Kapitel 28
»Was machen wir mit dem Russen?«, fragte Adam. »Sollen wir ihn in eine Arrestzelle stecken?«
Der junge Leutnant der russischen Raumstreitkräfte wurde rot im Gesicht. Seine Hände zu Fäusten geballt, trat er auf den Leiter der Mondstation zu. »Ich habe auf der USS Beagle und später auf der USS Billings meinen Beitrag geleistet. Ich habe Jason dabei unterstützt, die Protokolle der Nanoschmiede herauszufinden. Und mit der Mission zur Sonne habe ich mitgeholfen, den entscheidenden Schlag gegen die außerirdischen Aggressoren vorzubereiten.«
Russell kannte den Russen von der Station im Erdorbit, wo Jim ihn als seinen neuen Kameraden vorgestellt hatte. Dort hatte er sich nur in Begleitung bewegen dürfen. »Ich kenne ihn. Er hat tatsächlich die ganze Zeit mitgeholfen. Lass den Jungen in Ruhe.«
»Mein Name ist Sergej«, sagte der Russe mit eisiger Stimme. »Wenn Ihnen das lieber ist, können Sie mich mit Leutnant Dronov anreden.«
Russell hob beschwichtigend die Hände. »Ist schon gut, Sergej. Ich wollte dich nicht beleidigen.«
»Lassen Sie mich an dem Einsatz gegen die Fremden teilnehmen«, forderte Sergej. »Die Bedrohung trifft auch Russland. Ich will meinen Beitrag bei der Verteidigung meines Heimatlandes leisten.«
Russell blickte zu Adam herüber. »In der Tat können wir jede Hilfe gebrauchen, die wir kriegen können.«
Der Leiter der Mondstation zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen.«
Russell wandte sich an Sergej. »Willst du mit nach Minos A gehen und den Transporter dort auf den Einsatz vorbereiten?«
Sergej nickte. »Allerdings.«
»Gut, komm mit.«
Russell führte den Russen zu Candy, die an einem Tisch am Eingang des Transporterlabors ihre Ausrüstung überprüfte. »Das ist Sergej. Ich habe dir auf der Raumstation im Erdorbit von ihm erzählt.«
Candy blickte nur kurz auf und wandte sich dann wieder einer Art Funkfernsteuerung zu. »Das ist der, den Jim aus dem Weltraum gezogen hat.«
»Ja, er ist gerade mit dem Transporter von der Billings zu uns gekommen. Er wird an unserem Einsatz teilnehmen.«
»Gut, ein paar Hände mehr können wir gebrauchen. Sind deine Sauerstoffvorräte voll?«
Sergej schüttelte den Kopf. »Nicht ganz. Eine halbe Stunde habe ich bei dem Einsatz im Transporter auf der Außenhaut der Billings verbraucht.«
Candy blickte erneut auf, zuckte dann mit den Schultern. »Bleiben ja noch sechs Stunden. So lange wird es nicht dauern.« Dann wandte sie sich an Russell. »Ich bin so weit. Was ist mit dir?«
Russell nickte. »Können loslegen.«
»Gut, dann gehen wir.« Candy packte einige der Ausrüstungsteile, darunter die Fernbedienung, in eine Tasche und ging in Richtung Transporter davon.
Russell folgte ihr zusammen mit Sergej.
Der Russe starrte Russell an.
»Ist etwas?«, fragte der.
»Sie ähneln Jim sehr stark. Sehen aus wie eine alte Ausgabe von ihm.«
Russell grinste. »Alte Ausgabe. Na, besten Dank auch.«
Der Russe wechselte abrupt das Thema. »Was genau ist unsere Mission?«
»Wir haben gestern während mehrerer Einsätze Raketentriebwerke nach Minos A gebracht und befestigt. Jetzt müssen wir die Fernsteuerung im Transporter anbringen und die Flugbahn einprogrammieren. Eigentlich ein unkritischer Einsatz ohne Feindberührung. Aber in zwei Tagen wird es richtig ernst. Dann werden wir die Raketen zünden und den Transporter auf einen Kurs zu Minos B bringen.«
»Ich will bei allen diesen Einsätzen dabei sein.«
Russell runzelte die Stirn. Er hatte den Russen von seinem Auftreten auf der Station ganz anders in Erinnerung. Da war er ruhig und fast ein wenig schüchtern gewesen. Warum jetzt diese beinahe schon patzige Vehemenz? Lag es daran, dass Jim und Jason ihn von der USS Billings fortgeschickt hatten? War er deswegen gekränkt? Meinte er, sich oder anderen etwas beweisen zu müssen?
Sie erreichten den Transporter. Russell ließ Sergej den Vortritt und wandte sich zur Kontrollkonsole um. Sein Blick suchte den von Adam. Der Stationsleiter nickte und reckte den Daumen der rechten Hand empor.
Russell winkte knapp, trat in die Sphäre und verschloss den Durchgang hinter sich. Candy war nicht zu sehen, wahrscheinlich war sie schon in der kleinen Sphäre verschwunden. Sergej stieg soeben die Stufen der Gangway hinauf.
Russell seufzte und setzte sich den Helm auf, bevor er seinen Kameraden folgte.
Candy stand zwischen mehreren Taschen mit Ausrüstung im Inneren und redete auf Sergej ein. »Übrigens herrscht absolute Funkstille, klar? Wir verständigen uns nur über die Drahtverbindungen.«
»Sicher.« Sergej setzte seinen Helm auf.
Russell schloss den Durchgang hinter sich, ging zur kleinen Konsole und gab den Code von Minos A ein. Sie hatten zwar auch den Akustikkoppler dabei, aber es sollte eh nur ein ganz einfacher Transport sein. Das ging über die Eingabe des Zeichencodes am schnellsten. Russell wartete, bis sowohl Candy als auch Sergej ihre Visiere geschlossen und ihm per Handzeichen die Einsatzbereitschaft gemeldet hatten, dann drückte er das Auslösefeld.
Russell spürte einen Ruck, als die ohnehin schon niedrige Schwerkraft nochmals nachließ. Sie hatten ihr Ziel erreicht.
Candy blickte Sergej an und zeigte auf die Taschen, nahm selber zwei und schob sie über ihre Schulter.
Sergej schnappte sich ebenfalls zwei und folgte Candy nach draußen. Russell nahm die beiden Kästen des Überbrückers. Bei der geringen Schwerkraft brauchten sie keine Gangway, Russell sprang einfach aus der Öffnung. Er schwebte nach unten und stand dann zwischen Candy und Sergej. Beide hatten sich mittels einer Drahtverbindung verlinkt und Russell verband sich über das ausrollbare Kabel mit Candys Anzug. »Wie teilen wir uns auf? Ihr die Fernsteuerung und ich den Überbrücker?«
Candy nickte. »Einverstanden.« Sie wandte sich zu Sergej um. »Ich zeige dir am ersten Triebwerk, wie du die Fernsteuerung anbringst, dann kannst du das selber, okay?«
Der Russe nickte und Russell löste seine Drahtverbindung wieder. Er nahm einen der beiden Kästen auf, den er draußen befestigen würde.
Wenige Augenblicke später standen sie auf der mondähnlichen Oberfläche von Minos A. Russell drehte sich um und betrachtete den Transporter. Ihr Vorgängerteam hatte gute Arbeit geleistet. Sie hatten einen Metallring um den Äquator des Transporters gezogen und in gleichmäßigen Abständen vier Triebwerksmodule daran befestigt. Die Module waren quaderförmig, mit Schubkegeln an der Unterseite. Der Treibstoff befand sich in massiven Drucktanks im Inneren der Quader. Adam hatte gesagt, dass es sich um Orbitalmanövertriebwerke der Mondfähre handelte. Hoffentlich reichte der Schub wirklich aus, den Transporter zu Minos B zu beschleunigen. Immerhin hatten die außerirdischen Geräte die Masse eines kleinen Planetoiden. Russell hoffte, dass sich Mitchell hier nicht auch verrechnet hatte.
Candy legte eine ausziehbare Leiter an den Transporter an und kletterte mit einer der Kontrolleinheiten in der Hand hinauf. Sergej folgte ihr und die Soldatin zeigte dem Russen, wie die Geräte an den Triebwerken angebracht wurden. Am Ende würde Candy zusammen mit Sergej die Triebwerkseinheiten einem rigorosen Test unterziehen. Übermorgen musste alles glattgehen!
Russell seufzte und montierte den Überbrücker an eine Halterung, die ihrerseits über zwei Streben mit dem Triebwerksring verbunden war. Das Gerät brauchten sie, weil weder Funk noch Kabelverbindungen die Transporterhülle zu durchdringen vermochten. Ingenieure von General Morrow hatten sich dieses kleine, auf dem quantenphysikalischen Tunneleffekt basierende Wunderwerk der Technik auf der Venus einfallen lassen. Die Konstruktionspläne waren damals zusammen mit dem Planeten untergegangen, aber Mitchell hatte es mit Adams Hilfe in der Mondbasis neu konstruieren können. Ohne das Gerät wären sie nicht in der Lage, die Triebwerke aus dem Inneren des Transporters heraus fernzusteuern.
Russell überprüfte den ordnungsgemäßen Sitz des Apparats und ging dann in den Transporter. Er hob das Gegenstück auf und montierte es auf der Innenseite der Außenhülle an exakt derselben Stelle. Dann schaltete er die Energieversorgung ein und wartete auf ein Signal. Wenn er alles richtig gemacht hatte, sollte das Gerät eigentlich Impulse von der Außenseite empfangen. Doch der kleine Bildschirm blieb dunkel.
Scheiße!
Das fehlte noch, dass eines der Geräte nicht funktionierte. Sie hatten nur die zwei Stück und Mitchell würde ganz sicher so schnell kein neues zusammenbauen können.
Russell wollte sich den Schweiß von der Stirn wischen, schlug mit der Hand aber nur gegen den Helm seines Raumanzugs. Er seufzte und regelte die Klimaanlage etwas herauf. Dann sah er, dass der Überbrücker leicht schief an der Außenwand anlag. Er löste die Klammern und brachte das Gerät erneut an. Diesmal achtete er peinlich genau darauf, dass es gerade saß. Erneut schaltete er das Teil an und sofort leuchtete ein grünes Signal auf dem Monitor auf. Russell atmete erleichtert durch.
Kurze Zeit später betraten auch Candy und Sergej die Sphäre. Candy reckte die Hand mit ausgestrecktem Daumen nach oben.
Russell nickte. Jetzt gab es nur noch eines zu tun.
Er holte aus einer weiteren Tasche ein kleines Notebook und verband es über ein Kabel mit dem Überbrücker. Dann klappte er den Bildschirm auf, der sich sofort erhellte. Russell machte Platz für Candy, die mit der Steuerungssoftware mehr Erfahrung hatte, und blickte ihr zusammen mit Sergej über die Schulter.
Mitchell hatte die Steuerungssoftware für ihre Zwecke angepasst und ein stilisierter Transporterkreis erschien auf dem Bildschirm. An den Seiten der Kugel waren die vier Triebwerke als rote Punkte erkennbar.
Rote Punkte?
Russell blickte Candy fragend an. Sie musste es bemerkt haben, denn sie machte eine abwartende Handbewegung. Mit einer Zeichenkombination öffnete sie ein kleines Fenster und gab einige Zahlen ein. Das Fenster verschwand und nacheinander verwandelten sich die roten in grüne Punkte. Candy wandte den Kopf und grinste Russell an.
Er nickte. Die Triebwerke waren an die Fernsteuerung angeschlossen und betriebsbereit. Sie würden noch zwei Tage auf ihren Einsatz warten müssen.
Dann würde sich zeigen, ob dieser irrwitzige Plan aufging.