Sie essen schweigend. Agneta versucht, möglichst geräuschlos zu schlucken. Hat sich ein Stück genommen und es schnell klein geschnitten, damit es nach mehr aussieht. Hätte sie die Wahrheit gesagt, wenn Tilda gefragt hätte, warum sie so wenig isst? Oder nimmt sie einfach an, dass es Agneta nicht geschmeckt hat? Wie ist es möglich, dass Tilda nicht auf Agnetas dünne Haare reagiert? Oder auf ihre Gesichtshaut, die nur noch herunterhängt? Alles Fett ist verschwunden.
«Na, so ein Glück, dass wir kein Rindfleisch gegessen haben, wenn man das hier hört», bemerkt Agneta, und Tilda lacht höflich, haha, und schiebt sich ein großes Stück Pizza in den Mund. Trotz der Größe ihres Bissens gelingt es ihr, beim Kauen keine Geräusche zu machen. Sie merkt sofort, als ihr ein Käsefaden aus dem Mund rutscht, und holt ihn mit der Zunge wieder hinein. Tilda sitzt mit angezogenen Füßen auf dem Stuhl, und Agneta fragt sich, wie sie dort Platz finden und wie man so gelenkig sein kann. Die Mutter eines toten Kindes weint aus den Lautsprechern. Agneta nimmt noch einen Minibissen. Muss dreimal schlucken, bevor er endlich die Kehle hinunterrutscht. Da vibriert Agnetas Handy. Die Erinnerung an ihre Medizin. Sie fummelt ihr Telefon aus der Tasche und schaltet es aus, wobei ihr das Blut in den Ohren rauscht. Sie hatte keinen Namen für die Erinnerung eingegeben. Tilda zieht die Augenbrauen hoch.
«Ich und Technik. Muss ich wohl irgendwo draufgekommen sein.» Erst als Tilda lächelt und sich wieder ihrem Pizzastück zuwendet, entspannt sich Agneta. Sie sucht Tildas Blick. Diese Augen, die ganz zu Anfang blau waren und nur ein paar Handbreit weit sehen konnten. Die Agnetas Blick erwiderten, obwohl Tilda gerade erst auf die Welt gekommen war. Die kleine Hand, die ihren Ringfinger umklammerte. Schon damals wusste Agneta, dass kein Ehering jemals diesen Platz einnehmen könnte. Sie gehörte diesem kleinen Mädchen in alle Ewigkeit, amen.
Bis dass der Tod uns scheidet. Agneta drückt Tildas Hand, die neben ihrem Teller liegt. Die Augen, die sich am Ende für Grün entschieden haben, schauen sie an.
«Oh, du hast ja vielleicht eine weiche Haut! Was für eine Creme benutzt du?»
Agneta muss sich räuspern, um die Worte hervorzubringen, ihre Stimme verhakt sich. Ihre eigene Haut ist so trocken wie nur was. Tilda steht auf, holt ihre Tasche und hält ihr eine schwarze Dose hin. Die Creme riecht stark nach künstlicher Zitrone.
«Du bist schon immer so fleißig gewesen», sagt Agneta, während Tilda ihre Jacke anzieht. Sie muss zur Uni, obwohl es Freitagnachmittag ist. Tilda reicht Agneta einen Schlüssel.
«Hier ist der Ersatzschlüssel. Denk dran, dass du in etwa einer Stunde noch mal mit Knut rausgehen musst.» Mit einer schwarzen, viereckigen Tasche in der rechten Hand und frisch in Locken gelegten Haaren schließt Tilda die Tür. Immerhin, es ist bis jetzt besser gelaufen als grottenschlecht. Im Korridor hängt immer noch der Duft eines blumigen Parfums. Sie wusste, dass Tilda mal richtig groß rauskommen würde. Schon in der Neunten, als Hedda und sie über das Leben redeten. Sie hatten immer schon so viel größer gedacht, als Agneta überhaupt zu träumen gewagt hätte. Agneta hat Hedda seltener getroffen, seit sie erkrankt ist. Hat die Einladungen zum Nachmittagskaffee gemieden. Sie wollte nicht, dass Hedda etwas bemerkte, aus dem Gehuste ihre Schlüsse zog und alles an Tilda ausplaudern würde. Denn natürlich liegt ihre Loyalität bei ihrer Freundin. Hedda hat auch selbst genug um die Ohren gehabt, weil sie immer so viele Projekte am Laufen haben. Die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer rausnehmen. Die Terrasse mit einem abgesenkten Hot Tub ausbauen. Bäume fällen, die die Aussicht auf Dundret verdecken, und dafür eine Genehmigung beantragen. Ein zweites Kind machen.
Als Agneta hört, wie die Wohnungstür zuschlägt, steht sie mühsam auf. Drückt drei Tabletten aus drei verschiedenen Blistern und schluckt sie. Sie schaut sich gründlich um, frei und unbeobachtet von Tildas wachsamen Augen. Knut döst auf dem Sofa. Agneta füllt das Glas erneut mit Wasser und gießt es in den Blumentopf mit den verdorrten Zweigen, in dem anscheinend Basilikum wachsen soll.