109

Das liegt in der Halbgöttinnen- DNA

»WIE HAST DU DAS GEMACHT?«, fragt Jaxon misstrauisch.

Delilah verdreht die Augen mit einem Seufzen. »Was denkst du, wo du deine ganze Macht herhast, Jaxon? Von deinem Vater?« Sie lacht freudlos. »Warum alle diesem Mann den Kult um sich selbst abkaufen, werde ich nie verstehen. Er ist schließlich einfach nur ein Vampir.«

Das ist ein guter Punkt, einer, der mich auf alles Mögliche bringt, worüber nachzudenken ich gerade keine Zeit habe. Besonders, als die Vampirkönigin die Hände hebt und sagt: »Und? Gehen wir jetzt?«

»Einfach so?«, frage ich zweifelnd. Das erscheint zu leicht, als würde sie uns vielleicht nur gehen lassen, damit Cyrus und seine Wachen uns wieder schnappen.

»So lautet das Abkommen«, antwortet sie ungeduldig. »Aber wenn ihr davon zurücktreten möchtet …«

»Wir treten nicht zurück«, sagt Macy schnell. »Kommt schon, bringen wir alle auf dem schnellsten Weg hier raus, bevor Cyrus und Isadora zurückkommen.«

Delilah dreht sich um und will alle hinausführen, dann hält sie inne und wendet sich wieder mir zu. »Cyrus muss den Göttlichen Stein an der Katmere um Mitternacht benutzen – dann ist die Superblutmondfinsternis, die einzige dieses Jahr.«

»An der Katmere?«, frage ich und mein Herz schmerzt bei der Erinnerung an all das Geröll. »Die Katmere gibt es nicht mehr.«

Delilah hebt eine Braue. »Es gibt einen Altar den Pfad hinab westlich der Katmere, an einem großen Baum vorbei. Mehr weiß ich nicht, aber ich schlage vor, ihr tut, was immer du vorhast, bevor er da ankommt.«

Ich berechne die Zeitzonen zwischen hier, Florida und Alaska und die Zeit, die wir vermutlich für die Proben brauchen, und das wird alles ziemlich knapp. Aber dann erinnere ich mich daran, dass es egal sein wird, ob er ein Gott ist oder nicht, wenn die Armee befreit ist und die Krone funktioniert.

Ich halte den Blick der Frau fest. »Danke, Delilah.«

Es ist ihr sichtlich unangenehm, meinen Dank anzunehmen, denn sie antwortet höhnisch: »Ich freue mich auf meine Rache, das ist alles.«

Ich schüttle den Kopf, dann wende ich mich wieder den anderen zu und dränge sie zur Eile.

Jaxon und der Orden gehen mit den Vampiren voraus, folgen Delilah durch den langen, dunklen Gang, der an den Zellen vorbeiführt. Eden und Flint treiben die Drachen hinter ihnen heraus – einer vorn und die andere hinten mit den Nachzüglern, ein paar Lehrer springen ein und helfen ihnen –, während Dawud und Calder das Gleiche bei den Wölfen machen.

»Hudson und Remy können die Hexen übernehmen«, sage ich zu Macy, als wir in den hinteren Teil des Kerkers laufen. »Wir holen deine Eltern.«

»Danke.« Sie wirft mir ein dankbares Lächeln zu und ich beuge mich vor, helfe Onkel Finn auf die Beine.

»Geht es dir einigermaßen?«, frage ich.

»Mir geht es super«, antwortet er, doch die Worte klingen gepresst und ein wenig atemlos.

Trotz der offensichtlichen Schmerzen streckt er meiner Tante die Hand entgegen. »Komm, Rowena. Dank unserer Tochter und unserer Nichte ist es endlich an der Zeit, dich hier herauszuholen.«

Rowena stößt einen ungläubigen, kurzen Schrei aus und erlaubt es Macy und Onkel Finn, ihr aufzuhelfen und sich mit ihr in Bewegung zu setzen. Es geht langsam voran und sie zuckt bei fast jedem Schritt zusammen.

»Hilft es, wenn ich dich trage?«, fragt Hudson, der hinter einer Gruppe Hexen steht. »Ich möchte nicht riskieren, dass du dich selbst noch mehr verletzt.«

Zuerst sieht es aus, als würde Onkel Finn widersprechen – es ist offensichtlich, dass er seine Frau in Sicherheit tragen möchte –, aber er ist selbst in furchtbarer Verfassung.

Mein Onkel muss das auch begreifen, denn er nickt. »Danke, Hudson.« Dann wendet er sich an Tante Rowena. »Das ist der Gefährte von Grace, Rowena. Sein Name ist Hudson. Er wird dir nichts tun, aber er kann uns helfen, dich hier herauszubringen, wenn du das zulässt.«

Eine Sekunde lang sieht es aus, als würde meine Tante Nein sagen – und ich könnte es ihr nicht verdenken. Sie war hier jahrelang als Cyrus’ Punchingball eingesperrt und sicher auch der einer Menge anderer Vampirwachen. Ich würde verstehen, wenn sie sich nicht von einem fremden Vampir tragen lassen wollte. Und ich würde eine Möglichkeit finden, sie selbst zu tragen.

Doch Tante Rowena ist klar genug zu begreifen, was hier auf dem Spiel steht, also nickt sie und zuckt nur ein wenig, als Hudson sich hinabbeugt und sie aufhebt, obwohl sie ihm nervöse Blicke zuwirft.

»Ich gebe mein Bestes, dich nicht durchzuschütteln oder dir wehzutun«, sagt er und dann laufen wir eilig nach vorn. »Aber bitte sag es mir, falls doch.«

Sie nickt wieder, spricht aber immer noch nicht. Tatsächlich gibt sie keinen Ton von sich, bis wir an die Eisentore vorn an der Zelle gelangen. Hudson will gerade hindurchgehen, da schreit sie, als wolle man sie umbringen.

Er erstarrt sofort, sein Blick zuckt zu meinem und fleht unmöglich zu übersehen um Hilfe.

»Was ist los, Mom?«, fragt Macy, die an ihre Seite eilt. »Was tut dir weh?«

Macy sieht Hudson an, doch der schüttelt nur den Kopf. »Ich habe sie gar nicht bewegt. Ich weiß nicht, was los ist.«

»Ich glaube nicht, dass ich gehen kann«, sagt meine Tante nach einer Sekunde, und ihre Stimme bricht in Besinnung auf all das, was sie erlitten hat.

»Warum nicht?«, fragt Macy und in ihren wunderschönen blauen Augen zittern Tränen. »Mom? Es ist sicher. Cyrus wird dir nichts tun, aber wir müssen jetzt los.«

»Das ist es nicht. Cyrus hält mich hier im Kerker fest, aber …« Sie bricht ab und sinkt wieder gegen Hudsons Brust, als wäre das Reden schon zu anstrengend für sie. Was sein könnte nach dem, was sie alles durchgemacht hat – und das, weshalb sie geschrien hat, als stünde sie in Flammen.

»Was ist es dann, Mom?«, fleht Macy. »Sag uns, was du brauchst, dann machen wir das. Das schwöre ich.«

»Ich schulde der Alten weiterhin einen Gefallen«, antwortet Tante Rowena endlich. »Ich glaube nicht, dass ich hier wegkann, bis ich ihn erfüllt habe.«

»Was ist das für ein Gefallen?«, frage ich. »Wir erledigen das für dich.«

Das ist ein echt mutiges Versprechen, da ich nichts über diesen Gefallen und nichts Gutes über die Alte weiß, aber die Zeit läuft uns davon. Je länger wir hierbleiben, desto höher ist die Chance, dass Cyrus uns findet. Und ich habe keine anderen Asse mehr im Ärmel, nichts, um uns noch eine Chance zu verschaffen, hier herauszukommen.

Tante Rowena sieht Onkel Finn an, der nickt. »Sie sind keine Kinder mehr, Ro. Unsere Tochter und ihre Freunde …« Seine Stimme bricht und er räuspert sich, bevor er erneut ansetzt. »Sie haben wirklich Erstaunliches geleistet.«

Meine Tante muss ihm glauben – oder sie resigniert einfach –, denn sie nickt. Dann flüstert sie kaum hörbar: »Ich muss ihr ihre Tochter bringen.«

»Ihre Tochter?«, stößt Hudson hervor, schockiert. »Die Alte hat eine Tochter am Vampirhof?«

Und plötzlich macht es klick und alles passt zusammen. Alles.

Cyrus hatte keine Affäre mit einer Hexe. Er hatte eine Affäre mit der Alten. Und die Tochter der Alten wäre eine Halbgöttin wie ich. Eine Halbgöttin wie Izzy .

»Izzy ist ihre Tochter«, sage ich. »Und anscheinend auch meine Cousine.«

Hudsons Augen werden groß und ich kann sehen, dass er die Puzzleteile zusammenfügt so wie ich gerade.

»Warum siehst du so bestürzt aus?«, fragt Onkel Finn. »Immerhin wissen wir jetzt, wer sie ist, und können einen Plan schmieden, damit sie uns begleitet.«

Macy lacht, aber nicht fröhlich. »Gesprochen wie ein Mann, der Isadora Vega noch nie zu etwas überreden versuchte, was sie nicht will.«

Was wohl das Wahrste ist, was ich seit Langem gehört habe. Denn nicht nur müssen wir Izzy davon überzeugen mitzukommen – wir müssen das tun, bevor sie ihrem Vater verrät, dass wir gerade fliehen.