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J
ack machte Pauls anderen Arm los und wollte ihm aufstehen helfen, doch der große Mann knickte in den Knien ein. Um nicht hinzufallen, griff er mit der unversehrten Hand nach Jacks Unterarm und umklammerte ihn wie ein Schraubstock. Jack wunderte sich, wie kräftig er zupackte, schob den Gedanken aber beiseite und half Paul, sich auf den Boden zu legen.
Lian kam mit einem Erste-Hilfe-Kasten über der Schulter wieder in den Raum gerannt. Sie kniete sich neben Paul hin und untersuchte seine verletzten Finger. Obwohl sie jahrelang Polizistin gewesen war, setzte ihr der grausige Anblick zu.
Auch Jack sah, was los war. Der Scheißkerl mit dem Menjoubärtchen hatte Paul die Fingernägel herausgerissen. Jack machte sich schwere Vorwürfe, dass er nicht früher gekommen war.
»Das alles tut mir sehr leid«, sagte er.
Paul schüttelte den Kopf und bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton heraus.
»Ich fürchte, er könnte in einen Schockzustand fallen«, sagte Lian, während sie die Wunden reinigte und die Blutungen stillte.
Jack kippte den Bürostuhl um, hob Pauls Beine an und legte sie auf die Stützstreben rund dreißig Zentimeter über dem Boden, dann zog er seine Jacke aus und breitete sie über seine wogende Brust. Wind rüttelte an den Fenstern.
»Jack …«
»Ganz ruhig, mein Freund.«
Auf Pauls Gesicht perlte Schweiß. »Wir müssen dieses Virus stoppen.«
»Wie denn? Es ist bereits geladen.«
Paul zeigte mit dem gesunden Daumen kraftlos auf seinen toten Peiniger. »Chuckles, der Clown da drüben, hat mir erzählt, dass es erst aktiviert wird, wenn morgen früh um sieben Uhr der Handel mit Dalfan-Aktien beginnt. Wenn wir vorher den IT-Vorstand der Hongkonger Börse verständigen, können wir das Virus isolieren oder löschen – oder zumindest verhindern, dass es aktiviert wird.«
»Die Telefone funktionieren nicht. Laut BBC
wird der Sturm hier bis morgen früh um zehn alles im Griff haben.«
»Was ist mit Ihrer Botschaft?«, fragte Lian, während sie Pauls Finger verband. »Wir könnten versuchen hinzufahren.«
»Selbst wenn wir das schaffen und noch jemand da ist, der etwas zu melden hat, wird er wahrscheinlich auch nicht nach draußen telefonieren können.«
»Laut Wetterdienst ist der Sturm ins Stocken geraten«, sagte Lian. »Ab Kuala Lumpur, das nördlich von hier liegt, gehen immer noch Flüge.«
»Das bedeutet, dass malaysische Mobilfunknetze und andere Dienste wahrscheinlich noch funktionsfähig sind.« Jack wusste, dass es dort eine US-Botschaft und eine CIA
-Station gab. Dort mussten sie hin. »Wie lange fährt man dahin?«
»An einem normalen Tag? Dreieinhalb Stunden, vier bei Verkehr.«
Jack blickte auf seine Uhr. »Uns bleiben noch knapp sieben Stunden.« Er spähte wieder aus dem Fenster in den tosenden Sturm hinaus. »Ich muss es versuchen.«
Auch Lian sah das Unwetter. »Natürlich müssen wir es versuchen.«
»Wir? Von ›wir‹ kann keine Rede sein.« Die Chancen, es bei einem solchen Wetter zu schaffen, waren gering. Die Chancen, mit dem Leben davonzukommen, vielleicht noch geringer.
Lian verband Pauls letzten Finger. »Sie müssen hier bleiben und sich ausruhen. Wenn Sie in einen Schockzustand fallen, können Sie sterben.«
»Versuchen Sie, mich aufzuhalten, Ms. Fairchild.« Paul wollte aufstehen.
Jack legte ihm eine Hand auf die Brust. »Ich kümmere mich darum.«
Paul schlug seine Hand weg. »Das können Sie vergessen. Sie sind ja nicht nach Strich und Faden verarscht worden. Außerdem, sehen Sie sich doch mal an.«
Am rechten Oberarm, wo es Jack erwischt hatte, war sein Hemdsärmel blutig.
»Zeigen Sie mal her«, sagte Lian, zog ein rasierklingenscharfes Messer aus dem Verbandskasten und schnitt damit Jacks Ärmel weg.
»Nicht allzu schlimm«, befand sie. »Nur ein Kratzer. Die Haut ist zerfetzt, Muskeln und Knochen haben aber nichts abgekriegt. Tut es weh?«
Die Wirkung des Adrenalins war abgeflaut. »Fühlt sich an, als hätte mir jemand ein Brandeisen aufgedrückt.«
»Geben Sie mir eine Minute.«
Lian säuberte und verband die Wunde zügig. »Abgesehen von den Antibiotika trage ich auch ein Lokalanästhetikum auf. Hoffen wir, dass es Ihnen gegen die Schmerzen hilft.«
»Das tut es bereits, danke.«
»Wir müssen die Wunde im Auge behalten, aber ich glaube nicht, dass sie Probleme machen wird.« Sie hielt den abgeschnittenen Ärmel hoch. »Das da tut mir leid.«
Paul reichte Jack seine Jacke, als er sich stöhnend aufsetzte. »Die werden Sie brauchen.«
»Mir wäre lieber, Sie würden hier bleiben«, sagte Jack, während er Paul auf die Beine half.
»Mir wäre auch vieles lieber, Jack.« Paul betrachtete seine verbundenen Finger. »Und im Moment am liebsten wäre mir eine Tasse Tee.«
»Wir haben kein Fahrzeug«, sagte Lian.
»Der Minivan der Typen hat draußen gestanden. Einer von ihnen muss die Schlüssel haben.«
»Ich gehe meine Pistole suchen«, sagte Paul, die Waffe meinend, die Jack ihm am Abend gegeben hatte, und fasste seinem Peiniger in die Jackentasche. Er fand die kleine Makarow und einen Diplomatenpass – einen bulgarischen. Danach hieß der Mann Petrow. Paul bezweifelte es. Trotzdem steckte er den Pass in die Hosentasche. Er sah eine schicke Ledertasche in der Ecke stehen, kam aber nicht auf die Idee, sie zu durchsuchen. Er wusste nicht, dass Wolz mit Zvezdev telefoniert hatte, als er vor Schmerz ohnmächtig geworden war, und dass er dazu ein Satellitentelefon benutzt hatte, das jetzt wieder in der Ledertasche steckte.
Auch Jack und Lian durchsuchten Hosen- und Jackentaschen. Jack tauschte seine Makarow gegen die 9-mm-Glock, die Lians Mann getragen hatte. Er prüfte das Magazin. Dreizehn Schuss. Zum Glück hatte der Mann ein zweites, volles Magazin mit weiteren fünfzehn Schuss bei sich.
»Gefunden!«, rief Lian und hielt die Autoschlüssel in die Höhe.
»Fahren wir!«