Kapitel 7
»Sind Sie Captain March?«, fragte John.
Der blonde Hüne drehte sich in der Schwerelosigkeit mit rudernden Armen herum und blickte ihn freundlich an. »Allerdings. Sie müssen Dr. Dressel sein.«
»John.«
»In Ordnung, John.« Der Captain der USS Nebraska streckte die Hand aus. »Nennen Sie mich Bill. Erst mal willkommen an Bord. Wir warten schon eine ganze Zeit auf Sie.«
»Tut mir leid.« John hob entschuldigend die Arme. »Die Fähre vom Mond hatte Verspätung, weil ein Peilsender der Raumstation ausgefallen war. Darum musste der Kapitän das Rendezvous von Hand durchführen und das ist ihm eher suboptimal gelungen.«
Captain March machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ist nicht weiter tragisch. Wir haben keine Eile. Haben Sie Gepäck?«
»Das hat Ihr Adjutant schon in meine Kabine bringen lassen.«
»Perfekt.« March zeigte auf einen leeren Sitz. »Setzen Sie sich. Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Wann starten wir?«
»Nun, da Sie an Bord sind, können wir ohne Verzögerung losfliegen. Wir docken in wenigen Minuten ab.«
»Oh!« John schwebte zu dem ihm zugewiesenen Platz, zog sich nach unten und schnallte sich an. Interessiert sah er sich auf der Brücke um, die nicht sehr viel größer als die der Mondfähre war. Aber die Nebraska war auch nur ein kleines Schiff, das aus gerade mal fünf Modulen bestand, wenn man das Triebwerk und den Reaktor in ihren eigenen Gehäusen nicht mitrechnete. Die Besatzung betrug einschließlich ihm selber gerade mal zehn Menschen und John bekam ein leichtes Gefühl von Beklemmung, wenn er daran dachte, in dieser Sardinenbüchse nun die nächsten sechs Wochen eingesperrt zu sein.
Dennoch fühlte er sich gut. Zum ersten Mal überhaupt hatte er vorgestern New California über die Mondstation verlassen und sich direkt viel gelöster gefühlt. Die endlose Gedankenspirale, die ihm zu Hause immer durch den Kopf gegangen war, hatte aufgehört und es hatte ihm gutgetan, auf dem zweitägigen Flug in den Erdorbit seine Probleme und Sorgen zum ersten Mal aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Der Drang, sich eine Flasche zu greifen, war deutlich gesunken und nun freute er sich auf die Mission und darauf, endlich mal wieder einer sinnvollen Arbeit nachzugehen. Aber ihm wurde klar, dass er nach der Rückkehr nach New California nicht so weitermachen durfte wie bisher. Sonst würde er vollends zum Alkoholiker werden.
»Sir, Kurs ist gesetzt«, sagte ein kleiner, drahtiger Typ, der vor der Konsole des Navigators saß.
»Gut!« Captain March schnallte sich an seinem Sitz fest. »Christine, sind alle Luken verriegelt?«
»Ja, Sir. Wir sind bereit«, antwortete eine junge Frau, die sich auf dem Sitz des Bordingenieurs niedergelassen hatte.
»Prima! Carl?«
»Sir?«, fragte ein älterer Mann mit grauen Haaren und grauem Vollbart auf dem Sessel des Steuermanns.
»Abdocken!«
»Zu Befehl!«
Einen Moment später hallte kurz der Ton einer Sirene durch das Cockpit. Es war das Signal, sich sofort anzuschnallen.
Wenige Augenblicke später ging eine feine Vibration durch das Schiff. John konnte sie kaum spüren.
»Abgedockt, Sir!«, meldete Carl.
»Das war jetzt aber wirklich schön sanft«, sagte der Captain mit einer deutlich hörbaren Spur Sarkasmus in der Stimme. »Viel schöner als beim letzten Mal.«
Der Steuermann lief rot an und schwieg.
John spürte einen Ruck, als die Manövertriebwerke der Nebraska kurz zündeten, um das Schiff auf Sicherheitsdistanz zur Station zu bringen.
»Sie sind Physiker?«
John wandte den Kopf. Captain March grinste ihn an.
»Ja, das ist richtig.« John nickte.
»Sind Sie denn auf Kometen spezialisiert?«
»Äh, eigentlich nicht.« Hoffentlich diskreditierte ihn das nicht vor dem Kapitän.
March zuckte mit den Schultern. »Spielt ja keine Rolle. Sie werden Dr. Brown schon irgendwie unterstützen können. Sie waren also auf der Mondbasis. Da wollte ich auch schon immer mal hin. Woher kommen Sie ursprünglich? Ich kann Ihren Dialekt nicht so richtig einordnen.«
»Von New California, Captain.«
Marchs Augen weiteten sich. »Sie meinen doch nicht etwa, dass Sie zu der Gruppe gehören, die dort zwanzig Jahre lang isoliert gelebt und gegen die Todeszone gekämpft hat?«
John presste die Lippen zusammen und nickte dann. »Doch. Genau zu dieser Gruppe gehöre ich.«
March blickte ihn lange Sekunden stumm an, dann schnippte er mit den Fingern. »Dressel! Jetzt weiß ich wieder, wo ich den Namen gehört habe. Ich habe im Space Force Magazine davon gelesen. Sie sind doch dieser Typ, der sich eine Atombombe zurechtgebastelt hat, um New California gegen diese Monster abzuriegeln.«
»Ja, Sir. Das ist richtig.«
»Krasse Sache!«, sagte March so laut, dass die Ingenieurin sich in ihrem Sitz herumdrehte. »Wir müssen uns dringend mal in der Offiziersmesse verabreden und dann müssen Sie uns alles im Detail erzählen. Ich bringe einen guten Whisky mit, den ich an Bord geschmuggelt habe. Was sagen Sie?«
»Sicher, Captain.« John war wenig begeistert. Es passte ihm gar nicht, das Thema jetzt anzusprechen. Er war doch hierhergekommen, um diese fürchterliche Zeit einmal vergessen zu können. Aber da musste er wohl durch. Je eher er das Gespräch hinter sich brachte, desto besser.
»Wie lange werden wir unterwegs sein?« Er kannte die Antwort, wollte aber das Thema wechseln.
»Wir beschleunigen acht Stunden pro Tag mit null Komma fünf g. Etwa auf Höhe der Jupiterbahn bremsen wir ab und beginnen mit dem Angleichungsmanöver. Ich würde sagen, dass wir das Rendezvous in drei Wochen haben. Dann haben Sie eine Woche für Ihre Untersuchungen und dann noch mal zwei Wochen für den Rückflug.«
John nickte langsam. Es würden sechs lange Wochen in dieser Sardinenbüchse werden. Vielleicht wäre er doch besser auf die Erde gegangen und hätte sich dort einen Job gesucht. Aber wenigstens hatte er hier eine Aufgabe. Er war schon gespannt auf diesen Dr. Brown. Den Namen hatte er irgendwo schon einmal gehört, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, in welchem Zusammenhang.
»Was ist an diesem Kometen eigentlich so interessant?«, fragte die Ingenieurin.
»Ach, Christine«, erwiderte Captain March gedehnt. »Sie haben während des Briefings wohl geschlafen.«
»Der Himmelskörper fliegt auf einer Hyperbelbahn«, sagte John zu der jungen Frau. »Das bedeutet, dass er von außerhalb unseres Sonnensystems stammt. Solche interstellaren Besucher kommen nicht sehr oft vor und schon während meiner Studienzeit hätten sich viele Astronomen ein Bein abgehackt, um einen solchen Körper aus der Nähe zu untersuchen, weil man dabei sehr viel über den Urstoff erfahren kann, aus dem unser Sonnensystem entstanden ist.«
Er zögerte. »Ich glaube übrigens nicht, dass es sich dabei um einen Kometen handelt.«
Der grauhaarige Steuermann drehte sich auf seinem Sessel herum. »Warum nicht?«
»Kometen bestehen aus Eis, und wäre der Körper tatsächlich ein Komet, so hätte er bei dieser Entfernung von der Sonne einen Schweif ausbilden müssen. Da er das nicht getan hat, gehe ich von einem Gesteinskörper ähnlich unserer Asteroiden aus.«
»Gott, ist das öde.« Carl wandte sich wieder seinen Kontrollen zu.
»Etwas mehr Respekt vor der Wissenschaft, wenn ich bitten darf«, mahnte der Captain.
»Sir«, meldete sich der Navigator.
»Was ist denn, Speedy?«
»Wir haben jetzt die Sicherheitsentfernung erreicht.«
Captain March klatschte in die Hände. »Groovy! Dann wollen wir der alten Kiste mal die Sporen geben.«
John schüttelte den Kopf. Captain March schien wirklich nicht viel von militärischem Ernst zu halten.
»Ionentriebwerk ist bereit zur Zündung«, verkündete Christine.
»Dann gib Gas!«, sagte March.
Plötzlich wurde John in seinen Sitz gedrückt. Nach den zwei Tagen der Schwerelosigkeit auf dem Weg vom Mond bis zum Erdorbit kam es ihm vor, als hätte jemand einen Amboss auf seine Brust geworfen.
»Zündung nominell. Beschleunigung null Komma fünf stabil!«, meldete der Steuermann.
Captain March klatschte wieder in die Hände »Geile Sache!«
Einer der Monitore an der Wand zeigte die Erde. Sie wurde schnell kleiner. John seufzte. Es würden lange sechs Wochen werden.