Ich wies sie an, im Haus zu bleiben und so schnell wie möglich die Koffer, die Bilder, das Silber, das Porzellan, den Schmuck und alles, was noch da war, einzupacken, alles, was wir noch nicht beim Juden in Évora verpfändet hatten, der in seinem engen, mit Cellos und Weckern vollgestopften Laden hockte, ich ging zum Schrank im Arbeitszimmer, um die Patronengürtel und die zwei Gewehre meines Schwiegervaters zu holen, ich rief den Verwalter und sagte ihm, daß er die Hunde des Alten, die mir nicht gehorchten, die mir nie gehorcht hatten, zur verlassenen Mühle bringen sollte, weil die Kommunisten sie sicher dazu benützen würden, unsere Spur zu finden, weil sie den Guadiana durchqueren und, falls nötig, sogar bis nach Spanien hineingehen würden, allein um des Vergnügens willen, uns gegen ein Stück Mauer zu stellen und zu erschießen, wobei sie die üblichen Blasphemien gegen die Familie und gegen Gott und die üblichen Lügen über uns brüllen würden, Es lebe die Abtreibung, Es lebe die Revolution, Nieder mit den Reichen, und wir würden in unserer Agonie ohne einen Centavo in der Tasche von ihren Tagelöhnerstiefeln getreten werden. Der Verwalter kam in den Salon, schnippte mit den Fingern und pfiff die Hunde heran, die sich unter den Tischen verkrochen hatten oder auf den Arraiolos-Teppichen husteten, und am Ende des Nachmittags stahlen wir uns aus der Küchentür und stiegen den Hang hinunter, dessen Bäume veilchenfarben zu verblassen begannen und sich an dem weißen Himmel, der dem Herbst oder der Nacht vorangeht, so deutlich abzeichneten wie die Adern des Alten auf der Haut seiner Hand. Der Verwalter ging voran, hatte die Mütze, mit der ich ihn seit jeher kannte und die er selbst zum Haarewaschen nicht abnehmen dürfte, schräg auf dem Kopf und redete mit den Hunden mit der Zärtlichkeit, die die Bauern ihren Frauen versagen, um sie den Hofhunden zu geben, und ich dachte, während ich seinen Schritten folgte, Wahrscheinlich ist er ein Informant der Kommunisten, wahrscheinlich wird er, wenn wir wieder in Monsaraz sind, den anderen Bauern Bescheid sagen lassen, daß wir über die Grenze nach Madrid fliehen wollen, wahrscheinlich ist es besser, ihn zu töten, nachdem ich die Hunde getötet habe, die Waffe auf ihn zu richten, abzudrücken und zu sehen, wie er sich mit den Händen den Bauch hält, endlich keine Mütze mehr aufhat und die Büschelchen der grauen Haare an den Schläfen zwischen den Vitiligo- und Kopfhautschimmelflecken verteilt sind.
Wie immer in der Abenddämmerung glitt das Wasser lautlos zwischen den Felsen hin, langsamer, reiner und heimlicher als in der Sonne am Morgen oder am Mittag, und während der Mann mit den Hunden in der Mühle verschwand, glitschte ich mit meinen unpassenden, in Serpa gekauften Lissaboner Schuhen im Uferschlick herum, untersuchte die zwei oder drei beinahe flachen, blattförmigen Boote des Fischers, der Jahre zuvor im Fluß ertrunken war, die niemand aus Angst vor Geistern oder dem Zorn des Toten benutzte, zwei oder drei fossile Boote, die die Zeit, die Fische und mehrere Winter hintereinander verschlungen hatten, die nur noch aus dem Rückgrat und den mageren, algenbärtigen Rippen der Wanten bestanden, untauglich waren, uns zu den Korkeichen auf der anderen Seite zu tragen, und uns zwangen, naß bis zum Hals durch einen Grund voller Aale und Grütze zu waten, uns in der Finsternis gegenseitig laut zu rufen, während uns wie im Film die Scheinwerfer und die Maschinengewehre aus Moskau verfolgten.
Und dann ging ich auf die Mühle zu und blieb am Eingang stehen. Es war ein verfallener Bau von der Größe einer Quarantänestation, mit hohen Fenstern und abgeschrägten Brüstungen zu beiden Seiten der Felder hin und dem Guadiana als Wasserfall unter einer Luke im Boden. Vom Dach gab es nur noch die ineinander verschränkten Balken mit einem Strohdach aus Wolken in der Farbe von Eidechsenbäuchen darüber, und im Norden drohte der Regen in einer grauen Raute, die die Umrisse der Berge auslöschte und in der verschwitzten, drückenden Fieberhitze auf uns zukam. Der Verwalter saß auf einem Mühlstein und kratzte sich durch den Stoff der Mütze hindurch Haarsträhnen und Läuse. Die Hühnerhunde fanden an den Wänden den alten Urin längst verstorbener Hunde oder sahen mich mit den irritierend unterwürfigen, sanften Augen an, die braun waren unter den gelben Wimpern. Eine Ratte mit nassem Fell galoppierte an der Wand entlang und verschwand in einer Ritze. Ich klappte den Lauf eines Gewehrs auf und legte zwei Patronen in jede Kammer. Kein einziger Hund, nicht einmal die jüngsten, interessierte sich mehr für mich.
»Wollen Sie diese Tierchen wirklich umbringen?« fragte der Verwalter, ohne den Hintern vom Mühlstein zu erheben, während er in der Weste nach dem Zigarettenpapier suchte. »Der Herr würde das niemals erlauben: Es hat ihn viel Mühe gekostet, die Tiere abzurichten.«
»Und es macht viel Mühe, ihre Pisse jeden Morgen aus dem Teppich zu waschen«, antwortete ich. »Ich lebe seit fast dreißig Jahren mitten im Gestank und der Scheiße dieser Hunde. Die scheißen mir sogar aufs Kopfkissen, ja sogar auf meinen Teller.«
»Ich kauf sie Ihnen ab, Herr Doktor«, sagte der Mann und breitete die Arme aus. »Sie sagen mir, was Sie haben wollen, und ich kaufe sie Ihnen ab. Ich hol sie Ihnen aus dem Haus, und Sie brauchen ihren Urin und den Pissegestank nie wieder zu ertragen.«
Ich stellte eine der Waffen auf den Boden und suchte mit dem Korn der anderen die trächtige Hündin, die mit der Nase die Ritze abtastete, durch die die Ratte entkommen war, und mit ihren schwarzen Pfoten auf der Erde und dem Zement auf dem Boden kratzte. Ich drückte den rechten Hahn, die Hündin krümmte sich in einer Art Salto und versuchte sich mit eingezogenem Schwanz dem Verwalter zu nähern, aber die zweite Kugel zerfetzte ihr die Knochen am Hals, und das Tier blieb auf halbem Wege auf einem gespaltenen Grat, ein oder zwei Meter vom Mühlstein entfernt, auf Blättern und Zweigen und irgendwelchem Unrat liegen, den die Überschwemmungen im Laufe der Zeit zurückgelassen hatten. Der Mann stand auf, wrang die Mütze in den Händen wie ein nasses Tuch.
»Ich kaufe sie Ihnen alle ab, Herr Doktor, ich kaufe sie Ihnen alle ab, sagen Sie, wieviel Sie haben wollen, schießen Sie nicht weiter, ich bringe Ihnen gleich heute abend das Geld.«
Einer der Hunde leckte den Nacken der toten Hündin, die anderen jaulten in Panik hinter den Steinquadern zu beiden Seiten der Fenster. Ich klappte den Lauf nach vorn und legte zwei neue Patronen ein.
»Dreihunderttausend Escudos«, sagte ich, während ich ein zweites Tier mit dem Lauf suchte, ein Tier, das mich mit gebleckten Zähnen ansah und sich auf den sehr mageren Beinen um sich selbst drehte. »Hast du zufällig dreihunderttausend Escudos zur Hand?«
»Dreihunderttausend Escudos?« wiederholte der Mann mit der Stimme der Steine, die voller Echos war. »Haben Sie dreihunderttausend Escudos verlangt?«
»Ich habe gar nichts verlangt«, antwortete ich, »du hast was verlangt. Und die dreihunderttausend Escudos sind nicht nur für deine räudigen Köter, sondern auch für dich, du Scheißkommunist.«
Die Wände der Mühle erzitterten, ein Stein löste sich in der Erde auf, die nackten Zähne sackten hinter die Lefzen, die Augen wandten sich blind von mir ab, der Körper versank lautlos durch die Luke im versandeten Guadiana und zog eine dunkle Staubspur hinter sich her. Ich schluckte ein paarmal, um die Taubheit in den Ohren abzustellen, bis ich wieder das Maulbeerblätterrascheln des Wassers unter meinen Füßen, das sich an die Rücken der Felsen schmiegte, und das verschreckte Atmen der Hunde hörte, die mit rosenfarbenen Augen zum Verwalter aufblickten und auf einen Schutz warteten, der nicht kam. Das Feuerwerk des Festes hatte aufgehört, kein einziges rundes Wölkchen erschien am nunmehr grünen Himmel und verschwand plötzlich wieder, die Störche kamen brustschwimmend aus Vila del Fresno in ihre riesigen Nester im Wipfel der Korkeichen zurück und maßen mit den Antennen ihrer ausgestreckten Schnäbel die Richtung des Windes. Um diese Zeit drängelten sich die in Beja zusammengefaßten Kommunisten auf Lastwagen und Traktoren und fraßen sich brüllend nach Alandroal, nach Arraiolos, nach Monsaraz durch, steckten Häuser und Felder in Brand und schlitzten auf Befehl tschechoslowakischer Agitatoren dem Vieh und den Menschen die Kehle auf.
»Dreihunderttausend Escudos hast du also?« wunderte ich mich und wechselte das Gewehr. Die Wände warfen mir die Verachtung in konzentrischen Wellen zurück, gleichzeitig nah und fern wie Glocken. »Du mußt aus Moskau noch viel mehr dafür bekommen haben, daß du uns all die Jahre ausspioniert hast.«
Ich drückte wieder ab, aber die Kugel prallte an einer Ecke, an einer zweiten Ecke, an einem rostigen Pfahl ab und verlor sich aus dem Fenster hinaus in der Nacht. Vielleicht war ein Storch gestorben, vielleicht war er am Ende seiner Reise kraftlos, unschädlich und unnütz zu Füßen irgendeines Kommunisten niedergefallen. Vielleicht sollte ich Rote statt Hunde töten, mich bäuchlings im Schutze einer Steineiche hinlegen und alle Patronen auf einen Traktor abfeuern. Der Mann setzte die Mütze auf und streckte die Hände mit gespreizten Fingern zu mir hin.
»Hören Sie damit auf, hören Sie damit auf«, sagte er mit durchdringender Stimme, doch weder zornig noch ängstlich. »Schön wär’s, wenn ich nach dem Fünfzehnten noch was zu essen hätte, Herr Doktor.«
Das Wasser des Flusses wurde schwarz, die Bäume wurden schwarz, die ersten Grillen trillerten mit den metallischen Lidern ihrer Flügel, die Erde hob sich langsam unter dem ständigen, heiseren Ächzen einer gräsernen Kurbel, bis sie den dunklen Himmel berührte und die Vögel gefangennahm: Nur die Käuzchen und die Eulen flogen mit gelben Augen frei über den Wipfeln und krächzten wütend wie greinende Babys. Die Scheinwerfer der bolschewistischen Lastwagen erreichten Redondo und schlingerten schon in einem Konzert aus Hymnen und Drohungen auf dem unebenen Boden der Gassen auf Monsaraz zu. Einer der Tschechoslowaken sah in eine Liste, auf der unsere Namen unterstrichen waren.
»Du weißt doch ganz genau, daß in einer, höchstens zwei Stunden deine Freunde in der Stadt sind. Hast du ihnen genau gezeigt, wo unser Haus liegt, oder werden sie mit ihren Sensen und Sicheln der ganzen Stadt Schwierigkeiten machen?«
Zivilisten und Militärs, alles durcheinander, mit Weisungen von der russischen Botschaft, von der kubanischen Botschaft, von diesen widerlichen, bärtigen Offizieren der Revolution, deren Augen glühen wie die des Schäferhunds der Lehrerin, der sich mit der Schnauze und den Pfoten gegen das Schultor warf.
»Ich verstehe nicht recht, was Sie da sagen, Herr Doktor«, sagte der Mann verblüfft und kratzte sich an der Mütze. »Kubaner? Was denn für Kubaner? Haben Sie während des Festes dem Branntwein zu sehr zugesprochen?«
Die Nacht war nun hereingebrochen, obwohl der runde, trübe Mond noch nicht aus seinem Versteck im Stoppelfeld herausgekommen war. In Monsaraz waren die Laternen angezündet worden, eine Art Aureole krönte die Mauer und machte sie dünn wie die Pappe der Weihnachtskrippen, in denen eine Lampe steckte. Die Dienstmädchen stapelten in der Vorhalle Koffer und Kisten, meine Frau zog der Mongoloiden, die sie mit der üblichen unschuldigen Verblüffung anstarrte, die Kittelschürze aus und versuchte ihr mit Hilfe der Nichte und der Köchin einen Pullover, einen Rock und Schuhe anzuziehen, die ihren breiten, platten Schwimmflossenfüßen nicht paßten, weil an ihnen dicke Zehen saßen, die krumm und schief übereinanderlagen wie die Steine des Flusses. Die letzten Betrunkenen schnarchten, umgeben vom Stacheldraht aus übelriechendem Atem und Erbrochenem, auf dem Kirchplatz und ließen das unregelmäßige Schnaufen einer Pferdegrippe hören, das der Wein hervorruft. Barfüßige Landstreicher durchwühlten den Müll mit ihren Spazierstöcken und stritten sich mit den Katzen um Knochen, Schalen, Gräten und fettige Brotreste. Der Verwalter und die Hühnerhunde, die von der Finsternis der Mühle verschluckt waren, verrieten sich durch winzige, kaum hörbare Geräusche, ein Rascheln, ein Blatt, auf das getreten wurde, ein leises Winseln, ein Ausrutschen von Pfoten, und ich empfand die Erbitterung der Blinden, für die die sonnigen Tage, die sie nicht sehen können, jenseits ihrer Brillen aus Glimmer liegen.
»Sie haben zu tief ins Glas geschaut, und Alkohol macht Sie böse«, sagte der Verwalter, der zugleich an mehreren Stellen der Mühle aufzutauchen schien. »Reichen Ihnen die Gewalttaten nicht, die Sie schon begangen haben?«
Eine Fledermaus flatterte sekundenlang neben mir, spitz und flink, schnellte wie ein Pfeil durch die Luft, verschwand. Einer der Tschechoslowaken zermalmte mit dem Gewehrkolben den Kopf eines Kindes wie ein faules Ei. Die Soldaten feuerten mit Maschinengewehren in die Fensterscheiben von Outeiro oder warfen Flaschen mit brennenden Petroleumlunten auf die Dächer der Häuser. Die Menschen versuchten sich mit den Ärmeln vor dem Feuer zu schützen, die Kubaner verspotteten sie mit brüllendem Gelächter. Ich mußte schnell nach oben zurück, mußte diese Herde aus Verrückten und Huren, die der Alte mir vererbt hatte, nach Spanien treiben.
»Komm her, du Kommunist«, befahl ich, während ich das Dunkel mit dem Gewehr abtastete, eine Gestalt entdeckte, abdrückte, das Laufmundstück zurückzog, neue Patronen einlegte, schoß. »Komm hierher, du Enkel einer Ziege, damit ich dir zeige, was es heißt, die Herrschaft zu respektieren.«
Und ich nehme an, daß ich einen der Hunde traf, denn ich hörte es jaulen und bellen, wie Tiere jaulen und bellen, wenn sie verwundet sind, ein Durcheinanderwirbeln von Pfoten, Tiere, die knurrten. Die Steinkonstruktion hallte wie eine Meeresschnecke, und die Töne stießen, anstatt zu verhallen, wie Schmetterlinge gegen die verfallenen Wände. Meine Augen brannten vom Schießpulver, meine Ohren folgten gierig und beharrlich in diesem Bienenkorb voller Echos dem Verwalter, der sich jeden Augenblick vom Ufer zu lösen schien, um mit den algenbewachsenen Tentakeln der Grundmauern den Fluß zur Mündung hinunterzutreiben. Es mußte irgendwo, nein, es mußte sicher an irgendeiner Stelle ein verborgenes Ruder und ein Segel an der Fock des Daches geben, die uns erlauben würden, zwischen den Felsen und den Stromschnellen zu manövrieren und in Spanien an einem Holzkai voller verwirrter Fischer an Land zu gehen. Meiner Meinung nach sind alle Häuser und Städte Schiffe: Die Karavelle Monsaraz zum Beispiel verfault auf ihrem Berg, seit sich die Springfluten des Guadiana von den Hängen zurückgezogen haben. Das Gemüse auf dem Friedhof hat die Struktur von Korallen, und die Dörfer auf dem Hügel gleichen weiß gekalkten Wracks, in denen stumme Fische mit einer Hacke über der Schulter wohnen. Kommunisten. Kommunisten mit einem Foto von Lenin im Schlafzimmer. Kommunisten, die auf die Gelegenheit warten, uns zu töten: eine Spritze in die Halsschlagader oder ein Revolverschuß in den Nacken, ein Messer in die Lunge.
»Sie sind nicht ganz bei Trost, mein Herr«, sagte die nicht lokalisierbare, beinahe flüssige, mit der Stimme des Flusses vermischte Stimme des Verwalters. »Für Ihren leitenden Posten waren Sie nie ganz richtig im Kopf, Sie hätte man gewaltsam in das Krankenhaus in Lissabon bringen sollen. Sie beschlafen ja sogar die Kranken auf dem Feld. Wenn ich die Hand Ihres Schwiegervaters nicht zur Seite geschoben hätte, würde ich das hier alles nicht erleben.«
Ich erinnerte mich an den nackten Körper der Mongoloiden, an die dicken, hängenden Brüste, die größer waren als die der Lehrerin, der mit dem Schäferhund, der mit wütenden Pfoten an den Scheiben der Küche kratzte, an den Scheiben ihres Zimmers voller Schleier, Vorhänge und Ketten, die an den Weidenrahmen des Spiegels hingen, Wie komme ich aus dem Garten, solange dieses Ungeheuer da herumspringt?, an die drängenden Hände der Frau auf meinem Rücken, Ich halt ihn am Halsband fest, mach dir keine Sorgen, laß mich nicht länger warten, hab keine Angst, komm her; an die konkaven Schenkel, die mich empfingen, das billige Parfüm, den Sprecher, der im Radio die Nachrichten las, als ich kam; an das Zeitzeichen um zwei Uhr morgens, Wenn ich nicht schnell nach Haus gehe, macht mir meine Frau eine Szene, Ich lasse dich nicht raus, ich werden den Hund nicht festhalten, guck mal, wie er zwischen den Beeten herumspringt, ich will mehr, ich brauche mehr, seit so vielen Monaten, seit so vielen Jahren habe ich nicht mehr das Gewicht eines Mannes auf meinem Körper gespürt, umarme mich ganz fest, leck mir den Hals, steck mir deine Zunge in die Ohren, Wochen über Wochen habe ich darauf gewartet, verdammt noch mal, verletzt du dich an meinen Ohrringen?, und das Bett ging aus den Fugen, krachte wie ein Gerippe, wie anders ist es doch, eine mit einem Gebiß zu küssen und anstatt auf Fleisch auf diese glatte Plastikprothese, diese Drahthäkchen zu treffen, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie einsam ich mich in diesem Ort hier fühle, ich habe Schulschluß, bereite das Abendessen zu, häkle, schalte nicht einmal den Fernseher ein, gehe ins Bett, sehe niemanden, habe mit niemandem Umgang, unterhalte mich mit niemandem, meine Eltern leben in Faro, hab keine Angst vor dem Schäferhund, Liebster, komm her, Hitler, ganz ruhig, willst du eins mit der Peitsche drüberkriegen, oder was?, siehst du, er tut dir nichts, Liebling, siehst du, er tut niemandem was Böses, der mir Gutes tut, ihre Hand hielt sein Halsband fest, das Tier knurrte mich mit phosphoreszierenden Kiefern und spitz auf mich gerichteten Ohren an, bis morgen, komm morgen wieder, kommst du morgen wieder, kommst du wieder?, schnell die Straße hinauf, die Kleider runterreißen, ins Bett schlüpfen, Wo warst du denn schon wieder? Wer, ich?, plötzlich geht das Licht an, Todsicher im Schlafzimmer der Lehrerin, dieser Nutte, Die Lehrerin kenne ich doch kaum, Schatz, nur guten Morgen, guten Abend, was du immer hast, mach das Licht aus und schlaf, Du stinkst nach billigem Kölnischwasser, hast Lippenstift im Gesicht, bist von Cremes ganz klebrig, einfach widerlich, morgen früh werde ich meinen Vater bitten, daß er seine Verbindungen spielen läßt, um diese Kuh zu versetzen, Sei doch kein Narr, Schatz, wieso Lippenstift? Wieso Lippenstift? Du fragst auch noch, wieso Lippenstift, also wirklich, da muß man schon ganz schön unverfroren sein, wenn das kein Lippenstift ist, was ich hier auf meinem Finger habe, was ist es denn dann, bitte sehr? Ich weiß nicht, ehrlich, Schatz, das da?, ach das, das sieht man doch kaum, ich muß mit der Wange irgendwo langgestreift sein, ist nicht der Rede wert, wie sollte ich mich daran erinnern, du bildest dir ständig irgendwelche Frauen ein, komm her, sei kein Kind, gib mir einen Kuß und wein nicht, Weinen, ich? Glaubst du etwa, ich würde wegen eines Schuftes wie dir weinen, ich habe es satt, zwanzig Jahre lang die Dumme zu spielen, du hast nur nicht mit meiner Mutter geschlafen, weil du sie nicht mehr kennengelernt hast, Das geht zu weit, wenn du das Licht nicht ausmachst, mache ich es aus, du hast immer fixe Ideen, du hast dir einmal in den Kopf gesetzt, daß ich dich betrüge, und das ist es dann, glaubst du nicht, daß ich auch noch was anderes zu tun habe? Das ist eine gute Frage, antworte, los, antworte, was machst du denn noch außer, außer mit der ersten besten zu vögeln, die du triffst? Wo hast du die Taschentücher, laß mich dir die Nase putzen, du bist ja ganz verschwiemelt, ganz verrotzt, demnächst weckst du mit deinem Scheißgeschrei noch die ganze Familie auf, ich hasse es, wenn du dich so aufführst, ich hasse es, wenn du mich ohne Grund quälst, wenn es wenigstens einen Grund gäbe, würde ich es ja noch akzeptieren, da kannst du ganz sicher sein, ich würde es akzeptieren, Ich verlange die Scheidung, daß du es nur weißt, ich verlange, daß du Monsaraz morgen verläßt, Mein Gott, Schatz, was ist denn nun los, hast du schlecht geträumt, hattest du einen Alptraum, das kann jedem mal passieren, nun sag mal, wo du den Lippenstift jetzt siehst, wirklich, man könnte meinen, daß du dir das alles ausgedacht hast, aber die Lehrerin und ich, entschuldige den Ausdruck, das ist einfach zu idiotisch, als daß man es ernst nehmen könnte, findest du nicht? Wenn du mir unbedingt eine Geliebte andichten willst, erfinde wenigstens eine Rivalin, die sich sehen lassen kann, mach dich doch nicht lächerlich, indem du deine Zeit damit vertust, auf so ein Ding eifersüchtig zu sein, Nicht ich mache mich lächerlich, sondern du, jede Eselin in Röcken ist gerade gut genug, sogar meine Schwester, sogar meine Schwägerin, ich wette, sogar meine Nichten, Also nein, das geht zu weit, Schatz, halt den Mund, Ich weiß sehr wohl, und du weißt es auch ganz genau, was du getan hast, denn du willst seit Jahren nichts mehr von mir wissen, seit Jahren schon liebst du mich nicht mehr, Glaubst du, daß ich nach so einer Diskussion noch Lust auf dich habe? Was hat dir denn meine mongoloide Schwester gegeben, was ich dir nicht gebe, erheb deine Hand nicht gegen mich, das wird dir sonst noch leid tun, was hatte denn meine mongoloide Schwester, daß du dich mit ihr auf dem Feld herumgewälzt hast? Hör auf, Leonor, hör auf, habe ich gesagt, es ist fast drei Uhr, ich bin völlig geschafft, hast du vor, die ganze Nacht so weiterzumachen? Du kannst mich nach Herzenslust schlagen, das ist ja schließlich die einzige Intimität, die du noch mit mir hast, los, gib mir noch eine Ohrfeige, mach weiter, Ich habe keine Lust, dich zu schlagen, ich möchte schlafen, laß mich los, laß mich los, laß mich los, laß mich los, was soll das, schrie ich den Verwalter an, den ich nicht sah, von dem ich nur den Geruch nach Erde und den seltenen Kontakt mit Wasser spürte, von dem ich den Atem hörte und das Kochen des Schweißes und den Pfiff nach den Hunden, die bereit waren, ihm zu gehorchen und mich zu beißen, laß das Gewehr los, Kommunist, ich werde dir die Eingeweide mit diesem Scheißding durchlöchern, und jemand schubste mich, und ich stolperte und fiel nach hinten und schlug mit der Hüfte gegen den Stein einer Stufe, ich konnte nicht aufstehen, und die Hühnerhunde und die Schritte des Mannes entfernten sich ohne Eile auf dem Stoppelfeld, dunkel im dichten Dunkel der Nacht, in der Flügel knisterten, Insekten, winzige Tiere, die den Flug von Vampiren und Eulen mit Trillern begleiteten, die Zweige der Büsche und Bäume knackten, und die Lastwagen und Traktoren der Kommunisten in der Ferne knatterten, während der Mond endlich hinter einem Hügel fleckig und scheckig aufstieg, eine Scheibe aus gelbem Papier, die die gebrochenen Arme der Olivenbäume weckte und die bleichen Umrisse der Mühle vor den grauen Umrissen der Hügel größer werden ließ, den Friedhof, das schwarze Gemüse des Totengräbers beleuchtete, den Verwalter, der auftauchte und hinter dem Vorhang der Büsche verschwand und in den Wellentälern des Bodens versank, und ich krabbelte zu einem vorstehenden Stein, versuchte mich aufzurichten, mich auf den Boden zu setzen, versuchte es noch einmal, vielleicht geht es, wenn ich mich auf die Jagdflinte stütze, vielleicht kann ich mich im Gleichgewicht halten, wenn ich den Gewehrkolben, nein, den Lauf ins Gras bohre, mir tat nicht nur die Hüfte weh, es war der Glühfaden eines Nervs, der im Muskel des Schenkels brannte und sich fächerförmig im Knorpel des Knies ausbreitete, Ich werde nicht gehen können, dachte ich, ich werde mich nicht von hier wegrühren können, die Kommunisten werden mir eine Spritze hinters Ohr geben und meinen toten Körper mit Fußtritten zum Fluß befördern, oder die Mäuse, die Heuschrecken, die Fliegen, die Ameisen und die Grillen werden mein Fleisch so lange fressen, bis jemand mich findet, eine Art trockene Wurzel ohne Gesicht mit Kleiderfetzenalgen, die von den Knochen baumeln, genauso aus Holz und Müll und Gestank wie der Alte, der ohne Totenwache in der Kammer im ersten Stock liegt. Wolken glitten wie ein langgezogenes Gähnen über den Mühlstein des Mondes und verschwanden, und ich humpelte auf allen vieren voller Angst vor den Ginsterkatzen Meter für Meter die drei Kilometer, die den Guadiana vom Haus trennten, rief um Hilfe, schrie nach der Lehrerin, schrie nach dem Verwalter, schrie nach meinem Neffen, Helft mir, und oben regte sich nichts, alles war still und bedrohlich und ruhig wie nach einer Explosion oder einem Unfall, wenn der Staub sich legt und man durch den Rauch das verbogene Eisen und die Leichen erkennt. Der Tschechoslowake zog die Pistole aus dem Halfter und drückte das eisige Ende des Laufes gegen meinen Hals. Schlaftrunkene Kaninchen oder Fasane flohen vor mir durchs Gras, ein Soldat packte mich am Hemd, Das ist der Großgrundbesitzer, bringt ihn um, und als ich die Mauer auf der Seite der Burg erreichte, taten mir beide Beine weh und die Schultern und die Nieren und die Hände, und in der Stadt schwammen hier und da die Abfälle des Festes, keine Betrunkenen waren mehr da, kein Hund, kein Huhn, kein Licht in irgendeinem der Häuser. Der Mond verchromte die Zweige des Feigenbaums im Garten, den Menhir der Wasserpumpe, das Gefieder der Pelargonien dicht an der Mauer, ich hämmerte mit dem Türklopfer, hämmerte mit dem Türklopfer, hämmerte mit dem Türklopfer, die Lastwagen und Traktoren der Kommunisten aus Moskau fuhren aus Telheiro ab, ich hämmerte mit dem Türklopfer, hörte auf der anderen Seite das Raunen von Hunden, etwas Weiches löste sich vom Feigenbaum und zerplatzte parfümiert und aphtenähnlich neben mir, ich hämmerte mit dem Türklopfer, die Laterne der Vorhalle ging an, und die Tochter des Verwalters, die den Idioten mit den Eisenbahnen geheiratet hatte, machte in Trauerkleidern die Tür halb auf und hielt die Jacke vor der Brust zusammen, es war kein Bild mehr an den Wänden, kein Silber mehr in den Schränken, kein Porzellan mehr auf den Marmorplatten der Kommoden. Sie hatten sogar ein Regal zur Seite gerückt, um den Tresor zu leeren. Ein in der leeren Vitrine umgestürztes Portweinglas zersplitterte die Lampe an der Decke in tausend Farben.
»Sie sind alle schon lange auf dem Weg nach Spanien«, sagte die Frau leise mit dem üblichen, schüchtern zögerlichen, demütigen Murmeln, als wollte sie sich entschuldigen, während sie mir auf das Ledersofa vor dem ausgeschalteten Fernseher half. »Und ich dachte mir, du könntest mich vielleicht brauchen.«