Russell streckte die Hände aus und berührte die schwarze Innenhülle des Transporters. Direkt vor ihm öffnete sich übergangslos ein Loch in der Wand. Es war finster draußen, obwohl eine gelbe Sonne hoch oben am Himmel stand.
Er trat einen Schritt vor und stand im Freien. Der Boden war felsig und porös. Er hatte eine tiefschwarze Farbe und schluckte das Licht der Sonne, wie es die Außenhaut des Transporters tat. Dennoch erkannte er die Umrisse scharfzackiger Felsnadeln in unmittelbarer Nähe. »Wohin jetzt?«
Mark Fullerton trat in seinem Raumanzug an Russell vorbei. »Einmal um den Transporter herum, dann kannst du es sehen.«
Russell seufzte, folgte dem Geologen der Mondstation und vergewisserte sich, dass Candy und Roger ihm folgten. Fullerton brach oft von der Mondbasis aus zu Expeditionen auf, aber etwas wirklich Wichtiges hatte er bislang noch nicht gefunden. Ob es diesmal anders war?
Russell konnte Candys dunkle Augenringe selbst durch ihren Helm gut erkennen. Sie war heute Morgen erst von der Erde zum Mond zurückgekehrt und eigentlich nur auf der Durchreise nach New California. Die Schwerelosigkeit auf der zweitägigen Überfahrt war ihr nicht bekommen und sie hatte sich fast pausenlos übergeben. Dennoch wollte Russell, dass sie bei dieser Expedition anwesend war. Wenn Fullerton recht hatte, dann konnten sie nicht wissen, was sie erwartete, und es war besser, jemanden dabeizuhaben, der mit Waffen umzugehen wusste.
Der Geologe streckte die Hand aus. »Von hier aus kannst du sie sehen.« Tatsächlich! Eine Stadt!
Russell blickte auf eine breite Front von Gebäuden, die alle schlank und hoch in den Himmel ragten. Durch die dunkle Farbe waren sie vor dem Hintergrund des schwarzen Weltalls schwierig auszumachen. Aber Hochhäuser an diesem Ort?
Russell wollte sich über die Haare fahren, stieß aber nur mit den Handschuhen gegen seinen Raumhelm.
»Nicht schlecht.« Candys Stimme klang beeindruckt.
»Der Anblick erinnert mich an Dubai«, verkündete Roger Goldman. »Jedenfalls bevor die iranische Wasserstoffbombe es im großen Golfkrieg vernichtet hat.«
»Kommt, wir gehen zu den Gebäuden und schauen uns genauer um.« Russell stapfte los. Seine Kameraden folgten ihm.
Der Weg über das schroffe Gelände war mühsam. Russell musste bei jedem Schritt aufpassen, dass er auf dem unebenen Boden nicht stolperte. Sie arbeiteten sich nur langsam voran, zumal die Gebäude weiter vom Transporter entfernt waren, als er ursprünglich angenommen hatte.
»Warum sollte jemand in dieser trostlosen Umgebung eine Stadt bauen wollen?«, fragte Candy. »Dieser verdammte Planet hat ja noch nicht einmal eine Atmosphäre.«
Candy hatte natürlich recht. Aber Russell machte noch etwas anderes Sorgen. Nach den ersten Gesprächen mit den Transporterintelligenzen vor vielen Jahren waren sie der Meinung gewesen, dass es außer der Menschheit und den Erbauern der Transporter keine weiteren intelligenten Spezies in der Galaxis gegeben hatte. Also warum tauchte jetzt auf einem Planeten, der noch dazu gerade mal hundertzwanzig Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt war, eine außerirdische Stadt auf?
»Ist das von den Erbauern der Transporter?«, fragte Roger. »Nein, das kann nicht von den Erbauern sein«, gab Fullerton zurück. »Deren Zivilisation ist untergegangen, bevor die Transporter sich in der Milchstraße ausgebreitet hatten. Nicht wahr, Russell?«
»Mark hat recht«, schnaufte Russell.
Candy berührte ihn am Arm. »Alles gut?«
Russell wehrte sie ab. »Ja, ja, mach dir keine Sorgen.«
Candy ging wieder etwas auf Abstand und Russell presste die Lippen zusammen. In der Tat spürte er seit seinem letzten Geburtstag verstärkt sein fortschreitendes Alter, und kein noch so intensives Fitnessprogramm vermochte ihn darüber hinwegzutäuschen.
68 Jahre! Was für eine Scheiße!
Dabei hatte er keinen Grund, sich zu beklagen. Er war seiner Hinrichtung entgangen, hatte einen grauenhaften Tod im Transporter vermieden, die Monster auf New California und die Todeszone überstanden und war selbst dem Krebs von der Schippe gesprungen. Er konnte sich glücklich schätzen, überhaupt noch in einem Raumanzug über die Oberfläche eines luftleeren Planeten zu laufen. Dennoch dachte er in der letzten Zeit immer öfter daran, dass nun deutlich weniger Jahre vor ihm lagen als hinter ihm.
Wenigstens hatte er drei fantastische Kinder in die Welt gesetzt, auf die er bei seinem letzten Atemzug stolz sein konnte.
»Woran denkst du?«, fragte Candy, die neben ihm stapfte.
»An meine Kinder.«
»Wie geht es Jim? Hast du in letzter Zeit von ihm gehört?«
Russell schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mehr, seit er mit der Beagle
vor zwei Monaten losgeflogen ist.«
Inzwischen musste das Schiff bei der Transporterfabrik angekommen sein. Aber da das ganze Vorhaben als geheim eingestuft worden war, war es selbst für Russell schwer, an Informationen zu kommen. Russell wünschte, sein Sohn hätte sich nicht freiwillig für die Offiziersausbildung bei der Raumflotte gemeldet. Andererseits war das der Preis dafür gewesen, dass die Regierung die Kosten für sein neues Bein übernommen hatte. Russell hätte sich selber nicht anders entschieden. Allerdings war er auch der Meinung, dass der Einsatz von Jim bei dem Kampf um die Mondbasis eigentlich hätte ausreichen sollen, um als Gegenleistung ein neues Bein zu züchten und zu transplantieren.
Candy machte eine wegwerfende Handbewegung. »Fünf Jahre beim Militär haben noch keinem geschadet.«
Russell grinste. »Sprichst wohl aus eigener Erfahrung.«
»Allerdings!«
»Als frischgebackener Vater von seiner Familie getrennt zu sein, ist für Jim jedenfalls nicht einfach. Catherine hat es nicht leicht, auch wenn Elise sich sehr um sie und unseren Enkel bemüht.«
»Seht ihr?« Fullerton zeigte auf das nächste Gebäude, das nun nur noch einige Dutzend Meter von ihnen entfernt in den Himmel ragte. »Es sieht aus, als wären da mal Fenster drin gewesen. Jetzt ist es zu allen Seiten hin offen.«
Russell nickte. Das Haus hatte einen quadratischen Grundriss von etwa dreißig mal dreißig Metern und war mindestens zweihundert Meter hoch. Die Bausubstanz ähnelte Beton, war aber völlig schwarz. An vielen Stellen waren dicke Brocken abgeplatzt, von denen einige am Fuß des Gebäudes lagen.
Auf dem glatten Boden der Stadt lag eine dicke grau-schwarze Staubschicht, die dem feinen Pulver auf der Mondoberfläche ähnelte.
»Seltsam«, sagte Roger. »Auf diese Weise baut man doch keine Gebäude auf einem atmosphärelosen Planeten. Wenn da mal ein Fenster kaputtgeht, ist gleich die ganze Luft weg. Außerdem schützen ein paar dünne Fenster auch nicht vor der kosmischen Strahlung.«
Russell konnte durch das ganze erste Stockwerk auf die Gebäude dahinter blicken. Die Hochhäuser hätten gut und gerne von Menschen gebaut sein können. Aber innerhalb des Gebäudes vor ihnen waren keine Möbel, keine Gegenstände erkennbar. Alles bis auf die nackte Bausubstanz war schon zu Staub zerfallen. »Ich frage mich, wie alt diese Stadt ist.«
»Das werden wir erfahren.« Fullerton bückte sich, um einen Brocken des schwarzen Betons aufzuheben. »Die Kanten sind ganz rund, obwohl hier ein Vakuum herrscht. Ich würde denken, dass die Stadt ganz sicher Millionen von Jahren alt ist.«
Millionen!
»Dass hier dann überhaupt noch was steht ...«, meinte Candy.
»Vermutlich hat der Planet keine Plattentektonik, also auch keine Erdbeben.« Fullerton packte den Brocken in einen Plastikbeutel und verstaute ihn in seinem Rucksack. »Das Vakuum hat die Gebäudesubstanz weitestgehend konserviert.«
»Und das Glas, aus dem die Fenster waren?«, gab Roger zu bedenken.
»Je nachdem, wie die Fremden ihr Glas produziert haben, kann es sich durchaus im Laufe der Jahrmillionen im Sonnenlicht aufgelöst haben.«
»Das erklärt aber immer noch nicht, warum sie überhaupt auf diesem öden Planeten eine solche Stadt gebaut haben«, wandte Candy ein.
Fullerton zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte der Planet früher einmal eine Atmosphäre.«
Russell blickte sich um. Möglicherweise hatte es hier eine kosmische Katastrophe gegeben. Aber welches Ereignis wäre imstande gewesen, einen ganzen Planeten seiner Atmosphäre zu berauben?
Sie gingen weiter und schauten sich mehrere der Gebäude aus der Nähe an, aber die Szenerie sah überall gleich aus. Es gab keine nützlichen Gegenstände, die sie hätten mitnehmen können. Keine Hinweise auf die Katastrophe, die hier geschehen sein mochte.