Im Inneren des Pferdetransporters war es angenehm ruhig. Es war einer dieser großen luxuriösen Horsetrucks, den ihr ein Springreiterehepaar, dessen Pferde in White Oaks in Pension standen, für Badminton überlassen hatte. Nachdem die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, ließ sich Casey auf dem Bett nieder, stützte den Kopf in ihre Hände und sprach ein leises Dankeswort für die edlen Gönner, die ihr mit diesem Lkw einen Zufluchtsort vor den Menschenmassen, dem ewigen Lächeln und den nie enden wollenden Fragen bei den Badminton Horse Trials boten.
Seit eh und je hatte Casey von nichts anderem geträumt, als in Badminton an den Start zu gehen. Doch jetzt, als der Traum im Begriff war, sich zu erfüllen, konnte sie kaum damit umgehen. Kein Zweifel, sie würde alles geben. Für Storm, für Mrs Smith, für Peter, für Eric Wu und Jin, die beide nach Gloucestershire gekommen waren. Jin, um Mrs Smith beim Einflechten der Mähne zu helfen und Storm für den Wettkampf präsentabel zu machen. Eric Wu, um bei Verletzungen eingreifen zu können (man musste bei ihm zwar nach wie vor mit wilden chinesischen Schimpftiraden rechnen, doch Casey konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er – wie Jin auch – als geheimer Bewunderer von Storm angereist war).
Ihr Herz schlug für all ihre Freunde, aber es war ein Herz, das in jüngster Zeit arg gelitten hatte, und sie mochte gar nicht daran denken, was noch auf sie zukommen würde. Wenn ihr Vater nicht an ihrer Seite war, wenn sie für ihn nicht einmal so viel wert war, dass er sich aus schmutzigen Geschäften heraushielt, hatte doch alles keinen Sinn mehr.
In der vergangenen Nacht hatte sie kaum ein Auge zugetan. Sie hatte das Bett durchwühlt und ihr Hirn mit dem Gedanken zermartert, dass ihr Vater für Big Red einen «kleinen Job» erledigte, während rechtschaffene Menschen schliefen. Was war es wohl diesmal? Ein bewaffneter Raubüberfall? Oder wieder ein Millionär, den ein paar Tausender weniger kaum jucken würden?
Doch ihr Vater war nicht der einzige Mann, um den ihre Gedanken kreisten. Die freudige Aufregung, endlich in Badminton zu sein, wurde kurz nach ihrer Ankunft dadurch getrübt, dass sie Peter Arm in Arm mit einer umwerfenden Blondine durch den Lkw-Park spazieren sah.
Casey hatte sich Hoffnungen gemacht, nachdem sie erfahren hatte, dass er vor rund fünf Wochen, kurz nach seiner Abreise von White Oaks, mit Lavinia Schluss gemacht hatte. In dieser Zeit waren sie sich wieder näher gekommen, wenn auch nicht so, wie sie sich das erträumt hatte. Er war stets liebenswürdig und hilfsbereit, gleichzeitig aber immer etwas distanziert gewesen. Sie hatte gehofft, er würde mindestens eine Woche bleiben, doch nach drei Tagen zog er schon wieder weiter. Sie hatte gehofft, dass er im Peach Tree Cottage übernachten würde und in einer dieser Nächte Lavinia vergessen und stattdessen sie in die Arme schließen und küssen würde. Doch weit gefehlt: Er nahm ein Zimmer in einem Bed & Breakfast im Ort und sagte, er könne die Buchung nicht mehr rückgängig machen.
Ihre ganzen Wunschvorstellungen, dass er sie wiedersehen wollte und sie mit seinem Schlafzimmerblick ansehen würde – was sie früher einmal verwirrt hatte und wonach sie sich jetzt in schlaflosen Nächte so sehr sehnte –, fanden ein jähes Ende, als er am Telefon über seine Trennung von Lavinia gesprochen hatte.
«Wir waren nicht wirklich füreinander gemacht», hatte er erzählt. «Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als auf Shoppingtour zu gehen und sich schicke Kroko-Handtaschen anzusehen oder in der American Bar im Savoy an einem Cocktail zu nippen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als bei der Geburt eines Lamms dabei zu sein oder ein Picknick an einem einsamen Strand in Cornwall zu erleben.»
Genau wie ich, hatte sich Casey sehnsüchtig gedacht.
«Wie dem auch sei», hatte er weitererzählt, «wir beide haben so etwa zur gleichen Zeit gemerkt, dass ich mich in jemand anderen verliebt hatte.»
Nachdem Casey die Blondine gesehen hatte, konnte sie ihn verstehen. Trotzdem hätte sie alles dafür gegeben, ihre Stelle einzunehmen. Irgendwie war sie zu dem Schluss gekommen, es mit Peter verdorben zu haben. In Zukunft würde sie wohl nicht mehr als eine gute Freundin für ihn sein. Dieser Gedanke war so unerträglich wie das, was ihr Vater ihr angetan hatte, und drehte ihr den Magen um.
Draußen wieherte ein Pferd. Durch das Fenster sah sie, wie Jin Storm den letzten Schliff gab. Er sah königlich aus. Casey musste sich selbst kneifen. Es grenzte an ein Wunder, dass sein Huf überhaupt verheilt war, und dann noch so rasch, dass es für Badminton reichte. Noch gestern Abend, als sie Storm vor dem erhabenen Badminton House an der Hand vortraben ließ, war sie überzeugt gewesen, die Jury würde irgendeinen klitzekleinen Mangel entdecken, der ihr entgangen war. Doch Storm passierte die Verfassungsprüfung ohne jegliche Probleme.
Sie blickte auf die Uhr. Es war ein Viertel nach drei am Nachmittag. In weniger als einer Stunde würde sie vor Tausenden von Zuschauern zur Dressurprüfung antreten. Und sie steckte immer noch in den Jeans. Langsam zog sie ihre weißen Reithosen an, schlüpfte in eine ärmellose Bluse und stieg in die blitzblank polierten hohen Stiefel. Dann widmete sie sich ihrer Frisur und begann, sich zu schminken. Wenn sie nur die Brosche ihrer Mutter dabei gehabt hätte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien sie aus ihr Kraft zu schöpfen. Und wenn sie näher darüber nachdachte: auch Liebe.
Liebe. Letztlich ging es nur darum. Ohne Liebe waren alle Reichtümer und Pokale dieser Welt wertlos. Eigentlich hatte sie dies immer schon gewusst, aber so richtig glauben konnte sie es erst, als sie es am eigenen Leib erfuhr.
Es klopfte an der Tür. Casey ging davon aus, dass es sich um Mrs Smith oder Jin handelte, und rief: «Herein!»
Doch im Türrahmen stand ihr Vater. Er sah übernächtigt aus. Sein Gesicht war aschfahl. Hinter ihm wartete ein Inder mit Turban in einem (für die Gelegenheit unpassenden) piekfeinen schwarzen Anzug und einem hellblauen Hemd mit farblich abgestimmtem Einstecktuch in der Brusttasche. In seiner linken Hand baumelte eine Sporttasche. Ihr Vater steckte in seinen üblichen Jeans, darüber jedoch trug er ein frisch gebügeltes weißes Hemd und ein schickes schwarzes Jackett.
Vor Schreck fiel Casey der Mascarastift aus der Hand. Sie sprang auf. «Dad! Ravi! Was macht ihr denn hier?»
Dann erinnerte sie sich daran, dass sie sich geschworen hatte, ihren Vater nie mehr wiedersehen zu wollen, und sagte: «Das ist jetzt aber wirklich sehr unpassend. Ich muss jetzt gleich zur Dressur. Ich weiß nicht, warum du gekommen bist. Ich habe dir nichts mehr zu sagen.»
«Genau wegen der Dressur sind wir hier ...», setzte ihr Vater an. Er breitete die Arme aus und ging auf sie zu. Doch Casey wich ihm aus.
Das Lächeln verschwand von seinem Gesicht. Aber er sagte, was er sich zu sagen vorgenommen hatte: «Casey, ich weiß, dass du wegen Storm immer noch wütend bist auf mich, dass du mir vermutlich nie verzeihen wirst ...»
Casey blickte ihm in die Augen. «Es geht hier nicht um Storm, sondern darum, was du gestern oder vorgestern Nacht angestellt hast. Ich bin sicher, du möchtest nicht, dass Ravi davon erfährt. Aber ich sag’s trotzdem. Es geht um Einbruchdiebstähle, um Banküberfälle und die ganzen anderen dreckigen Geschäfte, die du mit Big Red treibst.»
Verdutzt sah ihr Vater sie an. «Wovon sprichst du? Das ist doch purer Wahnsinn. Von wem hast du das denn?»
«Von ihm», brach es jetzt heulend aus ihr heraus. «Aus seinem schmutzigen Mund habe ich es erfahren. Als ich bei dir vorbeikommen wollte, hat er es mir unter die Nase gerieben, dass du für ihn einen ‹kleinen Job› erledigen würdest. Er sagte mir, ein Teil der Beute würde bestimmt auch für mein geliebtes Hobby abfallen.»
Roland Blue war ein zurückhaltender Mensch. Aber als er dies hörte, platzte er beinahe vor Wut. «Ich bring ihn um!», brüllte er.
Ravi rollte mit den Augen. «Immer mit der Ruhe. Das bringt gar nichts.» Er packte Roland am Arm und drückte ihn in einen Sessel. «Bitte entschuldige, dass ich hier eingreife, aber ich glaube, ich kann das besser erklären als dein Vater.»
Casey schwieg. Ravi schaltete den Wasserkocher ein und ließ je einen Teebeutel in drei Tassen fallen. «Vor wenigen Monaten, als dein Vater betrunken, verzweifelt und am Tiefpunkt seines Lebens angekommen war – völlig niedergeschlagen und am Ende wegen meiner falschen Anschuldigungen –, willigte er in ein Treffen mit Big Red ein. Unmittelbar danach bereute er diese Entscheidung, aber du weißt, dass Big Red kein Nein akzeptiert. Als du deinen Vater in seiner Wohnung zur Rede stellen wolltest, weil er Storm verkauft hatte, war Big Red eben erst angekommen. Nachdem du gegangen warst, war dein Vater dermaßen am Boden zerstört, dass Big Red die Gelegenheit ergriff, ihm schmackhaft zu machen, beim Überfall auf ein Lagerhaus den Fluchtwagen zu steuern ...»
«Ja, ich habe zugestimmt, oder vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht mehr genau», gestand Roland. «Einerseits war mir klar, dass ich mein Leben praktisch zerstört hatte und es jetzt nichts mehr ausmachte, den Karren ganz gegen die Wand zu fahren. Andererseits wollte ich Big Red einfach loswerden, um allein zu sein und nachzudenken.»
«Für Big Red war das ein Ja», übernahm Ravi wieder, während er Casey eine Tasse Tee reichte. «Ich war gerade bei deinem Vater, als Big Red vor ein paar Tagen wieder bei ihm auftauchte. Es gab eine ziemlich unschöne Szene, als wir versuchten, ihm klarzumachen, dass dein Vater nicht die geringste Absicht hatte, je wieder mit seiner kriminellen Bande zusammenzuspannen. Glücklicherweise (oder unglücklicherweise, je nachdem, wie man’s nimmt) hatte ich in meinen jungen Jahren selbst eine Gang und lasse mich deshalb nicht so leicht einschüchtern.»
Casey versuchte, sich diesen feinen, höflichen Menschen als brutalen Bandenführer vorzustellen. Das einzige Anzeichen für seine dunkle Vergangenheit war ein schwarzer Strich, der hinten am Genick aus seinem Hemdkragen guckte und eine darunter liegende Tätowierung verriet.
Ravi legte eine Hand auf die Schulter von Caseys Vater. «Es stimmt, dass dein Vater nächtelang durchgearbeitet hat, aber nicht für Big Red, sondern in meiner Schneiderei. Ich weiß es ganz genau, denn ich habe zwei schlaflose Nächte an seiner Seite verbracht. Beim Einstellungsgespräch mit deinem Vater vor zwei Jahren hat es mich berührt, dass er Schneider werden wollte, um dir einen Dressurfrack zu nähen, wenn du die Qualifikation für Badminton schaffst.
Damals hattest du noch nicht einmal dein eigenes Pferd, und ich fand es einfach unheimlich berührend, dass ein Vater sso sehr an seine Tochter glauben konnte. Natürlich wollte er schon vor Monaten mit seiner Arbeit beginnen, doch dann kam ich ihm mit der Kündigung in die Quere. Deshalb war es das Mindeste, was ich tun konnte, ihm jetzt dabei zu helfen.»
Er zog am Reißverschluss der Sporttasche, holte ein großes, in braunes Packpapier eingeschlagenes Bündel hervor und überreichte es der sprachlosen Casey. Während Storms Verletzungspause waren sie und Mrs Smith zu sehr damit beschäftigt gewesen, ihn gesundzupflegen, als dass sie Zeit gehabt hätten, sich um Zylinder und Frack für Badminton zu kümmern, falls sie es überhaupt dorthin schaffen würden. Schließlich hatten sie sich in letzter Minute beides ausleihen können. Aber der Zylinder saß nicht richtig und drohte ihr jederzeit vom Kopf zu rutschen. Das schwarze Jackett war drei Nummern zu groß und ließ Casey wie eine Reiterin in einem verarmten Landzirkus aussehen.
Mit einem Seitenblick auf ihren Vater, der sie gespannt beobachtete, riss Casey das Paket auf. Darin lag ein mitternachtsblauer, scharlachrot gefütterter Frack. Es war ein Kunstwerk. Doch was dieses Kleidungsstück so besonders machte, war noch etwas anderes: Die Schulterpartie war von feinsten Stickereien mit lauter roten und rosafarbenen Rosen überzogen, die sich beidseitig in Miniaturform am unteren Ärmel wiederholten.
Tränen schossen in Caseys Augen. Sie wusste sofort, welche Bedeutung die Rosen hatten. Sie machten das Geschenk noch bedeutungsvoller. Als hätte er mit jedem Stich ein Stück Liebe ihrer Mutter in das Kleidungsstück hineingestickt. «Er ist einfach wunderhübsch!»
«Ich habe deinem Vater beim Zuschneiden und Einnähen des Futters geholfen», erklärte Ravi. «Der Entwurf, die Rosen, die ganze Handstickerei stammen aber allein von deinem Vater. Er ist ein außerordentlich begabter Schneider. Er fand die traditionellen Dressurfracks etwas langweilig, und ich konnte ihm da nur beipflichten. Wir wollten etwas jugendlichen Flair und Pepp. Schließlich bist du die jüngste Reiterin, die je in Badminton an den Start gegangen ist.»
«Magst du ihn, Pumpkin?», fragte Roland nervös. «Ich hatte Panik, dass die Dressur vielleicht schon vorbei sein könnte. Eigentlich wollten wir viel früher kommen, doch dann sind zwei Züge ausgefallen und wir warteten ewig auf ein Taxi, das wir eigens aus Bath kommen lassen mussten.»
Casey fiel ihm um den Hals. «Natürlich mag ich ihn. Ich liebe ihn! Es ist der schönste Frack, den ich je gesehen habe. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Habe ich das denn verdient?»
Mit einem Kloß im Hals sagte er: «Es ist nur normal, dass du an mir gezweifelt hast nach allem, was ich dir angetan habe. Vielleicht wirst du mir die Sache mit Storm einmal verzeihen. Ich aber werde mir selbst nie verzeihen. Etwas jedoch will ich dir hoch und heilig versprechen, Casey. Solange ich lebe, wird mich nichts, aber auch gar nichts mehr dazu verleiten, auch nur einen Apfel zu klauen. Bitte glaube es mir. Ich möchte, dass du ebenso stolz auf mich sein kannst wie ich auf dich. Und dank Ravis Unterstützung könnte ich es auch wirklich schaffen.»
«Der Zylinder», warf Ravi ein. «Du musst ihr den Zylinder geben.»
Sorgfältig holte Roland einen in Klopapier eingewickelten Zylinder aus seinem Rucksack. Nachdem er das Papier sorgfältig abgewickelt hatte, überreichte er ihr den Hut. Sie setzte ihn auf und schlüpfte in den Frack. Beide saßen perfekt.
Draußen näherten sich Schritte, die Tür sprang auf und Mrs Smith stürzte in den Transporter. «Casey, bist du bereit. Wir sind etwas verspä...»
Mit offenem Mund stand sie da, und ihr Blick wanderte von Casey zu Roland Blue, zu Ravi Singh und wieder zurück zu Casey. Langsam begann sie zu verstehen. Sie nickte den Männern zu und sagte: «Gentlemen, schön, dass Sie hier sind.» Dann umkreiste sie Casey und musterte sie aus jedem Blickwinkel. «Meine Liebe, du siehst wirklich umwerfend aus. Genau wie Storm übrigens. Wenn ihr beide nicht eine wirklich starke Präsentationsnote bekommt, verspeise ich auf der Stelle den ausgeliehenen Zylinder. So, bist du jetzt bereit?»
Zum ersten Mal seit Wochen sprach ein Lächeln aus Caseys Augen. «Ja, ich bin bereit.»
Und dann sagte Mrs Smith noch: «Und vergiss nicht: Ganz egal, was heute geschieht, ich bin unheimlich stolz auf dich.»
«Hals- und Beinbruch!», warf Ravi voller Begeisterung ein, bevor er sich erschrocken mit der Hand gegen den Mund schlug. «Nein, natürlich kein Hals- und Beinbruch! Einfach nur viel Glück, wollte ich sagen.»
Ihr Vater grinste nur und sagte: «Und jetzt, zeig’s ihnen!»
Das Schicksal wollte es, dass Anna Sparks bei der Dressurprüfung unmittelbar vor Casey um 16:10 Uhr dran war. Dass sie auf Storm verzichten musste, hatte ihre Vorbereitungen auf Badminton in keiner Weise erschwert. Ganz im Gegenteil. Mit dem stattlichen Gewinn, den Lionel Bing durch das Geschäft mit Storm gemacht hatte, lieh er sich vom deutschen Olympia-Silbermedaillengewinner Franz Müller für ein Jahr das Spitzenpferd Best Man aus.
Müller hatte sich beim Trainieren eines Jungpferdes mehrere Knochenbrüche zugezogen, als dieses von einem Raser in einem Sportwagen aufgescheucht worden war. Die Verletzung hatte für ihn das Saisonende bedeutet, und so war er natürlich nur froh, dass eine Reiterin von Annas Kaliber für ein paar Monate an Best Mans außerordentlichem Talent feilen würde.
Anna Sparks war nicht minder glücklich. Das Abenteuer mit Storm Warning hatte sich als wahrer Albtraum herausgestellt. Freunden gegenüber beschrieb sie Storm als «Esel in Vollblutmontur» und sagte, er sei ihr von ihrem Vater aufgedrängt worden. Doch ihrer besten Freundin Vanessa sagte sie, sie sei ihm nicht böse, weil er ihr schon eine Woche nach Storms Ausfall ein «echtes Pferd» beschafft hatte – eines, mit dem sie sich echte Chancen ausrechnete, Badminton zu gewinnen.
Damit zumindest lag sie goldrichtig. Am Freitagnachmittag gipfelten Annas unbestrittenes Potenzial und Best Mans Talent in einer makellosen Dressurleistung, sodass das Paar mit einer Gesamtnote von 32,1 die Führung im Zwischenklassement übernahm.
Als Casey in das Viereck ritt, erhaschte sie gerade noch einen Blick von Anna auf Best Man, einem umwerfenden Braunen mit vier weißen Fesseln. Der Platzsprecher konnte sich kaum mehr halten vor lauter Begeisterung. «War das eine Leistung! Meine Damen und Herren, war das eine Leistung! 32,1. Wen wundert’s jetzt noch, dass Best Man bei den letzten Olympischen Spielen Silber abgeräumt hat und Anna Sparks als das heißeste Talent der Vielseitigkeitsszene gehandelt wird? Damit haben die beiden eine Wertung vorgelegt, die heute wohl kaum so leicht zu schlagen sein wird.»
Als sie und Anna sich kreuzten, sagte Casey rasch: «Spitzenleistung. Gratuliere!», bevor sie Annas berüchtigter Blick traf. Es war nicht einfach, unter den Umständen Sportsgeist an den Tag zu legen, aber Mrs Smith hatte ihr eingehämmert, immer den höchstmöglichen moralischen Ansprüchen zu genügen.
Anna war völlig verdutzt. Sie parierte ihr Pferd durch. «Danke. Viel Glück. Was war das wieder, was du mir vor zwei Jahren gesagt hast? Dass wir uns eines Tages in Badminton treffen und die Bessere von uns beiden gewinnen wird?»
«Ja, so in etwa.»
Anna fixierte sie kurz mit eiskaltem Blick. Dann sagte sie: «Gut. Jetzt ist es so weit. Möge die Bessere von uns beiden gewinnen.»