«Reden Sie doch so, dass man Sie verstehen kann», sagt Agneta, die die Arme über ihrer kranken Brust verschränkt hat. Vor ihren Augen explodiert ein kleines Feuerwerk, und sie muss sich an den Stuhlrücken lehnen, damit sie nicht ins Wanken kommt. Seine Worte wirbeln ihr durch den Kopf, ohne dass sie etwas mit ihnen anfangen könnte. Die müssen sie entlassen, hier hält sie das nicht aus, mit Tilda, in einem Krankenhaus, in dem sie keinen kennt, geschweige denn die Körpertemperatur der Krankenschwestern, und so nie weiß, ob sie sich bei ihren Händen auf Eiswürfel gefasst machen muss. Der Arzt wiederholt dieselben Worte, aber lauter. Dann geht er, ohne sich zu verabschieden, und lässt die Tür hinter sich einen Spaltbreit offen. Pantoffeln und Sportschuhe quietschen da draußen auf dem Linoleumboden. Es piepst und tönt von der Maschine, an der sie festgemacht ist. Die Sauerstoffsättigung ist in Ordnung, sie hofft, dass das ausreicht, um sie gehen zu lassen.
Ein Krankenpfleger kommt herein. Auf dem Namensschild auf seiner Brust steht Gabriel, seine blonden Haare sind zerzaust, und seine sackartige Krankenhauskleidung schmeichelt seiner Figur nicht unbedingt.
«Sie werden in ein anderes Zimmer verlegt», sagt er und streckt den Arm aus, an dem sich Agneta widerwillig festhält. Sie steht auf, und ihre Beine tragen sie. Agneta schaut den Flur hoch und runter, aber sie sieht ihr Kind nicht. Kein Empfang, nur ein Flur nach dem anderen.
«Ich will nicht eingeliefert werden», sagt Agneta. Er schüttelt den Kopf, aber nicht doch, bevor er eine Tür aufmacht, die genauso aussieht wie alle anderen.
«Sie können sich setzen», sagt er, und der Boden schwankt ein bisschen, als Agneta seinen Arm loslässt und auf die Liege zugeht. Hier sind weniger Maschinen, aber der silbrige Wagen sieht ganz ähnlich aus. Nadeln, Kompressen und Probenröhrchen sind darauf ordentlich aufgereiht.
Obwohl Gabriel nur ein paar Minuten weg gewesen ist, klopft er vorsichtig an, bevor er die Tür wieder aufmacht. Er hat ein Köfferchen mit jeder Menge Schläuchen in der Hand. Agneta tippt auf Sauerstoff. Besser gesagt, sie tippt nicht darauf. Sie weiß es. Obwohl sie bis dahin eigentlich noch viel Zeit zu haben meinte. Agnetas Gehirn ist ganz breiig und langsam, und die metallene Röhre sieht so kalt aus. Sie atmet ein, aber es schmerzt überall in ihrem Brustkorb, wenn die Luft sich nach unten drückt. Außerdem tut ihr nach ihrem Zusammenbruch die Hüfte weh, und der Rücken. Sie darf gar nicht anfangen, an ihren Rücken zu denken. Er hält ihr einen Plastikschlauch hin, der über immer dickere Schläuche mit der Sauerstoffflasche verbunden ist. Sie beißt die Zähne zusammen und schaut den Pfleger fest an, als könnte sie ihn allein durch ihren Blick dazu bringen, das Zimmer wieder rückwärts zu verlassen. Doch er kommt trotzdem immer näher, setzt den einen sportschuhbekleideten Fuß vor den anderen, ein ums andere Mal. Zum Schluss steht er vor ihr, und Agneta schaut auf den Boden. Sie kann nicht anders, sie fällt immer wieder zurück in ihre Kindheit, muss trotzen und schmollen. Er macht ja nur seine Arbeit. Trotzdem hasst sie ihn.
«Schlechte Sauerstoffsättigung», «Infektion», «der Eiter wurde entfernt» und «Sie werden jetzt erst mal eine Weile an eine Sauerstoffflasche angeschlossen». Das alles erklärt ihr Gabriel noch einmal, denn er weiß ja nicht, dass sie die Ärztesprache versteht. Sie würde am liebsten sagen: Ich weiß das alles eigentlich, es wird mir nur gerade ein bisschen viel.
Aha, denkt Agneta. Mehr geht nicht: Ihr Kopf ist leer.
«Ich muss jetzt weg.»
«Wollen Sie es mal ausprobieren?», fragt er im Versuch, Agnetas Bemerkung zu ignorieren. Er fragt so, als ob sie eine Wahl hätte, und hält ihr den kleinen Schlauch mit den zwei kurzen Fortsätzen hin, die in die Nase kommen. Sie hat auch schon Patienten mit Sauerstoffflasche gehabt. Große sperrige Ungetüme, die neben dem Bett standen. Die konnten nicht mit dem Sauerstoff in einem kleinen Köfferchen herumlaufen, sondern hatten nur noch im Bett gelegen. Ist sie jetzt auch schon so weit? Agneta weiß es eigentlich, und er geht vor ihr in die Hocke. Sie will, dass er sie in Ruhe lässt, sie einfach hier sitzen und diesen blöden Apparat beäugen und die Tatsache verdauen lässt, dass sie ihrem Grab wieder einen großen Schritt näher gekommen ist.
«Die Frau, die mit Ihnen hergekommen ist …?», schlägt Gabriel in fragendem Ton vor, als sie keinerlei Anstalten macht, sich den Schlauch wirklich in die Nase zu stecken. Vor ihren Augen flimmert es immer noch, und sie ist verschleimt, das panische Weinen hat alles in ihr so anschwellen lassen. Das Blut macht die Sache nicht besser, es verklebt ihr wohl zusätzlich die Adern. Agneta nickt.
«Wollen Sie, dass ich sie reinhole?» Er steht auf, als wollte er hinausgehen, um Tilda zu holen.
«Nein.» Agnetas Stimme ist fester, als sie seit Wochen gewesen ist. «Ich will selbst zu ihr gehen.»
Der Pfleger schaut sie an, streckt die Hand aus, als wollte er sie tröstend berühren, aber vielleicht ist es ihr Blick, der ihn innehalten lässt. Er kann unmöglich älter sein als fünfundzwanzig und spricht so deutlich Stockholmer Dialekt, dass es nicht mehr besser geht.
«Ich kann die Sauerstoffflasche mitnehmen, aber ich muss hier raus», fährt sie fort.
«Ich kann Sie nicht zwingen hierzubleiben», sagt Gabriel. Agneta schiebt sich trotzig den Schlauch in die Nase, es kitzelt ein wenig, aber sie wird sich wahrscheinlich daran gewöhnen. Sie verwendet ihre ganze Energie darauf, eine ausdruckslose Miene aufzusetzen, und schaut hinunter auf ihre runzligen Finger. Bevor das Fett anfing zu verschwinden, hätte sie nie gedacht, dass es dort überhaupt Fett gab.
«Sie weiß nichts hiervon», murmelt Agneta. Eigentlich sagt sie es hauptsächlich zu sich selbst, doch Gabriel hört es natürlich auch. Er schaut sie argwöhnisch an, schweigt jedoch.
«Sie weiß nicht, dass ich krank bin. Sie weiß gar nichts.» Sie schaut Gabriel nicht an, sondern richtet ihren Blick auf die Wand, aus der Schläuche kommen. Doch die braucht sie nicht mehr. Sie hat jetzt ihren eigenen Sauerstoff. Auf dem Fensterbrett steht ein adventlicher Lichterbogen, für den es noch viel zu früh ist, sie müsste die Kerzen eigentlich ausmachen.
«Ihr ist sicher klar, dass irgendetwas sein muss», sagt er und geht wieder in die Hocke, sodass sein Gesicht auf gleicher Höhe mit ihrem ist. Wie man es bei Hunden oder kleinen Kindern macht.
«Vor allem mit diesem Ding hier.» Agneta ruckt leicht an dem Schlauch, der in ihre Nase führt, und seufzt so, dass ihr wieder schwarz vor Augen wird. Trotzig weicht sie seinem Blick aus. Er mit dem Namen des Engels aus der Bibel. Der Erzengel Gabriel kam mit einer Botschaft des Lebens, und dieser hier mit einer Todesbotschaft. Obwohl – nein, jetzt war sie gerade ungerecht, sie wusste es ja schon.
«Ich muss.» Agneta hört selbst, dass ihre Stimme nach einer übermüdeten Dreijährigen klingt. Sie fängt den Blick des Pflegers auf und will ihm die Augen ausdrücken, sie auf den Linoleumboden werfen und darauf herumtrampeln, bis alles Mitleid rausgelaufen ist.