56

Feuerausfallprobe

»WARTE MAL KURZ. « Jaxon schreitet ein, sieht so verwirrt aus, wie ich mich fühle. »Heißt das, die Tränen von Eleos, von denen Jikan uns erzählte, sind in Wahrheit die Quelle der Jugend?«

Tess hebt eine Braue. »Oder es ist in Wahrheit umgekehrt.«

Aber Jaxon lässt nicht locker. »Und wir müssen ein Spiel spielen, um dieses … Ding zu bekommen?«

Sie lacht und wirft die langen schwarzen Haare zurück. »Eher ihr müsst euch darauf vorbereiten zu leiden, wie ihr nie zuvor gelitten habt. Aber klar, ihr könnt es ein Spiel nennen, bei dem ihr das Elixier zu gewinnen versucht, wenn ihr euch dann besser fühlt.«

»Ich verstehe das nicht«, sage ich.

Jetzt ist sie an der Reihe, verwirrt dreinzublicken. »Du meinst, Jikan hat euch wirklich nichts von den Unmöglichen Proben erzählt? Das ist erheiternd.«

Das klingt ja vielversprechend. Wir haben bereits eine Unzerstörbare Bestie besiegt und sind einem Unentrinnbaren Fluch entkommen. Was sind da schon Unmögliche Proben für uns. Hoffentlich nicht unmöglich. »Nein, hat er nicht«, erwidere ich. »Aber der Name der Proben soll wohl andeuten, dass die Suche nach den Tränen jederzeit den Tod bedeuten kann? Niedlich.« Aber es ist kein bisschen niedlich.

Und es ist auch nicht niedlich, dass ein Gott beschlossen hat, die wichtigen Details auszulassen, als er uns auf diese weitere Quest schickte. Ich brauche wirklich ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Ich arbeite lieber in Unwissenheit«. Damit es zu dem Tattoo auf meiner Stirn passt.

Ich verdrehe die Augen und blicke zu den anderen, hoffe, dass sie Bescheid wissen, aber ein wenig schockiert muss ich feststellen, dass ihre Mienen genauso überrascht wirken wie meine wohl auch.

Ich drehe mich wieder zur Toffeemacherin um und sage: »Er meinte nur, dass es ein mächtiges Gegenmittel gibt in St. Augustine, Florida, das uns helfen würde, mit einem Gott-Killer-Gift zurechtzukommen.«

Es klingt verdreht, wenn ich es laut ausspreche gegenüber jemandem, der nicht zu meiner Gruppe gehört, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht besagt, dass der Historiker richtiglag, selbst wenn er ein totaler Arsch war, was die Details angeht.

»Er sagte, dass es von einer uralten Kreatur geschützt wird, also sind wir hier, um ein Monster zu erschlagen, das Elixier mitzunehmen und eine Armee zu retten.« Was sogar noch verdrehter klingt als meine vorherige Aussage, doch ich hebe das Kinn trotzdem.

Sie schüttelt nur den Kopf. »Und ich fing eigentlich gerade an, euch zu mögen.«

»Die Tatsache, dass wir nicht mehr über diese Proben wissen, ändert das wie genau?«, fragt Flint.

»Es erhöht die Chance auf den Tod von neunundneunzig Komma neun Prozent auf definitive einhundert, also …« Sie seufzt. »Ja, definitiv sinnlos, Gefühle zu entwickeln.«

»Das ist mal eine interessante Rechnung, die du da laufen hast«, kommentiert Eden.

»Eine Rechnung basierend auf Erfahrung ist die genaueste«, entgegnet Tess. »Und ich habe eine Menge Erfahrung darin, Leute antreten und leiden zu sehen.«

»Warum sehen Paranormale ihre Art nur so gern bei dummen Wettkämpfen sterben?«, murmle ich. Ich hab es einfach satt. Von Ludares über den Kampf gegen die Riesen, um aus dem Gefängnis zu entkommen, zu dem hier, langsam wird das alles ein wenig albern. Und blutrünstig.

»Oh, diese Arena und die Tribünen waren nicht immer hier, Gargoyle.« Sie beantwortet, was ich für eine rhetorische Frage hielt. »Die Leute suchen seit mehr als einem Jahrtausend an diesem Ort nach den Tränen – der Quelle der Jugend. Schließlich haben sich Menschen in diesem Gebiet ausgebreitet, also haben wir sie noch besser verborgen. Stellt sich raus, dass es auch ein gewaltiger Umsatzbringer ist, den Dümmsten unserer Art dabei zuzusehen, wie sie versuchen zu gewinnen.«

»Du meinst sterben«, stößt Flint vor. »Du magst es, Leuten beim Sterben zuzusehen.«

Sie starrt den Drachen böse an. »Ich sage nie, was ich nicht meine. Jeder, der als Zuschauer herkommt, drückt jemandem die Daumen, dass er Erfolg hat, im Angesicht immenser Widerstände siegt. Das ist alles, was ich jemals wollte.«

»Dann macht es dir ja sicher nichts, uns gewähren zu lassen«, sagt Hudson. »Was genau sind diese Unmöglichen Proben und warum ist die Wahrscheinlichkeit zu sterben so hoch?«

Tess sieht aus, als denke sie darüber nach, ob sie antworten will oder nicht, aber am Ende zuckt sie mit den Schultern. »Die Proben führen dich zur Quelle der Jugend. Sie besteht aus einer Reihe von Tests, in denen der Suchende beweisen muss, dass er die Fähigkeiten, die Macht und das Herz hat, den Fluch zu brechen und uralte Magie freizulassen.«

Ich schaudere bei dem Wort »Fluch« und mein Blick begegnet Hudsons. Er verschränkt seine Finger mit meinen, dann beugt er sich zu mir und flüstert: »Unentrinnbare Flüche brechen wir zum Frühstück.« Und ich schenke ihm ein kurzes Lächeln.

»Bei einer neunundneunzigprozentigen Todesrate gehe ich davon aus, dass die Proben gefährlich sind«, kommentiert Macy.

»Einhundertprozentige Todesrate«, korrigiert Tess. »Ich sagte, ihr habt eine neunundneunzig-Komma-neun-prozentige Chance zu sterben. Und das sage ich eigentlich nur, weil ich optimistisch bin und überzeugt, dass eines Tags tatsächlich jemand gewinnen wird.«

»Eine hundertprozentige Todesrate?«, frage ich und Angst macht sich in meiner Magengrube breit. »Du meinst, niemand hat bisher die Proben überlebt?«

»Natürlich nicht. Warum sonst hätten wir die Tränen immer noch hier? Das ist ein einmaliges Elixier. Wenn jemand tatsächlich gewonnen hätte, könnte ich endlich meine Toffeesachen an den Nagel hängen.«

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, und es ist ziemlich offensichtlich, dass es den anderen genauso geht. Schweigen herrscht, aber gerade als es scheint, als würde Tess uns Lebewohl sagen wollen, fragt Hudson: »Wenn wir uns also dazu entschließen, bei den Proben anzutreten, was genau müssen wir tun?«

Tess’ Antwort kommt sofort. »Ihr solltet nicht antreten.«

»Tja, ich denke, das haben wir schon begriffen«, erwidert Hudson. »Aber was, wenn wir antreten müssen?«

»Na, wenn ihr das müsst, dann müsst ihr wohl.« Wieder will sie sich abwenden.

»Nein, er meint, wie funktioniert es?«, frage ich. »Melden wir uns an? Nehmen wir alle zusammen teil? Wann würde der Wettkampf beginnen? Woher wissen wir, ob wir bei einem der Tests gewinnen oder verlieren?«

»Der Wettkampf beginnt, wann immer ihr ihn verlangt. Jederzeit, Tag oder Nacht. Ihr wisst, dass ihr gewonnen habt, wenn ihr am Ende noch am Leben seid, und ihr wisst, dass ihr verloren habt, wenn ihr tot seid«, antwortet Tess. Die Tatsache, dass sie da bei keine Miene verzieht und vollkommen ernst wirkt, sorgt dafür, dass ich noch besorgter und verwirrter bin.

»Was die anderen Fragen angeht, es können nicht mehr als zwölf zugleich antreten. Das Betreten des Felds genügt als Meldung, und …« Sie sieht auf ihre Uhr. »Der Wettkampf kann beginnen, sobald ihr bereit seid.«

Als sie sich dieses Mal umdreht, lassen wir sie gehen. Nicht weil ich den Gedanken aufgegeben habe, für die Heilung meiner Leute anzutreten, sondern weil wir wenigstens besprechen müssen, was wir tun wollen. Ich finde, alle anderen müssen komplett an Bord sein, bevor wir unsere Leben aufs Spiel setzen, wenn es so klingt, als wäre eine Chance aufs Überleben beinahe nicht vorhanden.

Überraschenderweise geht Tess nur ein paar Schritte, bevor sie sich wieder mir zuwendet. »Finde eine andere Möglichkeit, Grace.«

Ich zucke zusammen, weil sie meinen Namen kennt. »Ich glaube nicht, dass es eine andere Möglichkeit gibt. Das ist das Problem.«

»Wenn ein Pfad dich in den sicheren Tod führt, gibt es immer einen anderen Weg«, sagt sie. »Deine Macht ist stark, aber sie ist neu und sie wandelt sich, und das ist ein Nachteil für dich. Im Moment fehlt dir das Selbstbewusstsein, sie zu nutzen, und das wird dich – und deine Freunde – umbringen.«

»Meine Freunde haben auch Fähigkeiten. Sie haben sie länger und können sie besser kontrollieren.« Ich weiß nicht, warum ich mit ihr diskutiere, nur dass ich nach einem Grund suche, hierzubleiben. Nach einem Grund suche, den Plan, der mit jeder Sekunde törichter scheint, auch wirklich durchzuziehen.

»Du hast recht. Da steckt eine ordentliche Portion Talent in ihnen allen. Aber ihre Fähigkeiten sind kein Vergleich zu dem, was ich in dir heranwachsen spüre, und du bist die, die unsicher ist.«

»Das …«

»Kommt zu einem anderen Zeitpunkt zurück, Grace. Du bist nicht bereit.« Sie tippt auf die Nummer auf ihrem Shirt. »Dreitausendsechshundertfünfundneunzig Leute sind angetreten. Keiner hat überlebt. Lass uns nicht dreitausendsiebenhundertzwei daraus machen.«

Plötzlich ist ein Kloß in meiner Kehle und ich muss mehrmals husten, bevor ich sprechen kann. »Was, wenn wir trotzdem antreten wollen?«

»Alle denken, dass sie gewinnen, Kleine«, erwidert sie. »Ansonsten würden wir gar nicht aufstehen.«

Dieses Mal halten wir sie nicht auf und lassen sie gehen.