»Noch zwanzig Minuten bis zum Beginn des Einsatzes«, dröhnte Adams Stimme durch das Transporterlabor.
Russell warf Candy einen Seitenblick zu. Sie saß ein Stück abseits auf einem Stuhl, den Raumanzug bereits angezogen, und ging mit Sergej noch einmal den Zeitplan durch. Ein Stück weiter stand Colonel Marrick. Der gestern erst eingetroffene Militärberater sah alles andere als glücklich aus.
Mit schnellen Schritten näherte sich Adam. »Seid ihr bereit?«
Russell nickte und strich sich über die Brust seines Raumanzugs. Er musste nur noch den Helm anlegen, dann konnte es losgehen. Die Ausrüstung lag im Transporter auf Minos A bereit und der Zeitplan war minuziös festgelegt. Aber den größten Unsicherheitsfaktor gab es immer noch. »Wie ist die Lage im Supertransporter? Haben Gemma und Mitchell inzwischen einen Weg gefunden, den Durchgang offenzuhalten?«
Adam zögerte. »Mitchell glaubt, eine Lösung gefunden zu haben.«
Russell runzelte die Stirn. Er glaubt?
Wenn die Sicherheitsvorrichtungen des Transporters bei der Herstellung der Dauerverbindung zwischen dem Gerät im Inneren der Sonne und dem auf Minos die Durchgänge verschließen würden, würde überhaupt nichts geschehen, und ihr Plan würde scheitern.
»Er glaubt, dass sie nur noch wenige Minuten brauchen.«
Russell seufzte. So eine schwerwiegende offene Frage erst in den letzten Minuten vor dem Einsatz zu klären, war niemals eine gute Idee. »Wir reden mit ihnen. Wir wollten ja sowieso von dort aus aufbrechen.«
Adam nickte.
Colonel Marrick trat zu ihnen und wandte sich direkt an den Leiter der Mondstation. »Noch ist Zeit, das Personal auszutauschen. Ich weise noch einmal darauf hin, dass ich es für klüger halte, ein Spezialeinsatzkommando nach Minos zu schicken.«
Adam wandte den Kopf wie in Zeitlupe und blickte den General aus kalten Augen an. »Ich werde darüber jetzt nicht noch einmal diskutieren. Ihre Special Forces bleiben hier und halten sich lediglich in Bereitschaft. Ich habe noch zu gut den Fehlschlag des letzten Einsatzteams im Gedächtnis, das man mir hierher geschickt hat, von dem arroganten Auftreten gegenüber meiner Stationsbesatzung ganz zu schweigen. Ich will, dass Leute hinübergehen, die Erfahrung mit Transportereinsätzen haben, und Mr. Harris hat dies schon seit über zwanzig Jahren.«
Der General lief rot an. »Aber diesen Russen da lassen Sie mitgehen?« Er zeigte auf Sergej.
Adam trat einen Schritt auf den Colonel zu, bis sich die beiden Männer direkt gegenüber standen. »Es ist die Sache von Mr. Harris als Einsatzleiter, welches Team er zusammenstellt. Und jetzt lassen Sie uns hier unsere Arbeit machen und treten Sie zurück, bevor ich Sie aus meinem Transporterlabor entfernen lasse!«
Der General sah ihn aus großen Augen stumm an. Schließlich drehte er sich um und ging an die hintere Wand des Transporterlabors, wo die fünf Männer seines Einsatzteams in grünen Felduniformen standen.
Adam verzog das Gesicht. »Egal. Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Glück bei eurem Einsatz. Wird schon schiefgehen!« Er streckte seine Hand aus.
Russell schüttelte sie. Dann ließ er Adam stehen und ging zu Candy und Sergej. »Bereit?«
Beide nickten und standen auf.
Russell wollte gerade den Transporter betreten, als einer der Techniker durch die offene Luke gerannt kam und auf Adam zustürzte. »Sir! Sir! Es geht los. Nachricht von der Erde. Die Aurora
hat die fünf fremden Schiffe auf dem Schirm. Sie sind ganz plötzlich jenseits der Jupiterbahn aufgetaucht.«
Alle im Labor starrten ihn an. Russell machte einen Schritt auf den Techniker zu. »Sind die Raumschiffe dort aufgetaucht, wo wir es erwartet haben?«
Der Mann nickte. »Position, Geschwindigkeit und Vektor sind wie erwartet. Die Aurora
hat über Richtfunk noch durchgegeben, dass der Flottenverband sich darauf vorbereitet, Fahrt aufzunehmen. Das Zusammentreffen mit den Fremden wird in weniger als einer Stunde erwartet.«
Auch Adam kam näher. »Wann werden die fremden Schiffe auf der Erde eintreffen, falls die Verteidigungsmaßnahmen fehlschlagen?«
»Noch schwer zu sagen. Vielleicht in zehn bis zwölf Stunden.«
Russell biss sich auf die Lippen. Zwölf Stunden. Dann wäre auch ihr Einsatz beendet und es würde sich entscheiden, ob die Erde eine Zukunft hatte.
Er atmete tief durch. Er musste sich jetzt auf seine eigene Aufgabe konzentrieren. Russell drehte sich um und trat in den Transporter. Candy und Sergej folgten ihm. Das Innere glich einem in die Länge gezogenen Ei. Es bestand bereits eine Dauerverbindung zum Supertransporter.
Russell und seine Kameraden durchquerten den Transporter mit vorsichtigen Schritten. Die Schwerkraft nahm mit jedem Meter weiter ab, bis sie auf der anderen Seite fast völlig verschwunden war. Durch den geöffneten Durchgang trat Russell in die immer noch fremdartig wirkende, halbkugelförmige Halle des Supertransporters. Russell hätte sich hier nicht längere Zeit aufhalten wollen. Aber das musste er ja zum Glück auch nicht. Er stieß sich von der Wand des Transporters ab und erreichte die schwarze Konsole, hinter der Gemma und Mitchell eine laute Diskussion führten.
Russell fing sich am Rand der Konsole ab und schwenkte herum, mit den Füßen nach unten, bis er neben der Physikerin schwebte. »Habt ihr endlich eure Probleme gelöst?«
Mitchell schüttelte den Kopf. »Jedes Mal, wenn wir eine Dauerverbindung mit einem Transporter lösen oder aufbauen, verschwinden die Durchgänge.«
Gemma gestikulierte heftig über der Schaltfläche der Konsole. »Ich bin mir sicher, dass man auch die Durchgänge mit einem dieser Steuerungselemente kontrollieren kann. Wir bräuchten einfach mehr Zeit.«
Russell verzog keine Miene, sondern blickte auf die Armbanduhr, die über dem Ärmel seines Raumanzugs festgemacht war. »Wir haben noch genau dreißig Minuten im Zeitplan. Bis dahin müsst ihr das Problem lösen.«
Mitchell presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch bleiche Striche waren.
»Wir werden unser Bestes geben.« Gemmas Stimme klang alles andere als überzeugt.
Sergej murmelte irgendetwas, das sich für Russell wie »Burack« oder so anhörte und ihm nichts sagte.
Candy beugte sich nach vorne über die Konsole. »Verdammt noch mal, ihr seid doch wirklich ...«
Russell legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Komm, lass den beiden ihre Arbeit. Wir haben unsere.«
Candy wandte sich ab und schwebte in Richtung Transporter davon.
Russell wandte sich wieder an Gemma. »Jetzt löst die Verbindung zum Mond und stellt eine Dauerverbindung nach Minos A her.«
Gemma nickte nur.
Mitchell schwebte an seiner Kollegin vorbei zu Russell und reichte ihm einen silbernen Kasten. »Der Kommunikator.«
Russell nickte. Adam hatte ihn bereits informiert, dass es Mitchell gelungen war, ein weiteres der Kommunikationsgeräte herzustellen, die sie schon auf der Venus benutzt hatten. Russell würde es an die Leitung auf Minos A anschließen, die zum Teleskop auf der anderen Seite des Planetoiden führte. Da der Transporter im Falle des Erfolges vernichtet werden würde, war die künstliche Wurmlochverbindung der einzige Weg, die Zerstörung von Minos B zu bestätigen.
Gemma drückte mehrere Schaltflächen auf der Konsole nieder und hob schließlich den Kopf. »Verbindung hergestellt.«
Russell nickte wieder. »Vergesst nicht, ihr habt dreißig Minuten, das Problem mit dem Durchgang zu lösen. Dreißig Minuten!«
Er wartete eine Antwort gar nicht erst ab und stieß sich an der Stirnseite der Konsole ab. Mit dem Kommunikator unter dem Arm schwebte er zu Candy und Sergej, die bereits einen Durchgang geöffnet hatten. Das Innere des Transporters hatte sich scheinbar nicht verändert. Noch immer war der eigentlich sphärische Raum unwirklich in die Länge gezogen. Allerdings war der Durchgang auf der anderen Seite nun geschlossen. Russell wusste, dass der Ausgang dort nicht mehr zur Mondoberfläche führen würde, sondern auf die Oberfläche von Minos A. An der gegenüberliegenden Wand erkannte er die Fernsteuerung für die Raketentriebwerke und den Akustikkoppler.
Russell wartete, bis Candy und Sergej im Inneren waren, dann verschloss er das Loch in der Hülle, damit die Luft nicht aus der Supertransporterbasis entwich, wenn sie den Durchgang auf der anderen Seite öffneten. Er folgte seinen Kameraden durch das Innere des Transporters und bremste sich an der gegenüberliegenden Wand ab. »In Ordnung. Seid ihr bereit für den Einsatz?«
Sergej nickte. Candy grinste sogar.
Russells Herz gefror bei dem Gedanken, dass von ihnen nun das Wohl der Erde abhing. Er hatte keine Angst um sein eigenes Leben, sondern fürchtete, einen Fehler zu begehen, der Milliarden von Menschen dem Untergang preisgeben würde. Aber nun war es zu spät, jemand anderen zu schicken. Er seufzte. »Also schön, bringen wir es hinter uns. Helme aufsetzen. Und vergesst nicht, dass Funkstille herrscht.«
Er setzte seinen eigenen Helm auf und verriegelte die Verschlüsse am Hals. In seinen Ohren zischte es laut. Er wartete, bis sowohl Candy als auch Sergej ihm mit gehobenen Daumen wieder ihre Einsatzbereitschaft signalisierten, dann öffnete er den Durchgang auf die Oberfläche von Minos A und sprang aus dem Transporter.
Ihre Aufgaben waren klar verteilt. Candy und Sergej überprüften ein letztes Mal die Triebwerksmodule, während Russell den Kommunikator montierte. Mit langen Sprüngen hüpfte er über die graue, staubige Oberfläche. Die ferne, weiße Sonne stand nun tiefer als gestern. Der Schatten des Transporters reichte fast bis zum Horizont und grenzte sich selbst in der Ferne scharf gegen die Umgebung ab.
Russell erreichte das Terminal, das über eine kilometerlange Kabelverbindung mit dem Teleskopmodul auf der anderen Seite des Himmelskörpers verbunden war, und stellte den Kommunikator daneben ab. Aus einem kleinen Fach an der Seite des Kastens holte er ein dickes Flachbandkabel und schloss es zunächst am Kommunikator und dann am Terminal an. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann leuchteten mehrere Lichter am Kommunikator grün auf. Russell seufzte. Die Verbindung sowohl zu den Teleskopen als auch zu der Gegenstation in der Mondbasis war hergestellt.
Wenigstens das funktioniert schon mal.
Er richtete sich wieder auf und hüpfte zum Transporter zurück. Sergej hatte sich bereits wieder neben dem Durchgang positioniert, doch Candy stand nach wie vor auf der Leiter und hantierte an einem der Triebwerksmodule herum. Sie hatte doch wohl nicht noch einen Fehler gefunden?
Dann kletterte sie wieder hinab und reckte den Daumen empor. Was auch immer das Problem gewesen war, sie hatte es gelöst.
Russell ließ der Soldatin und dem Russen den Vortritt. Er warf einen letzten Blick zurück und straffte sich. Wenn alles nach Plan lief, war es das letzte Mal in seinem Leben, dass er die Oberfläche von Minos A sehen musste.
Mit einem Hieb gegen die Wandung schloss er schließlich den Durchgang und aktivierte sein Funkgerät. Dann sah er auf die Armbanduhr. Sie lagen genau im Zeitplan. »Candy? Bereit für die Zündung der Triebwerke?«
Sie kniete sich vor den Laptop, klappte ihn auf und bearbeitete die Tastatur. »Einsatzbereit.«
Sergej stellte sich neben Candy und wandte sich dann zu Russell um. »Was kann ich tun?«
»Nichts. Wenn alles nach Plan läuft, hat Candy die ganze Arbeit. Wenn du willst, kannst du zurück zum Supertransporter gehen.« Er zeigte zur gegenüberliegenden Wand.
Der Russe verneinte. »Ich bleibe.«
Russell zuckte mit den Schultern. Seine Sache. »Noch dreißig Sekunden bis zur Zündung.«
Candy gab den Countdown über die Tastatur ein und drückte die Enter-Taste. »Ich lasse den Startvorgang automatisch über den Computer durchführen. Er wird den Transporter auf die vorprogrammierte Flugroute bringen. Ich greife nur dann ein, wenn es nötig ist.«
Russell nickte. Noch zehn Sekunden. Er setzte sich hin, denn er wusste nicht, welche Beschleunigung die Triebwerke entwickeln würden, und gab Sergej ein Zeichen, es ihm nachzutun.
Candy las die letzten Sekunden des Countdowns ab. »Fünf, vier, drei, zwei, eins, Zündung!«
Es geschah ... nichts.
Keine Bewegung, keine Beschleunigung. Russell blickte Candy entgeistert an. »Was ist geschehen? Warum fliegen wir nicht?«
Candys Finger huschten über die Tastatur. »Eines der Triebwerke muss falsch aufgehangen sein, wir kommen vom berechneten Kurs ab. Ich muss von Hand ausgleichen.«
Russell blinzelte. »Du meinst, wir sind ...«
»Gestartet! Ja, verdammt.«
Sergej wunderte sich: »Man merkt ja gar nichts.«
Russell richtete sich auf und beugte sich über Candys Schulter. Der stilisierte schwarze Punkt des Transporters hatte sich auf seiner Kurve von der Linie der Oberfläche entfernt. Er folgte der geplanten Flugbahn mehr schlecht als recht. Sie waren tatsächlich unterwegs. Die Triebwerke hatten genug Schub entwickelt, um den Transporter von der Oberfläche emporzuheben. Aber dass Russell keine Beschleunigung spürte, irritierte ihn ungemein. »Die Transporter müssen über eine Art Trägheitsdämpfung verfügen.«
Candy schnaubte. »Ist mir egal, ob es rappelt und schüttelt oder nicht. Hauptsache ich kriege dieses Mistding auf Minos B zu gesteuert. Ist ganz schön träge. Wie wenn man einen Elefanten lenken will, indem man ihn am Arsch packt und schiebt.«
Ein Fenster des Laptops zeigte eine monochrome Außenansicht, die von einer Kamera an einem der Triebwerksmodule aufgenommen wurde. Der Horizont von Minos A wich zurück und die feindliche Basis wurde sichtbar. Das hieß, dass der Transporter nun auch für die Feinde sichtbar war. Was würden die Fremden gegen den Angriff unternehmen? Russell dachte an die Männer von Captain Grooms Einsatzteam und wie sie im Plasmapuls innerhalb eines Augenblicks verdampft waren. Die Fremden würden die Waffe gegen den Transporter garantiert auch einsetzen.
Russell blickte auf seine Armbanduhr. Noch eine Viertelstunde, bis der Transporter auf Minos B aufschlagen würde. Noch zwei Minuten bis zum Ende der Triebwerkszündung.
Candy ächzte. »Der Transporter ist so verdammt schwer. Ihn in die Kurve auf Minos B zu bekommen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit.«
Russell legte ihr einen Arm auf die Schulter. Sonst konnte er nichts tun. »Geht’s?«
»Ja, verdammt. Aber die Zündung wird länger brauchen als vorgesehen.«
Russell hätte fluchen mögen. Sie hatten die Triebwerkszündung so geplant, dass sie beendet war, bevor sie den Punkt des vermuteten Angriffes erreichten. Die Triebwerksmodule würden dem Plasmapuls nicht standhalten, und wenn sie vernichtet wurden, bevor der Transporter auf seinen korrekten Kurs gegangen war, würde die Sphäre an Minos B vorbeiziehen und auf Nimmerwiedersehen im Weltraum verschwinden. »Candy, die Zündung darf nicht ...«
Sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Ich weiß das, gottverdammt! Aber ich kann es nicht ändern.« Sie schnaubte. »Wir hätten noch ein Triebwerksmodul mehr an den Transporter pappen sollen, dann wäre es kein Problem gewesen.«
Ja, das hätten wir tun sollen.
Doch nun war es dafür zu spät.
Russells Blick traf sich mit dem von Sergej. Der Russe hatte die Augen hinter dem Visier seines Helmes weit aufgerissen, sein Gesicht glich einer Maske. Russell wandte sich wieder dem Laptop zu. Er starrte den Punkt des Transporters an, als könne er ihn telekinetisch dazu zwingen, die Kurve endlich zu vollenden und auf Minos B zuzufliegen.
Noch eine Minute verblieb im Manöver.
Sie konnten nur beten, dass der Angriff später erfolgte als erwartet.
Dann tauchte plötzlich Jims Gesicht vor Russells innerem Auge auf. Auch im Sonnensystem musste der Angriff inzwischen erfolgt sein.
Russell hoffte, dass es dort besser lief als hier.