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A
ls Erstes richtete Bai, Pauls Assistent, ihre Computer ein, wobei er mit ihren Benutzernamen begann. Er händigte jedem von ihnen einen USB
-Stick mit Digitalanzeige aus. Auf den Anzeigen leuchteten bereits Ziffern auf.
»Was ist das?«, fragte Jack.
»Das sind Sicherheits-Fobs, die Passwörter generieren. Wenn Sie sich mit Ihrem Benutzernamen anmelden, haben Sie sechzig Sekunden Zeit, um die vom Fob generierte Zahl einzutippen. Tun Sie es nicht, können Sie sich nicht einloggen und müssen weitere sechzig Sekunden warten, bevor die nächste Zahl generiert wird und Sie den nächsten Versuch starten können, sich einzuloggen. Ist das so weit klar?«
»Absolut.«
»Sie bekommen jeweils nur einen. Bitte verlieren Sie ihn nicht, und wenn doch, melden Sie es sofort.«
»Selbstverständlich.«
Bai weihte sie in die restlichen Sicherheitsvorschriften ein. »Zunächst einmal steht es Ihnen frei, Ihre Laptops zu benutzen, doch wie Ihnen Ms. Fairchild bereits erklärt hat, gibt es im Gebäude keinen WLAN
- oder Mobilfunkzugriff, und Sie haben keine Möglichkeit, sich physisch mit dem Zentralrechner zu verbinden, ohne vorher unser verschlüsseltes Interface herunterzuladen, was nicht erlaubt ist.«
Dann deutete Bai auf einen USB
-Port an der Computertastatur. »Es ist Ihnen nicht gestattet, private USB
-Sticks in diesen Anschluss oder in irgendein anderes Gerät von Dalfan zu stecken. Und selbst wenn Sie es täten, würde es nicht funktionieren. Die USB
-Ports sind wie der Computer mit einem Passwort gesichert.«
Das ist gar nicht gut,
dachte Paul. Wie soll ich das Programm von Rhodes’ Stick rüberziehen, wenn der Port gesperrt ist?
Bai zog einen USB
-Stick aus der Tasche. »Nur ein von Dalfan verschlüsselter Stick wie dieser lässt sich an unsere Geräte anschließen.«
»Bekommen wir so einen verschlüsselten Stick für den persönlichen Gebrauch?«, fragte Paul.
Bai runzelte die Stirn. »Das ist verboten. Zu gefährlich.« Er wandte sich an Jack. »Weitere Fragen?«
»Wir sehen ein, dass strenge Sicherheitsvorschriften unerlässlich sind«, sagte Jack. »Wir werden uns bei der Arbeit so gut es geht danach richten.« Er stand auf. »Bis später, Paul. Viel Vergnügen.«
»Ihnen auch.«
Und zu Bai sagte Paul: »Dann lassen Sie uns ins kalte Wasser springen.« Er öffnete den Desktop, während Jack in sein Büro ging.
Bai zeigte ihm das File mit dem Hauptbuch – dem Controlling-Dokument, das alle anderen Nebenbücher und Buchhaltungsdateien mit sämtlichen finanziellen und sonstigen Daten von Dalfan Technologies enthielt. Pauls Fokus galt der finanziellen Seite. Er öffnete den ersten großen Dateiordner namens »Aktiva«. Vor ihm lag viel Arbeit, und er hatte dafür nicht viel Zeit. Doch mit seinen Gedanken war er woanders. Er seufzte.
»Stimmt was nicht, Mr. Brown?«
»Könnte ich vielleicht eine Tasse Tee bekommen, bevor wir anfangen?«
Bai stand auf. »Folgen Sie mir.«
J
ack freute sich darauf, nicht mehr von Lian oder irgendeinem Dalfan-Mitarbeiter beobachtet zu werden, doch kaum saß er in seinem Chefsessel, klopfte es an seiner Glastür.
Jack drehte sich um. Mist.
»Feng«, sagte der Mann und entblößte gelbliche Zähne zu einem schiefen Lächeln. »Ich bin der Betriebsleiter.«
Feng stank nach kaltem Rauch. Er war der älteste Angestellte, den Jack bislang im Haus getroffen hatte. An dem Treffen im Konferenzraum hatte er nicht teilgenommen. Er trug ein Tablet in der Linken.
Ryan stand auf und reichte ihm die Hand. »Jack.«
»Ich soll Ihnen einen allgemeinen Überblick über die Firma geben. Ich werde Ihnen die Organisationsstruktur, die Betriebsanlagen und die Belegschaft zeigen und alle Ihre Fragen beantworten.«
Jack zwang sich zu einem Lächeln. »Wunderbar. Dann lassen Sie uns anfangen.«
Jack öffnete den Dalfan-Desktop mit seinem Passwort-Fob, und Feng tippte derweil auf seinem Tablet. In den folgenden Minuten studierten sie Organigramme, Personaldaten, Betriebsbudgets und Anlagestandorte überall in der Stadt, darunter auch ein Hangar am nahen Flughafen Seletar.
Als sie all diese Dokumente durchgesehen hatten, war Mittagspause.
»Wollen Sie sich uns zum Essen anschließen?«, fragte Feng und erhob sich.
»Vielen Dank, aber heute nicht.« Jack stand ebenfalls auf.
Feng runzelte die Stirn. »Wie bedauerlich. Ich werde Ms. Fairchild Bescheid geben.«
Aber natürlich,
dachte Jack. »Wir sehen uns nach dem Essen.«
F
ür Jack und Paul war es ein langer, aber auch produktiver erster Vormittag gewesen. Ihre biologischen Uhren tickten noch anders, weshalb sie jetzt geschafft und hungrig waren.
Jack rechnete eigentlich mit einem Wortwechsel, als er Lian gegenüber bestätigte, dass er und Paul heute nicht mit den Dalfan-Mitarbeitern essen würden, doch stattdessen empfahl sie ihm ein Restaurant etwa zehn Minuten entfernt.
»Wollen Sie sich uns anschließen?«, fragte Jack.
»Ich denke, Sie kommen mit den Chilikrabben auch ohne meine Hilfe klar«, schoss sie zurück. »Aber wundern Sie sich nicht, wenn ein paar Freunde in Ihrer Nähe weilen.«
Jack wollte Paul fahren lassen, doch der wortkarge Buchhalter war nicht darauf erpicht herauszufinden, wie man ein Auto von der falschen Wagenseite aus auf der falschen Straßenseite durch den Verkehr steuerte, und das mitten in einem Wolkenbruch. Eine Viertelstunde später saßen sie in einem gemütlichen, schummrig beleuchteten Restaurant, das von Einheimischen besucht war. Sie entschieden sich beide für die Spezialität des Hauses, Chilikrabben. Dazu bestellte Jack einen Mango-Eistee und Paul einen Wodka Tonic.
»Erzählen Sie mir, was Sie herausgefunden haben«, begann Jack, nippte an seinem Eistee und sah sich im Raum um. Sein Blick blieb an Park hängen, Lians Leibwächter, der allein am anderen Ende des Restaurants saß und mit finsterer Miene die Speisekarte studierte. Er war zweifellos hier, um sie im Auge zu behalten.
Paul runzelte die Stirn. »Als Erstes habe ich herausgefunden, dass sich mein Assistent wie eine Klette an mich hängt. Es hätte mich nicht überrascht, wenn er mir heute Morgen aufs Klo gefolgt wäre.«
»Haben Sie das Gefühl, dass Sie beobachtet werden?«
»Eher betüdelt. Durchaus freundlich, verstehen Sie mich nicht falsch. Meine Fragen werden bereitwillig beantwortet. Aber der Mann will mich einfach nicht allein lassen, keine halbe Minute.«
Dann beschrieb Paul seine Arbeit, die hauptsächlich darin bestanden hatte, Steuererklärungen der letzten zehn Jahre mit Unternehmensberichten zu vergleichen. »Alles stimmt überein. Fast zu gut. Kein Dezimalkomma verrutscht. So wie ein entflohener Sträfling leicht unter dem Tempolimit fährt, damit er der Verkehrspolizei nicht auffällt.«
»Glauben Sie, dass es ein Problem gibt?« Jack winkte einer Bedienung.
»Nicht unbedingt. Dass die Bücher mustergültig geführt sind – jedenfalls bis jetzt –, heißt allerdings nicht, dass alles in bester Ordnung ist.«
Die junge Bedienung ließ ein wunderschönes Lächeln aufblitzen. »Sir?«
»Sehen Sie den Herrn da drüben? Am Fenster?« Jack nickte mit dem Kopf in Parks Richtung, dann deutete er in die Getränkekarte. »Bringen Sie ihm bitte so einen auf meine Rechnung.«
Sie kicherte. »Sofort, Sir.«
Paul tippte an seinen Wodka Tonic. »Und für mich bitte noch so einen.«
Sie nickte und huschte davon.
»Entschuldigen Sie, Paul. Was sagten Sie gerade?«
»Ich war schon fertig. Bis jetzt sieht alles gut aus, aber ich grabe weiter. Was haben Sie herausgefunden?«
Jack fasste seine Nachforschungen zusammen, wobei er auch auf die Durchsicht der Personalakten einging. »Ich habe hauptsächlich versucht, mir ein Bild von Mitarbeiterbindung und Einstellungspraktiken zu machen – das Übliche. Außerdem habe ich mich mit den Vorsorgeleistungen beschäftigt. Wie es scheint, erhalten die meisten Führungskräfte Aktienoptionen. Sie werden kräftig Kasse machen, wenn Marin Aerospace einsteigt und das Doppelte des aktuellen Aktienpreises bezahlt.«
»Kein Wunder, dass die Leute im Konferenzraum sich so gefreut haben, uns zu sehen.«
Jack beobachtete, wie die Bedienung ein großes Glas mit rotem Inhalt an Parks Tisch brachte. Park runzelte bei seinem Anblick verwirrt die Stirn.
»Unser Freund Park hat soeben seine Lieferung gekriegt«, bemerkte Jack.
Paul drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie Park ihnen den Stinkefinger zeigte.
»Was haben Sie ihm denn bringen lassen?«
»Einen Shirley Temple. Ich könnte mir denken, dass er im Dienst keinen Alkohol trinken darf.«
Paul schmunzelte. »Sie wollen sich mit dem Kerl doch nicht anlegen, oder?«
»Was gibt es hier schon anderes zu tun?«
Die Bedienung brachte Platten mit brutzelnd heißen Krabben, dampfende Schüsseln mit Reis und knackigem Gemüse aus dem Wok. Sie ließen es sich schmecken, aber Paul war in Gedanken immer noch bei Rhodes’ USB
-Stick. Er war froh, dass er heute sein kleines Experiment mit dem Test-Stick durchgeführt hatte. Er hatte zwar vermutet, dass er das Ding nicht durch ihre Kontrollen bringen würde, aber sicher war er sich nicht gewesen. Hätte der Wachmann heute den CIA
-Stick in seiner Tasche entdeckt, würde er jetzt wahrscheinlich in einem Flieger in die Vereinigten Staaten sitzen oder in einer engen singapurischen Gefängniszelle auf und ab gehen. Das einzig Positive war, dass sie keine Leibesvisitation vornahmen. Bei Dalfan legte man großen Wert auf Sicherheit, aber man war nicht paranoid. Ein Fehler ihrerseits,
sagte er sich.
Ruhig kauend sann er über das Problem nach. Selbst wenn er seinen Test-Stick hätte behalten dürfen, hätte er heute keine Gelegenheit bekommen, probehalber Daten davon auf seinen Dalfan-Computer zu laden, und laut Bai hätte es ohnehin nicht funktioniert, da der Verschlüsselungscode von Dalfan fehlte.
Bai war selbst eine Sicherheitsbarriere, fand Paul. Wenn der Mann weiter so an ihm klebte, würde er nie eine Gelegenheit bekommen. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass die Mission scheiterte oder dass er bei dem Versuch, sie auszuführen, erwischt wurde. Beide Szenarien missfielen ihm. Außerdem hatte Rhodes gesagt, dass es bei Dalfan wahrscheinlich gar keine Probleme gebe – und dass die Installation der Software nur eine Vorsichtsmaßnahme sei. Und so kam er, während er so dasaß, plötzlich zu dem Schluss, dass es das Risiko nicht wert war. Es wurde Zeit, eine dritte Option ins Auge zu fassen. Vielleicht sollte man die Mission einfach abblasen.
»Wenn Sie nichts finden und ich auch nicht, sollten wir hier vielleicht Schluss machen und früher nach Hause fliegen«, sagte Paul.
Jack lachte. »Wieso denn? Langweilen Sie sich auch so wie ich?«
»So ähnlich. Dr. Fairchild hätte sicher nichts dagegen, wenn wir die Sache zügig zum Abschluss bringen.«
»Rhodes schien aber schon zu wollen, dass wir hier eine ernsthafte Prüfung durchführen.«
»Aber er will auch, dass wir am Ende unseren Segen geben.« Paul trank sein Glas aus. Er wollte nicht den Eindruck erwecken, dass er der Sache zu viel Bedeutung beimaß. »Ich meine, Sie waren ja auch nicht gerade wild auf diesen Auftrag, und ich muss zurück. Also was immer Sie tun wollen, ich bin dabei.«
Paul hoffte bei Gott, dass Jack anbiss. Er bezweifelte, dass seine Nerven das weitere vier Tage aushielten.
»Ich weiß nicht. Wo wir schon hier sind, können wir unseren Job auch richtig machen. Gehen wir weiter nach Schema F vor und warten ab, was dabei herauskommt.«
»Okay. Klingt vernünftig.« Paul kämpfte gegen eine aufsteigende Panik an. Als die Kellnerin vorbeiwischte, hielt er sein leeres Glas hoch und ließ das Eis klirren. »Noch einen.«
Sie nickte und eilte zur Bar.
Paul seufzte. Es würde eine lange Woche werden.