Agneta vergräbt ihre kalte Nasenspitze an Jörgens Hals. Ihre Hände stecken in seinen Taschen, weil sie ihre Handschuhe vergessen hat und das Blut es nicht mehr bis in ihre Extremitäten schafft. Sie stehen auf dem Bahnsteig. Agnetas schwarze Lederschuhe mit dem kleinen Absatz sind die feinsten, die sie besitzt. Sie hat jetzt schon Kreuzschmerzen davon, aber wer schön sein will, muss eben leiden. Die Stiefel sind hier zu kalt, und sie stampft mit den Füßen, um die Durchblutung ihrer Zehen aufrechtzuerhalten.
«Hier, nimm die», sagt Jörgen und fängt an, sich seine schmutzig weißen Handschuhe auszuziehen, die er immer auf dem Schneemobil trägt. Sie schüttelt schnell den Kopf. Der Zug, der erst in zehn Minuten abfahren soll, fährt jetzt schon ein. Die Stimme aus dem Lautsprecher verkündet, dass der Zug auf Gleis 1a steht, auf 1a, obwohl das doch schon alle gesehen haben.
Ein älterer Herr hilft ihr, ihre Tasche die kleine Treppe hochzubugsieren. Es ist ihr peinlich, so gebrechlich auszusehen, dass ein Rentner sich verpflichtet fühlt, ihr unter die Arme zu greifen. Jörgen steigt nicht mit in den Zug, um ihr zu helfen, er hat Angst, dass der Zug losfährt, bevor er wieder draußen ist. Die kindische Angst eines kleinen Jungen, sie liebt und sie hasst ihn dafür. Jörgen winkt ihr zu, aber macht ansonsten kein großes Ding aus dem Abschied.
Im Liegewagen mit Agnetas Reservierungsnummer sitzen bereits Fahrgäste, und obwohl sie eigentlich nicht in Plauderstimmung ist, fragt sie, wo sie hinfahren und andere Dinge, die keinen Menschen interessieren. Sie hört auch nur halb hin, als man ihr antwortet. Ihr Reisekoffer nimmt fast den ganzen Platz am Boden ein und lässt sich nicht unter den Sitzen verstauen wie die Koffer der anderen, aber sie schafft es jetzt nicht, sich darum zu kümmern. Einer der Männer auf den Fensterplätzen bietet ihr an, den Koffer für sie zum Gepäckraum zu bringen. Sie hat keine Energie, um zu protestieren, nickt nur kurz, weil der Sauerstoff nicht für Worte reicht. In dem Moment, in dem sie nickt, fährt der Zug los. Die Liegen sind noch nicht runtergeklappt, die bleiben jetzt noch ein paar Stunden ganz normale Sitzplätze. Jemand fragt sie etwas, aber sie gibt keine Antwort, weil sie keine Kraft zum Sprechen hat. Sie schließt die Augen in der Hoffnung, dass es dann aufhört, vor ihren Augen zu blitzen, aber es wird nur noch schlimmer. Sie atmet ruhig und tief durch, wie sie es gelernt hat. Wenn man akzeptiert, dass das Atmen schwer ist, fällt es einem leichter, oder irgend so ein Mist. Sie schaut gerade noch rechtzeitig aus dem Fenster, um Dundret hinter einer Kurve verschwinden zu sehen.
Die Tür zu Agnetas Abteil geht quietschend auf, als sie in Boden angekommen sind. Sie haben sich gegenseitig geholfen, die Kojen herunterzuklappen, und Agneta hat sich gerade hingelegt. Eine Erwachsene und ein Junge von vielleicht zehn Jahren kommen herein. Agneta sieht seinen Schlafanzug unter der Jacke. Einen blau-weiß gestreiften. Er hat sich bestimmt auch schon die Zähne geputzt.
Seine Mutter macht ihre Betten zurecht, wie Mütter das eben tun, während der Junge auf dem Flur stehen bleibt. Er hat dünne Arme, sollte mal ein bisschen mehr Milch trinken. Sie denkt an Tilda, als sie so alt war wie er. Sie war größer als alle anderen in ihrer Klasse, schon damals auf dem Weg fort von ihr. Sie wuchs schneller als alle anderen, wuchst erst aus Agnetas Armen heraus und dann aus ihrer Stadt. Als seine Mutter die Kojen zurechtgemacht hat, legen sie sich nebeneinander, und die Mutter liest ihm flüsternd ein Märchen vor. Das Kind muss alles so haben wie immer, obwohl das Bett hart ist und sich im Takt mit dem Zug auf den Gleisen bewegt. Tilda las nur allein, nicht einmal dafür brauchte sie Agneta. Manchmal schlug Agneta vor, ihr etwas vorzulesen, aber Tilda seufzte nur: «Kann ich allein.»