärkste Energiequelle der Welt..."

Dann sah Bulmer erst mich und dann Kevin an.

Seine Augenbrauen hoben sich. Das Gesicht des dürren Mannes war bleich wie der Nebel, der draußen um die Villa kroch. Bulmer erhob sich.

"Wir haben Sie erwartet", sagte er. "Früher oder später..."

"Wirklich?", fragte ich. "Haben Sie nicht versucht, mich umzubringen - oder besser gesagt: mich umbringen zu lassen?"

"Möchten Sie etwas zu trinken, Miss Dexter?" Bulmer lächelte auf eine Art und Weise, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. Ein teuflisches Lächeln, das einem unwillkürlich das Gefühl gab, sich in einer Falle zu befinden... "Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink gebrauchen..."

"Nein, danke", erwiderte ich kühl.

"Wie Sie wollen, es macht wirklich keine Umstände." Er ging um die Tafel herum und blieb dann in einiger Entfernung von uns stehen. Die Blicke aller Anwesenden waren starr auf uns gerichtet. "Es war übrigens nicht sehr nett von Ihnen, uns Scotland Yard auf den Hals zu hetzen..."

"Wundern Sie sich wirklich darüber?", mischte sich jetzt Kevin ein. "Schließlich ist Scotland Yard doch für Mord zuständig und meine Schwester wurde ermordet!" Bulmer wandte ruckartig den Kopf. Sein Mund verzog sich etwas, bevor er dann kühl erwiderte: "Sie verdächtigen mich..." Er deutete mit der Hand zu den anderen hin. "Oder uns?"

"Sie haben ein Wesen mit dem Namen Quarma'an beschworen", stellte ich fest. "Ein Wesen, das wie geschaffen als Mörder ist... " Ich deutete aus dem Fenster. "Dort drüben in der Gruft des Cooper-Mausoleums hat das alles stattgefunden!

Denn nach den Schriften von Jaffar Al-Tarik, braucht man die Kraft von Totengeistern, um Quarma'an beschwören zu können. So ist es doch, nicht wahr? Vermutlich haben Sie das bereits damals in Cambridge versucht..."

Ich ging sehr selbstbewusst auf Bulmer zu und sah dem hochgewachsenen dürren Mann direkt in die Augen. Dort sah ich ein unruhiges Flackern.

Was mochte nur hinter dieser faltigen Stirn vor sich gehen?

Sein Gesicht musterte mich kalt und regungslos.

"Sie kennen Al-Tarik?", lächelte er dann wölfisch. Er zuckte die Schultern. "Sieh an, Sie überraschen mich!"

"Ich habe keine Angst vor Ihnen, Sir! Obwohl ich in der letzten Nacht beinahe durch Ihren dämonischen Diener ums Leben gekommen bin!"

"Was Sie nicht sagen, Miss Dexter!"

"Ich kenne das Ritual, das Quarma'an bannen kann! Es steht in Al-Tariks Schriften!"

"Meine Teure, Sie überschätzen sich vielleicht ein bisschen..." Er wandte sich zu den anderen und fragte: "Was meinen Sie, meine Herrschaften? Sollten wir der jungen Dame nicht auch noch die wenigen Mosaiksteinchen geben, die sie noch nicht kennt?"

"Wie Sie meinen, Mr. Bulmer", meldete sich ein Mann mit dunklem Vollbart zu Wort. "Aber wir sollten nicht mehr allzu viel Zeit verlieren..."

"Keine Sorge, Flanagan."

Bulmer wandte sich wieder an mich und Kevin.

"Warum musste Pamela sterben?", fragte Kevin.

"Es war ein..." Bulmer zögerte, ehe er weitersprach. "Ein Unfall! So kann man es bezeichnen!"

"Sie wurde erwürgt!", knurrte Kevin ärgerlich. Ich berührte leicht seinen Arm, um ihn etwas zu beruhigen. Wir mussten in dieser Situation kühlen Kopf bewahren.

Ich hob ein wenig den Kopf.

"Eines vorweg!", sagte Bulmer. "Sie können nichts beweisen. Die Wahrheit wird Ihnen niemand glauben. Sie, Miss Dexter mögen inzwischen erfahren haben, dass die Schriften eines Jaffar Al-Tarik nicht die Wahnideen eines mauretanischen Mystikers ist, der sich mit allerlei Essenzen in rauschartige Zustände zu versetzen beliebte... Aber kein Gericht der Welt wird dergleichen anerkennen. Keines!" Um seine letzten Worte zu unterstreichen, machte er eine heftige, schnelle Bewegung mit der Hand, die aussah, als würde er mit einer Axt in einen Baum hineinschlagen.

"Ich fürchte sogar, dass Sie da recht haben könnten", musste ich leider zugeben.

Bulmer fuhr fort.

"Nun zu Pamelas Tod. Wir haben die Leiche in den Fluss geworfen, damit unser Zirkel möglichst nicht mit ihrer Ermordung in Verbindung gebracht würde - was ohne Ihre hartnäckigen Ermittlungen ja auch so geschehen wäre. Aber keiner in diesem Raum ist für ihren Tod verantwortlich, Miss Dexter! Das müssen Sie uns glauben."

"Werden Sie das auch sagen, wenn man Sie eines Tages nach dem Verbleiben von Mr. Jenkins, ihrem Sekretär fragt?" Ich sah den Schrecken und das blanke Entsetzen in den Gesichtern der Anwesenden.

"Genug!", sagte eine Frau in den mittleren Jahren, die ein ziemlich edles Collier um den Hals trug. Aber Bulmer gebot ihr mit einer Handbewegung zu schweigen.

Er sah mich an.

Sein Blick schien auf den Grund meiner Seele dringen zu wollen, aber ich hielt ihm stand.

Das schien ihn ein wenig zu verunsichern. Er lächelte flüchtig.

"Die Wahrheit, Miss Dexter?"

"Ich bitte darum!"

"Die Wahrheit ist, dass Quarma'an nicht der gehorsame Diener ist, den Jaffar Al-Tarik beschrieb. Es ist ein rätselhaftes Wesen aus einer anderen Existenzebene. Und es lässt sich zur sehr mühsam unter Kontrolle halten. Wir alle kannten das Risiko, aber die Macht, die die Kontrolle über Quarma'an bedeutete, faszinierte uns. Zunächst klappte alles hervorragend! Dieses mörderische Schattenwesen ließ sich nach Al-Tariks genauen Angaben beschwören und auch wieder bannen. Aber dann begannen die Schwierigkeiten. Zeitweilig verweigerte es den Gehorsam und das Bannritual begann immer häufiger seine Wirkung zu versagen..." Wieder erschien jenes teuflische Lächeln auf seinem Mund. "In der letzten Nacht haben Sie offenbar Glück gehabt, Jennifer!"

"Und Pamela?"

"Sie war eine der ersten von uns, die vor der Gefahr zurückschreckte. Ich persönlich glaubte, alles noch unter Kontrolle halten zu können..."

"Sie glauben das jetzt nicht mehr?", hakte ich nach. Er gab darauf keine Antwort.

Statt dessen fuhr er dann fort: "In der Nacht, in der Pamela starb war ich mit einigen einflussreichen Freunden, die meine Forschungen finanzieren, zum Abendessen..."

"Und diese Freunde würden Ihnen jederzeit ein Alibi geben, nicht wahr? Ich habe mit Inspektor Barnes gesprochen..."

"Ja, das würden sie. Obwohl ich viel früher zurückkehrte, weil mir das Essen nicht bekam. Das sind die Tücken des Alters, Miss Dexter! Ich kehrte zurück und sah sofort, das etwas nicht stimmte." Er ging zum Bücherschrank und nahm einen bestimmten, in kostbares Leder gebundenen Folianten heraus. Ich erkannte sofort die arabische Kalligraphien. "Es war mein Exemplar der Schriften von Jaffar Al-Tarik, das fehlte. Jenkins hatte Pamela hereingelassen. Warum auch nicht? Sie war oft hier und unterstützte mich bei meinen Studien. Sie suchte Sinn in Ihrem Leben und das Geheimnis hinter der sichtbaren Oberfläche..."

"Erzählen Sie weiter!", forderte Kevin Green mit hartem Unterton.

"Kurz gesagt, Ihre Schwester versuchte, Quarma'an mit dem Bannritual herbeizulocken und zu bannen. Aber bevor sie die Zeremonie beenden konnte, tötete das Wesen sie." Er atmete tief durch, ehe er mit belegter Stimme fort fuhr. "Als ich merkte, dass das Buch fehlte, folgte ich Pamela zur Gruft. Aber ich kam zu spät. Ich konnte nur noch beobachten, wie dieses schreckliche Wesen, dass ich in diese Welt geholt hatte, sie mit seinen monströsen Händen erwürgte..." Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.

"Und Jenkins?", fragte ich dann. "Warum wurde er getötet?" Bulmer schluckte.

Er senkte den Kopf ein wenig und die Enttäuschung, die er empfand, war ihm deutlich anzumerken.

"Wir haben die Kontrolle über Quarma'an verloren... Er ist jetzt frei und tötet... Mr. Jenkins ist eines seiner Opfer." Die Vorstellung, ein solches Wesen als willenloses Tötungswerkzeug in den Händen eines Wahnsinnigen wie Bulmer zu wissen, war schon beklemmend genug.

Aber der Gedanke, Quarma'an geisterte völlig ohne Kontrolle durch die Straßen Londons war ein Wirklichkeit gewordener Alptraum.

"Es gibt jetzt nur noch eins, was diese hungrige Bestie vielleicht stoppen kann", flüsterte Bulmer.

"Was?", murmelte ich, während ich kommende das Verhängnis bereits zu spüren glaubte.

"Sie scheinen die Schriften Al-Tariks nicht sonderlich intensiv gelesen zu haben, Miss Dexter! Ich muss sagen, Sie enttäuschen mich!" Er trat etwas näher an mich heran. Sein Blick gefiel mir nicht. Die Augen traten jetzt etwas hervor aus diesem Gesicht, dessen Ähnlichkeit mit einem Totenschädel unverkennbar war. Bulmer sprach sehr leise: "Es gibt ein Ritual, das Quarma'an vielleicht stoppen und für Äonen von dieser Welt verbannen kann. Allerdings braucht man zu seiner Durchführung die eine besondere Kraft..." Er lächelte breit und zynisch, als er fort fuhr: "Die Energie der Geister von mindestens zwei gerade verstorbenen Menschen!" Kevin machte eine schnelle Bewegung rückwärts, erstarrte dann aber abrupt.

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich plötzlich in den Händen des Butlers etwas Metallisches.

Es handelte sich um nichts anderes als den blanken Lauf eines Revolvers.

"Wir sollten jetzt wirklich keine Zeit mehr verlieren!", forderte Flanagan, der Mann mit dem Vollbart.

"Sie haben recht", sagte Bulmer kalt. "Diese beiden schickt uns der Himmel!"

Auch in seiner Hand war jetzt eine Waffe, die er soeben aus seiner Jacketttasche herausgezogen hatte.

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