Tildas Worte, die ihr im Kopf hin und her prallen, hinterlassen blaue Flecken. Es ist doch noch nicht zu spät. Ach, wenn ihr Kind nur wüsste. Agneta nimmt einen großen Schluck Wein, um den Kloß im Hals wegzuspülen. Dass Tilda es immer noch nicht weiß. Man muss schon wirklich ein böser Mensch sein, wenn man so eine Sache vor seinem Kind verheimlicht.
Doch, natürlich hätte sie auch noch umziehen können, obwohl sie Tilda bekommen hatte, aber sie hatte eben einen festen Job und konnte sich im Fernstudium weiterbilden, und das Baby wollte sie behalten, das spürte sie im ganzen Körper. Dieses Gefühl war viel stärker als irgendein abwegiger Traum, der sich eigentlich nie nach einer realen Chance angefühlt hatte. Die Sicherheit für ihr Kind ging ihr über alles, und vielleicht war es sogar ein bisschen bequem. Sich zufriedenzugeben und sich nicht der Gefahr des Scheiterns auszusetzen. Irgendwas hatte sie wohl richtig gemacht bei ihrem Kind, dass Tilda so viel mehr Mut besaß und wegging. Sie redet es sich zumindest ein, dass es gut war. Diese Sanftheit in Tildas Stimme, die Verlegenheit. Agneta will diesen Moment in die Länge ziehen, während der weiche Ton ihren Gehörgängen schmeichelt und sie sich das Gehirn in Watte packen lässt.
Was ihr außer dem Gedanken an Tilda am meisten wehtut, ist, dass es in ihrem Leben eigentlich gar nicht so viel gibt, das sie verliert. Bevor sie den Bescheid bekam, war das Leben nicht mehr als ihr Job. Vielleicht noch das Rauchen mit einem dementen alten Mann. Auf dem Sofa einschlafen. Sex mit einem Mann haben, den sie kaum mochte, nur um seine Hände hinterher um sich zu spüren. Sie wartete auf was auch immer, und dann wollte der liebe Gott sie wohl mit ein bisschen Krebs erschrecken, aber der breitete sich schneller aus, als man vorausgeahnt hatte, wie es Krebs ja gerne mal tut. Ein Feuer auf einer Sommerwiese. Und die Einsicht, dass sie ihr Leben nicht für so selbstverständlich hätte nehmen dürfen, kam ihr dann auch, aber da war es natürlich zu spät. Es ist doch noch nicht zu spät.