Kennen Sie das, der Herr? Haben Sie jemals geduldig die Luft befühlt, die Sehnsucht ist? Man sagt, dass man sich nach Ideen und nach dem Herzen sehnt … Oh. Man sagt, dass die Regierung vorhat, eine gute Straße von Pirapora nach Paracatu zu bauen …
Grande Sertão: veredas
von João Guimarães Rosa
Du wurdest auf dem Fahrersitz eines Lkws gemacht.
Meine Eltern zeugten mich in der letzten Nacht ihrer Flitterwochen in der Fahrerkabine eines parkenden Lkws, der an einer Tankstelle am Straßenrand in der Nähe von Marília, São Paulo, stand. Im Tagebuch meiner Mutter steht eine kurze Notiz über diese letzte Nacht der Reise: »Am 3. März hielten wir um halb zwei zum Schlafen in Marília, und um neun Uhr morgens waren wir wieder in Jaú.«
Seit meiner Kindheit erzählen mir meine Eltern von dieser Reise und kommentieren, wie ich auf dem Rückweg »gemacht« wurde. Sie erzählen diese Geschichte auch Freunden, Verwandten und neuen Bekannten. Sie erzählen sie, lachen, und meine Mutter sagt dann jedes Mal: »Deshalb bleibst du nie lange an einem Ort«.
Und sie zeigen Fotos von der Reise. Auf einem der Bilder posieren sie vor einem hellblauen Mercedes-Benz-Lkw, mein Vater mit dem rechten Arm über ihrer Schulter, sie mit der Hand an seiner Taille. Er mit einer Shorts und einem bis zum Bauchnabel aufgeknöpftem Hemd, sie mit einem lila T-Shirt, einer kurzen orangefarbenen Shorts und der Dauerwelle, die sie sich für die Hochzeit hatte machen lassen. Er ganz ernst, sie lächelnd. Neben dem Lkw sieht man zwei kleine Hocker und Küchenutensilien, mit denen sie auf einem kleinen Gaskocher unterwegs ihre Mahlzeiten zubereiteten. Aus Jaú hatten sie eine Dose mit frittiertem Fleisch mitgenommen, gefüllt mit Schweineschmalz, um die Stücke für die Reise haltbar zu machen. Es lässt sich nicht erkennen, wo das Foto aufgenommen wurde: eine staubige Straße, rundherum niedrig stehendes Gras, irgendein Punkt zwischen Jaú und Belém.
Mein Vater kam in Jaú an und hatte den Lkw voller Ausrüstung, die er zu einer noch im Bau befindlichen Aluminiumfabrik in Pará transportieren sollte. Am nächsten Tag heirateten meine Eltern in der Kirche Nossa Senhora Aparecida, verbrachten die Nacht in der Stadt, fuhren zum Ausliefern der Fracht gemeinsam nach Belém und kamen dann wieder zurück. Für meine Mutter war diese Strecke, die mein Vater bereits Dutzende Male zurückgelegt hatte, die weiteste Reise ihres Lebens.
Diese Flitterwochen in der Kabine eines Lkws tragen starke Spuren von der Herkunft meiner Eltern, ihrer Zugehörigkeit zu einem sozialen Universum, in dem Arbeit, Freizeit und die Vision des Landes Wege sind, die sich kreuzen und ein Geflecht aus Bildern und Worten ihres täglichen Lebens bilden. Ich höre diese Geschichte auch, als wäre sie eine Art Herkunftsmythos, ein Abenteuer, das mein Leben auf intime und zugleich abseitige Weise mit der Straße verbindet.
Neun Jahre lang waren sie unverheiratet zusammen, aber meine Mutter erzählt immer wieder, dass »wenn man alles zusammenrechnet, gerade mal zwei Jahre zusammenkommen, weil dein Vater immer unterwegs war.« Ihre Sehnsucht und die Vorfreude auf die Hochzeit bilden die zentralen Themen des Tagebuchs, das meine Mutter während dieser gesamten neun Jahre führte. Sie arbeitete, ging zu Gebetskreisen und zur Messe, wohnte bei ihren Eltern, traf sich am Wochenende mit ihren engsten Freundinnen und wartete auf meinen Vater. In den neun Jahren ihres unverheirateten Zusammenseins arbeitete sie in der Weberei Camargo Correa in Jaú, nahm kleine Nähaufträge an und half meiner Großmutter im Haushalt. Davor hatte sie einige Jahre als Putzfrau und Küchenhilfe im Haus einer wohlhabenden libanesischen Familie gearbeitet, der das größte Kaufhaus der Stadt gehörte. Als Kind und Jugendliche hatte sie auf dem Feld gearbeitet und bei der Erziehung ihrer drei jüngeren Geschwister geholfen. Später, als mein Vater sich von seiner ersten Herzoperation erholte, arbeitete sie als Empfangsdame in einem Krankenhaus und als Putzfrau in einem Heim für Nonnen.
Ihre Sehnsuchtsbekundungen stehen in ihrem Tagebuch neben Collagen verliebter Paare, Bilder, die meine Mutter aus Fotoromanen ausschnitt, und neben Liebesgedichten, die sie aus Frauenzeitschriften der damaligen Zeit abschrieb.
»Am 11. August 1983 haben wir uns für den Ehevorbereitungskurs angemeldet und die kirchliche Trauung für um sechs bestellt.«
»Am 28. August 1983 haben wir von halb acht bis um fünf den Ehevorbereitungskurs gemacht. Abends waren wir auf der Kirmes. Sonntag.«
»Wir waren von morgens um zehn bis abends zwanzig nach elf zusammen. Dreizehn Stunden und zwanzig Minuten waren wir zusammen. Es war so schön. So Gott will, sind wir in fünf Monaten verheiratet.«
»Sonntag, 2. Oktober 1983, ich habe meinen Schatz seit zwölf Tagen nicht gesehen. Er hat mich angerufen und gesagt, dass alles gut ist und er erst am zwölften oder dreizehnten wiederkommt.«
Mit dem Näherrücken der Hochzeit verzeichnet das Tagebuch eine hektische Abfolge von Sorgen und Aktivitäten. Rasch mussten Einladungen verteilt, das Brautkleid bei einer als Schneiderin arbeitenden Cousine meines Vaters in Auftrag gegeben, die aufgeregte Verwandtschaft zum Besuch empfangen und mit ihnen die Hochzeitsgeschenke bestaunt werden, die alle sorgsam auf das neue Ehebett gelegt und mit den Besuchern daneben fotografiert wurden.
Und dann die Hochzeit und die Reise: »Am 11. Februar haben Didi und ich geheiratet. Es war ein wunderbarer Tag. Um sechs haben wir in der Kirche geheiratet und um halb sieben auf dem Standesamt, und danach haben wir im Garten und bei uns im Haus Fotos gemacht, und danach sind wir ins Haus meiner Schwiegermutter gefahren, haben zusammen gegessen und Tante Sula besucht. Ich bin kurz nach Hause gegangen, um mich umzuziehen, und danach haben wir im Haus meiner Schwiegermutter eine Tombola gemacht, und danach haben wir im Gasthaus Capelinha übernachtet, und die Nacht war wunderbar.«
In ihrem Notizheft beschreibt meine Mutter kurz jeden Abschnitt der Reise: die Rastplätze, die Bekannten, denen sie unterwegs begegnen, die Unternehmungen in Belém (Kirche, Park, Markt, Imbisscafé), die Fährüberfahrten und den Alltag auf der Straße: »Am Freitag, 17. Februar 1984, haben wir den Lkw entladen und sind viereinhalb Stunden mit der Fähre gefahren.« »Am 18. Februar bin ich am Samstag bei Zefa geblieben, und Didi hat einen neuen Auftrag gesucht und sich mit Luiz Carlos und Manezinho getroffen. Wir haben bei Zefa Mittag gegessen und uns abends selbst etwas gemacht und waren dann in einer Bar eine Coca-Cola trinken.«
Die Schriftstellerin Annie Ernaux nähert sich in ihrem umfangreichen Werk einer zentralen Thematik aus verschiedenen Perspektiven: der Geschichte der Tochter, die sich von der Herkunftsklasse ihrer Eltern entfernt und dann versucht, sie zu verstehen und zugleich ihren eigenen Platz in der Welt zu begreifen. Auch andere Autoren mit »Abstammungsgeschichte« aus der Arbeiterklasse umkreisen diese tiefgreifende Problematik in ihrem Werk – Tove Ditlevsen, James Baldwin, Didier Eribon, Édouard Louis und weitere Reisende zwischen den sozialen Klassen.
Solche Berichte erzählen von einer Form von Verrat, wie Ernaux es ausdrückt, eines Abgrunds zwischen verschiedenen Formen, sich in der Welt zu verorten, und den mühsamen Versuchen, Brücken zu bauen und Räume der Begegnung aus Erinnerungen, Orten, Worten, Aromen und Zuneigungen zu schaffen.
Es gibt eine Gemeinsamkeit in der Geschichte derjenigen, die markante und komplexe Prozesse des Wechsels der sozialen Klasse durchlebt haben: Im Laufe der Jahre fühlen wir uns dazu genötigt, uns von denen zu entfernen, die uns mit der Welt bekannt gemacht haben. Wir sind gezwungen (und zwingen uns), uns von ihren Gewohnheiten und Gesten, ihrem Umgang mit Geld, Haus und Körper, ihrem Geschmack und vor allem ihren Worten zu lösen. Aber trotz dieses gewundenen Prozesses der Dekonstruktion und Rekonstruktion unseres Selbst, beharrt ein Teil von uns immer darauf, zu bleiben. Wir tragen, wie Pierre Bourdieu es formuliert, unseren »gespaltenen Habitus« in die Welt, diese Art zweispuriger Brücke an der Grenze zwischen unserem Selbst und einem sozialen Universum, in dem wir getrennte Räume bewohnen. Dieses Gefühl des Bruchs ist in Gesellschaften, die so stark von Ungleichheit geprägt sind wie die brasilianische, umso heftiger und hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die subjektive Struktur und die sozialen Verbindungen jener, die nicht der dominanten race der Elite angehören – wie es die Psychoanalytikerin und Psychiaterin Neusa Sousa Santos in Tornar-se negro (»Schwarz werden«) meisterhaft aufzeigt, einem Buch, in dem sie die unbewussten Strategien und die Formen subjektiven Leids schwarzer Brasilianer analysiert, die zu Beginn der achtziger Jahre sozial aufstiegen.
Diese doppelte Klassenzugehörigkeit verdichtete sich oft zu einem diffusen und hartnäckigen Gefühl der Schuld, der sozialen und institutionellen Entfremdung, einem aufdringlichen Gefühl der Deplatziertheit und Unzulänglichkeit, der anhaltenden Angst, »alles zu verlieren«, und der schwerwiegenden Verantwortung für das Wohl der Eltern – jetzt, wo wir allmählich aufsteigen, können wir sie nicht zurücklassen.
Wir erleiden Wutausbrüche angesichts der täglichen Ungerechtigkeiten, die Teil der teuflischen Maschinerie zum Machterhalt der Eliten sind. Jeden Tag bezeugen wir diese Physiologie der Ungleichheit, an jedem neuen Ort, an dem wir uns bewegen, und normalerweise erfassen wir diese Situationen sofort. Migranten sozialer Klassen haben oft ein Talent für soziale Analysen, was die persönlichen Kosten, die mit diesem Zustand der Aufspaltung verbunden sind, selten ausgleicht.
Niemand hat dieses Drama unseres peripheren Kapitalismus raffinierter herausgearbeitet als Machado de Assis, der selbst ein regelmäßiger Besucher verschiedener sozialer Welten war. In seinen Romanen und Erzählungen wimmelt es von Figuren der brasilianischen Elite mit mittelmäßigen Fähigkeiten und Verdiensten, die dennoch ihren Platz an der Spitze einer perversen Gesellschaft behaupten und im zynischen Glanz eines europäisierten, liberalen Gedankenguts leben. Am anderen Ende der Pyramide zeichnet Machado ein vielgestaltiges Bild der brasilianischen Opfer materieller und symbolischer Gewalt: freie Menschen, die aber von ihren weißen Herren abhängig waren, und versklavte Individuen, für die zum langsamen sozialen Tod der Sklaverei die reale Gefahr zu sterben hinzukam.
Nach meiner Geburt hat meine Mutter nie wieder Tagebuch geführt und so gut wie keine Briefe geschrieben.
Der letzte Eintrag ist ein kurzer Brief an meinen Vater. Unterzeichnet hat sie ihn in ihrem und meinem Namen, zu einer Zeit, als ich gerade frisch geboren war. Diese Zeilen sind die Vorgeschichte meines Schreibens und zugleich eine Art Abschied des ihren:
»Dido, ich liebe dich.
Nur wenn du bei mir bist, bin ich glücklich.
Du und ich und unser Kind.
Ich liebe dich jeden Tag mehr.
Jetzt lieben dich zwei Herzen, meins und das von unserem Kind.
Dido, denk immer an diesen Menschen, der dich unendlich liebt und immer auf dich wartet.
Dirce – und die Frucht unserer Liebe, unser Kind«
Diese Passage, in der Ernaux von ihrer Mutter spricht, kommt mir eigenartig vertraut vor: »Ich war mir ihrer Liebe und folgender Ungerechtigkeit sicher: sie verkaufte von morgens bis abends Kartoffeln und Milch, damit ich in einer Vorlesung über Platon sitzen konnte.« Die Geschichte von Eltern und Kindern mit radikal unterschiedlichen Bildungswegen ist immer mit Schweigen und Ausweichmanövern verbunden, da sich wichtige Teile unseres Alltags, unserer Arbeit, unserer Lektüren, unserer Vorlieben und Ausgaben nur schwer in das Universum unserer Eltern übertragen lassen.
Eines Tages, als ich meinem Vater erklärte, dass ich in meiner Doktorarbeit Politik im Zusammenhang mit Architektur und bezahlbarem Wohnraum untersuchte, befahl er mir barsch: Sag ihnen, dass die Armen größere Häuser verdienen.
In einem akademischen Diskurs würde eine solche Aussage unzählige Diskussionen über die Epistemologie der »Rede« des Wissenschaftlers (Wer sollte mit den Mächtigen sprechen?), über die öffentlichen und privaten Entscheidungsträger in der Wohnungsbaupolitik (Wer sind die Akteure?) und über die historische und politische Konstruktion von Idealen wie dem »Traum von einem Eigenheim« (die endlose Diskussion über die soziale Integration der Ärmsten durch Konsum) nach sich ziehen.
Das alles hat seine Berechtigung. Ich widme mich diesen Themen in meiner akademischen Arbeit und nehme sie ernst. Aber ich sehe ein, dass es oft genügt, ihnen zu sagen, dass die Armen größere Häuser verdienen – und wir alle wissen, wer mit »ihnen« gemeint ist.