DIE NÄCHSTEN ZEHN SEKUNDEN sind die nervenzerfetzendsten meines Lebens, während ich darauf warte, ob wir wieder mit den anderen vereint werden.
Beinahe alle, die mir auf der Welt wichtig sind – außer Jaxon und meiner Tante und meinem Onkel –, sind auf der anderen Seite dieser Wand, und sie müssen einfach okay sein.
Diese ganze Probensache ist schrecklich – und kein Wunder ist sie so schwer zu gewinnen, wenn das erst das erste Level war. Denn es geht nicht nur um die Schmerzen, die Jaxon und ich mit den von der Hölle besessenen Klötzen durchgemacht haben, die so übel waren. Es war, was wir hören, aber auf der anderen Seite der Mauer nicht sehen konnten, das uns vom Lösen des Puzzles so ablenkte.
Jedes Mal, wenn ich in die Sache reinkam, schrie jemand. Und dann konnte ich nur daran denken, was mit ihnen wohl geschah, was das Lösen des Puzzles eine Million Mal schwerer machte.
Es war schrecklich. Und das war erst Runde eins. Ich kann mir nicht mal ausmalen, was als Nächstes kommt.
Neben mir wippt Jaxon auf den Zehen. Anscheinend bin ich nicht allein nervös wegen dem, was wir auf der anderen Seite vorfinden könnten.
Die Arena ist endlich wieder zurückgefahren, sodass wir alle wieder in dem großen Ring sind. Im gleichen Moment rennen Jaxon und ich los auf die anderen zu – die einfach nur dastehen und uns ansehen, total erschüttert. Und auch so ziemlich von Kopf bis Fuß mit Schlamm bedeckt.
Aber es sind zehn – ich habe gezählt –, was heißt, sie alle haben überlebt, was immer zur Hölle passiert ist.
Hudson erreiche ich zuerst – oder genauer gesagt, er erreicht mich, denn er phadet in dem Moment auf mich zu, in dem er begreift, dass ich auf ihn zurenne.
Ich werfe mich ihm in die Arme und schlinge mich um ihn, missachte den Matsch völlig. »Du bist okay«, wiederhole ich und drücke meine Wange an seine. »Du bist okay, du bist okay, du bist okay.«
Er sagt nichts, aber er hält mich fest, als wäre ich seine ganze Welt. Mir geht es ganz genauso.
»Was ist passiert?«, fragt er, nachdem er sich endlich von mir gelöst hat. »Ich hörte dich schreien und …«
»Es war ein Puzzle. Wir mussten ein Puzzle mit verhexten Steinen lösen. Das war nichts.« Ich mustere ihn von Kopf bis Fuß, um sicherzugehen, dass er in Ordnung ist. »Was ist hier passiert?«
»Nue«, sagt Macy, die herankommt und mich umarmt. »Dutzende und Aberdutzende Nue.«
»Was ist das?«, frage ich, mein Wissen der paranormalen Welt lässt mich wieder mal hängen.
»Hybridwesen«, antwortet Eden. »Wie Mantikore, aber trotzdem anders.«
»Entschuldige, aber nein«, sagt Calder und klingt dabei höchst beleidigt. »Mantikore und Nue sind sehr, sehr unterschiedlich. Ich meine, es sei denn, du möchtest damit sagen, Drachen und Eidechsen sind gleich?«
Bevor Eden etwas erwidern kann, wendet Calder ihr den Rücken zu und geht zu Macy. »Denkst du, du kannst einem Mädchen mal aushelfen?« Sie klimpert meine Cousine an, was albern aussieht, da jeder Teil von ihr mit Matsch bedeckt ist – einschließlich ihrer Augenlider.
»Bin dir schon weit voraus«, antwortet Macy, tritt zurück und führt einen Gruppenzauber durch.
Er entfernt nicht allen Matsch – ein paar Streifen sind noch auf Armen und Gesichtern –, aber sie sehen eine Million Mal besser aus und fühlen sich vermutlich auch so.
»Was tun wir jetzt?«, fragt Mekhi, nachdem eine weitere Minute vergeht, ohne dass etwas passiert.
»Herausfinden, wen wir auf jeder Seite haben wollen«, schlägt Dawud vor. »Ich bin gut mit Rätseln – sogar bei gefährlichen –, also versuche ich diesmal, in dem Teil der Arena zu landen. Möchte sich mir jemand anschließen?« Es tut weh, wie Dawud versucht, Calder dabei nicht anzusehen, besonders da sie damit beschäftigt ist, sich Matsch aus den Haaren zu zupfen.
Als hätte die Arena nur darauf gewartet, dass jemand von uns einen Plan schmiedet, beginnt die Wand wieder zu verrutschen. »Wir gehen mit dir«, sagt Remy und nimmt Calder am Arm und zieht sie sanft auf Dawuds Seite zu. Sie geht ohne Widerworte mit.
Hudson sagt nichts, aber er schlingt einen Arm fest um meine Taille – ein sehr Definitives »Du kommst diesmal mit mir mit«, wenn ich je eins gespürt habe. Was für mich passt. Auf keinen Fall möchte ich von ihm oder einem der anderen in diesem Raum getrennt sein.
Dann kommt mir ein Gedanke: »Wenn er sich wieder in zwei Teile spaltet – was passiert, wenn der zweite Teil noch kleiner ist als der von Jaxon und mir eben? Wenn wir nicht am Ende jemanden in jedem Teil haben, könnte niemand das Puzzle lösen, um die andere Seite vom nächsten Albtraum zu befreien, richtig?«
Alle starren mich einen Herzschlag lang an, dann seufzt Remy. »Sie hat recht. Schwärmen wir aus und teilen den Raum auf. Bleibt in der Nähe von denen, bei denen ihr bleiben wollt, aber lasst uns dafür sorgen, dass wir jeden Abschnitt abdecken.«
Wir haben etwa drei Sekunden, um Remys Anweisung zu befolgen, dann ertönt ein lautes SCHNAPP und eine weitere Steinmauer fährt aus dem Boden. Zu schnell, um zur einen oder zur anderen Seite zu springen, aber immerhin scheint sie den Raum diesmal in zwei gleich große Teile zu trennen.
Dawud, Remy, Calder und Rafael verschwinden hinter der Mauer.
»Mach dich bereit«, murmelt Hudson mir zu.
Ich möchte ihm sagen, dass ich das bin, aber ich glaube nicht, dass einer von uns bereit ist. Nicht dass das wichtig wäre – dieses Ding kommt, ob wir bereit sind oder nicht.
Und kaum habe ich den Mund geöffnet, um meinem Gefährten zu antworten, da geht die eine Lichtquelle – der Lichtkreis, den Remy auch für diese Seite der Arena geschaffen hatte – aus. Und taucht unseren Bereich in vollkommene Dunkelheit.