Kapitel 38
Hunter
Aufregung liegt in der Luft, als meine Teamkollegen und ich uns die Ausrüstung für das Spiel anlegen. Der heutige Gewinner wird es in die Conference Finals schaffen, und wir alle spüren den Druck. Letzte Saison haben wir es geschafft, aber ich habe mir dank eines betrogenen Freundes ein gebrochenes Handgelenk zugezogen. Diese Saison geht es meinem Handgelenk gut, und mein Penis hat mich auch nicht in Schwierigkeiten gebracht.
Neben mir zieht sich Bucky die Hose über die Hüften, während er mit Matt und Alec über neue radikale Therapien redet, die heutzutage bei Sportlern angewandt werden.
»Ich schwöre, diese Kammer sieht aus, als könne man James Bond darin foltern. Man wird mit ungefähr minus dreihundert Grad kaltem Stickstoff bestrahlt.«
»Und dann?« Alex klingt fasziniert.
»Na ja, theoretisch soll das die Heilung fördern. In Wirklichkeit, denke ich, verursacht es nur Gefrierbrand bei einem.«
Ich sehe die beiden amüsiert an. »Worüber redet ihr?«
»Kältetherapie«, antwortet Bucky.
»Klingt heftig«, wirft Conor ein, der neben mir auf der Bank sitzt. Er hebt eine Hand und streift sich sein blondes Haar hinter die Ohren.
»Hey«, sage ich zu ihm, »ich weiß nicht, ob dir das schon jemand gesagt hat, aber langsam kommt deine Frisur einem Vokuhila beängstigend nahe.«
Conor zuckt nur mit den Achseln. Sogar, wenn er hört, dass er einen Vokuhila hat, kratzt das nicht an seinem Ego. Ich wünschte, ich könnte
sein Selbstbewusstsein in Flaschen abfüllen und an picklige Jungs verkaufen. Wir würden ein Vermögen damit machen.
»Du solltest mal wieder zum Friseur gehen«, rät Jesse ihm. »Das ist ein No-Go bei den Ladys.«
Conor verdreht die Augen. »Erstens gibt es nichts, was ich tun könnte, das mich bei den Ladys unbeliebt macht.«
Da hat er wahrscheinlich recht.
»Und zweitens kann ich es nicht schneiden lassen. Sonst verlieren wir das Spiel.«
»Scheiße«, sagt Jesse und wird ganz blass. »Du hast recht.«
Eishockeyspieler und ihr Aberglaube. Sieht so aus, als würde Conor sich die Haare bis April nicht mehr schneiden lassen.
»O Gott, was ist das für ein Gestank?«, ruft der Coach, der plötzlich im Türrahmen steht. Er kommt mit gerümpfter Nase in die Umkleide.
Ich tausche einen Blick mit den Jungs aus. Ich rieche nichts, und die fragenden Gesichtsausdrücke sagen mir, dass die anderen das ebenfalls nicht tun.
»Hier riecht es wie in einer explodierten Schwefelfabrik«, stöhnt der Coach.
»Oh«, sagt Bucky. »Ja, das ist Pablo.«
»Das Ei?«
Ich muss grinsen. »Jaja.«
»Sag nicht jaja, Davenport.«
Ich ignoriere seine Bemerkung. »So etwas passiert, wenn man jemandem aufträgt, sich fünf Monate um ein Ei zu kümmern. Es verrottet. Wir haben uns alle an den Geruch gewöhnt.« Ich werfe einen Blick zu Bucky, der Pablo Eggscobar aus seinem Spind holt. »Ich dachte, du würdest ihn in diesem Reißverschlusssäckchen lassen, um den Gestank zu verbergen?«
Im Moment ist Pablo mit mehreren Schichten Frischhaltefolie umwickelt, und das Plastikbündel steckt in seinem rosafarbenen Plüsch-Eierwärmer. Man kann sein kleines Schweinegesicht gar nicht mehr sehen, weil so viel Plastik um ihn rum ist.
»Ich habe ihn rausgeholt, weil er mir leidgetan hat – die ganze Zeit so eingesperrt. Er ist schließlich kein Krimineller.«
In der Umkleide ertönt Gelächter und Gepruste. Der Coach scheint es aber gar nicht lustig zu finden.
»Gib es mir«, befiehlt er und streckt seine Hand aus.
Bucky sieht alarmiert aus und sieht mich fragend an.
Ich zucke mit den Schultern. »Er ist der Boss.«
Sobald unser Trainer das Teammaskottchen in der Hand hat, geht er zum Mülleimer und versenkt Pablo wenig zeremoniell im Abfall.
Bucky stößt einen erstickten Schrei aus, und auch alle anderen ziehen die Luft ein.
Ich habe das Gefühl, als hätte mir jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Pablo war so lange ein Teil von uns, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Die schockierten Gesichter meiner Teamkollegen drücken dasselbe aus.
Coach Jensen verschränkt die Arme vor der Brust. »Gratuliere. Ihr habt eine Aufgabe bestanden, von der ich gar nicht wollte, dass ihr sie besteht …« Seine Stimme wird ruppig. »Ihr habt Teamwork und Verantwortung gezeigt, indem ihr abwechselnd auf das Ei aufgepasst habt. Und ich halte mein Versprechen. Ich habe mit dem Direktor gesprochen, und er hat gemeint, wir könnten das mit dem Schwein hinbekommen.«
Bucky ist euphorisch. »Im Ernst? Wir kriegen das Schwein? Jungs, wir haben es geschafft.«
»Pablo, das Schwein«, sagt Jesse langsam. »Das klingt nicht gut. Wir brauchen einen neuen Namen.«
»Pablo Pigscobar«, sagen Conor und ich im selben Moment und grinsen uns an.
»Pablo Pigscobar«, sagt Matt lachend, »das ist es. Niemand sagt mehr etwas. Diesen Namen kann nichts mehr übertreffen.«
Der Rest des Teams bricht in schallendes Gelächter aus, und sogar die Mundwinkel vom Coach zucken. Dann klatscht er in die Hände, um uns zu signalisieren, dass der Spaß vorbei ist, und wir machen damit weiter, uns anzuziehen.
Als ich mir gerade meinen Brustprotektor anlegen will, klingelt mein Handy. Ich werfe einen Blick in den Spind und sehe, dass es ein Anruf von Garrett ist.
»Hey, Coach«, rufe ich. »Ihr Lieblingsschüler Garrett Graham ruft mich an. Kann ich drangehen?«
Er schaut auf die Uhr. Wir haben noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. »Ja, aber mach’s kurz, Davenport. Und sag ihm, dass das
gestern am Ende des letzten Drittels gegen Nashville ein brillanter Spielzug von ihm war.«
»Mache ich.« In der Umkleide ist es zu laut, also gehe ich auf den Gang, wo ich den Securitys zunicke. Auf der Briar wird die Sicherheit der Sportler großgeschrieben.
»G«, antworte ich und halte mir das Handy ans Ohr, »was ist los?«
»Hey, zum Glück habe ich dich noch erwischt. Ich hatte schon Angst, dass du dein Handy bereits ausgemacht hast.«
»Ach, rufst du an, um mir Glück zu wünschen?«
Er schnaubt mir ins Ohr. »Nein, das braucht ihr nicht. BU
hat keine Chance.«
Das haben sie wirklich nicht. Sie waren in diesem Jahr unser stärkster Gegner, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie schlagen können. Natürlich hätte ich lieber gegen einen einfacheren Gegner gespielt, wie zum Beispiel Eastwood, die es trotz ihres herausragenden Torwarts nicht geschafft haben, eine gute Leistung zu bringen. Kriska kann tausend Schläge halten, aber das bringt nichts, wenn die Stürmer kein einziges Tor auf der anderen Seite erzielen.
»Aber egal. Ich bin gerade in Landons Büro. Er wird heute Abend nach L. A.
fliegen und ist dann zwei Wochen weg. Aber vorher wollte er noch mit dir in Kontakt treten.«
»Landon?« Ich habe keine Ahnung, von wem Garrett spricht.
»Landon McEllis? Mein Agent – aber das Wort darf ich eigentlich gar nicht aussprechen, also tu so, als ob ich es nie gesagt hätte. Diese ganze Unterhaltung hat nie stattgefunden, okay?«
»Okay. Aber warum genau rufst du an?«
»Weil ich gerade mit Demi gesprochen habe und sie gesagt hat, dass du nach dem Abschluss gerne bei einem Verein unterschreiben würdest.«
Mir fällt fast das Handy aus der Hand. »Was?« Wann, zum Teufel, hat er mit Demi gesprochen?
»Ja, wir haben uns lange darüber unterhalten. Sie hat sich gefragt, ob du einen Agenten brauchen würdest. Da habe ich ihr gesagt, dass es theoretisch nicht möglich ist, einen Agenten zu haben, solange man noch fürs College spielt. Zufällig war ich gerade bei Landon, als sie angerufen hat, und er wollte kurz mit dir reden. Aber denk dran – diese Unterhaltung findet nicht statt.«
Ich verstehe seine Besorgnis. College-Sportler dürfen nicht mit Agenten in Kontakt treten. Sogar Jungs, die schon gedraftet wurden, dürfen für die Dauer ihrer College-Karriere keinen Kontakt zu ihren Agenten haben.
Das ist zumindest die Theorie. Bei jedem Sport läuft es hinter den Kulissen anders ab. Man muss nur vorsichtig sein.
»Ich mache jetzt den Lautsprecher an«, sagt Garrett. »Okay?«
»Klar.« Ich bin immer noch verwirrt.
»Hunter, hey. Hier ist Landon McEllis.«
»Hallo, Sir.«
»Lass das mit dem Sir. Nenn mich Landon.« Er lacht leise vor sich hin. »Also, G hat erwähnt, dass du nächstes Jahr einen Agenten brauchen wirst, und ich bin förmlich aus dem Stuhl aufgesprungen, um mit dir zu reden.«
Ich muss zugeben, meine Brust schwillt gerade etwas an vor Stolz.
»Ich wollte mich persönlich vorstellen«, fährt er fort. »Ganz inoffiziell, natürlich.«
Ich verkneife mir ein Lachen. »Natürlich.«
»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden – du bist einer der besten College-Spieler des Landes. Wenn du Interesse am Profi-Eishockey hast, dann kann ich für dich ganz leicht einen Deal organisieren.«
»Wirklich?« Ich weiß, dass es für die achtzehn- und neunzehnjährigen Spieler viel leichter ist, einen großen Deal zu landen. Aber ich bin zweiundzwanzig, wenn ich meinen Abschluss mache. Ich bin sozusagen mit meinen einundzwanzig Jahren bereits ein alter Knacker. Und Sportler haben kurze Karrierespannen.
»Auf jeden Fall. Ich kann dir natürlich jetzt noch keinen Vertrag anbieten, und wir dürfen nach heute auch nicht mehr miteinander sprechen. Aber ich wollte mal nachfragen, ob es noch andere Agenten gibt, über die du nachdenkst.«
»Ich denke überhaupt nicht über Agenten nach«, gestehe ich. Ich habe ja nicht einmal erwartet, von diesem
Agenten zu hören. Ich weiß nicht, ob ich sauer sein soll, weil Demi sich eingemischt hat, oder ihr für alle Ewigkeit dankbar. Ich könnte Ärger mit dem College kriegen, wenn jemand von meiner Unterhaltung mit Landon Wind bekommt.
»Dann bist du also interessiert?«, fragt er.
»Auf jeden Fall.« Selbst, wenn ein Dutzend Agenten an meine Tür klopfen würden – Landon McEllis stünde ganz oben auf der Liste. Er hat ausschließlich die besten Spieler unter Vertrag, und Garrett hat nur Gutes von ihm erzählt.
»Perfekt, dann sind wir uns ja einig.« Er lacht wieder leise vor sich hin. »Ich melde mich nächstes Jahr wieder bei dir.«
»Klingt gut. Danke, Sir – Landon.«
»Zeig’s ihnen heute Abend«, höre ich Garrett rufen. »Wir reden später.«
»Bis später, G.« Ich lege auf. Ich starre immer noch entgeistert auf mein Handy. Verdammt, Demi. Diese Frau ist echt das Beste, das mir je passiert ist.
»Davenport«, ertönt eine drohende Stimme.
Das Universum hat echt einen schrägen Sinn für Humor, denn in dem Moment, in dem ich an Demi denke, taucht ihr Vater auf.
Ich starre ihn verwirrt an, denn entweder halluziniere ich oder da steht wirklich Marcus Davis am Ende des Ganges.
Ein zweiter Security-Mitarbeiter hält ihn davon ab, zu mir zu gehen. Das College hat die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, nachdem es zu viele Störenfriede in die Umkleiden geschafft haben. Zu meiner Zeit ist nie etwas passiert, aber Dean hat mir erzählt, dass sich einmal eine gegnerische Mannschaft reingeschlichen und die ganzen Umkleiden mit Schokoladensirup beschmiert hat. Als das Briar-Team vor dem Spiel aufgetaucht ist, hat es wirklich gedacht, dass da Scheiße von den Wänden tropft.
»Ist schon okay«, rufe ich dem Sicherheitsmitarbeiter zu. Ich kenne ihn.
Der Kerl lässt ihn durch, und Dr. Davis marschiert schnurstracks auf mich zu. Er ist echt ein großer Mann. Wahrscheinlich ist er nur ein paar Zentimeter größer als ich, aber er ist gebaut wie Dwayne Johnson alias The Rock und sieht bestimmt doppelt so groß aus wie ich. Es geht mir nicht in den Kopf, dass dieser Riese seine Tage damit verbringt, in einem OP
-Saal verzwickte Operationen durchzuführen. Doch man sollte nie ein Buch nach seinem Einband beurteilen, oder?
»Hallo, Sir.« Ich mache mich auf eine unangenehme Antwort von ihm gefasst. Ich habe ihn seit unserem sehr kurzen und nicht so erfolgreichen Brunch im Januar nicht mehr gesehen, als er deutlich
gezeigt hat, dass er mich nicht mag.
»Wir müssen reden«, erwidert er. »Von Mann zu Mann.«
Ich unterdrücke ein Seufzen. »Das würde ich ja gerne tun, Sir, aber in zwanzig Minuten fängt mein Spiel an. Vielleicht könnten wir das auf morgen verschieben?«
»Nein, das können wir nicht. Ich nehme alles, was meine Tochter betrifft, sehr ernst.«
»Das tue ich auch«, sage ich. »Sie bedeutet mir sehr viel.«
»Ach wirklich? Hast du sie deshalb dazu ermutigt, ihre Zukunft wegzuschmeißen?« Seine Stimme klingt eiskalt, und er sieht mehr als sauer aus.
Anscheinend ist Demis Besuch in Boston nicht so gelaufen, wie sie es sich erhofft hatte.
»Sie schmeißt ihre Zukunft nicht weg«, entgegne ich vorsichtig. »Sie bleibt im gleichen Bereich, nimmt nur einen anderen Weg, um dorthin zu kommen.«
»Weißt du eigentlich, was ein Psychiater durchschnittlich verdient? Über zweihunderttausend jährlich. Zweihundertfünfundsiebzigtausend, wenn er gut ist. Sollen wir das mal mit einem Psychologen in der Klinik vergleichen? Oder einem Therapeuten in der Praxis? Die gibt es an jeder Straßenecke.«
»Demi geht es nicht ums Geld. Und sie will keinen Doktor der Medizin machen. Sie will auf die Graduiertenschule.«
»Wie kommst du dazu, meiner Tochter ihr Leben zu diktieren?«
»Ich diktiere ihr nicht ihr Leben. Wenn überhaupt, ist sie
der Diktator in unserer Beziehung.« Ich schnaube. »Sie kennen doch Ihre Tochter. Sie ist der bestimmerischste Mensch überhaupt.«
Für den Bruchteil einer Sekunde flackert Belustigung in seinem Blick auf, und ich schöpfe Hoffnung, dass er etwas auftaut. Aber schon ist der Moment vorbei, und seine Gesichtszüge werden wieder hart.
»Ich vertraue dir nicht«, sagt er schroff.
Ich hole tief Luft. »Bei allem Respekt, Sir. Sie kennen mich überhaupt nicht.«
»Du und meine Tochter, ihr seid zu unterschiedlich. Sie ist …«
Hinter mir wird ohne Vorwarnung die Tür aufgerissen. Ich nehme an, dass es der ungeduldige Coach ist, also setze ich bereits zu einer Entschuldigung an. »Tut mir leid, ich …« Da sehe ich, dass es Matt ist.
Matty scheint überrascht zu sein, mich hier mit einem riesigen glatzköpfigen Mann vorzufinden, aber dann schüttelt er sich nur kurz. »Du musst sofort reinkommen, Mann.« Er wedelt mit seinem Handy unter meiner Nase. »Es ist das reinste Chaos.«
Ich runzle die Stirn. »Was ist los?«
»Beim Bristol House ist die Hölle los. Da sind zwei Menschen auf dem Dach, und es sieht so aus, als würden sie springen wollen. Jemand hat einen Live-Tweet geschaltet, und einem Mädchen ganz oben im Hartford House ist es gelungen, ein Bild zu machen.« Matt legt mir das Handy in die Hand. »Eine der Personen ist deine Freundin.«