Als Agneta nach Hause kommt, steht Tilda in Schlafanzughose und einem weiten, durchscheinenden weißen T-Shirt am Herd. Darunter hat sie einen schwarzen BH an. Sie sieht gleichzeitig so groß und so unglaublich klein aus, dass Agneta ihr am liebsten die Haare flechten würde. Mit den Fingern hindurchfahren, sich um sie kümmern. Sie reicht ihrem Kind das Fleisch. Tilda nickt kurz, zur Begrüßung und gleichzeitig als Dank. Kramt ein Messer aus der Schublade, ein altes. Die Messer im Supermarkt taugten nichts, die wären auch im Handumdrehen wieder stumpf geworden. Tilda schneidet, dass es nur so knallt zwischen der Metallklinge und dem Holz des Schneidbretts. Agneta überlegt, ob Tilda nur deswegen Fleischknödel macht, um ihr zu beweisen, dass sie solide und bodenständig ist. Dass sie sogar in Stockholm ein echtes Zuhause schaffen kann.
«Wasch dir die Hände», sagt Tilda zu Agneta, die rückwärts hinaus und ins Bad geht. Die Seife ist hellgrün und soll riechen wie ein regennasser Wald. Sie reibt die Hände gründlich an allen kritischen Stellen ein, wie man es automatisch tut, wenn man ein ganzes Leben im Pflegedienst verbracht hat. Zwischen den Daumen. Über die Oberseite der Finger. Die Fingerspitzen. Eigentlich braucht das Kind ihr gegenüber doch nicht so einen groben Ton anzuschlagen, oder? Sie versucht zu pinkeln, obwohl sie gar nicht muss. Wartet, bis die Kunststoffbrille unter ihr warm wird. Holt ein paarmal tief Luft, um sich den Sauerstoff zurückzuholen, den ihr das Treppenhaus geraubt hat, und knallt den Toilettendeckel zu. Sie versteht nicht, was sie gemacht hat, dass Tildas Stimme so hart geworden ist, ob es einen glasklaren Anlass gab, für den sie sich entschuldigen könnte. Jetzt ist es eher ein Schneeball, der einen Hügel aus Kleinigkeiten heruntergerollt ist und dann zu einem großen Eisklotz gefror. Sie wäscht sich noch einmal die Hände.
In der Küche riecht es nach Essen, und Agneta wirft einen Blick in den Topf, als sie eintritt. Die grauen Teigklumpen schwimmen in der trüben Flüssigkeit. Wie soll sie diesen ganzen Teig aufessen, und wie soll ihr Magen das alles verdauen, was sie am Ende doch hineinkriegt? Ihr läuft das Wasser im Munde zusammen, als ihr der Essensduft in die Nase steigt. Agneta legt Tilda die Hand auf die Schulter und fragt, ob sie ihr etwas helfen kann. Tilda zuckt bei der Berührung zusammen, sagt, dass es sowieso gleich fertig ist, und rührt das Schweinefleisch mit einem Holzlöffel um. Agneta setzt sich auf den Stuhl und stöhnt dabei auf. Ihr Skelett fühlt sich an, als würde es vor lauter Schmerzen in grellem Neonton leuchten.
«Ist was passiert?», erkundigt sich Tilda und reicht Agneta einen Teller.
«Ach, das sind wahrscheinlich bloß die Nachwirkungen vom Nachtzug», erwidert Agneta und verzieht ihre Grimasse zu einem Lächeln.
«Mann, war das lecker», sagt Agneta und führt die Gabel noch einmal zum Mund. Das salzige Schweinefleisch ist knusprig, und der Kontrast zwischen Butter und Knödelteig und dem süßsäuerlichen Preiselbeerkompott zieht einem so schön die Geschmacksknospen zusammen.
«Für dich taugt’s schon», sagt Tilda im Dialekt und lächelt sie an. Sie wischt sich den Mund mit einer Papierserviette ab. Das hatte Agnetas Mutter immer gesagt. Agneta lächelt zurück, obwohl es wehtut. Ihre Mutter ist so deutlich in Tildas Gesicht zu erkennen, vor allem, wenn sie so wie gerade eben ganz leicht lächelt. Ihre Mutter ist jung gestorben. Oder doch alt, wenn man sie mit Agneta vergleicht, aber die ist ja nicht tot. Noch nicht. Tilda schaut in die Ferne und denkt wohl auch gerade an sie. Die Großmutter, mit der sie so unendlich viele Stunden verbracht hat. Mit einem Webstück in den Händen und einer Decke auf dem Schoß. Agneta hat nie Weben gelernt. Sie wollte sein wie die anderen, sie wollte eine Mama haben und keine Enná. Dann kam Tilda, die eine Enná haben wollte, aber stattdessen eine Muore bekam, ihre Großmutter. Oder ist es einfach so, dass kein Kind so sein will wie seine Eltern? Trotzdem sind sie sich alle drei ähnlich. Dieselben grünen Augen. Die gleiche Haut, die schnell braun wird.
Es ist unmöglich, nicht zu schmatzen, wenn man Fleischknödel isst, und jedes Mal, wenn es bei Agneta besonders laut wird, verbrennt sie sich an Tildas missbilligendem Blick. Sie fragt sich, wo diese Stimmungsschwankung auf einmal herkommt. Vorhin sah Tilda doch fast schon froh aus, und jetzt schaut sie wieder so böse drein. Vielleicht hat Tilda an die Beerdigung ihrer Großmutter gedacht. Wie Agneta dort war, ohne wirklich da zu sein. Das wird sie sich nie verzeihen. Tilda auch nicht, wie es aussieht.
Sie sitzen schweigend am Esstisch. Agneta nimmt immer kleinere Bissen, damit sie weniger Essensgeräusche macht und das Schmatzen in den Griff bekommt. Aber es ist ihr immer noch unmöglich.