MACYS PORTAL ENTLÄSST UNS keine zehn Schritte vom Toffeeladen in St. Augustine, und Monstertoffee sieht nachts noch unheilvoller aus als im Morgengrauen. Wir alle waren uns einig, dass wir keine Zeit verschwenden und uns zu den Unmöglichen Proben aufmachen sollten – die Blutmondfinsternis findet in wenigen Stunden statt –, also hoffen wir, dass Tess es ernst meinte, als sie sagte, dass der Wettstreit jederzeit beginnen könne, »Tag oder Nacht«.
Ich sehe zu Hudson, der auf dem Bürgersteig steht, und grinse. Remys »Geschenk, an dem er nachhaltig Freude haben wird« entpuppt sich als Ring, mit dem Hudson von seiner Gefährtin trinken und dennoch im Sonnenlicht wandeln kann. Es ist so erleichternd, dass wir nur in einem Wettlauf gegen die Mondfinsternis antreten und nicht auch gegen die Sonne. Und es ist super, dass so niemand mehr die Details unseres Sexlebens mitbekommt.
Aber gerade jetzt, während wir auf die Ladenfront von Monstertoffee starren, fange ich an, mich wie einer dieser Charaktere in Horrorfilmen zu fühlen, über die sich alle lustig machen – die, die in das ultragruselige Haus gehen, obwohl sie wissen, dass es darin spukt, und dann den Kerl mit Hockeymaske und blutigem Messer zum Tee einladen.
Es könnte aber auch einfach sein, dass ich weiß, was darin auf uns wartet, und dass mich das gruselt. Gott weiß, lieber wäre ich überall sonst und würde alles Mögliche tun als das, was uns gleich bevorsteht.
Da das keine Option ist, drücke ich Hudsons Hand. Niemanden sonst möchte ich jetzt an meiner Seite haben. Und nicht nur wegen seiner Macht.
»Geht’s dir gut?«, fragt er und seine blauen Augen mustern mein Gesicht aufmerksam.
»Wenn du ›gut‹ definierst als ›überzeugt, dass dies die schlechteste Idee ist, die wir jemals hatten‹, dann klar. Mir geht’s gut«, antworte ich.
»Ich finde ja immer noch, deine schlimmste Idee war, eine Bindung mit Jaxon einzugehen«, neckt er mich. »Aber das hier könnte dichtauf an zweiter Stelle stehen.«
»Ja, weil Jaxons Gefährtin zu sein und an einem Wettstreit teilzunehmen, bei dem bisher buchstäblich alle Teilnehmenden umgekommen sind, genau das Gleiche ist.« Ich verdrehe die Augen.
Er macht ein »Wer weiß?«-Gesicht. »Um fair zu bleiben, sich mit Jaxon zu verbinden und bei Proben anzutreten, bei denen jeder stirbt, könnte wirklich das Gleiche sein. Vielleicht bist du ja die Glückliche, die wirklich beides übersteht.«
»Ihr wisst schon, dass ich hier stehe, oder?«, bemerkt Jaxon trocken und alle lachen. Die Anspannung verfliegt, so wie Hudson es wollte.
»Hey, Leute, ich habe endlich erraten, was Hudson mir mit dem Ring versprochen hat.« Ich grinse breit über die Schulter zum Rest der Gang, die Hudson und mir zur Tür des Toffeeladens folgt.
Hudson hebt bloß fragend die Braue, also fahre ich fort. »Er hat versprochen, mit mir zum Karaoke zu gehen, wann immer ich will.«
Er schnaublacht und ich lege meine Hand auf den Türgriff, drücke ihn jedoch noch nicht. Stattdessen wende ich mich um und necke ihn noch ein wenig weiter. »Wir singen auf jeden Fall im Duett Story of My Life !«
Und jetzt lachen alle los beim Gedanken an Hudson, der sich an einer Harry-Styles-Imitation versucht, um mich glücklich zu machen.
»Was, wenn du keinen Ton triffst?«, fragt er.
»Dann liebst du mich trotzdem«, erwidere ich und sein Lächeln nimmt sein ganzes Gesicht ein.
»Das würde ich«, sagt er. »Heißt aber nicht, dass ich Karaoke mit dir singe.«
»Hey!« Ich pikse ihn lachend.
Remy sagt: »Ich sing mit dir, Cher«, und Hudson wirft ihm einen Todesblick zu – was uns alle nur noch mehr erheitert.
Ich halte die Hand meines Gefährten, sehe in die Gesichter all meiner Freunde, während wir diesen einen perfekten, glücklichen Augenblick miteinander teilen, und fühle mich gesegnet. Flint, Jaxon, Mekhi, Macy, Eden, Byron, Dawud, Remy, Calder und Rafael. Meine Familie.
Ich drücke die Daumen, dass nicht abgeschlossen ist, dann ziehe ich an der Tür. Glücklicherweise öffnet sie sich, und als wir eintreten, bete ich, dass ich sie alle beschützen kann.
Hudson beugt sich herab und flüstert in mein Ohr: »Wir alle treffen unsere eigenen Entscheidungen.«
Und damit hat er recht. Das weiß ich. Eine pessimistische Einstellung hat noch nie jemandem geholfen, irgendwas zu schaffen. Aber als ich all diese bedrohlichen Märchenbäume sehe, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen, fällt es mir schwer, das nicht zu vergessen, denn ich will nur hier weg und mehr Zeit mit meinen Freunden verbringen.
Sicher, wir können es uns wirklich nicht leisten, Zeit zu verschwenden, weil Cyrus vermutlich in diesem Moment seine Armee zur Katmere führt, aber das Herz will, was das Herz will. Und gerade möchte mein Herz ein paar Stunden mehr.
Ein paar Stunden mehr mit Hudson, bevor wir einander vielleicht für immer verlieren.
Ein paar Stunden mehr, um mit Macy zu Watermelon Sugar zu tanzen.
Ein paar Stunden mehr, um mit Jaxon über schlechte Witze zu lachen oder mit Flint zu fliegen oder eine Million andere Dinge mit Eden und Mekhi und dem Rest unserer Freunde zu tun.
Aber bevor ich mir zu große Hoffnungen machen kann, betritt Tess den Laden aus dem Hinterzimmer, und ihr Blick begegnet meinem.
Sie lächelt ein reizvolles Lächeln, das echt scharfe Zähne enthüllt, und nimmt ein Stück Toffee aus dem Kelch auf dem Tresen. »Ich dachte schon, ihr kommt nicht zurück«, sagt sie und spielt mit dem Papier. »Und doch seid ihr hier, mitten in der Nacht. Süß.«
»Wir hatten viel zu tun«, antwortet Jaxon.
Sie mustert ihn mehrere Sekunden, als wäre er eine Stechmücke, die um ihren Kopf herumschwirrt, dann wendet sie ihren Blick wieder mir zu. »Also seid ihr dabei?«
Ich muss mich räuspern, um die Worte rauszubekommen, aber ich sage: »Ja, wir sind dabei.«
»Okay, na dann.« Sie greift unter den Tresen und zieht einen Ordner hervor. »Es gibt ein paar Verzichtserklärungen, die ihr unterschreiben müsst.«
Das ist so banal, dass ich es erst nicht mal begreife. Als ich es endlich verstehe, fragt Macy schon: »Wir sollen Verzichtserklärungen unterschreiben?«
»Mehrere sogar. Sie decken alles ab von Tod zu unbeabsichtigter Verstümmelung bis zu Unvermögen, magische Zauber umzukehren.« Sie öffnet den Deckel. »Wer zuerst?«
Ich sehe zu den anderen, die alle sowohl nervös als auch entschlossen dreinblicken. »Ich unterschreibe wohl zuerst«, antworte ich und trete an die Kasse zu Tess.
Und sie lacht los und knallt den Ordner zu, bevor ich sehen kann, was darin ist. »Ich verarsch euch nur, wollte sehen, ob ihr diesmal echt dabei seid. Wer braucht Verzichtserklärungen, wenn ihr vermutlich sowieso sterbt?«
Sie schiebt den Ordner wieder unter den Tresen und wendet sich um. »Folgt mir«, verkündet sie und geht auf die Tür zu, durch die wir beim letzten Mal gegangen sind.
»Wow. Ist sie nicht nett?«, kommentiert Byron leise.
»Nur, wenn du ›nett‹ und ›bösartig‹ als Synonyme verwendest«, gibt Dawud zurück. Aber in typischer Dawud-Manier senkt they nicht die Stimme.
Woraufhin Tess sich umdreht und freundlich lächelt. »›Bösartig‹ steht erst später auf dem Programm, aber wir können es etwas vorziehen, wenn dir das lieber ist.«
They erstickt beinahe an their Zunge, und Tess schubst die Tür zum Lagerraum auf und wir betreten die Arena. Der Boden ist aus Erde und Gras, fast wie ein Sportplatz, mit riesigen Steinrängen, die das perfekt runde Feld umgeben. Als wir bei unserem ersten Besuch im Toffeeladen einen Blick auf die Arena warfen, hatte ich den Eindruck, das Feld wäre draußen (was keinen Sinn ergibt, da wir im hinteren Teil des Ladens waren, aber na ja, es gibt vieles an dieser Welt, das keinen Sinn ergibt). Doch als ich jetzt den Himmel besser sehen kann, erkenne ich, dass es gar nicht wirklich der Himmel ist. Da ist eine Art Kuppel über der Arena, von innen beleuchtet, sodass sie fast zu glühen scheint. Es ist eigentlich ganz hübsch.
»Ja, das dachte ich auch.« Das Lächeln, mit dem Tess sich zu uns umdreht, ist so scharf wie einer von Izzys Dolchen und ihr Rock wischt im Gehen hin und her.
Heute ist sie ganz in Blutrot statt Schwarz gekleidet – blutrote Bluse, blutroter Rock, blutrote Stiefel. Mit Ausnahme des Gürtels, den sie sich dreimal um die Taille geschlungen hat, derselbe schwarze Gürtel wie zuvor. Ich versuche, ihr Outfit nicht als Omen dafür zu sehen, wie viel von unserem Blut wir auf dem Arenaboden vergießen werden, aber es ist schwer. Vor allem da sich die Ränge bereits mit Paranormalen füllen, als wir herauskommen.
»Woher wussten so viele, dass wir herkommen und antreten?«, frage ich, schockiert, dass sie alle mitten in der Nacht auftauchen.
»Magie«, sagt Tess trocken und zwinkert mir zu. »Schön, also, wie viele von euch treten an?«, fragt sie, nachdem die Tür sich hinter uns geschlossen hat und die Hitze Floridas uns trifft.
»Zwölf«, sage ich. »Du sagtest, das sei okay?«
»Ja, das ist das Maximum. Bist du sicher, dass heute so viele sterben sollen? Wir hatten seit einer ganzen Weile keine so große Gruppe mehr.« Sie blickt nachdenklich drein. »Und da lief es nicht besonders, wenn ich so darüber nachdenke.« Sie zuckt mit den Schultern. »Also, ja. Zwölf ist okay für mich, wenn es für euch okay ist.« Sie deutet zu den Plätzen hinter uns. »Setzt euch, solange wir die Arena vorbereiten.«
»Wir müssen warten?«, fragt Dawud hörbar nervös.
Nicht dass ich es nicht verstehe. Jetzt, da wir hier sind, möchte ich auch loslegen. Ich bin ziemlich sicher, dass es schwerer wird, die Arena zu betreten, je länger wir warten.
»Es dauert nur ein paar Minuten«, erwidert Tess und ich glaube, Mitleid in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Aber es verschwindet so schnell, wie es gekommen ist, genau wie sie. Ihre Stiefel klacken auf dem Beton, während sie eine unmöglich lange Treppe hinunterrennt.