Jack

»Teufel noch mal!« Maries Schrei dringt kurz vor dem Mittagessen durch die Badezimmerwand in die Kabine. So viel hat sie die ganze Woche nicht gesagt, und wir alle sehen auf von unseren Kreuzworträtseln, Büchern und Karten, verwirrt über ihren plötzlichen Ausbruch. Poppy steht langsam auf. Sie greift in einen der Lagerschränke und fischt in einer Kiste mit Campingzubehör herum, zieht eine Packung Tampons und Binden heraus.

Amber und Fleur tauschen besorgte Blicke, während Poppy die Treppe hinabgeht und leise an die Badezimmertür klopft. Ihre Schultern wirken schwer, als sie zu ihrem Platz am Tisch zurückkehrt. Sie hat Mahlzeiten ausgelassen, ihr war dauernd flau, seit wir die raue See um die Kanaren herum verlassen haben, und sie räuspert sich ständig, weil ihr die Kälte seit Tagen zu schaffen macht. »Danke, dass du daran gedacht hast, Woody«, sagt sie mit einem traurigen Lächeln.

»Ich bin froh, dass du es erwähnt hast«, sagt er leise. »Von selbst hätte ich nicht daran gedacht.« Anscheinend auch sonst niemand. Nicht einmal Fleur und Amber. Jahreszeiten altern nicht. Wir

Chill umarmt seine Rettungsweste. Die Fältchen um seine Augen werden tiefer, während er sich mühsam auf einen losen Faden am Saum konzentriert. Mit einem entnervten Seufzen nimmt er seine Brille ab und sieht das leere Gestell mit einem Stirnrunzeln an.

Woody würdigt meine unausgesprochene Frage mit einem leichten Nicken. Poppys Schniefen. Chills Sehkraft. Maries Menstruationszyklus. Ihre Magie schwindet bereits, ihre Körper erinnern sich daran, wie es ist, sterblich zu sein, durchschreiten die normalen Stadien des Lebens, als hätte die Zeit nie für sie angehalten.

Ich beobachte Chill, der sich tiefer in seiner Rettungsweste verkriecht, fühle mich schuldig für jeden Moment, in dem ich meine Wahl infrage gestellt habe, den Rest meines Lebens an ihn gebunden zu verbringen. Plötzlich scheint die Ewigkeit nicht lang genug.

In der Kabine wird es ungewöhnlich still. Kein Gezänke. Keine leisen Gitarrenklänge aus der Koje unten. Das einzige Geräusch ist das Kratzen von Slinkys Pfoten auf dem trockenen Reis, den wir für sein provisorisches Katzenklo geopfert haben, und der Regen, der über unseren Köpfen an die Fenster trommelt. Woody hat das Steuer übernommen, seine Brauen sind zusammengezogen vor Sorge wegen der Tiefdruckfront, die uns einen weiteren Tag vom Kurs abgebracht hat.

Ich trete hinter ihn und gleiche unseren Kurs mit der Seekarte ab, die auf seinem Schoß ausgebreitet liegt.

»Ich kann ein wenig verlorene Zeit einholen.« Ich senke die Stimme, um die anderen nicht zu beunruhigen. »Ein wenig Wind. Keine große Sache.« Wir sind etwa eine Woche von der Küste der Mittelatlantik-Staaten entfernt, und ich bin genauso begierig darauf, von Bord zu kommen, wie der Rest von uns.

Ein trockenes Husten aus den unteren Kojen unterbricht die Stille. Fleur hält ihren Becher an die Lippen, lauscht auf Julios Husten, der hartnäckiger wird. Amber starrt auf die Seiten ihres Buchs hinab, ihre Reglosigkeit ist der einzige Hinweis darauf, dass auch sie lauscht. Es ist ein Geräusch, das wir alle drei erkennen. Eines, auf das zu hören wir gelernt haben. Die letzten Atemzüge einer sterbenden Jahreszeit beginnen mit einer beengten Brust und einer milden Müdigkeit, was schnell zu Grippesymptomen fortschreitet.

Schniefen und Stöhnen steigen durch den Boden auf. Ich könnte zu ihm gehen. Ich bin stark genug, den Tod für eine Weile fernzuhalten, aber nur gerade so.

Fleur starrt Amber wütend an. Amber hat in den letzten fünf Minuten keine Seite umgeblättert, aber sie sieht nicht auf.

Julios Husten wird tiefer, gefolgt von einem rasselnden Keuchen. Fleur steht auf, lässt ihren Becher in die Spüle fallen und geht in Richtung Kojen.

Amber schließt ihr Buch mit einem Knall. »Was hast du vor?«

Poppys Spielkarten fallen auf den Tisch. »Fleur, das kannst du nicht!«

Ich stehe vor der Treppe. Um sie aufzuhalten. Um sie dazu zu bringen, nachzudenken, bevor sie sich Schaden zufügt. »Sie hat recht. Er wird dich aussaugen.«

Marie bahnt sich an uns vorbei einen Weg in die Kabine. »Das Fieber hat bereits eingesetzt. Fleur ist nicht stark genug.« Sie stellt eine Schüssel mit Wasser und ein feuchtes Tuch auf den Tisch. Ihre Hundemarken klirren, als sie sich das Haar aus den Augen streift, sie sieht aus wie eine erschöpfte Armeekrankenschwester. Sie rollt ihre Ärmel auf, enthüllt Tattoos, die die Narben auf ihren Handgelenken nicht ganz bedecken. »Es muss sie sein«, sagt sie und stößt Ambers Füße von der Couch. »Komm schon. Geh da runter und bring es hinter dich.«

Amber legt ihr Buch hin. Sie steht auf, stellt sich Nase an Nase mit Marie. Die Luft wird kalt, trocken wie Zunder, und sie sagt: »Ich nehme keine Befehle von Julios Lakai entgegen.«

»Ich schwör dir«, faucht Marie und geht näher heran, »wenn du das nicht tust, weide ich dich im Schlaf aus.«

»Und warum sollte mir das Angst machen?«

»Sobald Julio mit dem Wind geht, ist niemand mehr übrig, um dich zurückzuholen!«

Sogar das Boot scheint den Atem anzuhalten.

Ein leises Stöhnen steigt aus Julios Kabine auf, gefolgt von einem weiteren abgehackten Hustenanfall.

»Gut«, murmelt Amber. »Aber ich gehe da nicht allein rein.«

»Ich gehe mit dir.« Woody rutscht von seiner Bank. »Jemand muss das Steuer übernehmen …«

»Nein«, sagt Amber, dreht sich um und zeigt auf mich. »Du weißt, wie das funktioniert. Du kommst mit mir.«

Ich rühre mich nicht. Kann nichts sagen. Sie hält immer noch meine Hand, und ihr Mund ist so nahe, und die Sehnsucht, die ich verspüre, zwingt mich beinahe in die Knie. Die Gier, sie zu küssen, ist roh und nagend, macht mich schwindlig und ein wenig schwach. Sie zieht sich langsam zurück, als würde sie es vielleicht auch spüren.

»Geh besser da runter«, sagt Woody, und seine Lippen zucken unter einem Lächeln.

Die Wärme verweilt auf meiner Wange, breitet sich in mir aus, während ich zusehe, wie sie davongeht, ich bin versunken in die Farbe ihres Haars und den Schwung ihrer Hüften. Die Art, wie sie ihre bloßen Füße unter ihre Beine zieht, als sie sich auf der Couch auf der anderen Seite des Zimmers niederlässt. »Ja. Stimmt.«

Mit schwirrendem Kopf steige ich die Stufen zu Julios Koje hinab. Der kleine Raum riecht stark nach Schweiß. Er ist kaum noch bei Bewusstsein, zittert in seinem Schlafsack, seine Haut ist fahl und sein Haar glitschig von einer Schicht aus Schweiß und Salz.

Amber prallt rückwärts gegen mich, als ein weiterer Hustenanfall ihn schüttelt. »Was soll ich machen?« Ihre Stimme ist leise und unsicher. Sie sieht aus, als würde sie am liebsten aus dem Zimmer rennen.

»Es ist nicht schwer.« Ich banne die Lüge aus meiner Kehle, denke zurück an die langen Stunden, die ich damit verbracht habe, Fleurs Hand zu halten, ihr beim Schlafen zuzusehen, darauf zu warten, dass sie aufwacht, mich zu fragen, ob sie aufwacht. In manchen Nächten fühlte es sich an wie das Schwerste, was ich je tun würde. »Du musst ihn nur berühren.«

»Sicher«, sage ich zu ihr.

Schaudernd stößt sie den Atem aus. Ich setze mich auf den Boden am Fuß von Julios Koje, meine Knie gegen die Brust gezogen und den Rücken gegen das Bett gedrückt. Es knarzt, als Amber sich neben ihn legt. Julio murmelt rastlos vor sich hin, als würde er aus einem Fiebertraum aufgeweckt.

Er hustet, sanfter dieses Mal. Stöhnt leise im Schlaf.

Ich schließe die Augen, spüre den Geist von Fleurs Körper an meinem. Die Müdigkeit jeder schlaflosen Nacht seither. Und ich hoffe, vielleicht zum ersten Mal, für Amber, dass ihr Herz die Nacht überlebt.