«Hier, schau mal», sagt Agneta, um Tildas Aufmerksamkeit vom Geruch abzulenken. Sie beugt sich über ihren Koffer. Nichts knackst, obwohl sie das Gefühl hat, als müsste ihr Hüftgelenk zumindest leise Geräusche machen. Agneta reicht ihr das Bild, und Tilda beginnt, vorsichtig am Klebeband zu ziehen, um das Geschenk zu öffnen. Es ist ein Foto von Agnetas Mutter und ein paar anderen Frauen in samischen Kolts vor einer typischen Kote. Es ist ein Schwarz-Weiß-Bild, aber sie blinzeln, als würde die Sonne scheinen. Der Rahmen ist aus Holz, etwas dunkler als Birke oder einfach lasiert, Agneta hat viel Geld dafür bezahlt. Keine der fotografierten Frauen lächelt.

«Danke», sagt Tilda und streicht sanft mit der Hand über das Foto, als könne sie ihre Muore dadurch zurückholen. Wie der Prinz, der sein Aschenputtel küsst, oder war es Dornröschen? An ihren Fingern, die immer weiter über das Bild streichen, bleibt Staub hängen.

«Das hab ich gefunden, als ich zu Hause aufgeräumt habe. Das ist Mama vor der Kirchenkote. Erkennst du sie?»

«Das sind Mamas Stiefelbänder, die sie als Mädchen getragen hat, bevor sie konfirmiert wurde, und dann diese hier …» Agneta wühlt wieder im Koffer. «… zu denen sie gewechselt ist, als sie geheiratet hat, aber die kennst du ja schon.»

«Kann ich beide haben?», fragt Tilda. Agneta richtet sich auf, als sie sieht, mit was für behutsamen Fingern Tilda die Sachen anfasst. Obwohl sie selbst nicht nachvollziehen kann, was man mit einem solchen Paar alter Bänder anfangen sollte, hatte sie sich entschieden, sie einzupacken. Wirklich. Du bist mir wichtig, könnte sie zum Beispiel sagen. Ich verstehe, wie viel dir deine Muore bedeutet hat, würde auch gehen. Oder andere Dinge, vielleicht etwas zu ihrem Husten. Es braucht nur ein paar wenige Worte. Aber nicht, wenn Tilda lächelt. Sie würde umso tiefer abstürzen, wenn sie vorher so fröhlich aussieht. Dann doch lieber, wenn sie schon traurig ist. Oder vielleicht nicht wirklich traurig, aber etwas neutraler. Das nächste Mal, wenn Tilda neutral ist, das ist der richtige Zeitpunkt, beschließt Agneta.

«Ich webe ja nicht. Ich dachte mir, du freust dich vielleicht, wenn du das Muster als Vorlage hast – du webst doch immer noch, oder?», fragt Agneta und hustet. Sie muss daran denken, nicht so viele Worte in einem Atemzug zu sagen, sondern dazwischen immer wieder Pausen zum Luftholen einzulegen. Tilda zuckt mit den Schultern und murmelt: Ja, manchmal, aber sie lächelt auch. Agneta sperrt ihr Lächeln in sich ein, um es hervorzuholen, wenn es gebraucht wird.

«Ja, natürlich», sagt Tilda, ohne dass ihre Lippen die Form verändern. «Dir nicht?»

«Doch, natürlich.» Agneta will sich gerne entschuldigen wegen der Beerdigung. Will Tilda begreiflich machen, wie wichtig es ist, wenn die eigene Mutter begraben wird, dass Agneta ja auch dieser Meinung ist. Wenn sie sich nur dafür entschuldigt, taut vielleicht der restliche Eisklotz zwischen ihnen auch mit auf. Muss er einfach. Agneta sagt nichts. Stattdessen holt sie die abgestoßene grüne Mappe mit Tildas ganzen Zeichnungen aus dem Koffer, und Tilda lacht. Das wärmt Agneta wie eine Zigarette am Morgen.