»Wir sind soweit, Sir!«, sagte Colonel Gerry Bloom. Sein rundes Mondgesicht starrte durch die Luke in das Habitatmodul der USS Maine
.
Russell wandte den Kopf. Er tat es vorsichtig, da die Schwerelosigkeit ihm wieder eine leichte Übelkeit bescherte.
Mike Kelly, der es sich nicht hatte nehmen lassen, den Waffentest im Orbit selber zu beaufsichtigen, nickte. »Wir kommen.«
Russell, Candy und Mitchell folgten dem Vorsitzenden der Stabschefs durch die Luke in das Experimentallabor, das an seiner Seite über große Panoramafenster verfügte. Im Raum waren neben Bloom noch zwei Techniker und Dr. Stacy Kerr, die angespannt auf einen Monitor starrte. Die junge, blonde Physikerin von den Lawrence Livermore National Laboratories leitete das Projekt des Röntgenlasers.
Russell langte nach einem Griff im Modul, schwenkte herum und kam neben Kelly vor dem Fenster zum Stillstand. Er blickte nach draußen und erkannte sofort das Gadget
, wie es jeder hier nannte. Das Ding glich einer mannsgroßen Kugel, an die jemand einen überdimensionierten kupferfarbenen Besenstil angeflanscht hatte. Es sollte eine der Wunderwaffen im Kampf gegen die Außerirdischen sein.
»Das Gadget ist bereit zur Aktivierung«, sagte Colonel Bloom zu General Spike Linton. »Wir warten nur noch auf Ihren Befehl, Sir.«
Beide Soldaten waren in blaue Militäruniformen gehüllt, die man für den Einsatz auf Raumschiffen und Raumstationen extra entworfen hatte. Russell erinnerten diese jogginganzugähnlichen Kombinationen zu sehr an Star Trek. Wenigstens trugen sie keinen Kommunikator auf der Brust.
»Legen Sie los«, sagte General Linton zu dem Colonel, wandte sich aber gleichzeitig in Richtung Kerr um, da sie die eigentliche Arbeit bei dem Test machte und auch die Aufsicht darüber hatte. Sie und die Techniker trugen die weißen Kombinationen wie alle Wissenschaftler an Bord.
Kerr drückte mehrere Knöpfe auf ihrer Konsole nieder, bis diese schließlich ein lautes Piepen von sich gab.
»Gadget aktiviert«, meldete Dr. Kerr und sprach dann in ein Mikrofon. »Captain Barr, bitte gehen Sie nun auf Sicherheitsdistanz.«
Russell verstärkte den Griff an der Halterung keine Sekunde zu früh und spürte den Andruck, als der Kapitän die Manöverdüsen zündete. Candy fluchte, sie war mit dem Kopf gegen eine der Streben des Moduls geknallt. Zunächst langsam, dann immer schneller entfernte sich das Gadget von ihnen. Dann ließ die Beschleunigung wieder nach.
Candy rieb sich über den Kopf. »Wie funktioniert das Ding eigentlich?«
»Es ist ein nuklear gepumpter Röntgenlaser.« Dr. Kerr klang abwesend. »In der Kugel befindet sich eine Wasserstoffbombe, die im Moment der Detonation eine große Menge an Röntgenstrahlung ausstößt. Ein Teil dieser Röntgenstrahlung gelangt in das angeflanschte Modul und zwingt die Elektronen des Mediums darin, ihrerseits einen koordinierten Puls an Röntgenstrahlung freizugeben. Im Gegensatz zur Wasserstoffbombe, die ihre Energie in alle Richtungen abstrahlt, sind die Photonen des Lasermediums gerichtet. Sie erzeugen einen kohärenten Strahl sehr hoher Leistung. Was auch immer von diesem hochenergetischen Röntgenpuls getroffen wird, verdampft im Bruchteil einer Sekunde.«
»Sehr originell«, antwortete Candy in dem typisch ätzenden Tonfall, den sie immer nutzte, wenn sie etwas nicht verstanden hatte.
Dr. Kerr ignorierte Candy und wandte sich wieder ihren Computern zu.
»Im Grunde ist es eine sehr alte Technik.« Kelly lächelte. »Daran wurde schon während der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts im Rahmen des SDI-Programms geforscht. Damals hatte es noch den Namen ›Projekt Excalibur‹. Durch den Puls sollten sowjetische Atomraketen noch während der Aufstiegsphase unschädlich gemacht werden. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde das Programm dann gestoppt.«
»Die Technik ist sehr einfach«, schob Kerr nach. »Es funktioniert im Prinzip wie ein primitiver Rubinlaser. Dafür gibt es dort eine Lichtquelle und einen Rubinkristall, der als Lasermedium fungiert. Bei unserem Röntgenlaser haben wir halt eine Wasserstoffbombe als Lichtquelle und einen Selenstab als Medium. Ganz simpel eigentlich.«
Mit Waffen aus dem Kalten Krieg gegen weit fortgeschrittene Außerirdische?
Russell hatte seine Zweifel, dass sie damit etwas gegen eine Flotte kilometergroßer Raumschiffe erreichen konnten. Aber was blieb ihnen schon?
»Fünfzig Kilometer. Wir haben die Sicherheitsentfernung erreicht«, meldete Colonel Bloom.
»Wir richten jetzt das Gadget auf das Ziel aus«, sagte Kerr. »Noch eine Minute, dann sollte es so weit sein.«
»Im Einsatz sollten sich die Dinger besser schneller ausrichten, wenn die außerirdischen Raumschiffe heranrasen«, brummte General Kelly.
»Was benutzen Sie als Ziel?«, fragte Russell. Ein Monitor an der Wand zeigte ein Teleskopbild, das sich in über tausend Kilometern Entfernung befand. Es glich einem kleinen, silbernen Zylinder.
General Kelly tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Ein altes Labormodul der Internationalen Raumstation, das wir nicht mehr brauchen. Es hat eine Länge von ungefähr zehn und einen Durchmesser von drei Metern.«
»Gadget ist ausgerichtet«, meldete Kerr.
Kelly nickte. »Okay, dann zünden Sie!«
»In Ordnung. Fünf, vier, drei, zwei, eins, jetzt!«
Ein heller Blitz entstand vor den Fenstern und Russell schloss unwillkürlich die Augen. Als er sie wenige Augenblicke wieder öffnete, war draußen alles dunkel. Er blickte auf den Monitor. Das Modul der Raumstation war verschwunden.
»Ziel ist komplett verdampft«, verkündete Colonel Bloom. »Die Ortung meldet eine Gaswolke, die schnell expandiert.«
General Kelly grinste. »Sehen Sie, ist doch gar nicht mal so anders als die Plasmakanonen der Aggressoren.«
Candy nickte. »Ja, ganz hübsch. Allerdings haben Ihre Laser einen gravierenden Nachteil.«
»Nämlich?«, fragte Kelly.
»Ihr toller Laser kann nur ein einziges Mal feuern.«
Colonel Bloom nickte. »Da haben Sie zwar recht, aber dafür lassen sich diese Waffen schnell in Serie produzieren. Sie werden von unseren Schiffen ausgestoßen, während sie sich dem Feind nähern. Das ist ja auch nicht unsere einzige Überraschung für die Fremden.«
Russell hatte seine Zweifel.
»Sie schauen so skeptisch, Mr. Harris«, meinte Kelly.
Russell zuckte mit den Schultern. »Sie haben gerade ein Raumstationsmodul verdampft, das gerade mal zehn Meter groß war und dessen Außenlagen so dünn waren wie ein paar Lagen Alufolie. Ich frage mich, was diese Waffen letztlich gegen massive, kilometergroße Raumschiffe ausrichten werden. Schlimmstenfalls sind es für den Gegner nicht mehr als Nadelstiche.«
Kelly erwiderte Russells Blick sekundenlang stumm. Dann schaute er zu Boden.
Nein, Russell war alles andere als überzeugt.