Kapitel 25

Amanda

Die Eröffnungsfeier war ein voller Erfolg. Sie war schon mit einem Lächeln aufgewacht und konnte es den ganzen Tag nicht abstellen. Und warum sollte sie auch? Es gab doch jede Menge Gründe, um sich zu freuen.

Die Farm war voller Besucher, Familien, die gekommen waren, um frische, reife Erdbeeren zu pflücken und Spaß zu haben. Und es schien ihr wirklich gelungen zu sein, ihnen einen schönen Tag zu bereiten. Der Spielplatz kam bei den Kindern gut an, das Glücksrad war eine super Idee von ihrem Dad gewesen, der versprochen hatte, nach seinem Angelausflug auch noch vorbeizukommen, das Eis war der absolute Verkaufsschlager, und sie musste ständig neues herstellen beziehungsweise Nachschub aus der Kühltruhe holen. Und die Leute tanzten sogar zu der Musik, die sie für diesen besonderen Tag zusammengestellt hatte: fröhliche Songs für ein fröhliches Event.

Sie sah Jane beinahe bei jedem neuen Lied, das über die Lautsprecher erklang, die Augen rollen, doch heute machte ihr das überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil, sie freute sich sogar richtig, dass ihre Tochter dabei war an diesem Tag, der hoffentlich die Wende bringen würde. Jane saß schon seit Stunden gemeinsam mit Calvin am Verkaufstisch und beklagte sich kein einziges Mal, dass es ihr zu viel wurde. Ja, sie lächelte die Kunden sogar freundlich an, und Calvin war sowieso nett und hilfsbereit wie immer. Amanda war richtig angetan von den beiden.

Dann war da ihre Mutter. Die war einfach unglaublich gewesen, war an beinahe jedem Tag der Woche gekommen, um zu helfen. Und sie hatten wirklich Großartiges geschaffen. Sogar der Parkplatz sah aus wie ein richtiger Parkplatz mit Abgrenzungen und einem Schild, das ebenfalls Jane gezeichnet hatte.

Und den größten Einsatz zeigten die fleißigen Erntehelfer, die gratis Überstunden machten und heute so wunderbar Anteil nahmen. Felicitas half ihr mit dem Eis und dem Schneiden der vielen, vielen Erdbeeren, Esmeralda stand am Glücksrad und begrüßte die Besucher mit einem riesigen Lächeln im Gesicht, und Sergio und Romeo hatten so viele rote und rosafarbene Luftballons aufgehängt, dass man denken konnte, die Farm würde gleich davonfliegen. Amanda war rundum glücklich, das war sie schon die letzten Tage gewesen und heute ganz besonders.

Und dann war Carter gekommen.

Zusammen mit seiner entzückenden Tochter Astor, die er ihr gleich vorstellte und die von ihrem Erdbeersirup schwärmte, war er gegen Mittag eingetroffen. Jetzt war es bereits halb drei am Nachmittag, und die beiden waren noch immer da.

Mit einem Lächeln im Gesicht ging sie ihre Runde, fragte die Besucher, ob sie Spaß hatten und ob sie eine kleine Flasche Wasser haben wollten, die sie zu Hunderten im günstigen Supermarkt eingekauft hatte. Als sie Carter und Astor inmitten der Erdbeeren auf dem Feld entdeckte, schlenderte sie zu ihnen.

»Hey, ihr beiden. Wie gefällt es euch? «, erkundigte sie sich.

»Das macht sooo Spaß!«, ließ Astor sie wissen, und Carter nickte zustimmend.

»Ich kann dich wirklich nur beglückwünschen zu deiner tollen Idee.«

»Na ja, eigentlich war es ja nicht meine Idee. Viele Farmer der Gegend bieten einen Pick-your-own-Bereich an.« Das sah man an den vielen Einträgen auf der Internetseite www. pickyourown.org , in die sie sich auch eintragen lassen hatte.

»Na, dann dafür, dass du das alles so wunderbar umgesetzt hast. Und dann auch noch in so kurzer Zeit und mit so vielen coolen Extras. Ich frage Astor schon die ganze Zeit, ob wir nicht endlich mal zum Glücksrad wollen. Ich liebe die Dinger nämlich, musst du wissen.«

»Das stimmt«, sagte Astor mit einem Augenrollen und einem Kichern. »Und er gewinnt ehrlich immer!«

»Ach ja?«, fragte sie nach und sah ihn an.

»Jedes Mal. Mach dich drauf gefasst, dass du gleich ein Glas Marmelade los bist.«

Einer ihrer Lieblingssongs erklang: Dancing in the Dark von Bruce Springsteen. Ganz automatisch begann sie, dazu zu wippen.

»Coole Songauswahl«, meinte Carter und wippte mit.

»Danke.«

»Bruce ist der Beste«, ließ die kleine Astor sie wissen.

Überrascht sah sie sie an. »Du kennst The Boss Bruce Springsteen?«

»Klar. Daddy hört ihn rauf und runter.«

»Wow, ich bin beeindruckt.« Sie konnte Carter nur erstaunt anstarren. Dieser Mann war genau nach ihrem Geschmack. Ein Vater, der seinen Kindern gute alte Musik vorspielte, ihnen Eis selbst machte, einen Kuchen für die Schulveranstaltung backen wollte … Da fiel ihr ein, dass sie das Rezept ja für ihn aufgeschrieben hatte. Sie fischte es aus der hinteren rechten Jeanstasche und reichte es ihm.

»Was ist das?«, fragte er. »Ein Liebesbrief?« Normalerweise hätte sie das unpassend, vielleicht sogar aufdringlich gefunden, doch bei Carter war das anders. Da war es einfach nur witzig.

Sie musste lachen. »So was Ähnliches.«

Er faltete den Zettel auseinander. »Ein Kuchenrezept! Perfekt, danke.«

»Oh nein, willst du etwa backen?«, fragte Astor erschrocken.

Carter nickte. »Für den Kuchenbasar an der Montgo mery am Dienstag.«

»Ach du heilige Kuh! Das wird bestimmt wieder ein dicker, fetter Stein.«

Amanda musste abermals lachen. Dieses Vater-Tochter-Gespann machte einfach gute Laune. Sie sah zu ihrer Mutter hinüber, die ihr ein erfreutes Lächeln zuwarf.

»Es ist ein ganz einfaches Rezept«, versicherte sie der Kleinen. »Das kriegt bestimmt sogar dein Daddy hin.«

»Ich weiß nicht … Vielleicht sollten wir auf das Preisschild einen Hinweis schreiben, dass einem beim Essen des Kuchens ein Zahn ausfallen könnte.«

»Haha!«, sagte Carter, nahm Astor den Erdbeerkorb ab, bat Amanda, ihn kurz zu halten, und dann kitzelte er seine Tochter durch, dass sie sich kaputtlachte.

Allein den beiden zuzusehen bewirkte schon, dass Amanda sie besser kennenlernen wollte. Dass sie Carter besser kennenlernen wollte, sich eventuell sogar mit ihm zu einem Date verabreden wollte. Sie hatte in letzter Zeit oft an das Versprechen denken müssen, das sie Tom gegeben hatte. Es war jetzt anderthalb Jahre her, dass er von ihr gegangen war. Vielleicht war es nun an der Zeit, dass sie an die Zukunft dachte. Tom hätte bestimmt mit ihr geschimpft, dass sie so lange gewartet hatte.

Doch sie konnte wirklich und ohne schlechtes Gewissen sagen, dass sie jetzt bereit war. Natürlich würde sie Tom immer vermissen und war sich sicher, nie wieder jemanden so lieben zu können wie ihn, und wahrscheinlich würde sie auch weiterhin Momente haben, in denen sie sich so fürchterlich nach ihm sehnte, dass ihr das Atmen schwerfiel, doch es war an der Zeit, nach vorn zu blicken. Sie spürte eine Veränderung in sich, und sie war froh, dass sie eingetroffen war. Nur gab es da natürlich noch ein ziemlich großes Problem. Jane wäre bestimmt nicht einverstanden, wenn sie einen neuen Mann in ihrer beider Leben ließ. Sie hatte ihre Blicke gesehen, als Carter eingetroffen war und sie ihn umarmt hatte. Und dabei hatte sie das gar nicht bewusst getan. Doch sie war heute einfach in diesem Umarmmodus, sodass sie sich nichts weiter dabei gedacht hatte und ihn ganz automatisch auch auf diese Weise willkommen geheißen hatte. Es waren so viele Freunde und Bekannte gekommen, die sie eingeladen hatte, dass er einfach zu einem von ihnen geworden war.

Jane hatte das nicht gefallen. Doch Amanda gefielen auch viele Dinge nicht, die ihre mürrische Tochter tat, und sie konnte doch nicht immer nur Rücksicht auf sie nehmen. Es war ja auch noch gar nichts zwischen Carter und ihr passiert, und vielleicht würde es das auch nie. Doch allein der Gedanke daran war schön.

Und als Astor und Carter jetzt zu dem Song mitsangen, stimmte sie einfach ein und fühlte sich ausgelassen wie lange nicht mehr.

»Jetzt können wir zum Glücksrad gehen, Daddy«, sagte Astor eine kleine Weile später, als sie genug gepflückt und gesungen hatte. Es war wirklich spaßig gewesen, und einige Leute hatten ihnen lächelnd zugesehen, wie sie zu dritt – die neue Erdbeerband – abgefeiert hatten. Vielleicht sollten sie öfter gemeinsam auftreten, dachte Amanda lachend und führte Carter und seine Tochter zur Einfahrt hin, die heute als Festplatz herhielt.

»Krieg ich ein Eis, Daddy?«, fragte Astor, und Amanda packte die Gelegenheit beim Schopf und brachte die beiden zuerst zu ihrer Mom und dann an den Tisch zu Jane, die vorhin, als sie für den Korb bezahlt hatten, im Haus gewesen war. Wenn sie eh schon alle anwesend waren, wollte sie sie auch gleich einander vorstellen.

»Hey, Jane«, sagte sie und hoffte, sie würde sich nicht wieder aufführen, wie sie es in letzter Zeit leider so oft tat. »Wie läuft es bei euch?«

»Gut«, grummelte sie.

»Alles bestens, A. P.«, meinte Calvin lächelnd.

»Sehr schön.« Sie sah kurz zu Carter und Astor, die ihren Korb so voll bepackt hatte, dass er beinahe überquoll. Carter hatte angeboten, ihn ihr abzunehmen, doch sie wollte ihn unbedingt selbst halten – ihre eigene Ernte. Dann wandte Amanda sich wieder an Jane und Cal. »Ich würde euch gerne einen Bekannten von mir vorstellen. Das ist Carter, und das Mädchen hier mit dem Erdbeervorrat für eine ganze Woche ist Astor. Und diese beiden Helden sind meine Tochter Jane und ihr bester Freund Calvin«, richtete sie ihre Worte dann an ihre Besucher. Und sie meinte das mit den Helden ganz ernst. Sie wusste nicht, was sie heute ohne die beiden getan hätte.

»Hi«, sagte Cal, weil Jane gar nichts sagte. »Schön, euch kennenzulernen.«

»Carter hat eine Tochter, die auf eure Schule geht, vielleicht kennt ihr sie. Ihr Name ist …«

»Sam Green, richtig?«, fragte Calvin.

Verblüfft sah sie ihn an. Auch Carter schien überrascht, doch Astor antwortete gleich: »Stimmt!«

»Seid ihr Freunde von Sam?«, fragte Carter.

»Kann man eigentlich nicht sagen, C. G.«

Als Carter jetzt nur noch verdutzter dreinblickte, klärte Amanda ihn auf. »Calvin nennt alle Leute bei ihren Initialen.«

»Ah, klar«, erwiderte er nickend und ein wenig schmunzelnd und nahm einen Löffel Eis mit Erdbeeren – ohne irgendwelche Extras.

Astor stellte jetzt ihren überquellenden, ziemlich unhandlichen Korb vor Jane ab, damit sie sich ihrem Eis – mit viel Sahne, einem großen Schuss Sirup und einer ganzen Hand voll Streusel – widmen konnte.

»Eure Erdbeeren sind voll lecker«, sagte sie.

Jane starrte die Kleine nur an. Kein freundliches Lächeln, kein nettes Wort, kein »Hat es euch Spaß gemacht?«, nicht einmal ein »Danke«.

Eindringlich sah Amanda sie an, doch sie beachtete sie gar nicht.

»Ich hoffe, das Pflücken hat dir Spaß gemacht?«, fragte Calvin dann zum Glück.

»Total. Ich würde das am liebsten jeden Tag machen.«

»Oh Gott«, meinte Carter. »Wer soll denn all die Erdbeeren essen?«

»Sam freut sich bestimmt auch über selbst gepflückte Erd beeren«, meinte Astor, und Amanda nahm wahr, wie Jane und Cal sich einen merkwürdigen Blick zuwarfen. Sie hatte keine Ahnung, was der zu bedeuten hatte, aber sie musste gestehen, sie war ziemlich enttäuscht von Janes Verhalten.

Als Carter noch einmal zum Eisstand zurückging, weil sie vergessen hatten, sich Servietten mitzunehmen, ergriff sie die Chance.

»Würde es dich umbringen, ein bisschen höflicher zu unseren Kunden zu sein?«, flüsterte sie Jane mit zusammengebissenen Zähnen zu, sobald er außer Hörweite war.

»Ja«, antwortete sie patzig.

»Zu den anderen Kunden ist sie freundlicher, keine Sorge«, mischte Calvin sich ein und erntete gleich einen bösen Blick von Jane.

Hätte Astor nicht noch immer bei ihnen gestanden, hätte Amanda jetzt noch was gesagt, doch sie befürchtete, dass dieses gesprächige kleine Mädchen es ihrem Daddy weitererzählen würde, wenn sie jetzt eine Szene machte. Und eigentlich wollte sie das auch gar nicht, denn der Tag war viel zu schön, um ihn damit zu ruinieren. Das war es einfach nicht wert.

Allerdings sah Jane das anscheinend anders. Denn plötzlich verschränkte sie die Arme vor der Brust und funkelte sie verachtend an. »Wieso sollte ich denn auch noch nett zu ihm sein, wenn du schon nett für zwei bist?«, fauchte sie.

»Wie bitte?« Schockiert sah sie sie an.

»Na, wie du dich aufführst, total peinlich! Wie du mit fremden Männern herumflirtest, ich könnte kotzen!«

Jetzt wurde es aber wirklich zu viel. Sie sah sich um und musste feststellen, dass ein paar Leute zu ihnen herübersahen.

»Es reicht, Jane«, sagte sie so ruhig wie möglich. »Wenn du ein Problem damit hast, wie ich mit unseren Kunden umgehe und dass ich im Gegensatz zu dir ein wenig lächle und freundliche Worte mit ihnen spreche, dann können wir da gerne später drüber reden. Hier und jetzt ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt. Okay?« Sie blickte ihr direkt in die Augen und hoffte nur, dass sie es gut sein ließ, fürs Erste zumindest.

»Von mir aus«, erwiderte sie. »Trotzdem ist das voll unangemessen, Mom. Ehrlich. Dad ist erst seit einem Jahr tot!«

Amandas Herz pochte schneller, so schnell, dass es her auszuspringen drohte. Sie wusste gar nicht, wie sie reagieren, was sie machen sollte, dass die Situation nicht eskalierte. Und dann bemerkte sie auch noch, dass Carter längst wieder neben ihr stand. Am liebsten wäre sie davongelaufen.

Doch sie atmete ein paarmal tief durch und riss sich zusammen. »Danke, dass du mich daran erinnerst, Jane. Und jetzt reicht es. Wenn du nicht hier sitzen und dich mit einem Lächeln im Gesicht um unsere Kunden kümmern kannst, dann darfst du gerne aufstehen und reingehen.«

Genau das tat Jane. Cal sah ihr nach und schenkte Amanda dann einen entschuldigenden Blick, als hätte er irgendetwas mit Janes Verhalten zu tun, dabei konnte der arme Junge doch überhaupt nichts dafür. Astor starrte Jane ebenfalls hinterher, nur Carter sah Amanda verständnisvoll an.

»Tut mir ehrlich leid, wie sie sich verhalten hat. Es ist alles nicht so leicht für sie«, sagte sie ihm.

»Ich verstehe das«, meinte er. »Mach dir keine Gedanken.«

Sie nickte. Atmete noch einmal durch. »Okay, wollen wir jetzt zum Glücksrad gehen?«

Astor war sofort dabei, und Carter streifte im Hinübergehen wie zufällig ihre Hand mit seinem kleinen Finger. Ein Blitz durchfuhr sie, und sie lächelte ihn schüchtern an. Janes zickiges Benehmen war sofort vergessen, und sie genoss einfach nur die Nähe dieses Mannes, der sie wirklich glücklich machte, mit dem sie gerne zusammen war und den sie so liebend gern in ihr Leben lassen wollte. Und dieses eine Mal würde sie nicht danach gehen, was Jane wollte, sondern auf ihr Herz hören. Und auf Tom – das war sie ihm schuldig.