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Wir wurden hinausgeführt. Draußen schlug uns die feuchte Kühle des Nebels entgegen, der noch dichter geworden zu sein schien. Bereits die seltsam verwachsenen Bäume waren nun kaum mehr als düstere Schatten.
Irgendwo krächzte ein Rabe.
Ein unheimlicher Ort.
"Was haben Sie genau vor?", fragte ich.
"Lassen Sie sich überraschen!", lachte Bulmer, in dessen Fingern sich noch immer ein Revolver befand, mit dem er locker herumschwenkte.
Der ganze okkulte Zirkel war mit uns ins Freie gegangen. Der Butler hatte einigen eine Waffe gegeben, deren Läufe nun allesamt auf uns gerichtet waren. Widerstand schien völlig zwecklos.
Kevin wurde von zwei bewaffneten Männern in die Mitte genommen, die ihn fest am Arm hielten.
Um mich kümmerte sich der düstere Butler, der mir den Lauf seiner Waffe fast schmerzhaft in den Rücken drückte.
"Wir nehmen am besten den Weg durch den Garten!", meinte der bärtige Flanagan.
Bulmer schien nichts dagegen einzuwenden zu haben. Schließlich würde es nur Aufsehen erregen, wenn sie uns die Straße entlang bis zu dem verrosteten Eisentor führten... Wir durchquerten den gespenstischen Garten. Der Nebel kroch in Schwaden auf dem Boden herum und bald schon war das Haus in unserem Rücken nichts weiter, als ein einziger drohender dunkler Schatten...
Wir erreichten die Dornenhecke, die die Grenze zum Nachbargrundstück bildete. Man musste aufpassen, um auf dem unebenen, tiefen Boden nicht zu stolpern. Als es mir einmal passierte, hielt Flanagan das für einen Trick und packte mich daraufhin recht grob am Oberarm.
"Weiter!", zischte er mir ins Ohr.
Es war nicht ganz leicht, auf diesem Weg auf das andere Grundstück zu gelangen. Bulmers Helfershelfer traten die Dornengewächse zur Seite so gut es ging. An einer Stelle war in der Hecke eine Lücke, die jedoch längst von anderen Gewächsen zugewuchert worden war.
Schließlich waren wir auf der anderen Seite.
Durch das hohe, nasse Gras gingen wir auf das Mausoleum zu. Ein dumpfer, knurrender Laut, ließ dann auf einmal alle erstarren. Angstvolle Blicke wurden gewechselt und selbst in Bulmers Augen sah ich die Furcht aufblitzen.
"Los, schneller...", flüsterte der Okkultist. Er atmete schwer und griff sich an die Herzgegend.
"Er ist hier, nicht wahr?", stellte ich fest.
"Es zieht ihn immer wieder hier her zurück", sagte Bulmer.
"An den Ort, an dem er beschworen wurde und in unsere Welt trat..."
Irgendwo in den dichten Nebelschwaden schien sich etwas zu bewegen und ich hatte das Gefühl, als würde eine grabeskalte Hand sich auf meinen Rücken legen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, etwas Dunkles sehen zu können... Einen Umriss...
Wir hatten das graue, von Rankpflanzen überwucherte Gemäuer des Cooper-Mausoleums erreicht.
"Es muss jetzt schnell gehen!", forderte Bulmer, während er als er erster durch die Säulen trat.
Dann ging es die steile und ein wenig rutschige Steintreppe hinab in die dunkle Gruft. Kalter Modergeruch stieg mir entgegen und ich fröstelte unwillkürlich.
Hier unten sollte unser Leben also enden...
Ich versuchte mich verzweifelt zu wehren, aber Flanagans Griff war eisern und der Lauf seiner Waffe überzeugte mich schnell, dass es absolut sinnlos war.
Ich sah die fünf Steinsarkophage. Bulmer zündete den fünfarmigen Leuchter an und stellte ihn auf den mittleren Sarkophag. Seine Leute bildeten einen Halbkreis.
"Jetzt werden Sie uns töten!", zischte Kevin zwischen den Zähnen hindurch. "Bringen Sie es schon hinter sich!"
"Nicht sofort!", erwiderte Bulmer mit einem nervösen Zucken um die Mundwinkel. "Wir brauchen die Energie Ihrer Totengeister in einem ganz bestimmten Augenblick... Und erst in diesem Augenblick werdet ihr sterben..." Bulmer hatte Al-Tariks Buch bei sich. Mit zitternden Fingern legte er das Buch erst auf einen der Sarkophage, schlug eine bestimmte Seite auf und nahm es dann in die linke Hand. Seltsame Worte in einer längst vergessenen Sprache kamen ihm dann über die Lippen.
Die anderen waren derweil in eine Art dumpfen Singsang verfallen. Immer wieder kamen dieselben Worte über ihre Lippen und auch sie waren unverständlich.
Mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen betrachtete ich Bulmers Gesicht, das sich zunehmend veränderte. Er wirkte wie unter einer geradezu übermenschlichen Anstrengung. Die Adern an seiner Schläfe traten deutlich hervor, die Augen wurden sehr groß und kam aus ihren Höhlen. Das Gesicht wurde zu einer Maske, deren harte Linien an die Konturen der verwachsenen Bäume im Garten seiner Villa erinnerten.
Es war eine gespenstische Verwandlung, die sich da vollzog. Hinter ihm, an der grauen, modrigen Steinwand dieser Gruft tanzten derweil bizarre Schattengebilde.
Ein Luftzug ließ die Kerzenflammen des Leuchters hin und her flackern.
Ein tierischer, sehr tief klingender Ruf, der kaum etwas Menschliches an sich hatte, drang dann plötzlich wie ein Messer durch diese Geräuschkulisse.
Dieser Ruf kam von draußen und fuhr mir durch Mark und Bein. Das war er.
Quarma'an!
Im nächsten Moment sah ich, wie sich ein eigentümliches Leuchten um die Steinsarkophage herum bildete. Es war eine Art Aura. Die Kraft der Toten! dachte ich. Aber in diesem Fall würde jene Energie nicht reichen.
Sie brauchten die Seelen von mindestens zwei gerade Verstorbenen...
Unsere Seelen!
Ich schluckte.
Das Leuchten wurde stärker und stärker.
Bulmer hob die Hände.
"Komm, oh, Quarma'an!", rief er. "Kehre zurück! Zurück zu deinem Ursprung! Du kannst dich diesem Ruf nicht entziehen!" Die Stimme des Okkultisten war brüchig und heiser, so als wäre er sich seiner Sache selbst nicht so ganz sicher. Sein Körper zitterte unter einer offenbar enormen Anspannung. Wieder drang ein dumpfer, tierischer Laut vom Eingang der Gruft. Das Kerzenlicht flackerte heftiger.
In diesem Moment schossen grellweiße Strahlen aus den steinernen Sarkophagen heraus und vereinigten sich an einem bestimmten Punkt mitten im Raum zu einer gleißenden Lichtkugel, die dicht unter der düsteren Decke der Gruft schwebte.
Sie pulsierte langsam.
Ich war so geblendet, dass ich von Bulmers Handbewegung kaum mehr als eine vage Ahnung wahrnahm.
"Jetzt!", rief er. "Tötet sie!"