Pierre setzte sich auf einen Stuhl vor der vergitterten Bar und biss in das brioche au praliné, das er sich in der Bäckerei nebenan gekauft hatte. Er war sehr zufrieden mit seiner Wahl. Das buttrig-saftige Gebäck mit der Schokoladenfüllung und der Zuckerglasur war genau das Richtige, um seine Laune zu heben. Jetzt fehlte eigentlich nur noch eine Tasse gesüßter café noir, dann wäre seine Welt zumindest einigermaßen wieder in Ordnung.
Er fragte sich, ob die Ortung von Gilbert Langlois’ Telefon, von der Luc ihm geschrieben hatte, erfolgreich ausgegangen war. Während er ungeduldig auf eine weitere Nachricht seines Assistenten wartete, fühlte er sich, als wohne er dieser unerwarteten Entwicklung vom Zuschauerraum aus bei. So als säße er vor einem verschlossenen Vorhang, hinter dem das Theaterstück bereits begonnen hatte.
Das Schlagen der Kirchturmglocke ließ Pierre zusammenschrecken, er sah auf die Uhr. Es war halb fünf. Cosima war nun schon seit mehr als einer halben Stunde alleine, es war höchste Zeit, zum Auto zurückzukehren. Er steckte sich den Rest der brioche in den Mund und beschleunigte den Schritt, als sein Telefon klingelte. Es war Luc. Er nahm den Anruf sofort entgegen.
»Gut, dass du zurückrufst.«
»Es ging nicht früher«, kam die Antwort. »Hier war echt die Hölle los. Erst die ganzen Befragungen und dann sogar eine Festnahme. Wir haben es tatsächlich geschafft.« Er holte kurz Luft und beendete hastig den Satz. »Wir haben das Mobiltelefon von Langlois.«
Das war definitiv eine große Neuigkeit. »Erzähl!«
Gebannt lauschte Pierre dem Bericht seines Assistenten, der von der Festnahme des Waldarbeiters berichtete und von der Hoffnung, dass die Kollegen von der Kriminaltechnik die Daten des Mobiltelefons wiederherstellen könnten.
»Ein Waldarbeiter«, wiederholte Pierre etwas ratlos, weil diese Information nicht in seine bisherigen Überlegungen passte. Dabei zerknüllte er die Bäckereitüte, als sei sie einer dieser Antistressbälle. »Hält der Commissaire den Mann für den Täter?«
»Ich habe nicht mit Lechat gesprochen, er ist doch zurzeit anderweitig beschäftigt. Nur mit Lieutenante Fenech, aber die wollte sich nicht weiter dazu äußern.« Es klang höchst frustriert. »Ich bin jetzt auf der Wache und warte auf weitere Anweisungen. Und, wie war dein Tag?«
»Interessant.« Ja, das traf es wohl am besten. »Es ist viel passiert, und ich habe ein paar dringende Fragen … Vielleicht wäre es doch besser, dass wir uns treffen, statt die Sache am Telefon zu besprechen.«
»Gute Idee, Chef. Was hältst du davon, wenn wir im Chez Albert zu Abend essen?«
»Das geht leider nicht«, antwortete Pierre. »Ich bin mit Charlotte verabredet.«
»Dann komm doch in die Wache. Ist sowieso besser wegen der neuen Stellwand. Da ist alles draufgepinnt, was wir für die Besprechung brauchen.«
»Grundgütiger!«, entfuhr es Pierre. Sein Assistent schien alle Vorbehalte zur Weitergabe von ermittlungsrelevanten Informationen aufgegeben zu haben. Vielleicht hatte er auch schlicht vergessen, dass er noch immer zum Kreis der Verdächtigen gehörte. Bei Luc war so etwas durchaus möglich. »Na ja, eigentlich darfst du nicht einmal mit mir telefonieren.«
»Ich weiß«, stieß Luc aus, und es klang, als wolle er jemanden anspucken. »Fenech kann mir den Buckel herunterrutschen. Du kommst hierher. Und wenn sie sich beschweren will, soll sie ihren Kram eben alleine machen. Wann kannst du da sein?«
»Um sechs … Nein, besser um halb sieben«, sagte Pierre und schluckte seine Einwände herunter. Zwar wollte er Luc nicht in Schwierigkeiten bringen, aber päpstlicher als der Papst war er nun auch nicht. Sie konnten ja die Vorhänge zuziehen, sodass niemand ihn von draußen sah.
»Alles klar, bis nachher.«
»Ach, eine Sache noch«, schob Pierre nach. Die Frage brannte ihm nun doch zu sehr auf der Seele, als dass sie bis zum Abend warten konnte. »Welche konkreten Tatverdächtigen sind nach der Befragung der Dorfbewohner eigentlich übrig geblieben?«
»Willst du das wirklich wissen?« Luc seufzte schwer. »Nicht ein Einziger.«
Versöhnt von der Aussicht auf das Treffen bog Pierre in den Boulevard de la Tournelle ein, wo er Carbonnes alten Citroën geparkt hatte, und erstarrte.
Eine füllige Gemeindepolizistin stand neben dem Kastenwagen und begutachtete ihn ausgiebig, den grün-weißen Strafzettelblock bereits in der Hand.
Was, wenn der haltlose Zustand der Rostlaube der Grund für die Erpressung Carbonnes gewesen war? Oder die gewiss nicht ganz echte Plakette der contrôle technique ?
Er erinnerte sich plötzlich, wie freigiebig der Uhrmacher die Rückgabe verlängert hatte, kaum dass Lieutenante Fenech den Hof betreten hatte. »Eine Woche, zwei, vollkommen egal.« Er hatte es geahnt, aber den Gedanken weit von sich geschoben, weil er sonst ohne Fortbewegungsmittel dagestanden hätte.
Pierre stöhnte auf. Er musste etwas tun, bevor sich die Polizistin auch noch mit den Wagenpapieren beschäftigte.
Großen Schrittes hielt er auf die Kollegin zu.
»Ist etwas mit dem Wagen, Madame le policier ?«
»Sind Sie der Besitzer?«
»Ich habe ihn nur geliehen.«
»Und ist die Ziege dort drinnen auch nur geliehen?«
»Das ist meine«, sagte Pierre. »Es ist ja nicht verboten, eine Ziege zu transportieren. Ich habe mir nur kurz etwas zu essen geholt und fahre sofort weiter.«
Er hob die zerknüllte Tüte zum Beweis, dann öffnete er die Fahrertür und schwang sich hinters Steuer. Gerade wollte er die Tür zuziehen, als die Polizistin ihren Körper dazwischenschob.
»Moment mal! Ich will mir noch die Fahrzeugpapiere ansehen. Es hat nicht den Anschein, als wäre der Wagen fahrtüchtig.«
So ein Mist, dachte Pierre. Er beugte sich zum Handschuhfach, wo Carbonne die carte grise aufbewahrte. Man konnte nur hoffen, dass die Papiere halbwegs ordnungsgemäß geführt waren. Intensiver Trüffelgeruch strömte ihm entgegen, er nahm das Dokument an sich und schloss hastig die Klappe.
Als Pierre sich wieder aufrichtete, bemerkte er aus dem Augenwinkel ein Fahrzeug, das auf dem schräg gegenüberliegenden Parkstreifen abgestellt war. Ein dunkelgrüner Renault Megane. Er schnellte hoch.
Tatsächlich, es war dasselbe Auto, das ihn vorhin verfolgt hatte. Hinter dem Steuer saß der Mann mit der Schirmmütze und dem Wollschal und hielt sich eine Zeitung vors Gesicht. Gerade so, dass er über den Rand hinwegspähen konnte. Die Sonnenbrille hatte er abgenommen.
»Einen Augenblick«, murmelte Pierre und ließ die carte grise auf den Beifahrersitz fallen. Er schälte sich aus dem Wagen und drängte sich an der Polizistin vorbei, rannte auf den Megane zu. Versuchte, als der Fahrer hastig die Zeitung weglegte, einen Blick auf dessen Gesicht zu erhaschen.
Doch die Schirmmütze, die dem Mann bis über die Augenbrauen ging, und der bis zur Nasenspitze ragende Schal, machten es ihm unmöglich.
»Warten Sie!«, rief Pierre mit erhobener Hand, als der Mann den Motor startete und abrupt anfuhr. »Ich muss mit Ihnen reden. Wer schickt Sie? Frédéric Marechal?«
Das Auto beschleunigte weiter. Direkt auf ihn zu. In letzter Sekunde rettete Pierre sich mit einem Sprung zur Seite, wobei er von der Motorhaube erfasst wurde und unsanft auf der Straße landete.
Noch während er sich aufrappelte, sah Pierre dem sich rasch entfernenden Wagen nach. Er versuchte, das Kennzeichen zu entziffern. Doch alles, was er noch zu erahnen glaubte, bevor der Wagen aus seinem Sichtfeld verschwand, war die Plakette des Départements Vaucluse.
»Zut alors! So ein verdammter Mist.«
Er rannte zurück zum Kastenwagen, wo sich die Polizistin vor der offenen Fahrertür positioniert hatte und jetzt in ein Mikrofon sprach, das am Kragen ihrer Jacke befestigt war.
»Lassen Sie mich durch«, rief Pierre aufgebracht. »Ich muss die Verfolgung aufnehmen.«
»Sie werden nichts dergleichen tun«, sagte die Polizistin streng. Ihre Hand tastete nach dem Holster, aus dem der gelbe Griff eines Tasers ragte.
Mit gestrecktem Arm zeigte Pierre in Richtung der Straße, über die das Auto verschwunden war. »Wollen Sie den Kerl etwa laufen lassen?«
»Den holen Sie sowieso nicht mehr ein.«
Pierre schnaubte, aber er gab sich geschlagen, als zwei weitere Polizisten über den Platz gerannt kamen und sich breitbeinig vor ihm aufstellten.
»So, mein Freund«, sagte der ältere der beiden, ein Mann mit grau meliertem Bart und dunkel gerahmter Brille. »Was ist hier los? Meine Kollegin sagte, Sie wollten sich einer Polizeikontrolle entziehen? Was ist mit dem Wagen?«
»Es geht doch nicht um diesen verdammten Wagen«, echauffierte sich Pierre. »Jemand hat mich auf dem Weg nach Mazan verfolgt. Und gerade, als Ihre Kollegin mich nach den Fahrzeugpapieren fragte, habe ich den Kerl wiedergesehen. Der Mann hat mich fast umgefahren.«
»Warum sollte er das tun?«
»Vielleicht, weil ich jemandem zu nahe getreten bin?« Er senkte die Stimme und reichte dem Polizisten seinen Dienstausweis. »Ich bin ein Kollege und ermittele verdeckt.«
»Pierre Durand aus Sainte-Valérie?« Der Mann zog die Brauen hoch, ein Schmunzeln auf den Lippen. »Dann sind Sie der Chef de police municipale, der unserem ehemaligen Kollegen, Gott hab ihn selig, den Aufstieg vermiest hat.« Er gab ihm die Hand. »Romain Martinez, Chef de police von Mazan.«
»Freut mich.« Pierre betrachtete sein Gegenüber. Martinez hatte ein freundliches Gesicht, überzogen von Lachfältchen. »Bei Ihnen ist er ja offenbar auch nicht weit gekommen. Es hieß, Sie hätten gestritten.«
»Und ob. In Mazan halte eben ich den Stuhl besetzt, da hilft auch kein Sägen. Das hat ihn frustriert.« Er zeigte auf den Kastenwagen. »Ist das etwa Ihr Dienstfahrzeug?« Der Policie r lachte laut, und als wollte Cosima einstimmen, erklang aus dem Fond ein herzliches Meckern.
Pierre hob den Finger an die Lippen. »Wie gesagt, ich ermittele verdeckt.«
»Dann sind Sie«, Martinez zog Pierre unter den skeptischen Blicken der Gemeindepolizistin ein Stück beiseite, bis sie außer Hörweite waren, »also Teil des Ermittlerteams zum Mord an Gilbert Langlois? Mazan liegt in unserem Zuständigkeitsbereich, und ich will hier keine Überschneidungen riskieren. Ist denn die police nationale in Carpentras über Ihren Einsatz informiert?«
Pierre beschloss, die Antwort wolkig zu formulieren.
»Commissaire Lechat aus Cavaillon steht in Kontakt mit den Kollegen«, raunte er. Das war nicht einmal gelogen. »Je weniger Leute davon erfahren, desto besser für die Ermittlungen.«
»Es ist Ihnen offenbar nicht gelungen, den Kreis klein zu halten«, unkte Martinez. »Haben Sie eine Idee, wer das eben gewesen sein könnte?«
»Keine Ahnung. Leider habe ich das Kennzeichen nicht erkannt, nur die Plakette des Départements Vaucluse.«
»Dieser Bereich umfasst ganze drei Arrondissements: Carpentras, Apt und Avignon. Das hilft uns nicht weiter.«
»Ich weiß. Der Wagen verfolgt mich seit dem Trüffelhof von Frédéric Marechal.«
»Seit …« Der policier starrte ihn entgeistert an. »Und Sie sind sicher, dass Ihr Einsatz mit dem Kommissariat in Carpentras abgestimmt ist?«
Pierre nickte, und plötzlich ahnte er, in was er da hineingeraten war. Offenbar wurde Frédéric Marechals Trüffelhof bereits observiert. War der Verfolger einer von ihnen? Er fragte sich, wie viel der Chef de police municipale von Mazan darüber wusste.
»Im Mordfall an Ihrem ehemaligen Kollegen gibt es einige Überschneidungen«, erklärte Pierre vorsichtig, er musste jetzt genau aufpassen, was er sagte. »Gilbert Langlois hatte den Hof ebenfalls observiert. Ich vermute, dass sein Augenmerk auf den Mitarbeitern lag. Was meinen Sie?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.« Martinez schürzte die Lippen. »Alle, die dort arbeiten, gehören zur Familie von Marechals Frau Kheira. Und die sind in Ordnung.«
»Sonst niemand?«
»Nein. Das wüsste ich, wir helfen ja regelmäßig bei der Kontrolle der Arbeitspapiere.«
»Was ist dann im Augenmerk der Kollegen aus Carpentras?«
»Ach Gott, wenn ich das so genau wüsste. Die sagen uns ja auch nicht alles, da müssen Sie Ihren Commissaire fragen, vielleicht hat der nähere Informationen.«
Pierre dachte an Frédéric Marechals Schwager Aziz, der auf dem Foto vor der Lagerhalle zu sehen war. An dessen Vater Salah, der das linke Bein beim Gehen nachzog. An die ältere Frau im Versandraum, die auf den Jungen aufgepasst hatte und offenbar Frédérics Schwiegermutter war. »Die Familie von Marechals Frau … Kennen Sie die gut?«
Martinez nickte. »Allerdings. Die Bensaids leben seit den Siebzigerjahren auf dem Hof. Die haben schon für Jacques gearbeitet.«
»Jacques ist der Name von Frédérics Vater?«
»Ja.«
Pierre fiel auf, dass der Hund des Trüffelbauern eine Koseform des Namens trug: Jacky. Ein Detail, das ihn traurig stimmte. »Tragisch, das mit dem Brand.«
»Allerdings«, bestätigte Martinez mit sichtlicher Betroffenheit. »Eine wirklich furchtbare Geschichte. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern. Das war neunzehnhundertachtundneunzig. Ich bin damals gerade in den Dienst bei der Polizei eingetreten und war dabei, als der Fall untersucht wurde. Das Haus war bis auf die Grundmauern abgebrannt. Man hat nur das Lagerhaus retten können, in dem die Familie Bensaid lebte.«
»Waren die Bensaids denn vor Ort, als das Feuer ausbrach?«
»Nein. Sie waren auf einem Ehemaligentreffen im Camp von Rivesaltes, als das Unglück geschah. Das liegt bei Perpignon. Dort lebten viele Harkis, die damals auf französischer Seite kämpften und mit ihren Familien aus Algerien fliehen mussten. Die Bensaids waren eine davon. Als sie zur Trüffelfarm zurückkamen, hatte die Feuerwehr den Brand bereits gelöscht.«
»Es heißt, es sei eine brennende Zigarette gewesen.«
Martinez starrte an Pierre vorbei ins Leere. »Ja, so schien es. Eine Verkettung unglücklicher Umstände. Eine im Bett gerauchte Zigarette, zu viel Alkohol, um rechtzeitig aufzuwachen. Dazu ein trockener Sommer, das Feuer konnte sich extrem schnell ausbreiten …«
Er hatte es heruntergerattert, als zitiere er einen Polizeibericht.
»Klingt nicht, als seien Sie davon überzeugt.«
»Nun ja.« Martinez wiegte den Kopf und sah Pierre direkt an. »Die Leute waren damals nicht gerade begeistert, als die Marechals die Bensaids zu sich holten, nachdem das Auffangzentrum für Franzosen nordafrikanischer Abstammung geschlossen wurde. Die meisten wollten keine Ausländer hier. Das war damals die gängige Meinung. Was unter anderem daran gelegen haben mag, dass die Harkis, die man über Jahre weggesperrt hat, in den Lagern mit Aufständen auf ihr Schicksal aufmerksam machten. Die Proteste waren teils gewaltsam, das hat die Einwohner verschreckt. Die Harkis waren die Wilden vom outre-mer, die Analphabeten ohne Manieren und Kinderstube, die man lieber vor den Augen der eigenen Kinder verbarg. Dass viele von ihnen im Zweiten Weltkrieg mit der französischen Armee gegen die Deutschen gekämpft hatten, machte für die meisten keinen Unterschied.«
»Wieso hat man dann nicht das Lagerhaus angezündet?«
»Dafür hätten die Brandstifter wissen müssen, dass die Bensaids dort wohnten und nicht im Haus. Aber wahrscheinlich haben Sie recht. Es war nur so ein Gedanke.« Martinez warf einen Blick auf die Uhr. »Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?«
Pierre überlegte. »Ja, eine Frage habe ich noch. Ich weiß, Sie haben sich schon mit Commissaire Lechat darüber ausgetauscht, aber vielleicht ist Ihnen ja doch noch jemand eingefallen, der ein Interesse daran haben könnte, Gilbert Langlois zu ermorden. Eventuell jemand aus Mazan.«
»Aus Mazan? Nein.« Martinez sah erneut an ihm vorbei, als läge irgendwo hinter Pierre die Antwort. Dann nickte er langsam und bedächtig und wandte sich ihm wieder zu. »Aber da wir gerade von der Familie Marechal sprechen. Mir fällt ein, dass Gilbert Langlois vor einigen Wochen bei mir angerufen hat. Er wusste, dass ich immer einen guten Draht zu Frédérics Schwester Caroline hatte, und wollte wissen, wie sie jetzt mit Nachnamen heißt und wo sie wohnt.«
»Langlois hat Sie angerufen?« Pierre hielt die Luft an.
Es war verrückt. Offenbar hatte Gilbert Langlois auch noch Maurice Marechals Schwester im Visier gehabt. Selbst, wenn der Bürgermeister nicht der Mörder gewesen war, so schien er doch irgendeine Rolle in dem Fall zu spielen. Fast klang es wie in einem Mafiafilm, in dem der Gangster das Opfer bedrohte, seiner Familie zu schaden, wenn er ihm nicht den gewünschten Dienst leistete. Hatte Langlois sich damit den Posten als Chef de police municipale erpressen wollen? Er konnte es sich kaum vorstellen, so viel Aufwand für einen Job, aber es sah ganz danach aus.
Martinez zwinkerte. »Doch, darüber habe ich mich auch gewundert. Wir sind ja nicht gerade in Freundschaft auseinandergegangen. Offenbar war ich der Einzige, der seine Frage einigermaßen zu beantworten wusste. Hilft Ihnen das weiter?«
»Ja, sehr. Können Sie mir denn auch sagen, wie ich Caroline erreiche?«
»Ihre Nummer habe ich nicht, aber soweit ich weiß, lebt sie noch immer in Carnoux-en-Provence, wo sie nach dem Brand aufgewachsen ist. Sie hat jung geheiratet und heißt jetzt … Ich glaube, es war Payou oder Poirot. Richten Sie ihr bitte meine allerbesten Grüße aus.«
»Das mache ich«, sagte Pierre. Er nahm sein Notizbuch aus der Jacke und trug den Namen ein. »Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
»Gerne.«
Martinez begleitete ihn noch zu dem Kastenwagen, wo jetzt nur noch die Kollegin auf sie wartete, und hob die Hand zum Gruß, als Pierre sich auf den Fahrersitz schwang und den Motor startete.
»Momentchen mal, nicht so schnell.« Die Beamtin streckte die Hand aus. »Sie wollten mir noch die Fahrzeugpapiere zeigen.«
Pierre nahm die carte grise vom Beifahrersitz und reichte sie der Frau. Die nickte nur und hielt sie ihrem Vorgesetzten hin.
»Haben Sie mal einen Blick darauf geworfen?«, fragte Martinez, als er Pierre die Fahrzeugpapiere zurückgab.
»Nein.«
Der Policier beugte sich zu ihm hinab. »Der Behördenstempel ist offenbar gefälscht«, raunte er in jovialem Tonfall. »Den Wagen ziehen Sie bitte schleunigst aus dem Verkehr, sobald Sie zu Hause sind. Verdeckte Ermittlung hin oder her. Mit so einer Rostlaube dürften die Kollegen aus Cavaillon Sie eigentlich nicht auf die Straße lassen.«
»Verstanden«, sagte Pierre und nickte dem Kollegen freundlich zu. Dann drehte er den Schlüssel, bis der Kastenwagen ein blubberndes Geräusch von sich gab, als sei er beleidigt, weil man ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.
Er würde Didier Carbonne bei nächster Gelegenheit die Hammelbeine lang ziehen.