Kapitel 10
»Also ich fasse es noch einmal zusammen, wie ich es verstanden habe.« Sammy stellte seine Tasse auf den runden Tisch im Besprechungsraum der Mondbasis. »Wir haben jetzt in kurzer Zeit zwei untergegangene Zivilisationen entdeckt. Und beide im Gebiet unseres Supertransporters.«
Russell nickte. »So sieht es aus.« Er griff nach seiner eigenen Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck. Trotzdem gähnte er erneut. Eine Expedition im Raumanzug war immer eine anstrengende Prozedur und er hätte es vorgezogen, zunächst nach New California zurückzukehren und sich auszuruhen, aber Sammy und Adam hatten unmittelbar nach der Rückkehr des Außentrupps eine Besprechung angesetzt. Nur Gemma fehlte, die sich mit Adams Erlaubnis ins Labor zurückgezogen hatte, um die mitgebrachten Datenträger zu analysieren. Russell erwartete jeden Augenblick, dass sie mit Neuigkeiten in den Raum platzte.
»Was mich beunruhigt, sind die Gemeinsamkeiten«, meinte Fullerton. »Obwohl diese Zivilisationen niemals miteinander in Kontakt standen.«
Adam richtete sich in seinem Stuhl auf. »Fassen Sie die Gemeinsamkeiten doch bitte für uns noch mal zusammen.«
»Zum einen müssen sich diese Zivilisationen auf einem ähnlichen Entwicklungsstand befunden haben«, erklärte der Geologe. »Sie waren technisch etwa gleichauf mit der Menschheit oder maximal hundert Jahre voraus. Keinesfalls haben sie eine interstellare Raumfahrt entwickelt.«
»Wieso?«, fragte Sammy. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Wir haben Trupps zu den Nachbarsternsystemen geschickt und dort keine Anzeichen von Kolonien gefunden. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass eine Zivilisation ausstirbt, wenn sie sich erst mal im Weltraum ausgebreitet hat. Eine planetare Katastrophe wirkt sich dann nur noch lokal aus.«
Sammy nickte. »Das verstehe ich. Weiter.«
Russell fuhr sich durch die Haare.
»Was mich am meisten beunruhigt, sind die Zustände, die jetzt auf den Planeten der untergegangenen Außerirdischen herrschen«, fuhr Fullerton fort. »Alles, was sich auf der Oberfläche befunden hat, wirkt so, als sei es gewaltiger Hitze ausgesetzt gewesen. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich eine sehr starke Sonneneruption vermutet, die die Atmosphäre der Planeten weggeblasen und dabei auch noch die Strukturen auf der Oberfläche verbrannt hat.«
»Vielleicht war es ja so«, meinte Adam.
Fullerton schüttelte den Kopf. »Beide Zentralgestirne sind dafür zu gutmütig. Diese Möglichkeit können wir ausschließen. Wenn ein Stern zu Eruptionen neigt, dann wird sich dort aller Wahrscheinlichkeit nach auch niemals eine Zivilisation entwickeln.«
»Was dann? Was bleibt denn dann noch?«, wollte Adam wissen.
Russell räusperte sich. »Und wenn sie sich das beide selber angetan haben? Vielleicht haben sie sich mit fortgeschrittenen Atomwaffen selber vernichtet und in der Folge auch ihre Atmosphäre verloren.«
Fullerton zuckte mit den Schultern. »Das entspräche der Filter-Hypothese. Es wäre zumindest eine Möglichkeit.«
»Filter-Hypothese?«, wiederholte Sammy. »Was ist das?«
Fullerton holte tief Luft. »Es ist eine der Lösungen, die für das Fermi-Paradoxon vorgeschlagen wurden. Also auf die Frage, warum in der Milchstraße nie Außerirdische entdeckt wurden. Man hatte sich überlegt, dass es in der Entwicklung einer jeden Zivilisation ein Ereignis gibt, das sie dann auslöscht. Ein drohender Atomkrieg nach der Entwicklung der Nukleartechnik war da eine Überlegung.«
Adam wirkte nicht überzeugt. »Erscheint mir sehr weit hergeholt. Es werden sich wohl kaum alle Spezies bei einem Atomkrieg umbringen.«
»Vielleicht war es ja etwas anderes. Vielleicht ein wissenschaftliches Experiment, das schiefgelaufen ist«, vermutete Fullerton.
»Und welches?«, bohrte Candy.
Fullerton schnaubte. »Das weiß ich doch nicht. Tatsache ist, dass auch die Menschen immer mächtigere Techniken entwickeln, von denen viele dazu geeignet sind, uns umzubringen. Jedes Mal, wenn ein neuer Teilchenbeschleuniger in Betrieb genommen wird, warnen Mahner davor, dass dabei ein schwarzes Loch generiert werden könnte, das die Erde einsaugt. Schon damals, als die erste Wasserstoffbombe gezündet wurde, hat eine kleine Gruppe Physiker gemutmaßt, dass dabei der Sauerstoff der Atmosphäre in Brand gesetzt werden könnte und in einer unendlichen Kettenreaktion die Lufthülle unseres Planeten verbrennt.«
»Ist aber offenbar nicht passiert«, erwiderte Candy mit sarkastischem Unterton.
Fullertons Augen verengten sich zu Schlitzen. Er hatte wohl die Abneigung von Gemma gegenüber der forschen Soldatin übernommen. »Du warst bei beiden Expeditionen dabei und hast die verwüsteten Planeten mit eigenen Augen gesehen. Wenn es tatsächlich möglich wäre, die Atmosphäre in Brand zu setzen, dann hätte das Ergebnis genauso ausgesehen.«
»Sie meinen, dass vielleicht doch eine Bombe für den Untergang der Planeten verantwortlich ist?«, wollte Sammy wissen.
Fullerton verneinte. »Das habe ich damit nicht sagen wollen. Alle möglichen Vorgänge könnten für die Katastrophe verantwortlich sein.«
Sammy machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nun gut. Ist letzten Endes auch nur eine akademische Frage. Es betrifft uns ja nicht.«
Russell war da anderer Meinung. »Ich würde schon sagen, dass es mehr ist als eine akademische Frage – wenn wir auf zwei Völker gestoßen sind, die denselben Entwicklungsstand hatten wie die Erde, und die beide an derselben Katastrophe zugrunde gegangen sind. Wäre es nicht möglich, dass dieses Schicksal auch uns droht? Wenn wirklich ein wissenschaftliches Experiment dafür verantwortlich ist, mit einem Beschleuniger, einem Bombentest oder weiß ich was, dann sollten wir uns hüten, das zu wiederholen, sondern schnellstmöglich die Ursache herausfinden. Wer weiß, was für Versuche und Tests auf der Erde für die nächste Zeit geplant sind. Vielleicht sollte man die wissenschaftliche Gemeinschaft zu verstärkter Vorsicht aufrufen.«
Russell stutzte. Er hatte bei den Menschen von der Erde als wir gesprochen. Fühlte er sich nach all den Jahren auf New California doch noch der alten Heimat mehr verbunden? Was sagte das über ihn und seine Diskussion mit Elise aus?
Fullerton nickte. »Dem pflichte ich uneingeschränkt bei.«
Adam stöhnte. »Es wird ein sehr unschönes Gespräch werden, aber ich werde mich mit dem wissenschaftlichen Berater des Präsidenten in Verbindung setzen. Vielleicht gelingt es ihm, das Thema bei der nächsten UN-Konferenz auf die Tagesordnung zu setzen.«
Russell nickte. Das wäre zumindest schon einmal ein Anfang. »Wie gehen wir jetzt weiter vor?«
»Wir brauchen mehr Informationen«, sagte Fullerton. »Wir müssen warten, ob es Gemma gelingt, brauchbare Daten von dem Ding zu gewinnen, das wir von der Expedition mitgebracht haben. Allerdings wäre ich dafür, weitere Trupps zu Erkundungsmissionen auf sämtliche Planeten zu schicken, die im Bereich unseres Supertransporters erreichbar sind. Zwei nach gleichem Muster untergegangene Zivilisationen können ein Zufall sein. Aber wenn wir auf noch mehr stoßen, ist definitiv irgendetwas nicht in Ordnung.«
Russell nickte und wandte sich an Adam. »Das hört sich für mich nach einem guten Plan an. Sie sollten mit Ihren Vorgesetzten auf der Erde darüber reden.«
Der Kommandant der Mondbasis winkte ab. »Das dürfte kein Problem darstellen. Ich rede heute mit General Eggert und lasse mir Verstärkung für das Expeditionskorps senden.«
»Vielleicht sollten Sie mit den Welten anfangen, die der Erde am nächsten stehen«, empfahl Candy. »Mich macht das Ganze nervös. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Planeten durch Waffengebrauch unbewohnbar gemacht wurden.«
Russell kratzte sich am Kinn. »Du meinst damit keine fehlgeschlagenen Waffentests, sondern eine bewusste Aggression von außen, oder?«
Sammy lachte. »Das ist doch absurd.«
Candy ignorierte ihn. »Die verwüsteten Welten befinden sich galaktisch gesehen in unserer Nachbarschaft. Und wir können nicht völlig ausschließen, dass die Aggressoren noch aktiv sind. Darum sollten wir systematisch alle Welten, die sich in der Nähe des Sonnensystems befinden, aufklären.«
»Ich bleibe dabei«, beharrte Sammy. »Es ist völlig absurd, sich vorzustellen, dass da draußen Aggressoren sind, die die Erde bedrohen könnten. Die betroffenen Welten wurden vor Hunderten Millionen Jahren vernichtet. Selbst wenn wirklich einmal ein langlebiges Volk beide Planeten verwüstet hat, dann ist das einfach zu lange her. Sie müssten sich in der Zwischenzeit in der ganzen Galaxis ausgebreitet haben. Und denkt vor allem daran, dass das Transporternetz nach seiner Inbetriebnahme kein intelligentes Leben gefunden hat.«
Russell schüttelte den Kopf. »Das Transporternetzwerk hat sich schon einmal geirrt. Denk nur an die Todeszone. Die Milchstraße ist riesengroß. Niemand weiß, welche Gefahren da draußen auf uns warten. Darum gebe ich Candy recht, dass wir möglichst bald alle Welten in der Nähe besuchen und katalogisieren sollten.«
Sammy lachte leise. »Wenn es stimmt, was du sagst, dann wäre es ja eher ein Argument dafür, keine weiteren Welten zu besuchen. Eben, damit wir nicht schlafende Hunde aufwecken.«
Adam klopfte auf den Tisch. »Liebe Leute, wir drehen uns im Kreis. Wir werden ohnehin weitere Welten besuchen und die lebensfreundlichen kolonialisieren. Das steht fest. Also wäre eine gründliche Aufklärung erstes Mittel der Wahl und wir sollten abwarten, was die Ergebnisse bringen.«
Sammy zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls müssen wir sowieso warten, bis die Ergebnisse von Gemmas Untersuchungen vorliegen, also können wir das Problem einstweilen vertagen. Haben wir sonst noch etwas?«
Ja, es gibt tatsächlich noch etwas. »Wie sieht es an Bord der Beagle aus? Du hast versprochen, eine Stellungnahme von der Erde anzufordern.«
Adam nickte. »Ich habe es nicht vergessen. Ich habe die Erlaubnis, die Informationen zu teilen, aber vergesst nicht, dass es sich um eine Geheimmission handelt, also seid ihr zu Stillschweigen verpflichtet. Die Beagle hat damit begonnen, die Transporterfabrik eingehend zu untersuchen.«
Russell hob und senkte die Schultern. »Und? Konnten die Bodentruppen sich doch noch Zugang verschaffen?«
»Nein, es handelt sich nicht um eine Basis im herkömmlichen Sinne«, erklärte Adam. »Es sieht so aus, als wäre die Transporterfabrik nichts weiter als eine große Ansammlung von Nanomaschinen.«
Russell erinnerte sich: Dr. Dressel hatte schon vor einiger Zeit etwas Ähnliches vermutet. Dass die Transporter mit Hilfe von Nanotechnologie gebaut worden waren, wussten sie schon von der künstlichen Intelligenz der Sphäre. »In Ordnung. Weiter. Was war mit dem russischen Schiff? Warum hat die Transporterfabrik es vernichtet?« Destruktives Verhalten passte so ganz und gar nicht zu den außerirdischen Erbauern der Sphären, deren Hinterlassenschaften bisher keinerlei Feindseligkeit aufgewiesen hatten.
Adam machte eine ausholende Geste mit den Armen. »Wissenschaftler vom RAND-Institut glauben, dass es sich dabei nicht um einen gezielten, feindlichen Akt handelte, sondern dass die Nanomaschinen dazu programmiert sind, jegliche Materie in ihre elementaren Bestandteile zu zerlegen und sie dann auf dem sphärenförmigen Körper im Asteroidengürtel zu speichern. Sozusagen als Lager für künftige Bauprojekte.«
»Die Beagle ?« Russell wollte endlich mehr von seinem Sohn erfahren.
»Major Steele versucht, mit ihren Sensoren noch Daten zu sammeln und sie wird sich voraussichtlich nächste Woche auf den Rückflug zur Erde machen.«
»Konnten sie Proben der Nanomaschinen sammeln?«, fragte Fullerton.
»Sie haben nicht zugehört.« Candy hatte einen sarkastischen Unterton in der Stimme. »Die Nanomaschinen zerlegen alles. Da wird es ihnen kaum gelungen sein, etwas von dem Zeug an Bord zu nehmen.«
Adam nickte. »Candy hat völlig recht. Jeder Kontakt führt zur sofortigen Vernichtung.«
Sammy kratzte sich am Kinn. »Ich frage mich, ob es im Asteroidengürtel einen Planeten gegeben haben könnte, der von den Nanomaschinen der Außerirdischen zerstört wurde.«
Fullerton schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich. Die Asteroiden zwischen Mars und Jupiter sind zusammen mit dem Rest des Sonnensystems vor knapp fünf Milliarden Jahren entstanden. Und die Transporter sind wie alt?« Er wandte sich an Russell.
»Nach den Aussagen der künstlichen Intelligenz wurde das Transporternetz vor 270 Millionen Jahren geschaffen.«
»Sehen Sie.« Fullerton klatschte in die Hände »Die Asteroiden sind sehr viel älter als der Transporter. Es wäre aber möglich, dass die künstliche Intelligenz absichtlich den Asteroidengürtel als Standort für ihre Transporterfabrik gewählt hat, weil es dort sehr viel Material gibt, das sie verwenden konnten.«
»Meint man denn, noch etwas Sinnvolles herauszufinden, wenn man das Zeug nicht richtig untersuchen kann?«, hakte Candy nach.
Adam zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich wird man nach Rückkehr der Beagle eine dezidierte Mission vorbereiten, die für die Herausforderungen einer solchen wissenschaftlichen Untersuchung besser gerüstet ist.«
Russell schnaubte. »Es zeigt auf jeden Fall einmal wieder, wie gefährlich die Technologie der Außerirdischen ist.«
Fullerton nickte. »Nanotechnik hat das Potenzial, die gefährlichste Technologie in der Geschichte der Menschheit zu sein. Man stelle sich nur mal vor, ein paar dieser Nanomaschinen würden auf die Erde gelangen. Sie würden in kürzester Zeit alles Material unseres Planeten auffressen, nur um noch mehr Kopien von sich selber herzustellen. Im Prinzip würde nur eine einzige Nanomaschine ausreichen, um die Erde zu zerstören.«
Russell schüttelte sich. Eine beängstigende Vorstellung. Hoffentlich ließ man die Beagle überhaupt zurück zur Erde kommen, wenn diese Gefahr berechtigt war.
Candy hatte offenbar denselben Gedanken. »Besteht nicht die Möglichkeit, dass das Schiff unabsichtlich Nanomaschinen auf die Erde bringt? Wird man dieses Risiko eingehen?«
Adam wiegte den Kopf. »Die Transporter sind ja auch von dieser Fabrik zu uns gekommen, ohne Nanomaschinen mitzubringen. Die Außerirdischen waren nicht dumm. Sie werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben.«
»Welche zum Beispiel?«, fragte Sammy.
Adam zuckte mit den Schultern. »Sie könnten vielleicht eine Art Mechanismus eingebaut haben, dass sich die Maschinen selber vernichten, wenn sie sich von der Transporterfabrik entfernen. Oder zumindest deaktivieren.«
Ein Telefon klingelte. Adam zog ein Mobilteil aus seiner Tasche und nahm das Gespräch an. Nach einigen Sekunden hob er die Hand. »Ich habe Gemma in der Leitung. Sie hat etwas herausgefunden. Ich schalte sie auf den großen Schirm.«
Adam steckte das Mobilteil in die dazugehörige Station auf dem Tisch und drückte einen Knopf. Kurz darauf erhellte sich der große Bildschirm an der Front des Raumes.
Die Physikerin hatte die Augen weit aufgerissen. »Ich habe Zugang zu dem Datenkristall bekommen. Wir sind noch in der Analyse, aber wir haben eine Art Logbuch extrahieren können.«
Russels Herzschlag beschleunigte sich. Vielleicht würden sie nun endlich Antworten erhalten. »Ein schriftliches Logbuch?«
Gemma nickte. »In der Tat. Die Fremden benutzten eine Alphabetschrift, die dem uns geläufigen Lateinischen gar nicht mal unähnlich ist.«
Adam runzelte die Stirn. »Wenn die Dateien digital sind, wie habt ihr dann die Form der Buchstaben ermittelt?«
Gemma nickte. »Es ist eine Kombination aus digitaler Schrift und Bildern mit Skizzen, Buchstaben und Zahlen. Mit Hilfe von Deep-Learning-Algorithmen konnten wir Zusammenhänge herstellen. Die Daten sind zwar bisher nur teilweise entschlüsselt, aber wir konnten auf einige Dinge schließen, die uns Antworten geben.«
Adam lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Schieß los.«
»Sie wurden angegriffen. Von Raumschiffen.« Gemmas Stimme klang düster.
Im Raum herrschte Stille. Russell schluckte.
»Also doch.« Candy lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
Russells Gedanken rasten. »Hatten sie einen anderen Planeten in ihrem System besiedelt und wurden von dieser Kolonie angegriffen?«
Gemma schüttelte den Kopf. »Nein. Nach allem, was wir wissen, wurden sie völlig überraschend angegriffen. Und zwar aus dem interstellaren Raum. Sie machten einige Radarkontakte aus, die sich ihrem Heimatplaneten näherten, und hielten sie zuerst für einen auseinandergebrochenen Kometen. Kurz vor der Ankunft entpuppten sich die Ankömmlinge als kilometerlange, walzenförmige Raumschiffe. Ich habe sie gesehen. Wir konnten Radaraufnahmen aus der Datei extrahieren. Kurz vor der größten Annäherung an die jeweiligen Planeten stießen sie kleine Objekte aus, die sich dem Planeten schnell näherten.«
»Bomben.« Candys Stimme klang bitter.
Gemma nickte. »Vermutlich.«
Russell rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Und dann? Was geschah dann?«
Gemma schwieg für einen Moment. »Nichts mehr«, sagte sie schließlich. »Die Aufzeichnung endet.«
Candy griff in die Tasche ihres Overalls und holte eine kleine Glasflasche mit bräunlichem Inhalt heraus. Sie schraubte den Deckel ab und goss die Hälfte davon in ihre leere Kaffeetasse. »Also ist es wahr. Es gibt feindselige, außerirdische Intelligenzen da draußen. Sie haben die Fremden auf ihren Planeten überfallen und vernichtet.«
»Aber wie?« Russell runzelte die Stirn. »Wenn die Datei so abrupt endete, muss es verdammt schnell gegangen sein.«
»Vielleicht so etwas wie eine planetenvernichtende Bombe«, sagte Candy.
»Sonst noch etwas?«, erkundigte sich Sammy.
Gemma nickte. »Kurz vor dem Ende konnten die Fremden den Ursprungsort der Angreifer identifizieren. Sie müssen mit Überlichtgeschwindigkeit in das System eingedrungen sein und waren plötzlich auf den Radarschirmen. Vielleicht durch einen Hypersprung oder so etwas. Jedenfalls liegt in der rückwärtigen Verlängerung des Kurses, den die Objekte nach Erscheinen eingeschlagen haben, ein Stern. Er hat ein sonnenähnliches Spektrum und befindet sich etwa 150 Lichtjahre von dem zerstörten Planeten entfernt. Von uns aus ist er etwa hundert Lichtjahre entfernt.«
Langsam pfiff Russell die Luft durch die Zähne. Unwillkürlich begann er, zu zittern. Hundertfünfzig Lichtjahre waren eine beachtliche Entfernung. Die Angreifer hatten demnach definitiv über ein Überlichttriebwerk verfügt. Noch nicht einmal die Erbauer der Transporter hatten eine solche Technologie entwickelt. Die Aggressoren waren den Fremden also weit voraus gewesen und würden es somit auch den Menschen sein. Aber seit den Angriffen war eine lange Zeit vergangen. Eine sehr lange Zeit. Was war wohl aus den Angreifern geworden? Sie konnten nicht überdauert haben, denn sonst hätten sie längst die Galaxis besiedelt. Auf jeden Fall das nahe Sonnensystem mit der Erde. Waren sie von einem noch stärkereren Feind überwältigt worden? Aber dann hätte der doch die Galaxis kolonialisiert. Oder waren sie ausgestorben, hatten sie sich selber vernichtet, wie die Erbauer der Transporter? Es existierte nur ein Weg, das herauszufinden. »Gibt es in dem System der Aggressoren einen ...«
»Ja«, unterbrach ihn Gemma. »Es gibt in dem System einen Transporter.«
Sammy hob die Hand. »Woher wissen wir das eigentlich, wenn wir mit dem Transporter keine Daten mehr austauschen können?«
»Das stimmt so nicht«, erklärte Adam. »Wir können zwar nicht mehr Tonnen an Informationen über ein Dateninterface abgreifen, aber wir können uns nach wie vor über die akustische Schnittstelle mit der künstlichen Intelligenz der Transporter unterhalten. Auf diese Weise haben wir eine Datenbank aller Systeme aufgebaut, die über unseren lokalen Supertransporter erreichbar sind. Außerdem haben wir immer noch die damals auf der Venus gewonnenen Daten. Terabyte über Terabyte an Informationen über Systeme mit Transportern.«
»Wissen wir etwas über das System der Aggressoren?«, fragte Russell.
Adam nickte. »In der Tat haben wir noch alte Daten darüber. In dem System gibt es nur einen Transporter. Er befindet sich auf einem Planetoiden, vermutlich in einem Asteroidengürtel. Davon abgesehen, scheint das System leer zu sein. Das legen auch Daten nahe, die wir vom JWST gewonnen haben.«
»JWST?«, wiederholte Candy.
»Ein Weltraumteleskop.« Adam klang lakonisch.
»Und was tun wir jetzt?«, wollte Sammy wissen.
»Ist doch klar.« Candy richtete sich auf und saß kerzengerade auf ihrem Stuhl. »Wir schicken einen Erkundungstrupp dorthin und finden heraus, was aus dem Angreifer geworden ist.«
Russell war ihrer Meinung. Sie mussten eine Antwort haben. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was für eine Gefahr der Erde drohte, wenn die feindliche Macht noch aktiv war und ein Raumschiff mit einer Planetenbombe oder so etwas zur Erde schickte. Wahrscheinlich würden ihre Astronomen auch denken, da wäre nur ein interstellarer Komet im Anflug.
Interstellarer Komet ... Russell wurde ganz plötzlich heiß und kalt zugleich.
»Alles klar, Russell?« Adam blickte ihn skeptisch an. »Du siehst so blass aus.«
»Die Nebraska ... aus welcher Richtung kommt der interstellare Körper, den die Crew des Schiffes untersuchen soll?«
Adam blinzelte und hantierte an seinem Laptop herum. Dann wurde auch er bleich. Aus großen Augen starrte er Russell an. »Oh mein Gott!«