Kapitel

Der Stier war größer und dicker als in den Jahren zuvor, und es war kein schwarzer Stier, sondern ein gescheckter, dessen Hörner ungleich waren wie zwei unterschiedlich fest geschlossene Augenlider. Zudem war er widerwillig: Man mußte ihn mit Kühen reizen und unzählige bunte Tücher schwenken, um ihn dazu zu bringen, mißtrauisch und langsam durch die steinernen Gänge der Stadtmauer zu gehen und in die Arena der Burg zu treten, wo das Tier, verwirrt von den Feuerwerkskörpern, von der Musik, von den Pfiffen, vom Applaus, von den Schreien dicht an den Schutzwänden, reglos stehenblieb, wachsam die Gestalten beobachtete, die an ihm vorüberrannten, ihn mit Jacken und Hemden reizten, die stolperten, hinfielen, wieder aufstanden, ihn von weitem herausforderten, ihn beleidigten, ihn verhöhnten, diesen starken, kompakten, muskulösen Stier, dem unerwartet der Piassavapalmenbüschel seines Penis vom Bauch herunterhing wie der Spitzbart eines Malers, diesen Stier, der, ohne zu fressen, zwei Tage lang von Badajoz oder Alvas in einem Käfig aus Holzstämmen hierher transportiert worden war, die mit Seilen und Tauen miteinander verbunden waren, der das Futter verweigerte und silbrige Kotkegel in den Lastwagen fallen ließ, die sofort ganze Trauben von Schmeißfliegen bedeckten, und als mich gestern der Vorsitzende des Bürgerhauses einlud, das Tier in seinem Gatter zu besichtigen, lag es auf dem Stroh, hatte die Vorderbeine unter dem Bauch angewinkelt und wandte uns, bevor es einschlief, verächtlich den riesigen Kopf zu. Ein vollkommen betrunkener Alter mit einer Wolldecke und einer Flasche neben sich hielt beim Stier Wache und pißte ihm durch eine Ritze in den Brettern auf die Flanke.

»Wie geht es, Herr Doktor?« fragte der Vorsitzende des Bürgerhauses, der unten im Büro der Zellulosefabrik arbeitete, ein magerer Diabetiker mit einem haarigen Muttermal auf der Nase, der nach dem Aceton seiner Krankheit roch wie die Maniküredamen beim Friseur. »Na, das hat sich doch gelohnt, ein paar Scheinchen für diese Wurst mit Hörnern auszugeben, nicht wahr?«

Hin und wieder, wenn sein Zuckerwert schlechter wurde, rief mich seine Frau in Reguengos an und erwartete mich an der Tür: in Begleitung der solidarischen Sorge der Nachbarinnen und den vollgepißten Nachttopf wie ein Baby im Arm, das so süß roch wie der vergorene Saft von Tausendschönchen.

»Er hat beim Geburtstag des Taufpaten jede Menge Kuchen gegessen, Herr Doktor, und nun sehen Sie sich mal den Tee an, den er mir da in den Topf gemacht hat.«

Und noch bevor sie mir diese geblümte Teekanne aus Ton reichte und Darf ich Ihnen einschenken? sagte, eilte ich ins Haus, in dem sich in allen Ecken Heiligenbildchen und Kinder stapelten, die beide gleichermaßen reglos waren, so daß man die echten nicht von denen aus Papier unterscheiden konnte, und trat, nachdem ich mir die Knie an mehreren Kistenecken verletzt hatte, in das Zimmer mit dem Bett, aus dem mir das haarige Muttermal des Vorsitzenden des Bürgerhauses aus einem Gewirr von Pyjama- und Kissenstreifen zulächelte und mir einen rötlich gefärbten Teststreifen wie eine Trophäe zeigte:

»Drei Kreuze, Herr Doktor, gleich drei Kreuze für ein lächerliches Cremetörtchen.«

»Mal sehen, wie er sich in der Arena aufführt«, sagte ich, während ich an den Flanken Narben von vorangegangenen Stierkämpfen und eine Wunde mit lauter Fliegen an ihrem eitrigen Rand entdeckte. »Der muß schon mindestens fünfzehn oder zwanzig Kämpfe hinter sich haben.«

Im Gatter nebenan rieben die Kühe dichtgedrängt die Knochen ihrer Kruppen an den abgewetzten Steinen der Burg, gegen die auch die zweigeteilten Hufe der Jungstiere traten, die im Latrinengestank in ihrer eigenen Scheiße herumtrampelten. Der alte Säufer, der die Knöpfe seines Hosenstalls mit den Hemdknöpfen verwechselte, näherte uns sehr würdig seine Triefaugen.

»Aus Sicherheitsgründen gestattet der Veranstalter niemandem den Aufenthalt bei den Tieren.« Ich erkannte in ihm einen der Bettler, die immer auf den Stufen der Kirche um Almosen baten und als Gegenleistung schmutzige Heiligenmedaillons aus Blech anboten.

»Um so besser«, sagte der vom Bürgerhaus, »wenn er zwanzigmal gekämpft hat, sollte er alle Tricks kennen, die die Tiere anwenden, um einem Menschen eines auszuwischen. Je mehr er ins Krankenhaus schickt, um so zufriedener ist das Publikum. Wenn kein Blut fließt, wäre das Mist, denn dann wäre die Stierkampfarena bald leer. Wer freut sich denn etwa nicht über das Unglück der anderen?«

In der Umgebung heulten zig Gespenster und Betrunkene, die im wirren Rhythmus der Blaskapelle aus Mourão herumhüpften, deren Musiker jeder für sich auf einer Museumsposaune bliesen.

Einen Augenblick lang dachte ich, daß der vom Bürgerhaus das einzige mehr oder weniger nüchterne Wesen des Bezirks war, die Einsamkeit der Abstinenzler, ihre tugendhafte, knochentrockene Traurigkeit schmerzte mich jedesmal wieder: In meiner Vorstellung ist das Paradies eine Art Klinik für deprimierte Engel, und die Schnurrbärte der Jünger sind das Löschpapier für ihre Tränen. Die Feuerwerkskörper des Festes krachten nach langen, schrägen, schießpulvernassen Pfiffen unsichtbar ins Dunkel. Man spürte in der Finsternis die stumme Anwesenheit der Achtzigjährigen, die marmorn auf den Schwellen hockten wie prähistorische Vögel auf Stromleitungen und Telefondrähten.

»Ich«, antwortete ich, »je mehr Verletzte es gibt, um so mehr Arbeit habe ich damit. Beim letzten Stierkampf habe ich ohne einen Krankenpfleger, der mir zur Hand ging, eine ganze Woche damit zugebracht, Beine und Backen zu nähen. Und Sie sollten zusehen, daß Sie mir mit Ihren lächerlichen Cremetörtchen nicht noch eins draufsetzen.«

»Nicht einmal ein Krümelchen Mandelbrot aus Alicante?« feilschte der Zuckerkranke.

Das in seinem Kotgestank versunkene Tier öffnete ein Auge und schloß es wieder: gelangweilt wie ein Fahrgast, der im Zug gezwungen ist, ein Abteil mit zwei idiotischen Schülern zu teilen.

»Wenn Sie mit dem Pfarrer sprechen, um die Beerdigung festzusetzen, sehe ich kein Problem«, sagte ich. »Ich bin es nur ein bißchen leid, seit zehn Jahren meine Nase in Ihren Nachttopf zu stecken.«

Der wie ein römischer Imperator in seine Decke gewickelte Bettler mit den Heiligenbildchen, dem die Heldentat gelang, schlimmer als die Kühe zu stinken, fragte neugierig aus der Dunkelheit:

»Was gibt es denn so Besonderes in einem Pißpott?«

Ein Windhauch vermischte die Aromen und verstreute die Musik. Es war Vollmond, und das Weiße in den Augen der Jungstiere reflektierte einen feuchten Glanz, der an der Oberfläche ihrer wie dunkle Felsen daliegenden Körper zu schwimmen schien.

Die Frau des Vorsitzenden des Bürgerhauses stand, einen Fuß auf der Straße, den anderen auf der Stufe zum Haus, immer noch mit dem Nachttopf im Arm da und bot jedem, der vorbeikam, den Duft der Pipi-Teekanne dar:

»Nun sehen Sie sich dieses Elend an, Dona Teresa.«

»Rosen, mein Freund«, erklärte ich dem Bettler, »dieser Herr trägt die heilige Elisabeth in seiner Blase.«

Und wegen der Verletzten, die ich erwartete, sagte ich am nächsten Morgen zur Krankenhausangestellten, einem bäurischen Geschöpf im karierten Kittel, die mit einem Beinbruch lautstark über die Küchenschabe diskutierte, die es in der Frühstücksmilch gegeben hatte oder nicht, sie möge die Instrumente und die Spritzen sterilisieren und mir die Gummihandschuhe und die Dosen mit den Kompressen in die Nähe des Untersuchungsbettes legen, das sich wie ein Katafalk in der Mitte eines ehemaligen Badezimmers erhob, in dessen zerbrochenem Klobecken noch immer beharrlich ein neolithischer Schiß schwamm.

»Wenn das keine Kakerlake ist, was ist es dann?« argumentierte der Beinbruch mit einem triefnassen Insekt auf der Handfläche.

Hinten in der Krankenstation, im winzigen Untersuchungszimmer, in dem man donnerstags und samstags um Hustensäfte, Injektionen, Trinkampullen und Einreibemittel gegen Rückenschmerzen bat, läutete das Telefon. Infusionsballons baumelten wie auf einem makabren Rummelplatz an großen Chromgestellen und tropften trübe Tränen in die Venen der Zirrhosen. Der Leiter der Geschäftsstelle stieg hinter seiner heilkräftigen Knoblauchpillenfahne aus dem Geisterbahnröntgenabteil, in dem in rötlicher Atmosphäre die Knochen schimmerten.

»Ein Krokodil«, antwortete die Angestellte. »Was dachten Sie denn, was das bei der Größe sein sollte? Eine Eidechse etwa? Und nun halten Sie mal die Krücke still, sonst gebe ich Ihnen eins zwischen die Hörner.«

Ich trottete den Korridor entlang zur Telefonklingel: Seit der Geschichte mit der Witwe vom Beerdigungsunternehmer ruft mich meine Frau stündlich an, um meinen Azimut festzustellen. Die Witwe übrigens auch, die hinter dem Tresen an einer Urne erster Klasse lehnt, und das Resultat dieser doppelten Bewachung ist, daß einige Verblichene aus Reguengos, wenn sie zum Friedhof befördert werden, die Knitterfalten und das Eiweiß meiner Leidenschaft verdecken: Das zweite Unternehmen am Ort machte mangels Kunden Pleite, und die wohlhabende Witwe kaufte von einem arabischen Emirat einen majestätischen Beerdigungswagen mit Klimaanlage, Vorhängen mit Sternchen, einem Kühlschrank für das Mineralwasser der Untröstlichen und dem Trauermarsch von Chopin auf dem Kassettenrecorder. Ich habe damit schon im August mit der Witwe einen Ausflug in den Algarve gemacht, die an meiner Schulter einbalsamierte Sinnenfreuden genoß: Abends gingen wir auf einem Campingplatz vor Anker, zogen die Vorhänge zu, knipsten die kleinen elektrischen Kerzen an, es ist ein phantastischer Wohnwagen. Der Trauermarsch von Chopin war zum Taktangeben ausgezeichnet, und die mit Sonnencremes gebutterten Deutschen in den benachbarten Zelten interessierten sich mit verblüfftem Ernst für die Trauerweiberorgasmen der Witwe. Während ich mich dem Telefon näherte, versuchte ich am Klingeln der Glocke zu erraten, wer von den beiden es sein würde, das zänkische Kreischen meiner Frau oder die herbstlich lüsterne Geiermelancholie der Besitzerin des Wohnwagens, die dem bankrotten Leichenträger eine Chance geben will, der mich manchmal aus den dunklen Höhlen der Cafés anruft und beleidigt, in denen er die Pfandscheine seines wütenden Verfalls vertrinkt.

»Wie Sie wollen, wie Sie wollen«, beeilte sich der Beinbruch hinter meinem Rücken zu flehen. »Ich bitte Sie nur, um Ihrer Gesundheit willen, mir nicht mit der Krücke auf den Gips zu schlagen.«

Ich öffnete die Tür der Rückenschmerzen und Hustensäfte und ging um den Schreibtisch, um das Telefon zu erreichen. Das Fenster zeigte mir die gewohnten Häuser, die gelb und gedrungen waren wie Zwerge mit Hepatitis, und einen Papagei, der Obszönitäten von sich gab und mich mit der begriffsstutzigen Beharrlichkeit eines Polizisten aus einem Augenwinkel anstarrte. Dieser Tage bringe ich das Luftgewehr meines Sohnes mit und werde es auf die gegenüberliegende Straßenseite richten und dann dem Vogel zusehen, wie er, in einen Stalaktiten aus Federn verwandelt, kopfunter an der Kette schaukelt, während ihm ein grandioses letztes Schimpfwort langsam von der Zunge rutscht.

»Du Mistkerl«, brüllte die Angestellte, »wenn du noch einmal mit dem Absauggerät des Krebskranken nach mir wirfst, setze ich dir eine Spritze mit Luft, und dann bist du dran.«

»Ja, bitte«, sagte ich zu den kleinen Löchern, während ich gleichzeitig dem Papageien, der die Brust aufplusterte, um mir »Arschloch« zuzukrächzen, den Stinkefinger zeigte. Es war elf oder zwölf Uhr, und ich schwitzte schon vor Hitze: Meine Frau, die mich zwingt, meine Schuhe auszuziehen und auf der Veranda zu lassen, vertraute mir einmal vor vielen Jahren an, daß sie sich in mich verliebt hatte, weil ich der einzige Mensch war, den sie kannte, der unter der Dusche schwitzte. Wahrscheinlich würden meine Achselhöhlen sogar am Nordpol naß werden.

Einer der Gründe, weshalb ich die Witwe mag, ist der, daß mich ihr Geruch erregt: eine schwere sexuelle Abartigkeit, nehme ich an, andere Leute werden von infizierten Überbeinen oder Hühneraugen oder bärtigen Frauen angetörnt.

»Ich rufe aus Monsaraz an«, sagte ein unbekanntes Brüllen, das zum schrillen Kreischen wurde, um die Trommeln der Blaskapelle, das Bellen der Hunde und die Explosionen der Feuerwerkskörper zu übertönen. »Ich bitte um Nachsicht, Herr Doktor, aber das Herz meines Großvaters setzt aus.« Nachsicht ist eines der Worte, die sogar einem, der dreiundzwanzig Jahre verheiratet ist, noch auf den Magen schlagen, eines der wenigen, nehme ich an, denn an die anderen haben wir uns ganz allmählich gewöhnt während der endlosen, stummen Abende, an denen das Fechten der Stricknadeln das Ticken der Uhren ersetzt und eine nie dagewesene, rentable Art der Zeitrechnung eingeführt hat: Eine Strickjacke entspricht einer Woche, eine Kindermütze einem Tag, ein Schal zwei Sonntagen, ein Rollkragenpullover einem Monat, und bis er an den Ellenbogen durchgewetzt ist, dauert es ein Jahr. Die Ehe hat zumindest den Vorteil, Wecker und Kalender zu überflüssigem Trödel zu machen. Wie die Ehemänner. Die morgens ungekämmt und in Pantoffeln diesen gräßlichen Schleim einer Bronchitis, Du mußt was dagegen nehmen, Alfredo, ins Waschbecken husten, mit der sie einen, Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lästig das ist, die liebe lange Nacht hindurch immer wieder aufwecken.

Ich informierte die Angestellte, die noch immer mit gezückter Nadel hinter dem ängstlich wimmernden Beinbruch herlief, von der Dienstfahrt zur Burg im Namen der Nachsicht und des hippokratischen Eides und auch darüber, wie viel mir die Familie des Ingenieurs pro Besuch zahlte, und ich riet ihr, falls ich länger ausbleiben sollte, meinen Kollegen aus Redondo zu rufen, einen Dummkopf, der, was den Tod betraf, die größte Zielsicherheit besaß, die mir je über den Weg gelaufen ist. Ich informierte die Witwe, Hallo, mein Täubchen, von der zweiten, hoffnungsvollen Tatsache, damit sie rasch eine zusätzliche Anzahl Särge bestellte, bat den Pförtner um die Schlüssel vom Krankenwagen, Ich fahre dienstlich, um Benzin zu sparen und die Reifen meines Autos zu schonen, hörte noch das unschuldige Staunen der Angestellten der Krankenstation, Der mit dem Bein hat gerade den Löffel abgegeben, der Arme, was zum Teufel ist dem wohl passiert?, und dachte traurig, Die Arme hat nun niemanden mehr, zu dem sie unausstehlich sein kann, der Krebskranke liegt in den letzten Zügen, und die Thrombosen rühren keinen einzigen Finger, und ich dachte auch, wie sehr brauchen wir doch den Haß, um uns gesund zu fühlen, und ich dachte, sich im Einklang mit der Welt zu befinden ist eine tödliche Infektion.

Ich stellte die Sirene und das Blaulicht auf dem Dach an, um den tumben Geist meiner Landsleute mit einer stimulierenden, lärmenden Unglücksspur zu erheitern, überfuhr gleich hinter der Stadt eine Katze und sah im Rückspiegel zu, wie sie sich in ein blutiges Häufchen verwandelte, das auf dem Asphalt immer kleiner wurde, bis ich es vergaß, und dann verschwanden die Häuser, und ich war von Feldern und Hitze umgeben, den schütteren September-Bäumen, den gewundenen, trockenen September-Olivenbäumen, von denen die Oliven schon abgeschlagen waren, Bäume ohne Eingeweide, ohne Saft, ohne Muskelfleisch, ohne Lunge, die nur noch aus den rostigen Falten der Rinde und dem hohlen Mark bestanden, in denen sich die Insekten begatteten, sich fortpflanzten und die durchsichtigen Ohrgehänge ihrer Eier unterbrachten. Wie oft, mein Herr, habe ich, als ich klein war, das Ohr an die Stämme gelegt und darauf gewartet, über die Wurzeln das vielstimmige unterirdische Stöhnen der Welt und der unsichtbaren Tiere zu hören, die sich in den Höhlungen verbergen, Käfer, Maulwürfe, Mäuse, flinke Augen von Kaninchen, das geschmeidige Fell von Füchsen, die gelblich graue und wie ein Seehund gefleckte zornige Zibetkatze, die Wildschweine, von denen mein Vater erzählte und von denen ich niemals auch nur alte Spuren sah, und es tauchten die Mauern auf, und innerhalb der Mauern die Kirche und der Stier, der reglos an der Schutzwand stand, verwirrt von den Feuerwerkskörpern, von der Musik, von den Pfiffen, vom Applaus, von den Schreien, der die Gestalten wachsam beobachtete, die an ihm vorbeirannten, ihn mit Jacken und Hemden reizten, die stolperten, hinfielen, wieder aufstanden, ihn beleidigten, ihn verhöhnten, der Stier, dem der Piassavapalmenbüschel des Penis vom Bauch herunterhing wie der Spitzbart eines Malers, der Stier, der nicht schwarz war, sondern gescheckt und große, dunkle Testikel zwischen den Schenkeln verwahrte und schließlich ein paar Schritte vortrottete, stehenblieb, die Schnauze dicht am Kies, als würde er das Gesicht in den Händen verbergen, dann zehn oder zwölf oder fünfzehn oder siebzehn oder neunzehn oder zwanzig Meter galoppierte, einen Betrunkenen umwarf, der ihm seine Mütze zeigte, und einen Jungen, der ein Stück Stoff am Ende eines Stockes hin und her schwenkte, und eine Traube von Männern aus Arrabalde und sonntäglich gekleideten Arbeitern aus der Zellulosefabrik, die alle nach einem einfachen, nicht einmal energischen Stoß seiner Hörner übereinanderpurzelten, der Stier, der plötzlich allein in der Mitte der Arena in der Burg stand, während ihn alle im Schutz der Mauer ängstlich ansahen, der Stier, der so allein war wie der wangenlose Alte, der mit offenem Mund in seinem riesigen Bett lag und die Zimmerdecke eingehend betrachtete, ohne sie tatsächlich zu sehen, der die Wände eingehend betrachtete, ohne sie tatsächlich zu sehen, der die Kinder und Enkel, die um sein Bett standen, eingehend betrachtete, auch den Jungen, auch die mit den Flickendecken aus Outeiro, auch den riesigen Australier, der immer Gummikleidung trug und im Fluß tauchte und, mit einem lächerlichen Pingpongball am Ende eines lächerlichen Rohres, mit der Harpune die Algen fürs Abendessen jagte, der Alte, der leicht zitterte, wenn die Hühnerhündinnen im unteren Stockwerk bellten, die reglos und angespannt wie am Morgen der Jagd die Zähne bleckten, als würden sie gleich losrennen, und auf den Teppichen defäkierten, ohne die Beine breitzumachen; eine Kirche, ein Alter und ein Stier: alle drei allein in der kleinen Stadt, allein trotz der Verwandten, die die Bettücher glattzogen, trotz der Leute aus Arrabalde, die erneut vorrückten, um den Stier zu packen, und umfielen, bluteten, sich auf dem Boden hinschleppten, ohnmächtig wurden und von zwei oder drei Bauern unter dem Beifall der betrunkenen Zuschauer, die auf den betrunkenen Steinen der Sitzreihen wogten, in den Armen davongetragen wurden; jenseits der Sitzreihen zogen sich die betrunkenen Hügel bis nach Spanien hinüber, schlängelte sich der betrunkene Guadiana zum Meer, betrunken wie das Blasorchester, die Straßenhändler, die Bettler, die Hühner, die Familie, die Hunde und ich, der auf der Suche nach einem winzigen Wimpernschlag Leben dem Ingenieur den Puls fühlte. Der betrunkene Stier wirbelte auf den betrunkenen Beinen herum und erschreckte eine zweite, dritte, vierte oder fünfte Gruppe von Stierbändigern, genau wie der Blick des Alten, der beim Sohn, beim Schwager, den Enkelinnen oder dem Zahnarztehemann der weniger häßlichen Enkelin verweilte und die verängstigten Zuschauer zurückweichen ließ, als würde er sie immer noch beherrschen, zermalmen, ihnen befehlen, sie verhöhnen, ihnen Spitznamen geben oder wieder nehmen, so wie es ihm gerade gefiel, wie es seinen Begierden, Launen, Wutausbrüchen entsprach, und in diesem Augenblick legte mir der Vorsitzende des Bürgerhauses seine Faust auf die Schulter, und ich stieß auf das behaarte Muttermal seiner Nase und den Acetonduft der Maniküredamen beim Friseur.

»Na, Herr Ingenieur?« fragte er, während ich in der Arzttasche nach einer Ampulle Herztonikum suchte, den Pyjama des Ingenieurs aufknöpfte und zwischen den Rippen eine Stelle für die Nadel abtastete. »Hat es sich nun gelohnt, Geld für diese Wurst mit Hörnern auszugeben, oder nicht?« Und ich entdeckte den Bettler mit der Wolldecke, der in einer Zimmerecke gegen das Tischchen mit den Medikamenten pinkelte. Ich fühlte das Herz des Alten sanft an meinen Fingerspitzen schlagen wie eine kleine elastische Membran und sah, daß sie sogar Angst hatten, ihm die Nägel zu schneiden, Angst davor, den Stier zu berühren trotz des Preises, den die Stadt dem in Aussicht stellte, der ihn in der Arena packen würde, Angst vor einem Mann und einem Tier, die sie umzubringen sich anschickten, indem sie, als ich einen Gummischlauch aus dem Köfferchen holte, um ihm den Arm abzubinden und die Vene zu finden, von außerhalb der Arena eines der Hörner mit einer Schlinge packten und den Stier zu den Schutzwänden zerrten, um ihm auch das andere Horn mit einem Seil zu umschlingen, einem Tier, das schon mindestens zehn- oder fünfzehnmal gekämpft hatte, das mit offenem Pyjama dalag und hin und wieder in unregelmäßigen, tiefen Atemzügen, die einem Windhauch glichen, Luft holte, und die Tochter, natürlich nicht die Mongoloide, sondern die, die mit dem Bevollmächtigten verheiratet war, der sich vornehmlich der Hintern der Frauen der Tagelöhner bemächtigte, steckte einen Arm unter die Matratze und zeigte mir den durchsichtigen Katheterbeutel: Nun sehen Sie sich bloß mal den Tee an, den er in den Nachttopf gemacht hat, Herr Doktor.

»Als ich zehn oder elf Jahre alt war, hat mich mein Vater zum Fest mitgenommen«, sagte ich zum Vorsitzenden des Bürgerhauses, der voller Stolz den Felsen von einem Tier betrachtete, das ausgestreckt vor seinem Futter lag, das es nicht gefressen hatte, »und an was ich mich am deutlichsten erinnern kann, ist, daß ich ihn auf dem Rückweg nach Reguengos gefragt habe, ob es einen Grund dafür gebe, den Stier zu töten, und daß mein Vater antwortete, Es gibt keinen. Glauben Sie mir, so brachte ein Vertreter, mein Vater war Handlungsreisender, das Absurde auf einen Punkt: Es gibt keinen. Und der Gedanke, der mir kam, wissen Sie, ganz plötzlich, grausam wie ein Schlag ins Gesicht, war, daß ich in diesem Augenblick geboren wurde. Merkwürdig, nicht? Nicht die zehn oder elf Jahre vorher, die im Personalausweis stehen oder auf dem Foto vom nackten Baby auf dem Kissen zu sehen sind. In diesem Augenblick.«

»Und der Geruch«, sagte die Tochter, »haben Sie den Geruch nicht bemerkt? Schlimmer als von Hunden, nicht wahr?«

Mein Vater, der sich aus gar keinem Grund, einen Monat nachdem ich das Studium beendet hatte, erhängte, stand auf, um Beifall zu klatschen: Eine Menschenmenge trabte in die Arena auf das gefangene Tier zu, das immer noch einen Körper suchte, der vor ihm floh, Stiefel traten ihm in die Testikel, traten ihm in den Penis. Ein Vetter meiner Frau bearbeitete seine Stirn, die Kruppe, die Flanken, den Rücken mit Fäusten, öffnete das Messer, stieß die Klinge in den dunklen Körper des Tieres, zog sie wieder heraus, stieß mit den rhythmischen Bewegungen eines Hufschmiedes wieder zu. Der Schwager packte ein Messer und schlug es ihm in die Schulter, die Tochter riß mir die Spritze aus den Händen und trieb sie in den Hals des Kranken, einer der Hühnerhunde jaulte angstvoll im Salon, der Bahnhofsvorsteher rammte ihm den Schraubenzieher in den Bauch, der Stier, der aus zig Mündern blutete, versuchte den Seilen, den Küchenmessern, den Klappmessern, den Sicheln zu entkommen, versank unter dem schnellen, blitzenden Stechen, unter Schreien, dem Gebrüll, dem Gelächter und dem triumphierenden Rülpsen und Gekreisch, ging in die Knie, fiel zur Seite, und der kleine Enkel verstümmelte ihm mit der Schere der Mutter ein Ohr und zeigte es der Arena, die ihm mit Tüchern, Mützen und Strohhüten zuwinkte. Er ist tot, sagte ich zur Familie, indem ich den Kragen des Pyjamas des Alten zuknöpfte, die Instrumente einpackte, mich bereit machte, das Zimmer zu verlassen, die Treppen hinunterzugehen, mich den Hühnerhunden zu stellen und im Krankenwagen zurück nach Reguengos zu fahren. Er ist tot, sagte ich, schleppt ihn an den Seilen, die seine Hörner festhalten, aus der Arena, bindet ihm die Füße zusammen, nehmt ihn mit, verteilt sein Fleisch und verkauft es beim Schlachter, vom Geld des Verstorbenen, dieses steifen, mächtigen Tiers ohne jede Majestät, das blutet und immer weiter blutet, könnt ihr euch noch zwei oder drei Tage lang betrinken. Na, Herr Doktor? fragte der Vorsitzende des Bürgerhauses, hat es sich nun gelohnt, für diese Wurst mit Hörnern Geld auszugeben, oder nicht? Steig in den Lieferwagen, Junge, worauf wartest du noch? Und ich stand da, eine Hand am Türgriff des Krankenwagens, und blickte auf den Feigenbaum und das Haus, bevor ich mich in die zerschlissenen Polster setzte, die nach den widerlichen Pappkartons aus dem Geschäft meines Vaters rochen und zwischen Covilhã und Aveiro von Laden zu Laden verkauft wurden, und als wir in Reguengos ankamen, verkündete ich meiner Mutter, daß ich keine Lust hätte, zu Abend zu essen, legte mich ins Bett, vergaß, die Schuhe auszuziehen, und bemerkte kaum, daß sie mich zudeckten und einen Krug mit Tee auf den Tisch stellten, nahm die Umrisse meiner Eltern, die auf Zehenspitzen um mich herumtanzten, und das besorgte Flüstern kaum wahr, das sich schließlich in der unendlichen Ferne der Küche verlor.